Blickpunkt Schule 4 2025

bei auch die Verankerung im lokalen und regionalen Kontext, der die natio nalsozialistische Verfolgungsge schichte in ihrer unfassbaren Dimen sion ‘vor Ort’ greifbar und konkret er fahrbar macht und zugleich Anknüp fungspunkte zum Erfahrungsbereich der Besucherinnen und Besucher schafft. Genau an dieser Stelle ist die Vielfalt der Menschen, die im Natio nalsozialismus verfolgt und in Breite nau eingesperrt, drangsaliert und entrechtet wurden, nicht mehr kom pliziert, sondern eine hilfreiche Identi fikationsbandbreite. Mit Schicksalen wie dem eines ‘re bellischen Mädchens’, das wegen frü hen Interesses am anderen Geschlecht als ‘asozial’ und ‘arbeitsscheu’ einge stuft wurde, oder dem eines Jugend lichen, der als ‘Arbeitsbummler’ und ‘Volksschädling’ diffamiert wurde und im Arbeitserziehungslager ‘korrigiert’ werden sollte, lässt sich gut Nähe aufbauen zu der Lebenswelt junger Besucherinnen und Besucher. Diskri minierungserfahrungen, die als große Risikofaktoren für die Übernahme ex tremistischer Ideologien gelten, kön nen hier im übergeordneten Rahmen thematisiert werden. Eine Nachbe sprechung des Gedenkstättenbesu ches durch die Lehrenden ist an dieser Stelle von großem Wert. Auseinandersetzung Die Bildungsangebote der Gedenk stätte – darunter klassische oder in dividuell zugeschnittene Führungen, Projekttage und Vorträge – sind da rauf ausgerichtet, historische Erfah rungen nicht isoliert, sondern in Ver bindung mit gegenwärtigen gesell schaftlichen Fragen zu behandeln. Auf diese Weise eröffnen sie Räume, in denen Jugendliche wie Erwachsene die Relevanz von Demokratie, Men schenrechten und gesellschaftlicher Verantwortung im Lichte historischer Erfahrungen erkennen und für ihre ei gene Gegenwart reflektieren können. Ganz individuell und in Absprache mit dem Fachpersonal der Gedenkstätte ermöglichen – Haltung fördern

können Bildungsmodule so zusam mengestellt werden, dass sie best möglich zum Kenntnisstand der Gruppe, zum rahmenden Unterricht, zum Zeitfenster der Besuchenden und zum Erwartungshorizont der Buchen den passen. In einem ersten Basismodul emp fiehlt sich eine Erkundungstour über das historische Gelände des ehemali gen Konzentrationslagers Breitenau (1933/1934) und des ‘Arbeitserzie hungslagers’ (1940 bis 1945), bei dem auch der Haftteil der ehemaligen Klosterkirche besichtigt wird. Ein zweites Basismodul bietet einen Ein blick in die erstaunlicherweise über lieferten Personalakten der Häftlinge. Anhand von Reproduktionen erleben Schülerinnen und Schüler hier einen Einstieg in kritische Aktenarbeit. Sie vertiefen Wissen über einzelne Verfol gungsschicksale, lernen aber auch, amtliche Papiere und Briefe »gegen den Strich zu lesen«, etwa wenn es gilt, Begriffe wie ‘asozial’, ‘erbkrank’ oder ‘Schutzhaft’ zu hinterfragen oder vermeintliche Wahrheiten (zum Beispiel vom Amtsarzt definierte ‘Ar beitsfähigkeit’ oder ‘Staatsverrat’ als Haftgrund) als faktisch gegenstands los zu enttarnen. Hier geht es nicht al

lein darum, nationalsozialistische Vorgehensweisen zu verstehen, son dern gleichermaßen um die Ausbil dung einer reflektierten Lesekompe tenz, die es jungen Menschen ermög licht, Propaganda, Desinformation und verschwörungsideologische Nar rative in ihrer Struktur zu durchschau en und kritisch zu dekonstruieren. Kinder und Jugendliche müssen heute stärker als je zuvor darin befähigt werden, Propaganda, Fake News und Verschwörungserzählungen als solche zu erkennen und zu entlarven. Nach Absprache lassen sich die Ba sismodule durch Vertiefungseinheiten ergänzen, in denen etwa kreatives Schreiben erprobt wird oder durch Gallery Walks eine intensivere Ausei nandersetzung mit Biografien einzel ner Gefangener oder spezifischer Ver folgungsgruppen stattfindet. Die Gedenkstätte Breitenau ist nicht allein Ort historischer Doku mentation, sondern pädagogisch aus gerichteter Lernraum, dessen Arbeit sich am Vermächtnis der Überleben den und ihrem Postulat ‚Nie wieder!‘ orientiert. Ihr Ziel ist es, einen Beitrag zu leisten zu einer gegenwartsbezo genen, menschenrechtsorientierten und demokratiestärkenden Bildung.

Historisch-politische Lernorte

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