Profil 6/2025

PROFIL // DPhV-Standpunkte

70 Prozent der Lehrkräfte von ver baler Gewalt, jeder Fünfte hat kör perliche Übergri ff e erlebt, wie eine Umfrage des Niedersächsischen Landesverbandes (PhVN) aufzeigt. Besonders alarmierend: Ein Drittel der Betro ff enen leidet „sehr stark“ unter den psychischen Folgen, bis hin zu Depressionen. Was bedeutet das für den Beruf der Lehrkraft, vor allem in Zeiten des Lehrkräftemangels? Die Attrak tivität des Berufs sinkt. Immer mehr Kolleginnen und Kollegen denken ans Aufgeben oder verlas sen den Schuldienst – nicht zuletzt wegen der mangelnden Unterstüt zung durch die Schulbehörden. Während Eltern häu fi g und umge hend rechtliche Schritte gegen Lehrkräfte einleiten, sobald der Verdacht auf Gewalt gegenüber ih ren Kindern besteht, fehlt eine ver gleichbare Konsequenz bei Gewalt gegen Lehrkräfte. Und während ein gewalttätiger Schüler oft nur ver warnt wird, erfährt eine Lehrkraft eine Versetzung aus Sicherheits gründen. Das ist eine eklatante Schie fl age, die dringend korrigiert werden muss. Das nordrhein-westfälische Innen ministerium hat nun einen Leitfa den zu „Gewalterfahrungen an Schulen“ für Lehrkräfte und Schul personal herausgegeben. Das ist gut, aber die Handlungsanweisun gen darin sind weder neu, noch – aus unserer Sicht – erfolgverspre chend genug. So wird empfohlen, in bedrohlichen Situationen „Halt! Stopp!“ zu rufen – eine Maßnahme, die schon Kindergartenkindern zur Schlichtung und Grenzensetzung beigebracht wird und bereits in die sem Kontext schnell an Wirkung verliert – oder die Flucht zu ergrei fen. Vor allem aber bieten die ver ö ff entlichten Handlungsanweisun gen in der Praxis keine ausreichende

Rückendeckung bei der Ahndung von Gewaltvorfällen. Bei Übergrif fen von Schülerinnen und Schülern auf Lehrkräfte agieren die zuständi gen Behörden oft zögerlich, der Meldeweg über die Schulleitung er weist sich auch als problematisch, da diese häu fi g ohne juristische Ex pertise und nach subjektivem Er messen über die Schwere des Vor falls und die Notwendigkeit einer Weitermeldung entscheidet. Zu dem besteht die Befürchtung, dass manche Schulleitungen aus Sorge um den Ruf ihrer Einrichtung Vor fälle nicht adäquat weiterleiten. In den seltenen Fällen, in denen eine Meldung an die übergeordnete Be hörde erfolgt, fi ndet eine erneute Bewertung des Vorfalls statt. Diese Praxis führt dazu, dass die Behörde nahezu nie eine Anzeige gegen die betro ff enen Schülerinnen und Schüler unterstützt, in manchen Fällen auch aus Angst vor einer Kla ge der Eltern. Folglich sind Lehr kräfte gezwungen, private Anzeigen zu erstatten, die von der Staats anwaltschaft häu fi g nicht weiterver folgt werden. Das macht Schulen handlungsunfähig und verhindert – auch exemplarischen – Opfer schutz. Natürlich, es gibt Präventionspro gramme, Notfallordner, Beratungs angebote und Schulsozialarbeit. Viele Schulen engagieren sich vor bildlich, entwickeln Schutzkonzep te, setzen auf Streitschlichtung und soziale Kompetenzförderung. Man lernt, sich nicht zu schlagen und nicht zu schreien, um andere zu überzeugen, sondern zu argumen tieren. Man lebt eine positive Streit kultur, als Baustein und Basis – zum einen für Demokratie, aber auch für ein gewaltfreies Zusam menleben. Doch das reicht nicht aus, solange die personellen Res sourcen fehlen und die Unter

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