Blickpunkt Schule 4 2025

Fremdsprachen- kompetenz als Fundament für Integration Sprache ist das zentrale Medium, um Menschen miteinander zu verbinden. Der Fremdsprachenunterricht am Gymnasium vermittelt nicht nur kom munikative Kompetenz, sondern baut auch Brücken zwischen Kulturen. Je mehr Sprachen Jugendliche erlernen, desto besser können sie die Perspek tiven anderer Menschen nachvollzie hen und ihre eigenen Handlungsspiel räume erweitern. Wesentlich ist, dass der Erwerb der Bildungssprache Deutsch dabei nicht an Priorität ver liert oder gar hinter die Konkurrenz der Herkunftssprachen zurücktritt. Vielmehr wird das Primat der Bil dungssprache durch deren Ergänzung gefestigt. Vor allem im Prozess des Wissenserwerbs und des Lernens von Fachsprache können mehrsprachige Kinder von Translanguaging 3 profitie ren. Die wissenschaftlichen Theorien des Translanguaging gehen davon aus, dass Sprachen »nicht in strikt voneinander getrennten mentalen Bereichen gespeichert [sind], sondern (…) vielmehr gemeinsam eine kom munikative Kompetenz [bilden], zu der alle Sprachkenntnisse und Spracherfahrungen beitragen und in der die Sprachen miteinander in Be ziehung stehen und interagieren«. 4 Zugleich erfüllen Fremdsprachen eine integrative und kompensatori sche Funktion: Schülerinnen und Schüler mit Migrationsgeschichte er fahren Anerkennung, wenn ihre Her kunftssprache oder ihre Kultur im schulischen Kontext sichtbar und wertgeschätzt werden. Gerade hier zeigt sich, dass Gymnasien Barrieren abbauen können, indem sie Sprachen als Ressource begreifen und Jugend lichen, die zu Hause oft wenig schuli sche Unterstützung erhalten, so neue Bildungschancen eröffnen. Für die Förderung der Bildungsteilhabe mehrsprachiger Kinder kann es ent scheidend sein, Aspekte der Mehr sprachigkeit im Unterricht einzu- beziehen, insbesondere wenn die sprachlichen Ressourcen der Schüle

rinnen und Schüler gezielt als Bil dungsressource genutzt werden. 5 Das DELF scolaire intégré Das DELF, kurz für ‘Diplôme d’Études en Langue Française’, ist ein interna tional anerkanntes Diplom zur Zertifi zierung von Französischkenntnissen. Mit der Einführung des Zertifikats DELF scolaire intégré an Pilotschulen, hat sich Hessen für einen wichtigen Baustein zur Stärkung der Mehrspra chigkeit entschieden. Im Gegensatz zum klassischen DELF scolaire, bei dem die Prüfung meist außerhalb des regulären Unterrichts stattfindet, ist das DELF scolaire intégré in den schu lischen Unterricht eingebettet. Die Prüfungsformate sind eng auf die Un terrichtsinhalte abgestimmt und ent lasten die Lehrkräfte bei der Vorberei tung. Dadurch wird das DELF scolaire intégré als selbstverständlicher Be standteil des Französischunterrichts verstanden und fest im schulischen Angebot integriert. Besonders Schülerinnen und Schüler aus sozial benachteiligten Familien profitieren davon, da die Prüfungskosten im Vergleich zum DELF scolaire geringer ausfallen, die Vorbereitung im regulä ren Unterricht erfolgt und die Prüfung direkt an der Schule abgelegt wird. Dadurch werden organisatorische und finanzielle Hürden gesenkt, die insbe sondere Jugendliche aus sozial be nachteiligten Verhältnissen häufig davon abhalten, daran teilzunehmen, wie die Finanzierung externer Prüfun gen oder die organisatorische Unter stützung durch Eltern. Interkulturelle Öffnung durch Gastlehrkräfte Ein weiterer zentraler Ansatz zur in terkulturellen Öffnung der Schule zeigt sich eindrücklich im Spanischen Gastlehrkräfteprogramm: Mutter sprachliche Lehrkräfte aus Spanien unterrichten an hessischen Gymna sien, bereichern den Unterricht durch authentische Sprachpraxis und ver mitteln lebendige Einblicke in die Kul tur und Gesellschaft ihres Herkunfts

landes. 6 Für das Kollegium bedeutet die Zusammenarbeit eine wertvolle Erweiterung der eigenen Perspektiven und methodischen Kompetenzen. Diese Begegnungen wirken weit über den Sprachunterricht hinaus: Die Schülerinnen und Schüler erleben ge lebte Mehrsprachigkeit, erwerben in terkulturelle Kompetenz aus erster Hand und begegnen einem europäi schen Partnerland auf Augenhöhe. Neben der Sprache vermitteln die Gastlehrkräfte landeskundliche Ein blicke in das Alltagsleben Spaniens. Für viele Jugendliche ist dies die erste unmittelbare Begegnung mit der spa nischen Kultur. Insbesondere für Ju gendliche aus bildungsfernen Famili en, deren außerschulische Kontakte oft auf ihr direktes Umfeld begrenzt sind, eröffnet das Programm die Chance, internationale Erfahrungen im Klassenzimmer zu machen, ohne dass sie dafür lange Auslandsaufent halte oder kostspielige Austauschpro gramme absolvieren müssen. Damit legt das Programm einen wichtigen Grundstein für interkulturelle Bildung auch in sozial heterogenen Schüler schaften. Erweiterung des Fremdsprachenangebots Seit Jahren verfolgt Hessen die Stra tegie, das schulische Angebot an mo dernen Fremdsprachen systematisch zu erweitern. Neben Weltsprachen wie Englisch, Französisch und Spanisch gehören inzwischen auch Arabisch, Chinesisch, Polnisch und Portugie sisch zum schulischen Kanon. Damit werden den Schülerinnen und Schü lern zukunftsrelevante Bildungswege eröffnet, denn China, die arabische Welt sowie Portugal und Brasilien gewinnen als Wirtschaftspartner und Kulturträger zunehmend an Bedeu tung. Polnisch als Sprache eines un mittelbaren Nachbarlandes leistet einen bedeutenden Beitrag zur ge lebten europäischen Integration. Besonders hervorzuheben sind die aktuellen Schulversuche zu Türkisch und Ukrainisch als zweite Fremdspra che. Ukrainisch wurde im Schuljahr

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SCHULE 4|2025

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