Blickpunkt Schule 2/2023
Politische Bildung im Blickpunkt
sität – gefragt, kanonische Texte zu tradieren, die eine gemeinsa me kulturelle Grundlage schaf fen. Der schulische Deutschunter richt sollte sich an einem um fangreicheren Bestand von mar kanten Texte orientieren; die Ver bindlichkeit sollte darin bestehen, dass eine variable Auswahl grö ßeren Umfangs entnommen und behandelt werden muss. In der Schule braucht es Mark steine: folgenreiche Werke, zeit typische Werke, Werke mit Lang zeitwirkung, etwa repräsentative Epochenwerke (zum Beispiel von Lessing und Kant). Literarische Entwicklungen sollten abgebil det, die Dynamik der Literaturge schichte verdeutlicht werden. Es geht um das kulturelle Erbe und um die Historizität der Literatur (zum Beispiel Aufklärung), in de nen sich die Genese auch heuti gen Denkens spiegelt. Ja, ein Kanon schränkt in ge wisser Weise die pädagogische Freiheit ein, er dient aber der Selbstvergewisserung von Bil dung, der Selbstverpflichtung der Lehrkräfte und Schülerschaft. Notwendigerweise muss ein Kanon an die Rahmenbedingun gen von Schule gekoppelt werden, hier sind didaktische Überlegun gen (Fragen der Altersgemäßheit) und institutionelle Gegebenheiten wie Lehrpläne, Leistungskontrol len, zentrale Abituraufgaben zu berücksichtigen. Ein zusätzlicher Aspekt sollte nicht unterschätzt werden: Warum kann man den Schülern nicht ein mal etwas abverlangen? Sie kön nen sich doch auch einmal durch einenText hindurchbeißen — diese ‘Zumutung’ stellt gewissermaßen eine kulturelle Leistung der jun gen Menschen dar – sie bilden sich in Anstrengung und erhalten etwas fürs Leben. Das Motto kann lauten: Kano nisierung wagen – aber nicht in Zement gießen! Ihr Reinhard Schwab
D as Grundgesetz und insbeson dere die Grundrechte verkör pern dieWertebasis, das eini gende Band, für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft. Die Unantastbar keit der Würde des Menschen, wie sie in Art. 1 des Grundgesetzes niedergelegt ist, bildet dafür den Ausgangspunkt. Aus ihr leiten sich imGrunde alle ande ren Grundrechte ab. Sie und die mit ih nen bezeichnetenWerte halten unsere Gesellschaft zusammen. Doch scheinen die Grundrechte des Grundgesetzes nicht mehr allen selbstverständlich zu sein. Populisti sche Anfeindungen von links und rechts, plumpe Vereinfachungsten denzen in den sozialen Netzwerken und antisemitische Äußerungen auf dem Schulhof machen leider immer wieder deutlich, dass unsere demo kratischen Werte und unser demokra tisches Handeln stets aufs Neue er lernt, verinnerlicht, eingeübt und ge lebt werden müssen. Schule hat hier einen wesentlichen Auftrag, der auch ein Erziehungsauf trag ist: politische Bildung und die Be deutung der Grundrechte zu vermit teln, Demokratie in der Schule erfahr bar zu machen und dafür zu sorgen, dass sich unsere Schülerinnen und Schüler als mündige Bürgerinnen und Bürger für eine demokratische und menschenwürdige Gesellschaft ein setzen. Politische und historische Bildung und die daraus erlangten Erkenntnisse sind die Voraussetzung für das Ver ständnis politischer Prozesse und poli tischer Urteilsfähigkeit. Dieses Ver ständnis ist Grundlage für die Teilhabe des mündigen Bürgers an einer rechtsstaatlichen und freiheitlichen Demokratie und zugleich das beste Mittel gegen extremistische Verhal tensweisen, mit denen unsere Grund werte infrage gestellt werden. Um das Interesse unserer jungen Menschen an Politik zu wecken, ih
Der Autor
Editorial | Politische Bildung
Prof. Dr. R. Alexander Lorz ist Hessischer Kultusminister
nen grundlegendes Wissen zu ver mitteln und ihre politische Urteils-, Entscheidungs- und Mitwirkungsfä higkeit zu fördern, braucht es die po litische Bildung in der Schule. Schule ist dafür hervorragend geeignet, da alle Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen dort erreicht werden. Die Aufgaben der politischen Bil dung umfassen die Dimensionen Werte, Einstellungen, praktische Handlungsfähigkeiten sowie Wissen und kritisches Denken. Die entspre chenden Fähigkeiten und Haltungen werden grundsätzlich in allen Fä chern vermittelt, auch wenn dem ge sellschaftswissenschaftlichen Auf gabenfeld inhaltlich eine besondere Bedeutung zukommt und ‘Politik und Wirtschaft’ das Leitfach der politi schen Bildung darstellt. Um der Be deutung der politischen Bildung noch besser gerecht zu werden, ist mit der im Dezember 2022 erfolgten Novellierung des Hessischen Schul gesetzes ab dem Schuljahr 2023/2024 aufsteigend ab der Ein führungsphase für alle Schülerinnen und Schüler politische Bildung in der gymnasialen Oberstufe verpflichtend vorgesehen. Des Weiteren wird das Fach Politik und Wirtschaft auch in der Sekundarstufe I weiter gestärkt.
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