Profil 7-8/2024

Die Profil Ausgabe 7-8/2024 mit den Leitthemen "Ein Humanist mit Widersprüchen: Erich Kästner“ ist veröffentlicht. Jetzt lesen!

7-8 2024

DEUTSCHER PHILOLOGENVERBAND

DAS MAGAZIN FÜR GYMNASIUM UND GESELLSCHAFT

Foto: Dutch National Archives, Den Haag

Ein Humanist mit Widersprüchen: Erich Kästner

Vor 80 Jahren scheiterte das Hitler-Attentat

Deutschland, Deine Gymnasien! Das Christianeum in Hamburg

PROFIL // Auf ein Wort

sind wir froh über diesen Beschluss. Und nun muss die KMK im Interesse der lernenden Schülerinnen und Schüler konsequent für Klarheit sorgen. Es kann nicht sein, dass je nach kultusministerieller Beset zung der Umgang mit der deutschen Sprache an den Schulen unterschiedlich erfolgt. So soll denn auch die verbindliche Umsetzung in den Schulen laut Rat und bereits erfolgter Zustimmung der KMK spätestens zum Schuljahr 2027/2028 umgesetzt sein. Wir sind gespannt. Der Rat der deutschen Rechtschreibung unter Vorsitz von Dr. Josef Lange betont in seinen Erläuterungen, dass die Schule der Ort der Vermittlung der orthogra fi schen Normen sei. Vorgaben für die schulische Be wertung seien jedoch nicht die Aufgaben des Rates – und dementsprechend unterschiedlich handhaben die Bundesländer noch den Umgang mit Sonderzei chen mit Geschlechterbezug sehr unterschiedlich, und zwar sowohl in der Vermittlung als auch in der Bewertung. Der Deutsche Philologenverband hält die Arbeit des Rats für deutsche Rechtschreibung für bedeutsam und er respektiert sie. Wir halten die Beherrschung der deutschen Rechtschreibung für fundamental für gelingende Kommunikation und für Bildungserfolg. Sie dient der Chancengleichheit. Auf diese Bedeutung hat auch das Bundesverfassungsgericht jüngst hinge wiesen. 1 Wir folgen den Regeln des Deutschen Recht schreibrates und wünschen uns dies auch für die Umsetzung im schulischen Unterricht. Ein Durch einander in den Schulen können und wollen wir uns nicht leisten, schon gar nicht vor dem Hintergrund vieler weiterer bildungspolitischer Herausforderun gen. Deshalb fordern wir die KMK hier zur einheitli chen Umsetzung auf – und sind gespannt, ob diese Einheitlichkeit, orientiert an den Regelungen des Deutschen Rechtschreibrats, bis 2027 umgesetzt sein wird. Arbeiten Sie gerne mit uns daran!

Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing, Bundesvorsitzende des Deutschen Philologenverbandes

DPhV mahnt KMK zu einheitlichem Vorgehen bei der Rechtschreibung Liebe Kollegen und Kolleginnen, die Kultusministerkonferenz hat in ihrer letzten Sit zung im Juni der Neufassung des Amtlichen Wörter verzeichnisses und der Anpassung des Amtlichen Regelwerks für die deutsche Rechtschreibung zuge stimmt – und seit Juli 2024 ist die Anpassung dieses Amtlichen Regelwerks nach Zustimmung der zustän digen staatlichen Stellen in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Belgiens, Liechtensteins und Südtirols o ffi ziell. Worum ging es dabei und inwiefern ist dies für uns von Belang? Die Anpassung des Amtlichen Regelwerks sieht u.a. Veränderungen des Schreibwandels durch die Auf nahme von Schreibvarianten und in der Zeichenset zung vor. So wird z.B. der erweiterte In fi nitiv wieder verbindlich mit Komma abgetrennt. Beim Umgang mit der „geschlechtergerechten Schreibung“ sieht der Deutsche Rechtschreibrat keine Sonderzeichen im Wortinneren vor. In den Bundesländern wird dies allerdings unter schiedlich gehandhabt. Beispielsweise in Schleswig Holstein oder Hessen sind Abzüge bei der Noten gebung beim Verwenden von Sonderzeichen im Wortinneren als Ausdruck geschlechtergerechter Schreibung möglich. In Bayern und Sachsen ist dies zwar nicht erwünscht, hat aber in der Praxis der No tengebung keine Konsequenzen. Die Bildungsminis terien in Bremen und im Saarland befürworten dage gen die Möglichkeit des Einsatzes des Doppelpunktes im Wortinneren als Ausdruck geschlechtergerechter Schreibung. Bei anderen Bundesländern ist eine klare Positionierung nur schwer erkennbar. Wir mahnen die Kultusminister und -ministerinnen hier zur Einheitlichkeit im Umgang mit den Regeln der deutschen Rechtschreibung in der Schule. Ein Rechtschreib-Allerlei verwirrt alle Beteiligten. Deshalb

Mit herzlichen Sommergrüßen!

Ihre Susanne Lin-Klitzing

1 Leitsätze zum Urteil des Ersten Senats vom 22. November 2023. https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/ DE/2023/11/rs20231122_1bvr257715.html

3 PROFIL // 7-8/2024

PROFIL // Inhalt

DPhV-Standpunkte  DPhV kritisiert: Kultusministerien verlieren bei Strukturreform weiter Ein fl uss auf die universitäre Lehrkräftebildung  dbb Bürgerbefragung 2024: 70 Prozent halten den Staat für überfordert – Politik muss endlich umsteuern 6  DPhV begrüßt Initiative der SWK zur Stärkung des Fachunterrichts für die Demokratiebildung 5

Vor 125 Jahren wurde Erich Kästner geboren – vor 50 Jahren starb er 8

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Titel  Ein Moralist – nicht frei von Widersprüchen: Vor 125 Jahren wurde Erich Kästner geboren – vor 50 Jahren starb er

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Hitler-Attentat  „Gegen das Vergessen“ – Zum 80. Jahrestag des 20. Juli 1944

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Deutschland, Deine Gymnasien  PROFIL-Besuch im Hamburger Christianeum: Wie modern kann ein Humanistisches Gymnasium sein? 15 Termine  Sicherheit: ein Bedürfnis nicht nur für Senioren! Edith Krippner-Grimme lud ein zum dbb-Seniorenseminar in Hannover 18  Studie der Vodafone Stiftung: Wie Intelligente Tutorielle Systeme individualisiertes Lernen von Schülern fördern und Lehrkräfte entlasten können  KI-Anregungen für den Arbeitsalltag – und der Blick aufs Große, Ganze: „Digitale Bildung” in Schule, Lehrkräftebildung und Hochschule 20  Qualität gymnasialer Bildung in Sachsen sichern! Vertretertag der sächsischen Philologen Aus den Ländern  PhV Rheinland-Pfalz: Abscha ff ung des oft wenig e ff ektiven Fremdsprachenunterrichts an den Grundschulen käme einer Stärkung wichtiger Grundkompetenzen zugute  PhV Baden-Württemberg: Martina Scherer zur neuen Landesvorsitzenden gewählt  PhV Thüringen: TPhV zieht ernüchternde Schuljahresbilanz  PhV Niedersachen: Gymnasium bleibt beliebteste Schulform – Deutliche Investitionen notwendig  PhV Schleswig-Holstein: PhV SH betrachtet die Entwicklung der Situation mit Vertretungslehrkräften an Schulen in Schleswig-Holstein kritisch 29 30 31 33 22 26

Hitler Attentat: ‘Gegen das Vergessen’ – zum 80. Jahrestag des 20. Juli 1944 12

PROFIL-Besuch im Hamburger

Christianeum: Wie modern kann ein Humanistisches Gymnasium sein? 15

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Impressum

Auslandsschulen  Deutsche Kultur in Lateinamerika: Deutsche Schule Lima Alexander von Humboldt Begegnungen  Gespräch mit Hamburgs Senatorin für Schule und Berufsbildung Ksenija Bekeris: Austausch grundsätzlicher Positionen

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Glosse  Übersetzen muss man können!

Nachrichten

dbb magazin

 dbb Bürgerbefragung 2024: Ist der Staat noch handlungsfähig?  dbb Bundesvorstand: Investitionen trotz Schuldenbremse

Deutsche Schule Lima Alexander von Humboldt 36

 dbb Bundesvorstand: Waldemar Dombrowski ist neuer dbb Fachvorstand Beamtenpolitik  Bundeshaushalt 2025: Betrieb und Fachkräfte- gewinnung bei der Autobahn GmbH in Gefahr

Nachgefragt

dbb magazin

 Drei Fragen an Waldemar Dombrowski, zweiter Vorsitzender des dbb: Verlässliche und streitbare Partner für die Verwaltungsmodernisierung

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4 PROFIL // 7-8/2024

Frauen

dbb magazin

 Künstliche Intelligenz: Müll rein, Müll raus

PROFIL // DPhV-Standpunkte

Foto: AdobeStock

DPhV kritisiert:

Kultusministerien verlieren bei Strukturreform weiter Ein fl uss auf die universitäre Lehrkräftebildung

I n einer ersten Reaktion auf die angekündigten Strukturverände rungen der Kultusministerkon ferenz (KMK) zeigte sich der Deut sche Philologenverband (DPhV) überrascht von der aus seiner Sicht zu kurzfristigen Vorbereitung der KMK und mahnt zu mehr Sorg falt im Detail bei den notwendigen Reformen, was die Lehrkräftebil dung anbelangt. Die neue Aufstel lung der KMK in die drei Vorstands gruppen Bildung, Wissenschaft und Kultur müsste beispielsweise besser sicherstellen, dass das grundlegende Fundament der Lehrkräftebildung, nämlich deren universitäre Phase, nicht so gut wie allein in der Verantwortung der Wissenschaftsministerkonferenz liegt. Mit nur einem gemeinsamen Treffen im Jahr mit der Wissen schafts MK werden die Kultus

minister und Kultusministerinnen aus Sicht des DPhV ihrer Verant wortung nicht mehr gerecht wer den können. DPhV-Bundesvorsitzende Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing sagt: „Bei ei nem so fundamental wichtigen Thema wie der Lehrkräftebildung braucht es den direkten Ein fl uss der Bildungsministerien auch auf die erste Phase. Anders ist eine an den schulischen Bedarfen aus gerichtete Lehrkräftebildung nicht zu gewährleisten. Die weitgehende Aufgabe ihres originären Zuständig keitsbereichs gleicht einem O ff en barungseid der Kultusminister und Kultusministerinnen. Die Vorteile für die Wissenschaftsseite sind in dieser neuen Dreier-Vorstands-Re gelung der KMK deutlich erkennbar, für die Schul- und Bildungspolitik ist

5 PROFIL // 7-8/2024 nennt als Beispiel die Lehrkräftebil dung – noch bereichsübergreifende Gremien.  Pressemitteilung 14. Juni 2024 dies für den DPhV zumindest noch nicht ersichtlich.“ Statt KMK-Präsidium würde es künf tig einen KMK-Vorstand geben, be stehend aus den Vorsitzenden der drei Konferenzen, der sich mehr fach im Jahr tri ff t und „ fl exibel auf gemeinsame strategische und poli tische Themen reagieren“ soll. Einmal im Jahr wollen sich alle drei Ministerkonferenzen bei der ,Jah restagung der Kultusministerkon ferenz’ tre ff en, um dort „ausschließ lich bereichsübergreifende Mate rien von Bildung, Wissenschaft und Kultur“ zu beraten. Ansonsten gibt es nur für bereichsübergreifende Angelegenheiten – das Konzept

Foto: AdobeStock

PROFIL // DPhV-Standpunkte

dbb Bürgerbefragung 2024:

70 Prozent halten den Staat für überfordert – Politik muss endlich umsteuern

6 PROFIL // 7-8/2024 gen die Berufe des ö ff entlichen Dienstes wieder die Top-Plätze im Beruferanking, allen voran die Feuerwehrmänner und -frauen. „Während wir jedes Jahr neue Nega tivrekorde über schwindendes Ver trauen der Bürgerinnen und Bürger in die Handlungsfähigkeit ihres Staa tes melden, steigt gleichzeitig das E in neuer Tiefpunkt: 70 Prozent der Bürgerinnen und Bürger halten den Staat für überfor dert, nur noch 25 Prozent glauben, dass er seine Aufgaben erfüllen kann. Der negative Trend der letzten Jahre setzt sich immer weiter fort. Über fordert ist der Staat danach vor al lem mit der Asyl- und Flüchtlingspoli tik, der Bildungspolitik sowie der inneren Sicherheit, so das Ergebnis der 18. dbb Bürgerbefragung, die das Meinungsforschungsinstitut for sa durchgeführt hat. Die Befragten unterscheiden dabei klar zwischen den staatlichen Institutionen und ih ren Beschäftigten. Auch 2024 bele

ler und 85 Prozent der FDP-Wähler unseren Staat für überfordert hal ten und ich nicht den Eindruck habe, dass die Verantwortlichen daraus die richtigen Schlüsse ziehen. Wir brauchen keine neuen Staatssekre täre oder Sonderbeauftragte, keine Arbeitsgruppen und Symbolpolitik. Wir brauchen wirksame Investitions- und Modernisierungsprogramme bei den Themen Bildung und innere Sicherheit und wir brauchen einen konsequenten Neuansatz in der Mi grationspolitik. Stichworte sind hier bessere Steuerung und intensivere Förderung. Die Entscheider in Bund, Ländern und Gemeinden sollten einfach mal direkt die Kolleginnen und Kollegen in den Ämtern und Dienststellen ihres Zuständigkeits bereiches fragen. Da sitzen die Fach leute, die die praktischen Erfahrun gen haben und genau wissen, wie wir die Überforderung unseres Staa tes überwinden können.“ 

Ansehen der Beschäftigten. Der po sitive Trend beim Beamtenimage und im Beruferanking kann den seit Jahren anhaltenden Verfall staatli chen Ansehens und Autorität aller dings nicht aufhalten. Hierfür ist die Politik verantwortlich und nur sie kann Abhilfe scha ff en“, kommentier te der dbb Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach die Ergebnisse am 26. Juni 2024 in Berlin. Die wichtigsten Aufgaben des Staa tes sind aus Sicht der Befragten 2024 die Aufrechterhaltung der sozialen Gerechtigkeit, die Verbes serung der Infrastruktur, die Moder nisierung und Digitalisierung des ö ff entlichen Dienstes sowie die Stär kung der Bundeswehr. Das Thema Klimaschutz und erneuerbare Ener gien ist im Prioritäten-Ranking der Bevölkerung im vergangenen Jahr deutlich zurückgefallen. Silberbach: „Was mich wirklich schockiert ist, dass inzwischen 77 Prozent der Ost deutschen, 90 Prozent der AfD-Wäh

dbb Pressesprecher Dr. Frank Zitka Pressemitteilung 26. Juni 2024

PROFIL // DPhV-Standpunkte

DPhV begrüßt Initiative der SWK zur Stärkung des Fachunterrichts für die Demokratiebildung

Grundständige Lehramtsstudiengänge und Fortbildungsangebote elementar wichtig D er Deutsche Philologenver band reagiert grundsätzlich positiv auf die verö ff entlichte Stellungnahme „Demokratiebildung als Auftrag der Schule – Bedeutung des historischen und politischen

diese Forderung momentan man cherorts nur schwer zu erfüllen sein wird. Nach wie vor gilt: Wer guten Fachunterricht will, braucht gut aus gebildete Lehrkräfte in einem moti vierenden Umfeld. Gerade vor dem Hintergrund, eine gelungene Demo kratiebildung zu gewährleisten, sind derzeit angedachte Lehrerbildungs konzepte, die die fachliche Bildung in zwei Unterrichtsfächern in einer zweiphasigen Lehramtsausbildung aufgrund von pragmatischer Unter richtsabdeckung verkürzen wollen, kontraproduktiv. Hier wird massiv an der auch von der SWK geforder ten Ausbildungsqualität der ange henden Lehrkräfte gespart – mit fa talen Konsequenzen für die Lehr kräfte selbst, und damit für den Un terricht. Das vorliegende Papier ist ein Argument für grundständige Lehramtsstudiengänge mit hoher Fachlichkeit in zwei Unterrichts fächern in der universitären Bil

dungsphase. Nachhaltigkeit ist auch hier das Gebot der Stunde!“ Darüber hinaus sei im Zuge der De mokratiebildung auch die dritte Pha se der Lehrkräftebildung zu beach ten. Lin-Klitzing: „Zu Recht wird in der KMK diskutiert, dass es bessere Fort bildungsangebote und -möglichkeiten für Lehrkräfte geben sollte, gerade zu aktuellen Themen. Da gibt es – leider – auch in der grundsätzlichen Aus fi nanzierung noch viel aufzuholen.“ Bei der Verankerung von Demokra tiebildung als Querschnittsaufgabe fordert Lin-Klitzing: „Hier ist mehr Di ff erenzierung nötig, wenn es so umgesetzt werden soll, wie es die SWK allgemein mit einem Spiralcurri culum ab der Grundschule emp fi ehlt. Wir verlangen von den Län dern mehr fachspezi fi sche Konkreti sierung. Die darf auch nicht in der Sekundarstufe I enden.“ 

7 PROFIL // 7-8/2024 Lin-Klitzing weiter: „Leider müssen wir die Politik an dieser Stelle erin nern, dass durch den teils selbst verschuldeten Lehrkräftemangel Fachunterrichts sowie Aufgabe aller Fächer und der Schulentwicklung“ der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkon ferenz (SWK). DPhV-Bundesvorsitzende Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing sagt: „Es ist richtig und wichtig, dass die SWK das Thema Demokratiebildung in den Fokus rückt. Dies ist selbstver ständlich nur erfolgreich umsetzbar, wenn ein durchgängig, mit ausrei chendem Stundenvolumen versehe ner hochwertiger Fachunterricht ge währleistet wird. Eine partielle Ein stündigkeit sog. ‚Nebenfächer‘ ge nügt dem bei Weitem nicht. Dies sinnvolle Prinzip der ‚Durchgängig keit‘, z.B. bei der politischen Bildung, gilt jedoch nicht nur für die Fächer Geschichte und Politik, sondern grundsätzlich für alle Fächer, bei spielsweise auch für Fächer wie Erd kunde oder die religiös-ethische Bil dung. Und eine durchgängige Sprachbildung in der Verkehrsspra che Deutsch ist Voraussetzung für alle weitere Bildung.“

Pressemitteilung 11. Juli 2024

Foto: AdobeStock

PROFIL // Titel

Foto: Georg Göbel

Erich Kästner, 1964

Ein Moralist – nicht frei von Widersprüchen

Vor 125 Jahren wurde Erich Kästner geboren – vor 50 Jahren starb er

8 PROFIL // 7-8/2024 von Walter Tetzlo ff F ür viele von uns war er ein Be gleiter durch unsere Kindheit: Erich Kästners weltberühmte und mehrfach ver fi lmte Kinder

bücher dürften der Beweis dafür sein, dass Qualität und Quantität (kommerzieller Erfolg) sich nicht zwangsläu fi g ausschließen müssen,

sondern manchmal sogar einander bedingen. In Kästners Fall heißt dies: Die Einfühlsamkeit des Autors, den seine Kindheit in Dresden

PROFIL // Titel

lebenslang geprägt hat, und das er zählerische Talent, das sich in der eingenommenen Perspektive eines Jungen ausdrückt, der entbehrungs reich, aber gestärkt durch die Liebe seiner Mutter, aufwächst, gehen in dem Jugendroman „Emil und die Detektive“ (1929) eine wunderbare Synthese ein. Emil wird bekanntlich zum Opfer eines Diebstahls im Zug von Dresden nach Berlin, und bei der Verfolgung des Diebes in den Straßen der Hauptstadt zur Zeit der Weimarer Republik gelingt es ihm nicht nur, den Täter zu schnappen, sondern erfährt auch noch eine neue Form der Sozialisation, hier durch eine lebensnah beschriebene Clique Berliner Großstadtgören. Ein Buch von zeitloser Aussage und unterhaltender Spannung, so dass sein anhaltender Erfolg eigentlich nicht verwundert. Erich Kästner fühlte sich jedenfalls motiviert, weitere Kinderbücher zu schreiben. „Das fl iegende Klassen zimmer“ (1933) über zwei rivalisie rende Schülergruppen ist von über raschender Aktualität, weil hier In ternatsschüler mit Realschülern an einander geraten, und von keines wegs überholter Sozialkritik ist ,Pünktchen und Anton’ (1931), das von der Freundschaft zweier Kinder aus sehr unterschiedlichen Schich ten bzw. Milieus erzählt. Trotz sei nes heiteren und komödiantischen Plots ist auch ,Das doppelte Lott chen’ (1949) nicht frei von Gesell schaftskritik, die hier Scheidungs kinder und alleinerziehende berufs tätige Mütter in den Vordergrund stellt und deren Lebensform in der Nachkriegszeit enttabuisiert. Die Erscheinungsjahre der genann ten Kinderbücher zeigen es be Weltruhm für den Kinderbuchautor

reits: Die dunklen Jahre des Natio nalsozialismus bedeuteten für Kästner ein Publikationsverbot. Der beliebte Schriftsteller musste 1933 Bücherverbrennungen mit erleben (auch die seiner Werke) und, wenn er denn veröffentlichen wollte, auf Pseudonyme zurück greifen. Hier wird bereits ein entscheiden des Merkmal seiner Biographie deutlich. Kästner ( wie auch Ger hart Hauptmann) fl oh vor persönli chen Repressalien nicht ins Aus land, wie Thomas Mann, Bertolt Brecht oder so viele andere Kultur scha ff enden, sondern hielt die kul Kein Weg ins Exil

turelle Barbarei der Diktatur aus. Widerspruchsfrei war Kästners Le ben und Wirken in den zwölf Jahren der NS-Herrschaft nicht! Er arran gierte sich insofern mit den Ver hältnissen, als er als begabter Ver fasser von Drehbüchern für zum Teil anspruchslose Unterhaltungs fi lme und auch aufgrund von Ver lagseinkünften aus dem Ausland, die man ihm ließ, ein Leben nicht ohne materielle Annehmlichkeiten führte. Andererseits musste er Ver haftungen durch die Gestapo erle ben und o ffi zielle Di ff amierungen hinnehmen, da seine vor 1933 ver ö ff entlichten Werke des propagier ten heroischen „deutschen Geistes“ völlig entbehrten (Goebbels) und sein Bekenntnis zu sozialistischen

Foto Trier

Die bekannte Illustration zu ,Emil und die Detektive’ von Walter Trier

9 PROFIL // 7-8/2024

PROFIL // Titel

Idealen der Zwischenkriegszeit den Zorn der Nationalsozialisten auf sich zog. Der Roman „Fabian“ (1931) erzählt schließlich nicht von einem deut schen Helden, der sich mannhaft dem Verführungspotential der mo dernen Großstadt in der Weimarer Zeit entzieht, sondern im Gegenteil dessen Opfer wird – ein Grund für ö ff entliche Bücherverbrennung! Auch die literarische Gattung Lyrik verdankt dem Dresdner Autor viel. Das nachhaltigste Beispiel ist sicher die Gedichtsammlung „Dr. Erich Kästners Lyrische Hausapotheke“, die ein Schweizer Verlag 1936 ver ö ff entlichte. Darin fi ndet sich eines der berühmtesten Kästner-Gedich te, das er bereits 1926 schrieb und das mehrere Schülergenerationen als Beispiel für die Stilrichtung der Neuen Sachlichkeit lesen und manchmal lernen durften: „Sachli che Romanze“. Der Widerspruch, der sich hier bereits im Titel zeigt, wird in dem kleinen Gedicht ohne jegliches Pathos und gänzlich ohne Sentimentalität o ff enbar. Die im nüchtern-lakonischen Stil erzeugte subtile Traurigkeit wird gleich zu Beginn greifbar: Als sie einander acht Jahre kannten Lyrik im Stil der Neuen Sachlichkeit

führen den Dresdner Autor zu Berühmtheit, einem respektablen Einkommen und dies auch wegen der zahlreichen Übersetzungen.

Foto: Atrium-Verlag

Kästner in der Nachkriegszeit

Trotz der Verhaftungen in der Früh phase des Nationalsozialismus bleibt der Schriftsteller in Deutsch land, ho ff t auf ein baldiges Ende des menschen- und kunstfeind lichen Regimes … und arrangiert sich gleichzeitig mit diesem. Als Drehbuchautor und Romancier mit Pseudonym erlebt und übersteht er die Jahre der Diktatur, was nicht von allen seiner Schriftstellerkolle gen akzeptiert wird. Dennoch: Der Ruhm verblasst nicht in der Zeit der jungen Bundesrepublik, der Ruhm nicht, wohl aber ganz allmählich die Scha ff enskraft. Preise und Aner kennungen häufen sich, Kästner Ausstellungen 1964 und 1999, also zehn Jahre vor und 25 Jahre nach seinem Tod können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Beziehungs probleme und hoher Alkoholkon sum nicht mehr zu wirklich bedeu tenden Werken führen. Der Ruhm bleibt, aber er hat seinen festen Platz in der Literaturgeschichte der Zwischenkriegszeit. Das ist nicht wenig. Fazit: Erich Kästner bleibt ein groß artiger Erzähler und Lyriker; ein In tellektueller mit einem klaren ge sellschaftskritischen Standpunkt, aber niemand, der gegen die Dikta tur aufbegehrt hat – wie dies seine Kollegen Brecht, Mann, Feuchtwan ger oder Remarque mit dem Res pekt der Freien Welt getan oder versucht haben. Doch einen so ein fühlsamen und wirkungsmächtigen Jugendbuchautor sollte man nicht nur auf zwölf Jahre seines Lebens reduzieren. 

Kästners Romanerfolg ,Fabian’

hungen und von seiner Heimat stadt Dresden zu isolieren. Au ff ällig an seiner Kindheit und Jugend ist die enge Mutterbindung. Diese bleibt eine Konstante in Kästners Leben, und sie fi ndet ihre literari sche Entsprechung im Personal sei ner Romane, man denke an Emils Mutter in seinem Detektivroman. Der Teilnahme am Ersten Weltkrieg folgen Gymnasialzeit, ein philologi sches Studium und 1925 die Pro motion. Titel seiner Dissertation: „Die Erwiderungen auf Friedrichs des Großen Schrift `De la litttératu re allemande`“. Als Autor für ver schiedene Zeitschriften scha ff t er sich ein Netzwerk und Kontakte zu Schriftstellern der Neuen Sachlich keit wie Ernst Toller oder dem spä ter in die USA emigrierten Lion Feuchtwanger. Dann, in der Endphase der Weima rer Republik, die Jahres des Erfolgs: Die schon erwähnten Kinderbücher

(und man darf sagen: sie kannten sich gut), kam ihre Liebe plötzlich abhanden Wie anderen Leuten ein Stock oder Hut.

10 PROFIL // 7-8/2024 Erich Kästners Leben und Werk werden nur sehr unzureichend er fassbar, wenn man versucht, bei des von seinen persönlichen Bezie

PROFIL // Hitler-Attentat

Claus Schenk Graf von Stau ff enberg

„Gegen das Vergessen“ – Zum 80. Jahrestag des 20. Juli 1944 Foto: Gedenkstätte Deutscher Widerstand

12 PROFIL // 7-8/2024 lers Feriendomizil in den Alpen, doch dort waren weder Himmler noch Göring dabei – man fürchtete, diese Abwesenheit könne die Staats streichpläne gefährden – und unter ließ das Attentat dann ganz und gar. Auch am 15. Juli in der Wolfsschan von Rüdiger Utikal V iele Monate lang hatten Claus Schenk Graf von Stau ff enberg und seine Mitverschworenen eine Gelegenheit gesucht, Adolf Hit ler umzubringen. Natürlich war der Führer des Dritten Reichs gut abge schirmt, oft unterwegs, unberechen bar geworden in der Vielzahl seiner Termine, Lagebesprechungen und wirren Aktionen. Im Juli 1944 schie nen sich wieder günstige Möglich keiten zu ergeben: Am 11. Juli war Stau ff enberg auf dem Berghof, Hit

ze, dem Führerhauptquartier in Ost preußen, war Himmler wieder nicht anwesend. Doch das Attentat konn te auch nicht beliebig oft verscho ben werden. Nächste Gelegenheit: 20. Juli… Wer waren die Protagonisten dieses Attentatsversuchs am 20. Juli? Na türlich stand Stau ff enberg (1907 – 1944) als Ausführender im Mittel punkt. Die Familie – mit langer mili tärischer Tradition – prägte den jun gen Stau ff enberg gewiss, genauso sein Kontakt zu Stefan George (1868 – 1933), dem Dichter und Oberhaupt eines Kreises junger Männer, die geistige Leitung und Orientierung suchten. Seine sprach mächtigen, dunklen Gedichte und

sein autoritärer Gestus faszinierten, seine ,Gefolgschaft’ sollte ihm unbe dingt und ohne Einschränkungen gehorchen. Nach dem Abitur wurde Stau ff enberg Soldat und machte schnell militärische Karriere. Den NS-Staat begrüßte er anfangs sehr, er erho ff te Deutschlands ,Erneue rung’ und ,Wiedergeburt’ – doch schien er eine gewisse Grundskepsis zu bewahren, lehnte das November pogrom im November 1938 schon heftig ab. Der Überfall auf die Sow jetunion 1941 und der Dilettantis mus der Kriegsführung durch Hitler, der sich als unfehlbarer, großartiger Feldherr sah, stießen ihn zuneh mend ab. Verbrechen an und hinter der Front taten ihr Übriges. Allmäh lich festigte sich die Ansicht, dass

PROFIL // Hitler-Attentat

nur ein Staatsstreich und der Tod der NS-Führungsriege echte Ver änderung bringen könnte. Und dann: „Am 7. April 1943 wurde er südlich von Mezzouna […] schwer verwundet, verlor das linke Auge, die rechte Hand und zwei Finger der linken, seine Genesung war zweifel haft.“ (Ho ff mann, S. 47) Die Ent schlossenheit, nun endlich etwas zu tun, verstärkte sich nach dieser drastischen Verwundung. Begleitet wurde dies alles durch eine Gruppe von Militärs, aber auch intensiven Kontakten zu bürger lichen und adligen Widerstands gruppen, wie sie sich im Kreisauer Kreis und um Carl Goerdeler (1884 – 1945), den ehemaligen Oberbürger meister von Leipzig, sammelten. Dass sich vorher und gleichzeitig schon an vielen Stellen Widerstand

gezeigt hatte, soll hier ausdrücklich betont werden. Schon früh gab es solchen Widerstand von sozialde mokratischer und kommunistischer Seite, getragen von Arbeitern. In den Kirchen regte sich bei allem Willen zur Anpassung zum Teil heftiger Widerspruch und ö ff entliche Geg nerschaft zum NS-Regime. Auch die Jugend – z.B. in der Weißen Rose um die Scholl-Geschwister Hans (1918 – 1943) und Sophie (1921 – 1943) – und Einzelne wie Georg Elser (1903 – 1945) versuchten das Regime zu stoppen – vergebens. Was passierte nun an diesem 20. Juli 1944? Stau ff enberg fl og zur Wolfs schanze. Hitlers Lagebesprechung war auf 12:30 Uhr vorverlegt. Die Aktentasche mit dem Sprengsto ff konnte platziert werden, die Explosi on war von erheblicher Wucht. Drei

Menschen starben, Hitler war nicht darunter. Dies wusste Stau ff enberg nicht, als er mit Werner von Haeften (1908 – 1944) nach Berlin zurück kehrte. Schon am Abend des 20. Juli wurden Stau ff enberg und Haeften sowie zwei weitere Beteiligte ohne Prozess erschossen. „Die Leichen wurden in der Nacht auf dem Fried hof der Matthäikirche in Schöneberg begraben. Himmler ließ sie am 21. Juli exhumieren, kremieren und die Asche über Felder streuen.“ (Ho ff mann, S. 96) Im August wurden etwa 200 Personen verurteilt und erhängt. Die weiteren Planungen zum Umsturz konnten nicht reali siert werden, das Regime schien zu triumphieren – vorerst. Das bittere Ende folgte erst im Mai 1945 – nach weiteren quälenden Monaten des Krieges, nach weiteren Tausenden von Toten auf allen Seiten. 

PROFIL // Hitler-Attentat

Und da sind wir beim zweiten emp fehlenswerten Buch: Ruth Ho ff mann geht unter dem Titel „Das deutsche Alibi“ der Verklärung und Instru mentalisierung des 20. Juli 1944 und der Person Stau ff enberg seit 1945 und bis heute nach. Sie widmet die ses Buch allen, „die nicht weg geschaut haben“, und zeichnet so spannend wie di ff erenziert nach, wie Stau ff enberg im Wechsel der politischen Zeitläufte beurteilt und auch zum Mythos stilisiert wurde und wird. Verräter oder Held, aris tokratischer Einzeltäter oder nur ein ,Beliebiger’ unter denen, die Wider stand leisteten – bis heute hält der Meinungsstreit an und ist verwoben mit den Bewertungen der deut schen Geschichte von links und rechts. In ihrer Einleitung schreibt Ruth Ho ff mann: „Wie wir das Ereig nis des ,20. Juli‘ heute beurteilen, ist kein gesellschaftlicher Konsens, son dern das Produkt einer wechselvol len Entwicklung voller Widersprü che, empörender Vereinnahmungen und beschämender Versäumnisse.“ (Ho ff mann, S. 13) Schauen wir also genau hin! Es lohnt sich. 

Foto: BACW

Die Gedenkstätte Plötzensee in Berlin zur Ehrung der Widerstandsgruppe

14 PROFIL // 7-8/2024 sein Lebensweg führte ihn in die Bundeswehr, er war Generalmajor. Er erzählt über seinen Vater – ein drücklich, sehr persönlich. Stau ff en berg wird als liebevoller Vater er fahrbar, der sein Leben einsetzte, um dem verbrecherischen Regime ein Ende zu setzen, nachdem er ge Was sagt uns dies alles heute, was kann es für die junge Generation be deuten? Vielleicht können zwei 2024 erschienene Bücher eine Brücke ins Heute bilden. Tim Pröse ist den Kindern der Atten täter begegnet, fast alle hochbetagt, naturgemäß mindestens 80 Jahre und älter. In seinem Buch „Wir Kin der des 20. Juli“ mit dem etwas sper rigen Untertitel „Gegen das Verges sen: Die Töchter und Söhne des Wi derstands gegen Hitler erzählen ihre Geschichte“ schildert er persönlich und durchaus auch emotional diese Begegnungen, führt Interviews und schlägt so diese familiären Brücken in die Gegenwart. Stau ff enbergs Sohn Berthold (Jahrgang 1934) zum Beispiel kommt ausführlich zu Wort,

zögert hatte – unter anderem wegen des Eides, den er als Soldat auf die Person Hitler geschworen hatte. So wird Stau ff enberg als Mensch hinter dem Attentäter sichtbar – und auch, welche Rückschlüsse die Kinder aus dem Geschehenen zogen. Peter Steinbach, wissenschaftlicher Leiter der Gedenkstätte Deutscher Wider stand in Berlin, resümiert: „Ein Erfolg seiner Tat, so viel ist sicher, hätte viele Menschen vor dem Tod be wahrt. Stau ff enberg wollte die Deut schen von Hitler befreien; danach hätten die Überlebenden ohne Zwei fel schwer um die Ausrichtung eines Nach-Hitler-Deutschlands gerungen. Was das Resultat gewesen wäre, wis sen wir nicht. Stau ff enberg aller dings zum Symbol des undemokrati schen Rückwärtsgewandten zu ma chen, weil er aus den Horizonten sei ner Zeit handelte, wäre unhistorisch. Und ebenso leichtfertig ist es, ihn zum Bannerträger unserer freiheitli chen Grundordnung zu erhöhen, die Resultat der militärischen Niederla ge Deutschlands war.“ (Pröse, S. 214)

Literatur

Peter Ho ff mann, Stau ff enberg und der 20. Juli 1944, Verlag C.H.Beck. München ²2007 Ruth Ho ff mann, Das deutsche Alibi. Mythos „Stau ff enberg- Attentat“ – wie der 20. Juli 1944 verklärt und politisch instru mentalisiert wird, Wilhelm Gold mann Verlag. München 2024 Tim Pröse, Wir Kinder des 20. Juli. Gegen das Vergessen: Die Töchter und Söhne des Wider stands gegen Hitler erzählen ihre Geschichte, Wilhelm Heyne Verlag. München 2024

PROFIL // Deutschland, Deine Gymnasien

PROFIL-Besuch im Hamburger Christianeum

Wie modern kann ein Humanistisches Gymnasium sein?

von Karoline Pajdak

Hamburg – Dass sich hier etwas Besonderes verbirgt, verrät schon das Gebäude. Lang und flach zieht sich der Bau des däni schen Architektur-Genies Arne Jacobsen (1902 – 1971) durch den Hamburger Westen. Schmale Stützen tragen ebenso schmale Betonbalken, an denen Außen- und Innenwände so funktional ein gehängt sind, dass man Teil für Teil versetzen könnte, wenn man denn wollte. Beton, Glas und ganz viel Bildung. Wer hier seine Kinder zur Schule schickt, der hat nicht den Zufall entscheiden lassen, sondern sich bewusst für das Christianeum, eines von vier humanistischen Gymnasien in der Hansestadt, entschieden. Der moderne Bau –

er steht dabei ein bisschen im Ge gensatz zu dem, was das humanis tische Gymnasium inhaltlich bietet: Latein für alle Schülerinnen und Schüler verpflichtend ab Klasse 5, Altgriechisch ab Klasse 8, moderne Fremdsprachen wie Französisch oder Spanisch aber erst ab Klasse 10. Oder ist das doch kein Gegen satz? Wie modern kann ein humanis tisches Gymnasium, das verp fl ich tend angeblich „tote” Sprachen lehrt, eigentlich sein? „Sehr mo dern”, sagt Schulleiter Stefan Prigge (64, Lehrer für Biologie und Ge schichte) mit aller Entschiedenheit. „Wir sind zwar ein altsprachliches Gymnasium, wir sind aber auch ein

15 PROFIL // 7-8/2024 im Leben stehen, die ihren Stand punkt vertreten können, ohne sich von Meinungsmache überfahren zu lassen, die ihren Platz im Leben se hen und einnehmen.“  humanistisches Gymnasium. Der Hu manismus stellt den Menschen und dessen Entwicklung in den Mittel punkt. Schule als Gemeinschaft zu er leben und die Chance zu bekommen, seine eigenen Talente umfassend ausbilden zu können, das ist der Kern des Humanismus“, stellt er klar. Die Altsprachlichkeit spielt dabei eine große Rolle, auch auf dem Weg da hin, dass Schülerinnen und Schüler ihre eigenen Fähigkeiten entdecken und ausbauen. „Uns geht es darum, Abiturientinnen und Abiturienten von der Schule zu verabschieden, die fest

PROFIL // Deutschland, Deine Gymnasien

„Wir haben hier einen gewissen An spruch an das Erlernen der dritten Fremdsprache, den wir halten wol len“, erklärt der stellvertretende Schulleiter Julius Jung (42, Lehrer für Politik, Gesellschaft und Wirtschaft). „Es muss verp fl ichtend eine Fremd sprache mit einem anderen Alpha bet erlernt werden.“ Wenige Meter weiter bietet das Gymnasium Hochrad bilingualen Unterricht auf englisch sowie Abitur auf englisch an, noch ein paar Meter weiter macht das Gymnasium Oth marschen das gleiche Angebot mit Französisch. Wo sieht der Schulleiter seine Schülerinnen und Schüler da in einer immer internationaler wer denden Welt? „Ganz weit vorn“, lau tet seine entschiedene Antwort. Das Christianeum bietet Spanisch und Französisch ab Klasse 10 an, auch Chinesisch und der Besuch der Ita lienisch-AG sind möglich. Stefan Prigge: „Wir können deutlich sehen, dass unsere Schülerinnen und Schü ler in drei Jahren Spanisch- oder Französisch-Unterricht Ergebnisse erzielen, die sonst in fünf Jahren er zielt werden. Da ist Latein einfach prägend.“ Auch der Alt-Griechisch Unterricht werde oft von außen falsch interpretiert, merkt Prigge an. „Es geht nicht darum, eine weitere klassische Sprache zu lernen, son dern der Alt-Griechisch-Unterricht ist zu einem großen Teil auch Phi losophie-Unterricht, das Ich steht hier im Mittelpunkt, der Blick über den Tellerrand, die Auseinanderset zung mit der eigenen Stellung in der Welt.“ „Latein ist einfach prägend“

Foto: Pajdak

Der Schulchor der Christianeums im Hamburger Michel

nung werde heute allzu oft mit Wis sen gleichgesetzt. „Hier hilft nur Bil dung.“ In der weitläu fi gen Empfangshalle hängen Buchtipps („Der Tag, an dem ich sterben sollte – Wie der Terror in Hanau mein Leben für immer ver ändert hat“), Diskussionsbeiträge aus verschiedenen Medien, ein Mi nisteriums-Statement. In der Aula probt gerade die Theater-AG, auf der Bühne steht ein Steinway-Flügel bereit. Fast 1100 Schülerin nen und Schüler werden in diesem modernen Ge bäude auf das Abitur vor bereitet, fast

Meinung wird viel zu oft mit Wissen gleichgesetzt

Modern? „Lebensnotwendig“ nennt Stefan Prigge das, was das Christia neum seinen Schülerinnen und Schülern vermittelt – „gerade in die sen Zeiten“, fügt er hinzu. Denn Mei

Neue Serie!

Sie sind die Leserinnen und Leser von

PROFIL und Sie wirken direkt am Schauplatz der neuen PROFIL-Serie: Deutschland, Deine Gymnasien. In den kommenden Ausgaben stellen wir in loser Reihenfolge verschiedene Gymnasien mit verschiedenen Schwerpunkten, Ideen und Zukunftsperspektiven vor. Sie möchten uns etwas über Ihr Gymnasium berichten? Dann schreiben Sie uns! redaktion@dphv.de

100 Lehrkräfte sind im Einsatz.

In der 5. Klasse lernen die Schü lerinnen und Schüler Englisch

Musik verbindet

Einen ganz besonderen Zusammen halt erleben die Schülerinnen und Schüler durch die Musik. In der

und Latein, in der 8. Klasse kommt Alt-Grie chisch oder Russisch dazu.

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PROFIL // 7-8/2024

PROFIL // Deutschland, Deine Gymnasien

Infos

strebenswertes. Wer zu uns kommt, braucht Leistungsbereitschaft und das leben wir auch.“

Chorleitung und Musiklehrkraft gesucht! Das Christianeum sucht ab dem Schuljahr 2025/26 eine Lehrkraft für das am Gymnasium groß geschriebene Fach Musik! Die neue Lehrerin/der neue Lehrer sollte … … die Bereitschaft mitbringen, große musikalische Gruppen zu leiten, … gerne im Team (Tandem) arbeiten wollen und können, … Interesse an (Unterstufen-) Chorarbeit haben, … Interesse an der Orchesterarbeit (gerne mit der Fähigkeit, ein Streichinstrument zu spielen) haben, … Interesse am Oberstufenunterricht im Fach Musik mitbringen. Da mindestens zwei Musiklehrkräfte gesucht werden, könnten Chor- und Orchesterleitung auch aufgeteilt werden. Das Motto: Gute Spezialisten sind besser als durchschnittliche Generalisten.

Nicht alle Gymnasien über einen Kamm scheren

17 PROFIL // 7-8/2024 Wie sieht sie nun aus, die Zukunft des humanistischen Gymnasiums? Das Leitungsteam des Christiane ums ist sich sicher: Der grundlegen de Gedanke des Humanismus ist ein zeitloser. „Und den möchten wir in einer Zeit, die von starken Umwäl zungen geprägt ist, unbedingt erhal ten“, erklärt Julius Jung. „Das Chris tianeum ist ein Leuchtturm in der Bildungslandschaft und soll das ge nauso in 15 Jahren noch sein.“ Und modern? Modern kann ein humanis tisches Gymnasium durchaus sein. Wie klug, dass sich die Schule dazu bereits das passende Motto aus gesucht hat: „Christianeum – Traditi on im Aufbruch“.  Von der Politik würde sich das Lei tungsteam des Christianeums manchmal etwas mehr Unterstüt zung erho ff en. „Es wird an Gymna sien im Allgemeinen gedacht, aber nicht an die humanistische Form. Unsere Stundentafel ist schon auf grund unserer Altsprachlichkeit voll, wir haben nicht so viel Spielraum wie ein neusprachliches Gymnasi um. Wir müssen unsere besondere Position immer wieder deutlich ma chen“, erklärt Julius Jung. Ein Bei spiel gibt Stefan Prigge: „Das Lati num wurde in den vergangenen 20 Jahren immer weiter abgewertet. Auch das Fach Griechisch wird im mer kleiner geschrieben. Ich würde mir wünschen, dass wir hier gegen steuern. Schulen mit besonderem Pro fi l haben andere Bedarfe und können nicht mit anderen Gymna sien über einen Kamm geschoren werden. Das muss auch die KMK berücksichtigen.“

5. und 6. Klasse ist eine Teilnahme im Schulchor verp fl ichtend, aber auch später bleiben viele von ihnen dabei. Das Highlight: das jährliche Weihnachtskonzert in der Hambur ger Hauptkirche St. Michaelis, an dem fast 800 Schülerinnen und Schüler mitwirken. Auch hier geht es um mehr als um Musik und Zusam menhalt. Prigge: „Es geht um ein Maß an Konzentration, was die Schülerinnen und Schüler dort auf bringen, was sie anschließend in je den einzelnen Kurs tragen.“ Auch das Schulorchester erfreut sich gro ßer Beliebtheit. Auch hier das Ziel: Talente entdecken, fördern, Vielfalt gewährleisten. „Wir wollen in der Oberstufe so viele Kurse wie möglich anbieten und den Schülerinnen und Schülern ein so breites Angebot wie möglich zu ma chen“, erklärt der Schulleiter. „Sie können aus zwölf verschiedenen Prüfungsfächern wählen, viele Pro fi le sind doppelt – Kunst oder Musik, Latein oder Griechisch. Das bündelt hier viele Kräfte, aber wir möchten, dass die Schülerinnen und Schüler

sich so passend wie möglich ent wickeln können.“ Genauso gibt es Pro fi le in Informatik, Wirtschaft, Chemie und Physik. Prigge: „Diese Fächer fordern, dass viel gelernt und zusätzlich gemacht wird. Leis tung ist an dieser Schule etwas Er

Foto: Pajdak

Julius Jung, stellvertretender Vorsitzender des Philologen verbandes im DL Hamburg, Philologenverband und Stefan Prigge, Schulleiter vor dem Christianeum in Hamburg

Foto: Bruckmüller

PROFIL // Termine

Teilnehmerinnen und Teilnehmer des dbb Seniorenseminars in Hannover

Sicherheit: ein Bedürfnis nicht nur für Senioren! Edith Krippner-Grimme lud ein zum dbb-Seniorenseminar in Hannover

von Walter Tetzlo ff D ie Seminare für unsere Senio ren unter dem Dach des Deutschen Beamtenbundes sind beliebt. So konnte denn auch die Seniorenvertreterin im Deut schen Philologenverband, Edith Krippner-Grimme, wieder auf viele bekannte Gesichter blicken, als sie die diesjährigen Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Hannover be grüßte. Lernwillig und diskussions freudig waren sie alle, besonders bei dem diesjährigen Seminarthema ,Sicher in den und im Ruhestand’.

Thema „Digitalisierung und Senio ren“ sprach. Fremdeln diese wirklich so sehr mit der digitalen Kommuni kation? Das wird ihnen häu fi g vor geworfen, doch die Wirklichkeit ist deutlich di ff erenzierter, wie Patrick Ney an Beispielen erläuterte und wie es auch aus den Wortbeiträgen der Teilnehmerinnen und Teilneh mer zweifelsfrei hervorging. Also: Die Internetnutzung ist erwiesener maßen abhängig von Geschlecht, Bildung, Alter und sozioökonomi schen Faktoren. Der Referent sprach von ,Technikbiogra fi en’, die über den lebenslangen Umgang mit digi talen Geräten entscheiden. Zuhöre rinnen und Zuhörer im Seminar zeigten sich bei dem Thema durch aus als aufgeschlossene, moderne Zeitgenossen, die sich aber Über treibungen deutlich entgegenstell

ten. So stieß mehrfach die Maßnah me der Deutschen Bahn auf Kritik, die ,Bahncard’ nur noch digital zu vergeben.

Keine Chance für Enkeltrickbetrüger

Dem Hauptthema des Seminars, der Sicherheit im Alter, wurde dann der niedersächsische Polizeibeamte An dreas Kremrich in hohem Maße ge recht. Mögen die Gazetten auch voll sein mit Geschichten von per fi den Enkeltricks und infamen Schock anrufen, es fallen noch immer mehr als genügend Senioren auf derartige Betrügereien herein, und keines wegs nur altersdemente Menschen. Eine andere Betrugsmasche: die Ge winnankündigung im Netz, wobei der angekündigte hohe Gewinn nur

Senioren und Digitales – passt das zusammen?

18 PROFIL // 7-8/2024 Schon die beiden externen Referen ten brachten Schwung in die Runde. Da war zunächst Patrick Ney, Refe rent der Stadt Hannover, der zum

PROFIL // Termine

gegen eine Gebühr in Anspruch ge nommen werden könne. Handfeste Tipps und hilfreiche Broschüren hat te der erfahrene und humorvolle Polizist im Angebot. Diese lassen sich so zusammenfassen: Keine Übergabe von Geld und Wertsachen an angebliche Polizisten, keine Selbstblockade durch (verständli ches) Schamgefühl, Abstand am Geldautomaten und absolute Vor sicht bei der Preisgabe persönlicher Daten in der Internetkommunikati on. Der Anruf bei der örtlichen Poli zeistation ist der (teilweise gehack ten) 110-Telefonnummer immer vorzuziehen! Solchermaßen für das Digitale er mutigt und ausgestattet mit einem persönlichen Sicherheitsgefühl wa ren die Seminarteilnehmer dann sehr aufnahmefähig für die Ver bandspolitik. Und für die stand und sprach der Vorsitzende der dbb Bundesseniorenvertretung Dr. Horst Günther Klitzing. Dieser bedankte sich zunächst für die starke Unter stützung der Philologen bei seiner Wahl auf dem Bundesseniorenkon gress im letzten Herbst in Berlin. Außerdem wies er auf die Schwierig keiten hin, die Beamtenbund und Seniorenvertretung hätten, wenn es um zielführende Gespräche mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) gehe. An Themen man gele es nicht: Gewalt gegenüber Si cherheitskräften des ö ff entlichen Dienstes, Umgang mit der amts angemessenen Alimentation, Digita lisierungsstau in den Dienststellen u. ä. Verbesserungsbedürftig sei auch die Zusammenarbeit mit ande ren Mitgliedern des Bundeskabi netts wie Bundesfamilienministerin Seniorenanliegen ins Bundeskabinett? Da müssen dicke Bretter gebohrt werden ...

 In Schleswig-Holstein wird der zeit eine intensive Diskussion über die Zugangsbedingungen zum Gymnasium geführt, nach dem in mehreren anderen Bun desländern Bewegung in diese Debatte gekommen war.  Die nordrhein-westfälischen Senioren führten erfolgreiche Bildungsfahrten in Länder wie Griechenland, Italien und Marokko durch – bei einer anhaltend großen Nachfrage.  In Baden-Württemberg ist der Übergang zum neunjährigen Gymnasium derzeit das zentrale bildungspolitische Thema, hinter dem eine breite Bürgerbewe gung steht.  In Niedersachsen droht eine Ent pro fi lierung des Gymnasiums, da die Bildungsministerin einheitli che Lehrpläne für alle weiterfüh renden Schularten einführen möchte und die Integration von Förderschülern (auch am Gym nasium) vorantreibt. Seminarleiterin und Vertreterin der Senioren im DPhV Edith Krippner Grimme kündigte zum Abschluss der Veranstaltung ein weiteres Se minar an. Dieses soll im nächsten Jahr voraussichtlich in Rostock statt fi nden. 

Foto: Bruckmüller

Dr. Horst Günther Klitzing referiert aus der Seniorenarbeit des DBB

Paus und Bundesgesundheitsminis ter Lauterbach. Im ersten Falle kann bemängelt werden, dass die für die Senioren zuständige Familienminis terin, abgesehen von ihrem Einsatz für die Kindergrundsicherung, ö ff entlichkeitswirksam nicht in Er scheinung trete, während im Falle Karl Lauterbach großer Handlungs bedarf beim Thema Krankenhaus versorgung bestehe. Dem folgten Länderberichte einzel ner Teilnehmerinnen und Teilneh mer, die sehr unterschiedliche Schwerpunkte kennzeichneten: (eine Auswahl)

Foto: Bruckmüller

Diskussion in der Seminargruppe

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PROFIL // Termine

Foto: Vodafone

Studie der Vodafone Stiftung:

Wie Intelligente Tutorielle Systeme individualisiertes Lernen von Schülern fördern und Lehrkräfte entlasten können

Matthias Graf von Kiel mannsegg verantwortet die strategische Weiterent wicklung und operative Führung der Vodafone Stiftung Deutschland als Mitglied der Geschäftsführung

von Matthias Graf von Kielmannsegg S eit der Einführung von in die Mitte der Gesellschaft hinein breite Aufmerksamkeit. Ein Bereich, in dem der Einsatz von KI einen Fortschritt verspricht, ist das indivi dualisierte Lehren und Lernen. Die se Chance sehen auch Schüler, wenn es um den Einsatz von KI im Unterricht geht. 42 % der Jugend lichen sehen durch den Einsatz von KI im Unterricht die Möglichkeit, Fehler gezielter zu analysieren, kon tinuierlich Verbesserungsvorschläge ChatGPT erlangt das Thema Künstliche Intelligenz (KI) bis

nerative KI-Technologien nutzen. ITS sind KI-basierte Lernsoftwares, die Lehrkräfte im Unterricht entlas ten können, indem sie als Assisten ten oder „Tutoren“ den Lernprozess der Schüler begleiten. ITS können den Kompetenzstand der Lernenden basierend auf deren Ein gaben einschätzen und Aufgaben be reitstellen, die genau auf den aktuel len Lernstand zugeschnitten sind. In dieser Adaptivität liegt der entschei dende Unterschied zwischen ITS und anderen digitalen Lernmedien. Die Lernenden erhalten kontinuierlich personalisiertes Feedback und Auf gaben, die auf ihre Leistung abge stimmt sind. Das System identi fi ziert also Fehler, bietet Handlungsempfeh lungen und schlägt weitere Lern schritte vor, die automatisch gene riert werden. Eine Herausforderung: Dafür benötigen ITS umfangreiche Daten von den Lernenden.

Fachleute aus Pädagogik und Didak tik entwickeln die Inhalte und Me thoden der ITS. Sie gestalten die Übungskontexte basierend auf pä dagogischen Mo dellen, um die

Lernenden syste matisch zu ihrem Zielwissen zu füh ren. Bisher sind ITS noch nicht

fest im Schulalltag verankert, son dern eher Teil innovativer Pilotpro jekte. Eine im Mai in Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut für Bil dungs- und Sozialökonomie FiBS verö ff entlichte Studie der Vodafone Stiftung analysiert die Herausforde rungen und bil

mit Erklärungen zu erhalten und individuell in ei genem Tempo und auf eigenem Niveau zu lernen.

dungspolitischen Gelingensbedin gungen für den

20 PROFIL // 7-8/2024 Hier kommen sogenannte Intelligen te Tutorielle Systeme (ITS) ins Spiel, die sowohl analytische als auch ge

PROFIL // Termine

Einsatz von ITS und bietet einen Leitfaden für Schulen, die mit ITS arbeiten wollen.

Zeit, insbesondere für die Schüler und Schülerinnen, die mehr indivi duelle und persönliche Förderung brauchen.

tionale, soziale und motivationale Komponenten umfasst, kann von ITS (noch) nicht direkt adressiert werden. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, ist eine Weiter entwicklung der ITS ebenfalls not wendig. Eine große Herausforderung sind die Unterschiede in den verfüg baren Finanzmitteln von Schulen, Schulträgern und Landeseinrich tungen, um die notwendigen Lizen zen zu erwerben. Und ITS können nur so gut sein, wie sie auf geeig neten Datenbeständen lernen kön nen. Fest steht also, ITS haben das große Potenzial, zukünftig als ,Tutoren’ Schüler in bestimmten Unterrichts inhalten individuell zu begleiten, binnendi ff erenzierten Unterricht zu fördern und personelle Engpässe im Bildungswesen bei steigenden Anforderungen zu entlasten. Wie weit sie die hohen Erwartungen er füllen, und vor allem, ob ihnen die Rahmenbedingungen verscha ff t werden, damit sie ihr Potential voll ausschöpfen können, bleibt derzeit noch abzuwarten. 

Anwendungsmöglichkeiten für Lehrkräfte

Grenzen und Herausforde rungen des ITS-Einsatzes

ITS können Lehrkräften als Analyse- und Diagnostikinstrument dienen, die den Lernstand der einzelnen Schüler präzise erfassen und be werten. ITS sind auch hilfreich bei der Vorbereitung auf Prüfungen, da sie individuelle Wiederholung und Vertiefung des Lernsto ff s ermögli chen. Mit fortschreitender Entwick lung werden ITS auch zunehmend die Lehrkräfte bei einer besseren Bewertung des Leistungsstandes der Schüler und damit auch der Notengebung unterstützen können. Ebenso bedeutsam ist: ITS zielen bisher nicht darauf, die Lehrkräfte zu ersetzen und dazu sollten sie auch nie genutzt werden. Zentrale Person bleibt der Lehrer bzw. die Lehrerin. Es geht vielmehr darum, den Lernprozess zu unterstützen und das didaktisch-pädagogische Repertoire zu erweitern. Wenn dies gelingt, erhalten Lehrkräfte mehr

ITS sind derzeit noch nicht für alle Fächer und Kompetenzbereiche ge eignet, sie werden v.a. in der Ma thematik der Sekundarstufe I ein gesetzt. Bei komplexen Lösungs wegen, bei denen einzelne Vor gehensschritte wichtiger sind als die korrekte Endlösung, sind ITS ak tuell noch weniger geeignet. Wenn die ITS, die ja bereits intensiv ana lytische KI nutzen, in Zukunft stär ker mit Elementen der generativen KI verknüpft werden und auf spe zielle Large Language Models zu greifen, wird es spannend, was dies für neue Möglichkeiten bietet – wo bei die Risiken von unre fl ektiertem Einsatz von generativer KI hier nicht unter den Tisch fallen sollen. Zudem können nicht alle relevanten Kompetenzen durch individuelles Lernen gefördert werden. Der so ziale Austausch, der kognitive, emo

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