Blickpunkt Schule 4 2025

Brücken zu bauen. Darum sage ich auch meinen Schülerinnen und Schülern im mer wieder: Wer Deutsch lernt, findet nicht nur Worte – sondern auch seinen Platz und seine Zukunft in diesem Land. Deutsch ist der Schlüssel, um Teil der Ge sellschaft zu werden, sich verstanden zu fühlen und selbst etwas beitragen zu können. Sprache gibt mir eine Stimme in einem neuen Land – ohne sie wäre ich stumm geblieben. Die Arbeit mit den Kin dern an der Schule gibt mir die Kraft, das Leben in einem neuen Land anzunehmen. Ich bin angekommen In Deutschland fand ich Arbeit, ein neues Zuhause und neue Freunde. Ich bin ange kommen – und doch bleibt ein Teil von mir immer in meiner Heimat. Jeden Tag denke ich an die Menschen in der Ukraine, an Kolleginnen und Kollegen, die wegen der ständigen Luftangriffe kein normales Schulleben haben, an Familien, die aus einandergerissen wurden, an Kinder, die nicht in die Schule gehen können. Dieses Wissen begleitet mich und macht meine Arbeit hier noch bedeutungsvoller. Denn jedes Kind, das ich hier fördern darf, ist ein kleiner Sieg gegen die Dunkelheit des Krieges. Ich lebe zwischen zwei Welten: einer neuen Heimat, die mir Sicherheit gibt, und einer alten Heimat, die vom Krieg zerstört wird. Manchmal ist das schwer auszuhalten. Aber ich habe ge lernt, dass Integration bedeutet, beides in sich zu tragen: die Vergangenheit und die Gegenwart, mit der Hoffnung, dass die Zukunft kommt. Mein Hintergrund ist hier nicht nur geduldet, sondern willkommen Integration bedeutet für mich nicht nur, dass ich die deutsche Sprache weiter lerne und die Regeln dieses Landes ver stehe. Es bedeutet auch, dass ich meine eigene Kultur einbringe und meine Per spektiven teile. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen fragten mich nach meiner Heimat, nach den Traditionen und nach dem Alltag in der Ukraine. Ich merkte, dass mein Hintergrund hier nicht nur ge duldet, sondern willkommen war. In Pro jekten konnte ich ukrainische Märchen

vorlesen, Rezepte teilen oder mit den Schülerinnen und Schülern über die Be deutung der Heimat sprechen. Darüber hinaus öffnet meine Präsenz auch den deutschen Schülerinnen und Schülern neue Horizonte. Sie lernen, dass Europa größer und vielfältiger ist, dass Krieg und Flucht keine abstrakten Nachrichten sind, sondern das Leben realer Menschen prä gen. Integration ist kein einfacher Weg. Sie erfordert Geduld, Offenheit und manchmal auch Mut, wenn man Fehler macht oder auf Grenzen stößt. Ich verste he jetzt, dass Integration auch eine große Chance ist. Für mich persönlich bedeutet sie, dass ich trotz Flucht und Verlust ein neues Zuhause gefunden habe. Für meine Kinder bedeutet sie, dass sie eine Zukunft haben. Die Gesellschaft wird vielfältiger: durch neue Sprachen, Geschichten, Kul turen und Perspektiven. Die Sehnsucht bleibt Natürlich bleibt die Sehnsucht nach der Ukraine, nach meiner Familie, nach Orten, die ich vielleicht nie wieder so sehen wer de wie früher. Aber diese Sehnsucht ist nicht mehr nur Schmerz – sie ist auch ei ne Verbindung, die ich in mir trage. Als geflüchtete Lehrkraft habe ich gelernt, dass mein Schicksal nicht nur eine Last ist, sondern auch eine Ressource – für mich, für meine Kinder, für die Gesell schaft, in der wir jetzt leben. Manchmal, wenn ich abends das Licht in unserem kleinen Zuhause lösche, überkommt mich ein stiller Dank: dafür, dass wir überlebt haben, dass wir hier neu anfangen dür fen, dass meine Kinder von Zukunft träu men können. Und gleichzeitig schmerzt es, weil so viele andere diese Chance nicht bekommen. Integration ist für mich nicht nur ein Wort, sondern ein neues Le ben – geboren aus Schmerz, aber getra gen von Hoffnung. Und wenn ich sehe, wie meine Schülerinnen und Schüler mit mir lachen, Deutsch lernen und mich als ihre Lehrerin annehmen, dann weiß ich: Wir sind angekommen. Doch all das wäre nicht möglich ohne die Unterstützung, die wir hier erhalten durften – von den Schulen, von den Kolleginnen und Kolle gen, von den Menschen, die uns die Hand reichten und zeigten, dass wir nicht allein sind.

Titelthema

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SCHULE 4|2025

Foto: Frank H./AdobeStock

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