Blickpunkt Schule 3 2025

Wie aus Bewegung Bildung wird Auftrag, Herausforderungen und Zukunftsperspektiven des Schulsports in Hessen Zum Auftrag des Schulsports in Hessen

Titelthema

Wer beim Stichwort ‘Schulsport’ nur an Bälle, Schweiß, An strengung und Leistung(svergleich) denkt, greift zu kurz und unterschätzt die pädagogische Tiefe und strukturelle Vielfalt dieses Bildungsbereichs deutlich. Denn Sport in der Schule ist weit mehr als bloße körperliche Betätigung – er ist ein eigenständiges Fach mit Bildungsauftrag und zu gleich ein wichtiger Motor für Gesundheit, Sozialerfahrung und Teilhabe. In Hessen gliedert sich der Schulsport daher nicht nur organisatorisch, sondern auch inhaltlich in zwei zentrale Säulen: den unterrichtlichen Sportunterricht, der im Rahmen verbindlicher Lehrpläne erteilt wird, sowie eine Vielzahl von außerunterrichtlichen Angeboten, die in AGs, Wettbewerben, Ganztagsprojekten oder Kooperationen mit Sportvereinen zum Tragen kommen. Diese beiden Handlungsfelder folgen unterschiedlichen Logiken, verfolgen aber gemeinsame Ziele: Sie schaffen vielfältige Zugänge zur Bewegung, fördern Motivation und Selbstwirksamkeit und leisten einen wichtigen Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung. Während der Sportunterricht verbindlich organisiert ist und auf pädagogisch geplante Lernprozesse zielt, eröffnen außerunterrichtliche Formate zusätzliche Erfahrungsräume – niedrigschwellig, interes sengeleitet und oft im sozialen Miteinander. Erst im Zu sammenspiel beider Bereiche wird das volle Potenzial des Schulsports sichtbar: als Ort der Bewegung, als Raum für Begegnung – und als prägende Bildungsinstanz im Le bensalltag junger Menschen. Der schulische Sportunterricht: vom Vorturnen zur Persönlichkeitsbildung Viele erinnern sich noch gut: Technikreihen, Kraftzirkel, ‘Vorturnen’ am Reck oder leichtathletische Mehrkämpfe bestimmten über Jahrzehnte den Sportunterricht – beno tet wurde nach der Qualität der Bewegungsausführung, der erzielten Höhe, Weite oder Zeit. Tatsächlich war der Sportunterricht bis in die frühen 2000er-Jahre hinein in vielen Schulen stark am Modell des Vereinssports orien tiert. Gelernt wurde, was im Fußball, Handball oder Geräte turnen an Techniken, Regeln und Taktiken verlangt wurde – motorisch versierte Kinder hatten klare Vorteile. Doch die ses Verständnis von Sportunterricht hat sich seither grund legend gewandelt. Spätestens mit der Einführung des hessischen Kerncur riculums Sport (2011) wurde der Bildungsauftrag des Fachs neu definiert: Sport in der Schule ist nicht Selbstzweck, sondern soll zu einer ganzheitlichen Entwicklung beitra

Fotos [alle] : Christopher Heim

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gen. Der sogenannte Doppelauftrag – Erziehung zum und durch Sport – verankert den Anspruch, neben fachlichen auch personale und soziale Kompetenzen zu fördern. Es geht also nicht nur darum, wie gut ein Ball gespielt oder ein Gerät bewältigt wird, sondern auch darum, wie Kinder und Jugendliche dabei miteinander umgehen, sich selbst erfahren, Verantwortung übernehmen und Konflikte aus- tragen lernen. Dieser Doppelauftrag macht den Sportunterricht einzig artig im Fächerkanon: Es ist das einzige Schulfach, das körperlich-praktisches Können systematisch mit sozialen, personalen und reflexiven Kompetenzen verknüpft – und all das auch in die Leistungsbewertung einbezieht. Im Zentrum steht damit das Konzept eines erziehenden Sportunterrichts, wie ihn die Sportpädagogik seit vielen Jahren theoretisch und praktisch entfaltet: Bewegung und Sport werden nicht nur als Lerninhalte, sondern als Bil dungsmedien verstanden – Erfahrungsräume, in denen sich Selbstkonzepte entwickeln, in denen Kooperation und Wagnis, Erfolg und Scheitern erlebt und bearbeitet werden können. Wenn Schülerinnen und Schüler sich in Teams or ganisieren, Regeln vereinbaren, im Wettkampf fair streiten oder sich gegenseitig unterstützen, entsteht ein besonde rer pädagogischer Raum. Oder, wie es pointiert bei Prohl & Scheid (2017) heißt: »Im Gegeneinander miteinander agieren, um aneinander zu wachsen.« Damit einher geht ein deutlicher Wandel in der Unter richtsgestaltung: Statt einseitiger Technik- und Taktik schulung dominieren heute schülerorientierte, kooperative und reflexive Lernformen. Lernende sollen Bewegungsauf gaben nicht nur ausführen, sondern verstehen, gestalten,

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