Blickpunkt Schule 4 2025
Geschichte begreifen – Demokratie stärken Die Gedenkstätte Breitenau als Ort der Extremismusprävention D ie Gedenkstätte Breitenau er innert an etwa 9000 Men schen, die während der Zeit die gesamte Geschichte der NS-Ver folgung greifbar machen und damit eine große Vielfalt von Opfergruppen abbilden. DIE AUTORIN
des Nationalsozialismus in Breitenau inhaftiert waren – zunächst in der Landesarbeitsanstalt, dann im frühen Konzentrationslager (1933 bis 1934) sowie im sogenannten Arbeitserzie hungslager der Gestapo (1940 bis 1945). Die Inhaftierungen erfolgten aus politischen, antisemitischen, ras sistischen und sozialen Gründen. Seit 1984 ist die Gedenkstätte in der histo rischen Zehntscheune des ehemali gen Benediktinerklosters Breitenau verortet. Breitenau war zwischen 1933 und 1945 ein zentraler Ort nationalsozia listischer Verfolgung in den ‘Gauen’ Kurhessen und Thüringen. Im bereits bestehenden Arbeitshaus, in dem ‘Korrigenden’, ‘Fürsorgezöglinge’ und stigmatisierte Frauen gegen ihren Willen festgehalten wurden, richtete der Kasseler Polizeipräsident bereits im Juni 1933 ein Konzentrationslager ein. Dort wurden politische Gegner der Nationalsozialisten aus dem Re gierungsbezirk Kassel – Kommunis ten, Sozialdemokraten, Gewerkschaf ter – ebenso wie Jüdinnen und Juden inhaftiert. Nach der Auflösung dieses frühen Konzentrationslagers im März 1934 blieb die Einrichtung als Arbeits haus bestehen. Während der Novem berpogrome 1938 wurden dort erneut jüdische Männer aus der Region fest gehalten. Nach Beginn des Zweiten Welt kriegs wurde Breitenau 1940 zu einem Arbeitserziehungslager der Gestapo Kassel umfunktioniert. Die Mehrheit
Die lange Dauer der Haftgeschichte in Breitenau veranschaulicht zudem, dass der Nationalsozialismus nicht aus dem Nichts heraus entstand und im Jahr 1945 kein absolutes Ende fand. Der Umgang mit der Vergan genheit in der Nachkriegszeit, die Kontinuität in Mustern der Ausgren zung und der Stigmatisierung ist noch in der Geschichte des geschlossenen Mädchenerziehungsheimes erfahrbar, das bis 1973 auf dem Klostergelände in Guxhagen existierte. In Breitenau macht die Einbindung der NS-Haftanstalten und der Häft linge in die nähere Umgebung deut lich, dass eine einfache Täter-Opfer Perspektive zu kurz gedacht ist. Wie hätte man selbst gehandelt – als Auf seher, als Dorfbewohner, als Beobach ter der bewachten Arbeitskolonnen auf dem Weg zum Arbeitsplatz in der Industrie oder Landwirtschaft, als Nutznießer von billigen Arbeitskräften und Zwangsarbeitern? Verschiedene Perspektiven und Handlungsspielräu me sollten Thema eines jeden Ge denkstättenbesuches sein. Besten falls wird die Reflexion über Verant wortungen und Handlungsräume mit genommen in Gespräche über die er lebte Wirklichkeit der Schülerinnen und Schüler. Die Erkenntnis, hand lungsbefugt zu sein, hilft für die Wert schätzung der Demokratie. Zwischen Erinnerung und Prävention: das pädagogische Konzept Das pädagogische Konzept der Ge denkstätte basiert auf dem Prinzip des entdeckend forschenden Ler nens, das Lernende dazu anregt, his torische Quellen, Orte und Biografien eigenständig zu erschließen und kri tisch zu reflektieren. Genutzt wird da
24 Historisch-politische Lernorte SCHULE 4|2025
Maike Bartsch ist Gedenk- stättenleitung in Vertretung
der Inhaftierten waren ausländische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsar beiter aus den von Deutschland be setzten Ländern. Ihnen wurden ‘Ver stöße gegen die Arbeitsdisziplin’ oder gegen die rassistisch begründeten ‘Polen- und Ostarbeitererlasse’ zur Last gelegt. Daneben waren auch deutsche Gefangene, darunter jüdi sche Verfolgte, in Breitenau inhaftiert. Von den insgesamt mindestens 8304 Gefangenen wurden etwa 1800 in große Konzentrationslager wie Bu chenwald, Sachsenhausen, Ravens brück oder Auschwitz deportiert. Besonderheiten und Chancen eines komplexen Ortes Die Geschichte der verschiedenen La ger am immer gleichen Ort klingt erst einmal kompliziert. Breitenau war kein Vernichtungslager wie Ausschwitz, kein großes Konzentrationslager wie Dachau oder Buchenwald, die viele Schülerinnen und Schüler zumindest namentlich einordnen können. Auch gab es keine homogene Gruppe von Verfolgten. Das kollidiert oftmals mit der Erwartungshaltung vieler Besu cher, birgt für die Vermittlungsarbeit aber enorme Chancen. Als einzige Gedenkstätte in Hessen können wir
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