Blickpunkt Schule 2/2023

weitaus größte Besuchergruppe bilden nach wie vor Klassen allgemeinbilden der sowie weiterführender Schulen. 9 Was können Schülerinnen und Schüler durch den Besuch der Gedenkstätte lernen? Bei der ‘Euthanasie’ handelt es sich um das erste systematische Mordpro gramm des Nationalsozialismus. Den noch ist das Thema imVergleich zu anderen Themen der NS-Geschichte bis heute ein Randthema – auch im Unterricht. Dabei bietet es eine fä cherübergreifende Diskussionsgrund lage für aktuelle Fragen zum Umgang mit und zur Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen und geistigen Behinderungen. Themen wie Inklusion und Teilhabe, Sterbehilfe, Pränataldiagnostik, Triage oder die Rationalisierung im Pflege- und Ge sundheitswesen können vor dem Hin tergrund des nationalsozialistischen Begriffs des ‘unwerten Lebens’ kri tisch diskutiert und reflektiert werden. Die daraus resultierende Auseinan dersetzung mit und ggf. Hinterfra gung von aktuellen gesellschaftspoli tischen Debatten am historischen Ort leistet einen wichtigen Beitrag zur De mokratieerziehung und zur Stärkung der politischen Bildung. Mitten in Deutschland gelegen ver anschaulicht die Gedenkstätte Hada mar zudem, dass die Verbrechen des Nationalsozialismus nicht allein in weit entfernten Vernichtungslagern stattfanden, sondern im wörtlichen Sinne »vor der Haustür«. Zentrales Objekt – für die Ausstel lung wie auch für die Vermittlung – ist das historische Gebäude mit der ehe maligen Gaskammer, dem ehemali gen Sezierraummit Seziertisch und einem freigelegten Ofensockel am Standort der Krematorien sowie das Außengelände mit der Gedenkland schaft und der ehemaligen Busgara ge, die 2006 in restaurierter Form wieder im Innenhof errichtet wurde. 10 Diesen ‘authentischen Ort’ mit seinen historischen Spuren und seiner Ge schichte gilt es, zu erklären und zu er

schließen. Mehrheitlich findet dies im Rahmen geführter Rundgänge, drei stündiger Workshops oder ganztägi ger Studientage statt. Diese Angebo te werden vom pädagogischen Team des Hauses, den abgeordneten Lehr kräften sowie intensiv geschulten Guides durchgeführt. Da sich die geführten Rundgänge aufgrund der methodisch-didakti schen Ausrichtung sowie der zeitli chen Begrenzung von 1,5 bis 2 Stun den nicht an die Zielgruppe Schüle rinnen und Schüler richten, soll an dieser Stelle nicht weiter darauf ein gegangen werden. Workshops Für die meisten Gruppen – insbeson dere allgemeinbildende und weiter führende Schulen – empfiehlt sich der Besuch im Rahmen eines etwa drei stündigen Workshops. Dieser beruht inhaltlich auf vier Modulen. Ein Einführungsmodul dient zu nächst dazu, die Gruppe emotional und inhaltlich abzuholen und an die Thematik der NS-’Euthanasie’ heran zuführen. Durch unterschiedliche Me thoden wird ein erstes Bewusstsein die Kontinuitäten von Vorurteilen ge gen und Ausgrenzung von Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen geschaffen. Die Teil nehmenden werden angeregt, den gesellschaftspolitischen Umgang mit diesen Gruppen zu hinterfragen und sich mit eigenen sowie gesellschaft lich tradierten Vorurteilen auseinan derzusetzen. Dem angeschlossen findet ein ge führter Rundgang durch das Gebäude und über das Gelände der ehemaligen Tötungsanstalt statt. Das hier erwor bene Wissen wird in einer anschlie ßenden eigenständigen Auseinander setzung mit Biografien vertieft und somit durch eine individuelle Lebens geschichte ergänzt und gefestigt. Ziel ist es, die Ermordeten als Individuen zu betrachten und sie nicht auf ihre, durch die Tatbeteiligten zugeschrie bene Opferrolle zu reduzieren. Aus den ‘Zahlen’ und ‘Fakten’, die wäh rend des Rundganges vorgestellt wur den, werden ‘Gesichter’. Diese Ausei

nandersetzung lässt die Geschichte weniger abstrakt und dafür greifbarer werden und bietet eine Grundlage für weitere Fragen. Auch kann die Ausei nandersetzung mit Lebensgeschich ten helfen, eine zeitliche wie emotio nale Distanz zur Geschichte des Na tionalsozialismus zu überwinden. 11 Der Aufenthalt in der Gedenkstätte ist nur dann nachhaltig, wenn er in die Gegenwart und Zukunft der Teilneh menden wirkt. Nachhaltigkeit bedeu tet in diesem Zusammenhang nicht das Wissen um Zahlen und Fakten, sondern einen (selbst)reflektierten Blick auf das eigene Handeln und die eigene Umgebung. So soll zum Abschluss des Work shops Raum für die Frage »Was hat das, was vor vielen Jahren unter an derem in Hadamar geschehen ist, heute mit mir zu tun?« gegeben wer den. Dies benötigt nicht zwingend ei ne zeitlich umfassende Diskussion. Bereits eine kurze Reflexion darüber, wie der gesellschaftspolitische Um gang von Menschen mit Behinderung gestaltet werden sollte, kann hilfreich sein, den Teilnehmenden (und nicht zuletzt den Lehrkräften) Denkanstöße mitzugeben. Studientage Ganztägige Studientage (etwa sechs Zeitstunden) bieten die Möglichkeit zu intensivem selbstentdeckenden und -forschenden Lernen. Ein Schwerpunkt kann dabei auf der ei genständigen Auseinandersetzung mit historischen Akten liegen. Als Außenstelle des Archivs des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen verfügt die Gedenkstätte über einen Bestand von etwa 3500 Kranken- akten der Jahre 1942 bis 1945. 12 Diese Akten sind oftmals die einzigen Infor mationen, die heute über die Men schen vorliegen, geben in der Regel jedoch keine Einblicke zur persönli chen Erinnerung oder Wahrnehmung des Erlebten in Form von Egodoku menten. Eine umfängliche Rekon struktion der Lebensgeschichte allein auf Grundlage dieser Quelle ist daher kaummöglich. Vielmehr dienen die Akten im Rahmen von Studientagen

Politische Bildung

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