Blickpunkt Schule 4 2025

Integration als Chance Neue Perspektiven durch Integration: Ukrainische Lehrkraft bereichert Schule – ein persönlicher Bericht V or etwas mehr als drei Jahren musste ich gemeinsam mit meinen zwei kleinen Kindern dass ich schon während meines Studi ums die Möglichkeit hatte, Fremd DIE AUTORIN

Titelthema

sprachen intensiv zu lernen. Denn als der Krieg begann und ich gezwungen war, mit meinen Kindern auszureisen, war es nicht so belastend für mich, in einem neuen Land Fuß zu fassen. Ich konnte bereits von zu Hause aus flie ßend Deutsch sprechen und hatte so die Chance, mich schnell in der neuen Umgebung zurechtzufinden und mei nen Kindern Sicherheit zu vermitteln. Was damals vielleicht nur eine Lei denschaft für Sprachen war, wurde in dieser schweren Zeit zu einer echten Lebenshilfe – ein Fundament, auf dem ich hier in Deutschland ein neues Leben aufbauen konnte. Dass ich eines Tages wieder unter richten würde, hätte ich am Anfang nicht zu hoffen gewagt. Doch mein geben. Der erste Schultag in Deutsch land war für mich genauso aufregend wie für meine Schülerinnen und Schü ler. Ich hatte Angst, nicht genug zu sein Ich stand in einem fremden Klassen zimmer, sprach in einer Sprache, die nicht meine Muttersprache war, be nutzte neue Unterrichtsmethoden, lernte ein anderes Schulsystem ken nen. Ich hatte Angst, nicht gut genug zu sein. Aber als ich in die Augen der Kinder schaute, wusste ich: Genau hier gehöre ich hin. Die Kinder spür ten, dass ich sie verstehe. Besonders die, die selbst neu in Deutschland wa ren. Sie erkannten, dass ich ihre Sor gen verstehe: die Sprachbarrieren, das Gefühl, ‘anders’ zu sein, die Sehn sucht nach der Heimat. Meine Offen heit, mein Lächeln, mein Wunsch, die Kinder zu unterstützen, halfen mir, Beruf war immer ein Teil meiner Identität, und ich wollte diese Leidenschaft nicht auf

oft: »Wann fahren wir wieder nach Hause?« Eine der größten Erleichte rungen war, dass wir eine Wohnung fanden. Sie wurde zu einem Ort, an dem wir nach Monaten des Unter wegsseins endlich die Türen hinter uns schließen und unsere Schritt, haben wir ein neues Leben aufgebaut. Meine Tochter fand neue Freunde in der Schule, sie lachte wie der. Dieses Lachen war für mich das größte Zeichen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Sprachen sind die Brücken zwischen Menschen Schon in meiner Heimat, in der Ukrai ne, war mein Weg klar: Ich studierte Lehramt und Fremdsprachen an der Nationalen Wassyl-Stefanky- Universität der Vorkarpaten in Iwano Frankiwsk, weil ich immer davon über zeugt war, dass die Sprachen die Brücken zwischen Menschen sind. Mit großer Leidenschaft arbeitete ich an einer Schule, brachte meinen Schüle rinnen und Schülern nicht nur Gram matik und Vokabeln bei, sondern zeig te ihnen auch, dass die Sprache die Türen zu neuen Welten öffnet. Heute empfinde ich es als großes Glück, Routine wieder auf nehmen konnten. Langsam, Schritt für Mariia Sapa • Stabsstelle Beschulung ukrainischer Schutzsuchender • Hessisches Ministerium für Kultus, Bildung und Chancen Mariia Sapa unterrichtet an der Alexander-von-Humboldt Schule in Aßlar Ukrainisch als zweite Fremdsprache im Gymnasium

aus meiner Heimat fliehen. Der Krieg hat uns gezwungen, alles zurückzu lassen. Alles, was uns vertraut war, blieb zurück – unsere Wohnung, unsere Bücher, die Spielsachen der Kinder, Erinnerungen an ein normales Leben. In meiner Tasche waren nur die nötigsten Dokumente, Kleidung für die Kinder und ein paar Spielzeuge. Mehr konnte ich nicht mitnehmen. Wir waren auf der Flucht Es war der schwerste Schritt meines Lebens: die Heimat, die vertrauten Straßen, das eigene Zuhause hinter mir zu lassen. Die Flucht war schwer. Wer das selbst nicht erlebt hat, kann sich kaum vorstellen, wie es ist, mit zwei kleinen Kindern auf dem Arm und einem Koffer in der Hand das eigene Land zu verlassen. Jeder Schritt war mit Fragen verbunden: »Wann gehen wir nach Hause?«, »Wo schlafen wir heute?«, »Warum weinst du?« – und man muss Antworten finden, obwohl man selbst keine hat. In diesen Mo menten habe ich gelernt, die Angst in mir zu verbergen und nach vorne zu schauen. Mit zwei kleinen Kindern zu fliehen, bedeutet, stärker sein zu müssen, als man eigentlich ist. Doch trotz aller Sorgen gab es in mir einen festen Willen: Ich wollte meinen Kin dern Sicherheit geben. Deutschland als Zufluchtsort Plötzlich standen wir vor einem Neu anfang in einem fremden Land. Deutschland wurde zu unserem Zu fluchtsort. Die ersten Monate waren nicht einfach. Ich erinnere mich noch genau an die ersten Tage: Alles war fremd – die Straßen, die Geräusche, die Anlaufstelle. Meine Kinder fragten

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»Wann fahren wir wieder nach Hause?«

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