Blickpunkt Schule 2 2025

Zeitschrift des Hessischen Philologenverbandes

Zeitschrift des Hessischen Philologenverbandes

Ausgabe 2/2025 · D 30462

SCHULE

• Technostress • Drei Fragen an … Begabtenförderung in der Praxis • Lehrkraft im Ausland

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SCHULE Inhalt | In eigener Sache 2

In eigener Sache

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Editorial

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Titelthema » »Und täglich grüßt nicht nur das Lernlabor« » Begabungsförderung in der Praxis

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Liebe Kolleginnen und Kollegen!

» Begabtenförderung an deutschen Schulen » Die Digitale Drehtür

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eines längeren Interviews mit Professor Matthias Spörrle und seiner Assistentin Modelice Nam zum Thema ‘Technostress’ nach. Spörrle hatte dazu einen viel beach teten und hochgelobten Vortrag auf der letzten Vertreterversammlung 2024 in Wetzlar gehalten. Das Interview ergänzt seine damaligen Ausführungen und bringt sie allen hphv-Mitgliedern nahe. Auch die hphv-, dlh- und dbb-internen Aktivitäten kommen in dieser Ausgabe nicht zu kurz. Es gibt unter anderem einen Beitrag zur DPhV-Tagung ‘Demokratie- und Wertebildung in der Schule’ am 14. März 2025 in Wittenberg und einen ersten Be richt über die Pädagogische Tagung des hphv zum Thema ‘Achtsam im Schulalltag – Wege zu mehr Gesundheit und Balance für Lehrkräfte’ am 20. und 21. März in Grün berg. Einen ausführlichen Beitrag dazu wird es in der nächsten Ausgabe von Blickpunkt Schule geben. Wie immer danke ich allen Verfasserin nen und Verfassern der Artikel für ihre Mit arbeit an diesem Heft. Ohne sie könnte es nicht in der vorliegenden Form erscheinen. Wer auch gerne einmal einen Text für Blick punkt Schule verfassen möchte, ist herzlich dazu eingeladen. Ich wünsche Ihnen alles Gute für die Abitur-Kampagne 2025.

von BORIS KRÜGER

Aus dem HMKB » Unterstützungsangebote des HMKB für angehende und amtierende Schulleitungen 18 Technostress » Stress machen, aber richtig 21 Lehrkraft im Ausland » Arbeiten an der Deutschen Schule Shanghai – Standort Yangpu 26 dbb intern » Empörung über Spardiktat der hessischen Landesregierung 29 » Angebot der Arbeitgeberseite fehlt 30 hphv intern » Der hphv ‘on tour’ 32 » Achtsam im Schulalltag – Wege zu mehr Gesundheit für Lehrkräfte 33 » Aspekte zur beruflichen Orientierung am Gymnasium 34 » Warum der Verband rückwirkende Beitragserstattungen nicht leisten kann 35 3 Fragen an … » Martina Scherer 28

N ach dem Erscheinen des BPS-Hef tes ‘Begabungsförderung’ (Ausga be 2/2024) vor fast genau einem Jahr haben uns mehrere Anfragen erreicht, die sich praktische Beispiele für die dort dargelegten theoretischen Grundlagen ge wünscht haben. Diesen Wünschen kommen wir mit der vorliegenden Ausgabe nach. Neben der Begabten-Internatsschule Schloss Hansenberg zeigt ein Kasseler Gymnasium, wie es ganz konkret die Bega bungsförderung umsetzt. Außerdem bli cken wir thematisch über die Grenzen Hes sens in andere Bundesländer und erläutern am Beispiel Bremen, wie dort das Konzept der ‘Digitalen Drehtür’ erfolgreich zur Be gabungsförderung angewendet wird. In der Kategorie ‘Drei Fragen an …’ berichtet in dieser Ausgabe die Landes- vorsitzende des Philologenverbandes Baden Württemberg, Martina Scherer, über die bil dungspolitische Lage in ihrem Bundesland. Daneben gibt es unter anderem die neue Reihe ‘Lehrkraft im Ausland’. In der ersten Folge berichtet Mario zu Löwen, der ehe malige hphv-Kreisvorsitzende der Wetterau, über seine Erfahrungen an der Deutschen Schule in Shanghai. Einem weiteren Wunsch der Leserschaft von Blickpunkt Schule kommen wir in Form

» Blickpunkt Schule künftig nur in digitaler Form lesen?

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» hphv-Best Practice

dlh intern » Teilzeit – Vorgehen, Fallstricke und Folgen 36 » Beamtenversorgung und Ruhestand 37

Rechtstipp » Teilzeit oder begrenzte Dienstfähigkeit? Ankündigung » Vertreterversammlung 2025 Hauptpersonalrat » Nachrichten aus dem HPRS Personalien » Geburtstage | Wir trauern um

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Herzliche Grüße Ihr

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Boris Krüger

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IMPRESSUM

75. Jahrgang | ISSN 0723-6182 Verleger: Hessischer Philologen- verband e.V. Die Zeitschrift »BLICKPUNKT SCHULE« des Hessischen Philologenverbandes erscheint fünfmal im Jahr 2025. Der Hessische Philologenverband ist der Gesamtverband der Lehre rinnen und Lehrer an den Gymna sien in Hessen sowie an Schulen mit gymnasialem Bildungsange bot. Er ist der Fachverband im Deutschen Beamtenbund, Lan desbund Hessen (dbb), er ist dem Deutschen Lehrerverband Hessen (dlh) und durch den Deutschen Philologenverband (DPhV) dem Deutschen Lehrerverband (DL) angeschlossen. Für den Inhalt verantwortlich: Der Vorstand des Hessischen Philologenverbandes. Chefredaktion: Boris Krüger (V.i.S.d.P.) Helen Bosse Mail: blickpunkt-schule@hphv.de Mit dem Namen der Verfasser gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Hessischer Philologenverband e.V. Geschäftsstelle: Schlichterstraße 18 Mail: hphv@hphv.de Web: www.hphv.de Bank: Volksbank Odenwaldkreis BIC: GENODE51MIC IBAN: DE30 5086 3513 0004 3579 73 Der Verkaufspreis ist durch die Mitgliedsbeiträge abgegolten. Verlag und Anzeigenverwaltung: Pädagogik & Hochschul Verlag Graf-Adolf-Straße 84 40210 Düsseldorf Tel.: 0211 3558104 Fax: 0211 3558095 Mail: dassow@dphv-verlag.de Satz und Layout: Tel.: 0211 1795965 Fax: 0211 1795945 Mail: heinemann@dphv-verlag.de 65185 Wiesbaden Tel.: 0611 307445 Fax: 0611 376905 www.dphv-verlag.de Anzeigenverwaltung:

Editorial

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Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Bundesvorsitzende Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing hat in der DPhV Pressemitteilung vom 9. März deutlich gemacht, welche Chance es mit der gewaltigen geplanten Schuldenauf nahme des Bundes für den Bereich Infrastruktur zu nutzen gilt, die ja im Hinblick auf die finanzielle Belastung für nachfolgende Generationen durchaus auch kritische Stimmen her vorgerufen hat: Der Investitionsstau im Bildungsbereich ist nach wie vor sehr groß, und die Gefahr, dass Deutschland hier im internationalen Wettbewerb zurückfällt, ist nicht von der Hand zu weisen. Schulgebäude, Sporthallen, Fachräume und auch die sächliche Ausstattung gilt es so zu gestalten, dass nicht nur kurzfristig die dringlichsten Mängel behoben werden, sondern endlich eine nach haltige Verbesserung sichtbar wird. Dies betrifft auch, aber nicht nur den Digitalpakt. Leider ist die Verschiebung der Besoldungsanpassung von August auf Dezember trotz intensiver Proteste und Demonstrationen durch den dbb Hessen nicht zu verhindern gewesen. Die abschließend erneute Betonung durch politisch Verantwortliche, welch herausragende Arbeit alle hessischen Beamtinnen und Beamte leisten, dürfte angesichts der weiterhin stei genden Preise in vielen Bereichen nicht uneingeschränkt auf Verständ nis gestoßen sein, sondern vielmehr auch in den Lehrerzimmern ange sichts einer weiterhin nicht verfas sungskonformen Besoldung zumin dest Kopfschütteln verursacht haben. Man darf gespannt sein, was in Bund,

von VOLKER WEIGAND Vorsitzender des Hessischen Philologenverbandes

Kommunen und den anderen Bundes ländern in den kommenden Wochen und Monaten in deren Tarifrunden be schlossen wird, und wie dann in Hessen Anfang 2026 damit umgegangen wird. Mit Blick auf den schulischen Alltag geht der Blick zum Abitur und dort wird es dann direkt nach den Oster ferien wieder zeitlich eng, wenn Abitur klausuren zu korrigieren sind und der Schulbetrieb ansonsten ebenfalls mit vollem Tempo weitergeht. Hier fordern wir unverändert spürbare Entlastung, welche die im Abitur eingesetzten Kolleginnen und Kollegen dringend und auch verbindlicher als bisher be nötigen. Auch dabei gilt: Dankesworte werden gerne gehört, sind aber ohne konkrete Unterstützungszusagen nicht ausreichend. Im Namen des Landesvorstandes wünsche ich gutes Durchhalten allen Beteiligten beim Abitur und natürlich solche Ergeb nisse, welche sowohl die Lehrerinnen und Lehrer als auch die Prüflinge im Anschluss und zum Abschluss der Schulzeit des aktuellen Abiturjahr gangs mit positiver Erinnerung auf den gemeinsamen Weg zurück schauen lässt.

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Viele Grüße

SCHULE

Volker Weigand

»Und täglich grüßt nicht nur das Lernlabor« Begabungsförderung an der Internatsschule Schloss Hansenberg S o vielfältig wie Kinder und Ju gendliche selbst, so vielfältig stellen sich auch die schuli von DR. ANNETTE PETRI Leiterin der Internatsschule Schloss Hansenberg

Titelthema

mit dem Drehtür-Modell . Akzeleration im Sinne der Begabungsförderung be deutet, dass »der Unterrichtsstoff für ein Individuum oder eine Gruppe kom primiert, in kürzerer Zeit abgehandelt oder primär selbständig durchgear beitet wird« (vgl. Oswald/Weilburgy o. D.: 20). Enrichment zeigt sich »in der im Umfang und der inhaltlichen Tiefe verstandenen Anreicherung des Lehrstoffs über den Lehrplan hinaus« (vgl. ebd.). Im Drehtür-Modell sub summieren sich all jene Formate, die es den Schülerinnen und Schülern er möglichen, »von einem (Lern-)Raum in einen anderen (Lern-)Raum zu gelangen und dort für eine bestimmte Zeitspanne zu verweilen, um danach durch dieselbe Tür wieder in den ursprünglichen (Lern-) Raum zurück zufinden« (vgl. KARG Hefte 09: 4). An der Internatsschule Schloss Hansenberg zeigen sich Akzeleration, Enrichment verbunden mit dem Dreh tür-Modell primär in folgenden Struk turen und Ausprägungen: Verlagerung einer nach Stunden tafel der OAVO vorgesehenen Unterrichtsstunde zugunsten des selbstorganisierten Lernens im sogenannten Lernlabor (in nahezu allen Fächern) regelmäßig stattfindende Projekt → → Akzeleration (Beschleunigung) tage (zehn bis zwölf pro Schul jahr), die an Unterrichtstagen stattfinden und damit die Zahl regulärer Unterrichtsstunden insgesamt reduzieren Notwendigkeit einer inhaltlichen Komprimierung und Beschleuni gung im Unterricht in der Q3, da sich die Schülerinnen und Schüler in der Q3 in einem vierwöchigen Auslandspraktikum befinden →

schen Angebote dar, mit denen Inte ressen, Talente und Begabungen von Schülerinnen und Schülern erspürt, (selbst) entdeckt, gefördert und im besten Sinne herausgefordert wer den. Von Schulen mit MINT-spezifi schen, musikalischen, kulturellen, sprachlichen oder sportlichen Schwerpunkten zu Schulen, die durch ein ungemein differenziert aufge stelltes Unterrichts-, Wahlunter richts- und AG-Angebot fachliche und überfachliche Interessen und Be gabungen in der Breite fördern, zu Schulen, die im Sinne einer starken Berufs- und Studienorientierung dem individuellen Erkennen eigener Talen te und Interessen eine besondere Be deutung beimessen, hin zu Schulen, die aufgrund der Nähe zu Universitä ten, Hochschulen oder anderen For schungseinrichtungen das eigene Wettbewerbsangebot mit benannten außerschulischen Lernorten verzah nen. Die Aufzählung, wie an hessi schen Schulen Interessen, Talente und Begabungen von Schülerinnen

und Schülern erkannt und gefördert werden, ließe sich eindrucksvoll er weitern. Seit nunmehr über zwanzig Jahren reiht sich die Internatsschule Schloss Hansenberg (kurz: ISH) als fester Bestandteil der hessischen Bil dungslandschaft in zuvor skizziertes Spektrum schulischer Begabungsför derung ein. Dabei richtet sich seit Gründung im Jahr 2003 das spezifi sche Angebot der ISH an im akademi schen Sinne besonders leistungsstar ke, besonders lern- und leistungsmo tivierte und sozial engagierte Schüle rinnen und Schüler der gymnasialen Oberstufe ( siehe Abbildung 1 ). 1 Akzeleration und Enrich ment als zentrale kon zeptionelle Bezugspunkte Was charakterisiert eine Schule, die sich an im akademischen Sinne be sonders leistungsstarke sowie an be sonders lern- und leistungsmotivierte Schülerinnen und Schüler richtet? Unterschiedliches wäre hier möglich, gleichermaßen sinnvoll und gut zu be gründen (siehe hierzu unter anderem Friedrich Jahresheft 41/2023; Os wald/Weilburgy o. D.). An der Inter natsschule Schloss Hansenberg orien tieren wir uns an den in der Bega bungsforschung und Begabungsför derung formulierten Prinzipien von Akzeleration (Beschleunigung) und Enrichment (Anreicherung) verbunden

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Abbildung 1

SCHULE

len Wettbewerben und Projekten (Drehtür-Modell) Aufgaben, die primär mit der Gestaltung des Internatslebens verknüpft sind (unter anderem Mitarbeit in der Schul- und Inter natsvertretung, Planung von In ternatsveranstaltungen, Mitarbeit in Ausschüssen und Gruppen der Schülerschaft) Dass die Verwirklichung zuvor be nannter Ausprägungen nicht gänzlich konfliktfrei verläuft (unter anderem Fehlsituation aufgrund von Wettbe werbsteilnahmen bei gleichzeitiger Verpflichtung zur Teilnahme an Klau suren), liegt in der Natur der Sache und verlangt letztlich von allen Betei ligten Offenheit für den stetigen Dis kurs um eine gute Balance zwischen verordnungsrelevanten Rahmenbe dingungen einer regulären gymnasia len Oberstufenschule, einem verläss lichen Alltagsgeschäft bei gleichzeiti ger Flexibilität für die Verwirklichung individueller Interessen, Talente und Begabungen. Ebenfalls in der Natur der Sache liegt die Notwendigkeit, alle Schüle rinnen und Schüler bei der Bewälti gung benannter schulischer und hin zukommender internatsspezifischer An- und Herausforderungen institu tionalisiert zu unterstützen und gut zu begleiten. Denn bei aller Freude über die als positiv empfundene Not wendigkeit von akademischer An strengung und Engagement, bringt das Lernen und Leben in einer Inter natsschule vielfältige Herausforde rungen mit sich, die es zu bewerkstel ligen gilt. Sei dies die Entwicklung von Lern- und Arbeitstechniken, die es braucht, wenn sich unterrichtliche Übungs- und Wiederholungsphasen bei gleichzeitiger Erhöhung von Pha sen selbstgesteuerten Arbeitens merklich reduzieren, oder sei es das Zusammenleben in einer Wohngrup pe (WG) von acht jungen Menschen, was unter anderem mit der Aushand lung von Regeln und Strukturen des täglichen Miteinanders verbunden ist – alles will und muss möglichst gut gemeistert werden. Zur Unterstüt zung erhält jede Wohngruppe für die →

Zeit an der Internatsschule Schloss Hansenberg ein Mentoriatstandem zur Seite gestellt. 2 Während die je weilige sozialpädagogische Mentorin bzw. der sozialpädagogische Mentor primär für den Bereich des Zusam menlebens in der WG verantwortlich ist, steht die jeweilige Mentorin bzw. der Mentor aus der Gruppe der Lehr kräfte den Mentees primär für alle lernspezifischen Bedarfe und schuli schen Themen zur Seite. 3 Und nicht selten braucht es eine gemeinsame Ansprache aus dem Mentorentan dem, dass der Tag an der Internats schule Schloss Hansenberg auch nur 24 Stunden hat. Eine feste und damit im Stundenplan der Schülerinnen und Schüler sowie in den Plänen der Lehrkräfte strukturell abgebildete Größe im Konzept der schulischen Begabungsförderung an der ISH nimmt das Lernlabor (kurz: Lab ) ein. 4 Täglich, außer samstags, arbeiten die Schülerinnen und Schüler aller Jahrgangsstufen in der dritten und vierten Stunde an sogenannten Lernlabor-Aufgaben (kurz: Lab-Auf träge ). Hierzu sind alle Unterrichts-, Fach- und Arbeitsräume im Schulge bäude geöffnet und mit Ausnahme der Räumlichkeiten für Kleingruppen arbeiten jeweils mit einer Lehrkraft besetzt. Bei der Besetzung der Räum lichkeiten achtet das Stundenplan team darauf, dass die Fachlehrkräfte so eingesetzt werden, dass an jedem Tag alle Fächer vertreten sind. Die Schülerinnen und Schüler entwickeln jeweils individuelle Arbeitspläne, zu welchem Zeitpunkt sie bei welcher Lehrkraft welche der von der eigenen Fachlehrkraft gestellten Lernlabor Aufgaben erledigen. Ein zu erstellen der Arbeitsplan ist auch insofern notwendig, da die Lab-Aufträge mehrheitlich den Charakter von Lang zeitaufträgen mit einem Lernprodukt als Ergebnis haben. Zur individuellen Planung und Dokumentation ebenso wie zur gemeinsamen mentoriellen Reflexion steht allen Schülerinnen Das Lernlabor als Möglichkeitsraum

‘Fehlzeiten’ im Unterricht, die sich unter anderem aus den Enrich ment-Angeboten ergeben und sich gerade ab der Q-Phase durchaus signifikant abbilden (unter ande rem Teilnahme an mehrtägigen Wettbewerben, Teilnahmen an au ßerschulischen Veranstaltungen mit Seminarcharakter) individuell umfangreiche Stun denpläne und Verpflichtungen für die Gemeinschaft, die insgesamt dazu führen, dass eher geringe Zeiten der individuellen Vor- und Nachbereitung von Unterrichts inhalten zur Verfügung stehen bzw. sehr effizient genutzt werden müssen Belegverpflichtung von insgesamt drei Leistungskursen (Abstockung eines Leistungskurses bei Abitur meldung) breites Fächerangebot in allen Aufgabenfeldern und Jahrgangs stufen schulcurriculare Verpflichtung, Kurse über die allgemeine Ver pflichtung der OAVO hinaus zu belegen Samstagsunterricht an den Nicht-Heimfahrwochenenden unterrichtliche Lern-Lehr- Settings, die ein Denken »über den fachlichen Tellerrand hinaus« enthalten projektbasiertes Arbeiten an länger- und langfristig gestellten Aufgaben zum Beispiel im Lern labor Ermöglichung von Alternativauf gaben statt einer kontinuierlichen Teilnahme am Regelunterricht über sogenannten Lernverträge für Schülerinnen und Schüler, die nachweislich über die curricular geforderten Kompetenzen ver- fügen (Drehtür-Modell) Teilnahmen an Juniorstudien gängen von Universitäten und Hochschulen (Drehtür-Modell) ungemein breites Spektrum schu lischer Arbeitsgemeinschaften hoher Grad der Teilnahme an lan des-, bundes- und internationa-

Titelthema

Enrichment (Anreicherung)

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Titelthema

Foto: XtravaganT/AdobeStock

und Schülern ein für das Lernlabor ent wickeltes Studienbuch zur Verfügung. So vielfältig die von der jeweiligen Fachlehrkraft gestellten Lernlabor Aufgaben auch sind, so eint selbige die Anbindung an curriculare Vorgaben (Unterrichtsrelevanz), die strukturell abgebildete Förde rung des eigenständigen Lernens und Arbeitens in der Schule (Prinzip des selbstgesteuerten und eigenverantwortlichen Lernens und Arbeitens), die Möglichkeit, curriculare Vorga ben mit in besonderer Weise indivi duellem, individualisiertem und personalisiertem 5 Lernen und Ar beiten zu koppeln (Differenzierung), die an jedem Tag eröffnete Mög lichkeit, mit der jeweils eigenen aber auch mit anderen Lehrkräf ten in den individuellen Austausch über Zwischenergebnisse ( Feed up , Feed bac k und Feed forward ), offene Fragen, Klärungswürdiges etc. zu kommen. Über diese verbindenden Elemente hinaus, stellt das Lernlabor einen un- → → → →

gemein vielfältigen Ort der Möglich keiten dar, der Folgendes, und sicher lich noch vieles mehr, bietet: Möglichkeit des Peer-Teachings zwischen zwei und mehr Lehr kräften. Möglichkeit des fächerverbinden den Lernens über gemeinsam gestellte Lab-Aufträge. → → Möglichkeit des jahrgangsüber greifenden Lernens und Arbeitens über entsprechend gestellte Lab Aufträge. Möglichkeit der Abbildung alter nativer Prüfungsformate in Form von Lernprodukten mit entspre chendem Anforderungsprofil. Möglichkeit, eines auf Kollabora tion ausgerichteten projekt- und transferorientierten Lernens und Arbeitens an komplexen Aufgaben stellungen in Klein- und Großgrup pen (vgl. Brianza et al 2023: 10 ff.). → → →

spannenden Zusammenhänge zwi schen sogenannten Bezugsgruppen effekten und individuellen akademi schen Selbstkonzepten von Lernenden werfen zu können (siehe Boxen), sind folgende Aspekte ebenfalls Teil der Realität des Alltags an einer Schule, die sich an besonders leistungsstarke sowie lern- und leistungsmotivierte Schülerinnern und Schüler richtet und diese Gruppe als spezifische Schüler schaft charakterisiert: Die bildungsbiografisch nicht sel ten gewohnten und bekannten Rollen als die oder der ‘Klassen beste’ werden aufgrund der Zu sammensetzung zunächst einmal völlig auf den Kopf gestellt, was → eine nicht zu unterschätzende Veränderung und nicht selten Irritation bedeutet. Die eigenen nach wie vor hohen und sehr hohen Leistungen und Leistungsfähigkeiten werden auf grund der neuen Peergroup teil weise nur noch als ‘mittelmäßig’ verortet. Aufgrund des Zusammenlebens im Internat und der mehr oder minder permanenten Konfronta tion mit Mitschülerinnen und Mit schülern, die vermeintlich noch mehr arbeiten bzw. sich noch mehr einbringen und für die das scheinbar alles leicht ist, hat eine relevante Bedeutung für die Wahrnehmung der eigenen Person und der Einschätzung der eigenen Ressourcen. Wohlwissend um zuvor benannte neue Vorzeichen und Realitäten schu lischen Erlebens gehören Projekte und Angebote, die primär an der Stär kung der eigenen (lernenden) Persön- → →

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»... und auf einmal melden sich alle ...«

Ohne im Zusammenhang mit diesem Artikel einen ausführlichen Blick auf die im Allgemeinen und im Zusam menhang mit schulischer Begabungs förderung im Speziellen ungemein

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lichkeit ansetzen, ebenfalls zum Re pertoire einer begabungsförderlichen Lernumgebung an der Internatsschu le Schloss Hansenberg. Primär ver antwortliche Ideen- und Impuls- gebende für diesen Bereich ist die Schulpsychologie, die unsere Schüle rinnen und Schüler unter anderem mit unterschiedlichen Angeboten (unter anderem allgemeine Coachingange bote, individuelle Beratung, perso nenzentriertes Coaching, Erlernen von Entspannungstechniken etc. vgl. Flender 2020) an zuvor skizzierten neuen Erfahrungen bewusst abholen und immer wieder dabei unterstützen, die eigene lernende Persönlichkeit als Referenz- und nicht den Vergleich mit den Mitschülerinnen und Mitschülern als Konkurrenzwert zu erkennen. Wer viel kann, muss auch viel Verantwortung übernehmen! Seit Gründung richtet sich das Profil der Internatsschule Schloss Hansen berg nicht nur primär an besonders leistungsstarke, lern- und leistungs motivierte, sondern gleichbedeutend an sozial engagierte Schülerinnen und Schüler. Dabei stellt die Bedeutung des sozialen Engagements nicht nur eine Notwendigkeit für das Zusam menleben bei sozialer Dauerbeschal lung im Internat dar. Vielmehr setzt die Anforderung des sozialen Engage ments durchaus auch an der Vorstel lung an, dass Menschen, die über Ta lente und Begebungen verfügen, eine besondere gesellschaftliche Verant wortung tragen bzw. sich dieser be wusst werden sollten. Der im 19. Jahr hundert von Daniel Hendel Sanders formulierten Maxime folgend »Für das Maß seiner Begabung ist der Mensch nicht verantwortlich, wohl aber dafür, wie er ihm verliehenen Gaben ausbildet und benutzt hat« , leiten sich an der ISH konkrete Forde rungen ab, wie sich alle Schülerinnen und Schüler aktiv und proaktiv in das Zusammenleben einbringen müssen. Dabei erstreckt sich das Spektrum von täglichen Diensten in und für die ei gene Wohngruppe (unter anderem

Aufräumen, Putzen, Spülen) über das verpflichtende Engagement in soge nannten Servicegruppen , das sich von Arbeiten auf dem Campus bis zur Ko operation mit der Grundschule der Ort, der regionalen Geflüchtetenhilfe und einer benachbarten Einrichtung für psychisch kranke Menschen er streckt, der Mitarbeit in jahrgangs- und schulspezifischen Ausschüssen bis hin zu einer Sozialprojektwoche jeweils in der Zeit zwischen den schriftlichen und mündlichen Abitur prüfungen. 6 Gemeinsamer Diskurs Statt mit primär schulspezifischen möchte ich mit einigen allgemeinen Gedanken und zu diskutierenden Fragen diesen Beitrag nicht nur be schließen, sondern gleichzeitig die Offenheit der Internatsschule Schloss Hansenberg für einen in besonderer Weise praxisorientierten Austausch rund um die schulische Begabungs förderung zum Ausdruck bringen, die wir gemeinsam führen sollten: Wie können möglichst viele Inte ressen, Talente und Begabungen von Schülerinnen und Schülern im schulischen Kontext sichtbar werden? Wie können soziale Begabungen von Kindern und Jugendlichen wie Hilfsbereitschaft, Mitgefühl, An teilnahme und Engagement für die Gemeinschaft im schulischen Kontext immer wieder die Aner kennung und Wertschätzung finden, die ihnen gebührt? Wie lässt sich das Spannungsfeld zwischen der Förderung vielfäl tigster Interessen, Talente und Begabungen auf der einen und curricularen bzw. verwaltungs fachlichen Setzungen auf der an deren Seite in Einklang bringen? Welche Möglichkeiten lassen es zu, dass sich auch für die Schüle rinnen und Schüler, die bereits über (alle) curricular festgelegten Kompetenzen verfügen, eine echte Anstrengung nötig wird und sich dadurch Erfolge und Perspek tiven aufzeigen? → → → →

QUELLEN

Wie kann die Spirale der Enttäu schung und ein damit nicht selten einhergehender Leidensdruck von Underachievern aufgebrochen werden? Welchen bildungspolitischen Rückhalt braucht es für die Gestaltung begabungsförderlicher Settings, die sich sicht- und greif bar im schulischen Alltag abbilden lassen? F. Oswald, W.M. Weilguny (o. D.): Schulentwicklung durch Bega bungs- und Begabtenförderung. Impulse zu einer begabungsförder lichen Lernkultur. Österreichisches Zentrum für Begabungsförderung und Begabungsforschung. >> E. Brianza, L. Criblez, N. Haymoz, D. Petko, (2023): Gymnasien ent wickeln sich weiter. Aktuelle Trends in der Schweiz. Zürich: Mittelschul- und Berufsbildungsamt. J. Flender (2020): Begabungsför derliche Begegnen fördern – theo retische Grundlagen und Praxisbei spiele aus der Internatsschule Schloss Hansenberg. In: C. Fischer, et al. (Hrsg.): Begabungsförderung, Leistungsentwicklung, Bildungsge rechtigkeit – für alle! Beiträge aus der Begabungsförderung, Münster, New York, S. 295–301. Friedrich Jahresheft 41/2023: Begabungen. KARG Hefte 09 (o. D.): Das Drehtür modell in der schulischen Bega bungsförderung. Studienergebnisse und Praxiseinblicke aus Nordrhein Westfalen. KARG Magazin 2 (2024): Under achievement sehen & verstehen – begegnen & begleiten. https://www.karg-stiftung.de/ medien/karg-magazin-2-under achievement-1207/ J. Möller, U. Trautwein (2015): Selbstkonzept. In: E. Wild, J. Möller, (Hrsg.): Pädagogische Psychologie, 2. Auflage, Berlin, Heidelberg, S. 177–199.

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Welche Bedingungen und Stereo type führen dazu, dass das Er kennen und die Förderung akade mischer Begabungen ungleich verteilt sind und einzelne Gruppe ungünstigere Werte gegenüber anderen Gruppen aufweisen? Welche schulischen und außer schulischen Angebote lassen es zu, dass sich Kinder und Jugend liche mit spezifischen und teil weise schwer mit curricularen Vorgaben in Einklang zu bringen den Interessen zu Peergroups zusammenfinden und damit den unbestrittenen Wert von Gemein schaft unter Gleichaltrigen und Gleichgesinnten erleben dürfen? … 1 Gleichwohl in der Schülerschaft der ISH über durchschnittlich viele Schülerinnen und Schüler über einen Intelligenzquotienten (IQ) verfügen, der dem Spektrum der Hochbegabung ent spricht (IQ >130), ist die ISH keine ‘Hochbegab tenschule’. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass wir kein Angebot für die Gruppe der ‘Un derachiever’ zur Verfügung stellen, also »für Hochbegabte, die eine signifikante Diskrepanz zwischen der zu erwartenden Leistung und der tatsächlichen Leistung zeigen und dies nicht selten mit einem großen Leidensdruck verbun den ist« (vgl. KARG Magazin 2 2024). 2 Eine tutorielle Begleitung, wie man sie mehr heitlich in der gymnasialen Oberstufe findet, gibt es an der Internatsschule Schloss Hansen berg nicht. 3 Idealerweise ist die Lehrkräfte-Mentorin bzw. der Lehrkräfte-Mentor keine Fachlehrkraft der Mentees. 4 Die Idee des Lernlabors reiht sich in die Vielzahl von Schul-und Unterrichtsentwicklungs- Modellen ein, die für das individuelle Lernen und Arbeiten im regulären Stundenplan hierfür definierte Zeiträume abbilden (zum Beispiel FREIdays). 5 Haben Schülerinnen und Schüler an schulischen Angeboten einer personenzentrierten Reflexion teilgenommen, so ermöglicht dies ihnen ein personalisiertes Lernen, verstanden als die Verknüpfung gewonnener Erkenntnisse über die eigene lernende Persönlichkeit mit konkreten Anforderungen (vgl. Flender 2020). 6 Wie ernst wir den Aspekt des sozialen Engage ments meinen und auch nehmen, zeigt sich be reits im Auswahlverfahren neuer Schülerinnen und Schüler. So kann es durchaus sein, dass zwei Bewerberinnen bzw. Bewerber ein identisch hohes IQ-Testergebnis aufweisen, über ver gleichbare bereits erbrachte akademische Leis tungen verfügen, jedoch auf der Ebene, wie sie sich bislang in und für Gemeinschaft einge bracht bzw. eingesetzt haben, deutliche Unter schiede erkennbar werden, erhält die Bewer bung mit dem Mehr an sozialem Engagement den Vorzug. → → →

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Begabungsförderung in der Praxis Am Beispiel der Albert-Schweitzer-Schule Kassel

Wer den Stein der Begabungsförderung ins Wasser wirft, bringt die Wellen der Schul- und Unterrichtsentwicklung in Bewegung Eine zunehmend heterogene Schü lerschaft und das knappe Rauman

DER AUTOR

Andreas Mayfarth ist Lehrer für Politik & Wirtschaft sowie Französisch und Koordinator für Begabungsförderung an der Albert-Schweitzer-Schule Kassel.

gebot stellen auch uns als Gymnasium in der Stadt Kassel vor große Heraus forderungen, die Kreativität und neue Konzepte erfordern. Unterschiedliche Lernvoraussetzungen, Talente und Bedürfnisse prägen den Schulalltag stär ker denn je. Die Heterogenität und die Rahmenbedingungen eröffnen aber auch neue Wege, um Lernen individueller zu gestalten, Schülerinnen und Schüler enger zu begleiten und ihre Leistungen noch stärker wertzuschätzen. Wenn wir hier über unsere Schule berichten, dann ist dies keinesfalls als ‘Best-Practice-Beispiel’ zu verstehen. Der Artikel widmet sich unserer ‘Prac- tice’, unserem Bestreben, uns auch selbst als Schule stetig für unsere Schüle rinnen und Schüler als einen Ort weiterzuentwickeln, der sie in ihrer Vielfäl tigkeit wertschätzt und sie immer mehr in den Blick nimmt. Es ist ein Anfang.

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Als besonders bedeutsam hat sich herausgestellt, dass die Begabungsförderung aktiv durch die Schulleitung un terstützt wird und sie als Schulentwicklungsvorhaben festgeschrieben wurde. Zwei der drei Mitglieder des Bega bungsteams sind Mitglieder der Schulleitung. Durch diese enge Bindung an die Schulleitung ist das Thema präsent, neue Strukturen werden aktiv unterstützt sowie ermög licht. Ein Beispiel ist hierbei auch der Blick auf besondere schulische Leistungen im Zuge von Beratungsgesprächen, pädagogischen Konferenzen oder Zeugniskonferenzen. Auseinandersetzung mit dem Begabungsbegriff: Jedes Kind trägt eine Vielzahl an Begabungen und Ressourcen in sich Nicht alle bereits hoch leistungsstarken und potenziell sogar besonders begabten Schülerinnen und Schüler ent falten allerdings ihr volles Potenzial von selbst. Ein hohes Leistungspotenzial garantiert auch weder schulischen Er folg noch das Erreichen der individuellen Ziele. Deshalb ist es eine zentrale Aufgabe der Schule, diese jungen Talente frühzeitig zu erkennen , in der Breite wie auch in der Spitze, sie gezielt zu fördern und ihnen mit Begleitung, Beratung und mitunter auch mit Diagnostik zur Seite zu stehen. Unterricht, der auf ihre spezifischen Bedürfnisse abgestimmt ist, außerunterrichtliches Angebot, das Neu gier weckt und Potenziale weiter entfaltet, schaffen die Grundlage dafür, dass sie ihre Begabungen optimal ent wickeln können. Dabei muss es Schule gelingen, vielmehr die einzelnen Schülerinnen und Schüler gezielter in den Blick zu nehmen, ihnen Wertschätzung und Anerkennung zu schenken und über ihre individuellen Ressourcen und Bedarfe ins Gespräch zu kommen – eine unstrittig große Herausforderung. Vernetzung: Wir schauen über den Tellerrand Auch wir versuchen, uns dieser Herausforderung zu stellen, und schaffen Angebote innerhalb und außerhalb des Un terrichts und nutzen die innerschulischen, regionalen und landesweiten Netzwerke in Hessen, um im wechselseitigen Austausch neue Impulse aufzugreifen und zu erproben. Schon seit vielen Jahren trugen wir das Label einer ‘Gütesiegelschule Hochbegabung’, was uns die Vernetzung im Bereich des Schulamtes für die Stadt und den Landkreis Kassel ermöglicht und erleichtert hat. Aus diesem Label heraus ist das ‘Netzwerk für Begabten- und Begabungs förderung’ in Nordhessen entstanden, dass aktiv durch die HIBB-Regionalkoordination und die zuständige Schul psychologin unterstützt wird. Unter deren Organisation treffen sich zwölf Grundschulen und 17 weiterführenden Schulen. Hier sind wir in der gemeinsamen Erarbeitung von schulischen Beratungskonzepten, zu Wettbewerben und anderen regionalen Angeboten, wie zum Beispiel der

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Die Begabungsförderung ist ein Motor der Schulentwicklung und muss in der Schulgemeinschaft sichtbar(er) werden Besonders seit 2022 haben wir unser Engagement im Be reich der Begabungsförderung vertieft. Auf unserem Weg haben wir immer wieder Gegenströmungen gespürt, um im Bild zu bleiben. Diese galt es zu durchbrechen bzw. zu überstehen – Fragen, die Antworten forderten, und Hürden, die uns nicht zum Stillstand bringen dürfen. Jene Weiter entwicklung, so sind wir uns sicher, geht nur im Team; ein Team aus Akteurinnen und Akteuren der Schulentwick lung und der Schulleitung . Es bedarf des Rückhalts in einem Kollegium , das in großen Teilen die positiven Erfah rungen aus dem Homeschooling weiterentwickeln möchte. Machen, was möglich ist – nicht suchen, warum es nicht möglich sein könnte Dazu wurde eine Stelle für einen ‘Koordinator für Bega bungsförderung’ geschaffen und zeitnah ein ‘Begabungs team’ aufgebaut, was sich nach einer Klärung von Verant wortlichkeiten arbeitsteilig mit unterschiedlichen Themen beschäftigt. Das Team brauchte eine Ansprechbarkeit , sodass eine gemeinsame Mailadresse eingerichtet wurde. Unter jener sind wir insbesondere für Gesprächs- und Beratungsanliegen der Eltern erreichbar. Die Schülerinnen und Schüler erreichen uns primär über die ‘schul.cloud’, einem schulinternen Messenger. Wir haben ein regelmäßi ges Sprechstundenangebot eingerichtet. Dieses wird gern in Anspruch genommen.

SCHULE

tausch mit den anderen hessischen LemaS-Schulen und geben die Ergebnisse unserer Zusammenarbeit an Schulen weiter, die ihren Bereich der Begabungs- und Begabten förderung aufbauen. Hilfreich waren in diesem Zusammen hang auch die Fortbildungs- und Vernetzungsangebote der Karg-Stiftung. Dort erworbene Ideen werden im Bega bungsteam besprochen und deren Umsetzung entspre chend forciert. Über die hessische Vernetzung hinaus tau schen wir uns zudem vierteljährlich im Schulamt als nord hessische LemaS-Schulen über unseren aktuellen Stand aus und entwickeln gemeinsam neue Konzeptideen. Diese enge Zusammenarbeit empfinden wir als äußerst gewinn bringend. Hervorragende Leistungen sichtbar Über einen eigenen Informationskanal im Schulmessen ger können wir mittlerweile gezielt Kolleginnen und Kolle gen über aktuelle Angebote informieren. Auch die Schüle rinnen und Schüler, auf die wir aufmerksam geworden sind, können konkret angesprochen und ihnen Angebote unter breitet werden. Die Förderung besonders leistungsstarker Schülerinnen und Schüler ist immer mehr fester Bestand teil von pädagogischen Konferenzen sowie Zeugniskon ferenzen . Wir sichten direkt beim Übergang von den Grundschulen zu uns die uns vorliegenden Akten, um früh zeitig und nachhaltig Angebote zu schaffen. Außerdem ha ben wir die Website umgestaltet, Aushänge im Schulge bäude erstellt, das Material für den Tag der offenen Tür überarbeitet und einen eigenen Flyer entwickelt, welcher einen Überblick über zentrale Angebote bei uns an der Schule und darüber hinaus bietet. Auch haben die Schüle rinnen und Schüler Zugriff auf eine Edumap, eine Art digi tale Pinnwand, auf der sie Informationen zu aktuellen Wettbewerben abrufen können. Dennoch muss es uns in naher Zukunft gelingen, das Thema noch präsenter in der Schulgemeinde werden zu lassen. Themen und Möglichkei ten der Begabungsförderung geraten schnell hinter dem Tagesgeschäft des Unterrichts aus dem Fokus. Wir versu chen, die Themen immer wieder präsent zu halten, dafür ist eine ständige Kommunikation mit der Schulgemeinde eine Grundvoraussetzung. Das Goldene Buch: »Was ein Mensch an Gutem in die Welt hinausgibt, geht nicht verloren.« (Albert Schweitzer) Wir möchten besondere schulische Leistungen und hervor ragendes soziales Engagement für Einzelne oder die Ge meinschaft sichtbarer machen. In Anerkennung und Wür digung besonderer Verdienste ehren wir im Rahmen einer Feierstunde jährlich Kinder und Jugendliche unserer Schu le durch die Eintragung im ‘Goldenen Buch’ sowie durch die Verleihung eines Zertifikats für das eigene Portfolio. machen und wertschätzen – gezielt Angebote unterbreiten

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» Lernzeit mit Christoph Loose

» Dr. Kerstin König beim Coaching

Kinder- und Jugendakademie oder den jährlichen Begabten tagen, im Austausch. Seit 2023 sind wir Teil von ‘LemaS 2’, der Bund-Länder Initiative ‘Leistung macht Schule!’ . Sie wurde im Januar 2018 ins Leben gerufen, um schulische und außerschuli sche Strategien, Konzepte und Maßnahmen zur Förderung leistungsstarker sowie potenziell besonders begabter Schülerinnen und Schüler zu entwickeln und weiterzuent wickeln. Ein Forschungsverbund begleitet und unterstützt die teilnehmenden Schulen dabei wissenschaftlich. Orga nisiert im landesweiten Netzwerk und ebenso begleitet so wie besonders unterstützt durch das Ministerium für Kul tus, Bildung und Chancen (Referat IV.3), zum Beispiel durch regelmäßige Treffen der landesweiten Beratungs lehrkräfte, wird die überregionale Kooperation gestärkt und wir erarbeiten, erproben und evaluieren als ‘Co-Multi plikatorenschule’ durch jene Vernetzung Konzepte für eine begabungs- und leistungsfördernde Lernumgebung. Im Mittelpunkt steht dabei im Moment die Erarbeitung eines ganzheitlichen Beratungskonzepts . Schwerpunkte sind dabei die strukturellen Grundlagen und Rahmenbedin gung, das Erarbeiten eines pädagogischen Konsenses, gemeinsame Ziele, Werte und Haltungen – unter Ein- beziehung einer förderbasierten Diagnostik mit möglichst konkreter Wirkung auf Unterricht und Lernen sowie auf Begleitung und Beratung. Dabei lernen wir durch den Aus

Damit wird nicht nur Besonderes, was häufig leicht über sehen werden kann, sichtbarer, sondern es entsteht für uns auch eine konkrete Zielgruppe, die wir mit Angeboten und Informationen versorgen können. Digitale und analoge Drehtürmodelle Seit dem Schuljahr 2021/2022 unterstützen wir besonders leistungsstarke und motivierte Schülerinnen und Schüler über die reichhaltigen Angebote der Digitalen Drehtür. Startpunkt war damals ein Impuls aus einem der Karg Treffen, sodass wir hier schon Erfahrungen sammeln durf ten, bevor das Land Hessen das Angebot aktiv beworben hatte. Der Pool an Schülerinnen und Schülern generiert sich im Wesentlichen durch jene, die für ihre Leistungen im Goldenen Buch geehrt wurden, und jene, die über die Klassenleitungen und Fachlehrkräfte die Möglichkeit er proben sollen. Je nach Interesse können die Schülerinnen und Schüler auch während der regulären Unterrichtszeit digitale Workshop-Angebote mit anderen Kindern und Ju gendlichen aus ganz Deutschland wahrnehmen. Dabei un terstützen wir je nach Bedarf mit Endgeräten oder einem Raumangebot. Liegt die Veranstaltung in den Randstun den, so können die Schülerinnen und Schüler nach Rück sprache mit den Eltern auch von zu Hause aus teilnehmen und die Schule früher verlassen. Für den Einstieg bieten wir eine Checkliste zur eigenen Vorbereitung und Organisation der Teilnahme an. Alle Teilnehmenden sind auch in einem Kommunikationskanal organisiert, sodass sie sich gegen seitig unterstützen können. Das Angebot soll allerdings auch allen Schülerinnen und Schülern zur Verfügung ge stellt werden, sodass man auch nach der Schule an span nenden Angeboten teilnehmen kann. Interessant sind ne ben den Liveangeboten auch verschiedene Werkstätten und Selbstlernangebote, die auch noch mehr individuell, aber auch in Klein- oder auch in Klassengruppen unter-

richtlich genutzt werden kön nen. Häufig stellt die Anbin dung der Inhalte der Digitalen Drehtür an den Regelunter richt noch eine Herausforde rung dar. Dennoch: Ein Blick in den Campus der Digitalen Drehtür lohnt sich. Nach Beratung und Rück sprache gibt es die Möglich keit, an analogen Drehtür modellen über einen verab redeten Zeitraum teilzuneh men. Denkbar sind hier zum

Titelthema

» Das ‘Goldene Buch’

Beispiel die Teilnahme am Fachunterricht eines höheren Jahrgangs oder das bewusste Verlassen des Regelunter richts, um währenddessen an individuellen Projekten ar beiten zu können. Auf unserem Schulgelände befindet sich glücklicherweise das Schülerforschungszentrum Nord hessen (SFN) , das Forschen und projektorientiertes Arbei ten in den Naturwissenschaften und Technik (MINT) um fassend fördert und schon viele Erfolge, zum Beispiel in ‘Jugend forscht’, hervorgebracht hat. Wir nehmen eine immer größere Bereitschaft wahr, dass Kinder und Jugend liche den eigentlich geplanten Unterricht verlassen können, um individuelle Akzelerationsangebote zu nutzen. Dies bedarf einer engen Kommunikation. Vielfältige Angebote der Lernbegleitung: BPLB, mBET und Coaching Zahlreiche Wellen wurden angestoßen – um das Bild er neut aufzugreifen – und setzen ihre Bewegung mit dem klaren Ziel fort, alle Schülerinnen und Schüler auf ihrem in dividuellen Lernweg zu begleiten. Durch den Rahmenauf trag von ‘LemaS 2’ widmen wir uns aber auch gezielt den

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Entwicklung. Erste Praxiserfahrungen sind am Ende des Schuljahres geplant. Zudem nehmen zwei weitere Lehrkräf te an den ‘evoc’-Fortbildungen teil, die eine Einführung in die personenorientierte Begabungsförderungen bieten. Dies ergänzt unseren Blick im Kollegium zusätzlich. Über zwanzig weitere Lehrkräfte haben sich im Rahmen unterschiedlicher Fortbildungsangebote im Bereich der Lernbegleitung weitergebildet. Der Gründe dafür liegen eher in der Herausforderung veränderter Kindheit und der daraus resultierenden Suche nach verändertem Unterricht, überlagert sich aber mit den Wellen der Begabungsförde rung und ermöglicht größere Ideen. Im letzten Schuljahr im Jahrgang 10 und aktuell im Jahrgang 8 erproben wir inten siv Angebote zur Lernbegleitung mit regelmäßigen und individuellen Coaching-Gesprächen , die an drei Stunden Lernzeit gekoppelt sind. Die Fächer Deutsch, Mathematik und die erste Fremdsprache öffnen eine ihrer Stunden, zum Beispiel für individuelle Lernjobs im Rahmen einer Lernzeit, in jener die Schülerinnen und Schülern an eigenverant wortliches Arbeiten herangeführt werden sollen. Sie kön nen weitestgehend selbst bestimmen, wie und in welcher Gewichtung sie Inhalte, Arbeitsaufträge bzw. Projekte der Fächer bearbeiten. Dabei stellen wir unterschiedliche Strukturierungs- und Planungshilfen zur Verfügung und stehen im ständigen Austausch – auch im Rahmen der Coaching-Gespräche. Im Jahrgang 8 sind aktuell fünfzehn Coaches eingesetzt. Sie unterrichten keines der Kinder selbst, um einen bewertungsfreien Raum zu gewährleis ten. Jedes Kind hat in der Regel alle drei Wochen ein indivi duelles Coaching-Gespräch zu je rund fünfzehn Minuten . Lernzeit und Coaching stellen eine große Chance und eine Herausforderung dar. Es muss für Schülerinnen und Schüler selbstverständlicher werden, über ihr eigenes Ler nen ins Gespräch zu kommen und mehr Verantwortung für ein selbstgesteuertes Lernen zu übernehmen. Auch auf Seiten der Coaches braucht es eine Rollenklarheit , die notwendige Haltung und ein ständiges Erproben von un terschiedlichen Fragetechniken, denn der Rollenwechsel gelingt nicht von allein. Die Kolleginnen und Kollegen ste hen auch hier im Austausch . Grundlage ist und bleibt eine fragende Grundhaltung. Langfristiges Ziel sollte sein, dass sich Unterricht dahingehend ändert, dass die Lehrkräfte mehr Möglichkeiten haben, sich den einzelnen Schülerin nen und Schülern zuzuwenden und im Gespräch zu blei ben. Daran arbeiten Teams zur Lernbegleitung und zum in dividualisierten Lernen. Mit den Erkenntnissen einer aktuell stattfindenden Evaluation , die wir gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern durchführen und auswerten, ziehen wir momentan Rückschlüsse zu einer möglichen Reform der aktuell schon bestehenden Lernzeiten in den Jahrgängen 5 und 6 und prüfen, wie wir auch in weiteren Jahrgängen das selbstorganisierte Lernen stärken und Angebote der Lernbegleitung ressourcenschonend und nachhaltig implementieren können. Vieles ist in Bewegung. Die Wellen sind angestoßen. Wir müssen sie in Bewegung halten.

DIE SCHULE

Titelthema

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Gymnasium in der Stadt in zentraler Lage rund 1300 Schülerinnen und Schüler etwa 100 Lehrkräfte und LiV Ganztagsprofil II Europaschule, MINT-freundliche Schule Für Themen der Begabungsförderung: Begabung@asskassel.de https://www.ass-kassel.de/

leistungsstarken und potenziell besonders leistungsfähi gen Schülerinnen und Schülern. Unterstützend setzen wir eine Diagnostik ein, für die sich im Rahmen des hessischen Projektes ‘Potenziale profilieren’ fünf Kolleginnen und Kollegen am ‘Deutschen Zentrum für Begabungsforschung und Begabungsförderung’ (DZBF) bei Dr. Sebastian Renger zu ‘Begabungspsychologischen Lernbegleitern’ qualifizie ren ließen. Die auf der PSI-Theorie von Prof. Dr. Julius Kuhl aufbauende Diagnostik (TOP-Diagnostik und Bega PSI) hilft uns dabei, persönliche Stärken, Ressourcen und Entwicklungspotenziale gemeinsam mit den Schülerinnen und Schüler zu erarbeiten. Unsere Haltung ist, dass durch diese Angebote alle Schülerinnen und Schüler profitieren, daher schauen wir nach Möglichkeiten, diese auch in die Breite zu bekommen. In der Projektwoche 2024 haben wir in diesem Zusammenhang ein Projekt zu ‘Selbstmanage ment und Motivation’ angeboten, das mit jenen Testun gen und Gesprächen positive Resonanz fand. Davon ange stoßen gibt es aktuell Vorbereitungen für PSI-Tage in der Mittel- und Oberstufe . Zwei weitere Kolleginnen und Kollegen konnten sich jüngst zu ‘mBET-Anwendern’ qualifizieren lassen. Das ‘multidimensionale Begabungs-Entwicklungs-Tool’ wurde entwickelt, um Lehrpersonen bei der Identifizierung und Förderung von Begabungen bei Kindern der Jahrgangs stufen 2 bis 6 zu unterstützen, sodass hier auch ein beson deres Angebot für die Unterstufe geschaffen werden kann. Es hilft dabei, die Fähigkeiten eines Kindes zu erken nen, geeignete Fördermaßnahmen zu entwickeln und eine enge Zusammenarbeit zwischen Lehrkräften, Eltern und Kindern aufzubauen. Mithilfe von Beobachtungs- und För derbögen können langfristige, individuelle Förderpläne er stellt und die Begabungen nachhaltig gefördert werden. Das Tool ermöglicht eine gezielte und dauerhafte Unter stützung der Kinder bei ihrer persönlichen und schulischen

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SCHULE

Titelthema

Foto: Priyanka/AdobeStock

Begabtenförderung an deutschen Schulen

I m Zusammenhang mit dem deut schen Bildungssystem ist vermehrt von ‘Inklusion’ die Rede. Alle Schü lerinnen und Schüler sollen jene För derung erhalten, die sie benötigen. Oftmals denken wir vorerst an die För derung und Unterstützung von Schü lern, die im Unterricht geringere Leis tungskompetenzen zeigen. Doch ein inklusives Schulsystem bedeutet auch, dass leistungsstarke Schülerinnen und Schüler Förderung erhalten. Denn Leistungsstärke bedeutet nicht auto matisch, dass dieses Potenzial direkt zu schulischem Erfolg führt. Begabte Schülerinnen und Schüler bedürfen ei ner gezielten Förderung. Ebenso gilt es, Talente frühzeitig zu erkennen. Die ‘Begabtenförderung’ fokussiert sich auf die Förderung von begabten sowie hochbegabten Schülern. Diese Kinder zeichnet ein höheres Leistungsvermö gen, eine größere Lernfähigkeit und ein höheres Lerntempo aus. Ziel der Begabtenförderung ist nicht aus schließlich das Erreichen von Hoch leistungen. Vielmehr steht die Persön lichkeitsentwicklung begabter Schüle rinnen und Schüler im Fokus. Dazu zählt, das Schülerinnen und Schüler Kompetenzen zur Entwicklung eines positiven Selbstkonzeptes, Wissen um die eigenen Fähigkeiten und ein Be wusstsein für die eigenen Stärken ent wickeln. An dieser Stelle lässt sich zum

hen sich einerseits auf den Regelun terricht und die dortige Förderung leistungsfähiger Schülerinnen und Schüler. Andererseits gibt es in kos tenlosen E-Learning-Angeboten für Lehrkräfte Erklärvideos mit Grund- lagen- sowie Anwendungswissen zum Thema: Verstehen, Erkennen und Fördern begabter und leistungsstarker Schülerinnen und Schüler. Im Bundesland Hamburg gibt es für Begabtenförderung ein Aktionspro gramm. Das beinhaltet Aspekte, wie dass weiterführende Schulen eine An sprechpartnerin/einen Ansprechpart ner für zuständige Fragen zur Begab tenförderung einsetzen. Ansprech partnerinnen und Ansprechpartner werden hier auch als Fachkräfte für Begabtenförderung kenntlich ge macht. Des Weiteren wird die Thema tik der Begabtenförderung in den Vorbereitungsdienst der Lehrerausbil dung integriert. Innerhalb der Semi nare wird sich mit Themen der Diag nostik sowie der Förderung von be gabten und hochbegabten Schülerin nen und Schüler auseinandergesetzt. Ein weiterer Aspekt im Aktionspro gramm bezieht sich auf eine koopera tive Zusammenarbeit zwischen den ‘Regionalen Beratungs- und Unter stützungsstellen’ und der ‘Beratungs stelle besondere Begabungen’. Ziel der Kooperation ist es, den Zugang

von HELEN BOSSE Redakteurin Blickpunkt Schule

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einen die Frage stellen, wie Bund und Länder Begabtenförderung umsetzen. Zum anderen ist zu hinterfragen, in wiefern Begabtenförderung zur Bil dungsgerechtigkeit beiträgt. Maßnahmen und Projekte der Begabtenförderung Begabtenförderung inkludiert nicht automatisch nur eine förderliche Zu sammenarbeit zwischen Lehrkräften und Schülern. Die Bund-Länder-Ini tiative ‘Leistung macht Schule’ (Le maS), die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geför dert wird, ist darauf ausgerichtet, Schulen weiterzuentwickeln und sie zu begleiten. Innerhalb der 22 Projek te arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Kooperations partnern aus empirischer Bildungsfor schung, der Erziehungswissenschaft sowie pädagogischer Psychologie an der Optimierung von schulischen Ent wicklungsmöglichkeiten. Diese bezie

SCHULE

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Foto: magele-picture/AdobeStock

zur Diagnostik sowie die Beratung bei Lern- und Verhaltensauffälligkeiten begabter Kinder und Jugendlicher transparenter und vereinfachter zu gestalten. Ebenfalls wird für Lehrkräf te vom Landesinstitut informatives Material zum Thema schulischer Be gabtenförderung online zur Verfü gung gestellt. Für Erziehungsberech tigte wird Informationsmaterial an alle Hamburger Schulen zur Auslage bereitgestellt. Das Bundesland Sachsen setzt mithilfe eines Konzepts des ‘Karg Campus Sachsen’ auf eine durchgän gige Begabtenförderung – von der Kita bis hin zum Gymnasium. Das Ziel des Projekts ist es, Bildungsgerech tigkeit zu gewährleisten. Die Kompo nenten ‘Fortbildung, Prozessbeglei tung und Vernetzung’ zeichnen das Konzept aus. Für die jeweiligen zwei Projektphasen qualifizieren sich an fünf Standorten Kitas, Grundschulen und Gymnasien, sodass in der ersten Projektphase (2020 bis 2023) Tan dems aus Kita und Grundschule ge bildet werden können. In Zusammen arbeit haben diese Tandems die Auf gabe, Kinder mit besonderen Bega bungen zu erkennen, sie zu fördern und Übergänge zu gestalten. Das da mit verbundene Wissen geben die Tandems an weitere regionale Kitas und Grundschulen weiter. In der zwei ten Projektphase (2024 bis 2026) wird an die bestehenden Tandems aus Kita und Grundschule angeknüpft, sodass der weiterführende Schulbe reich in das Netzwerk integriert wird – es bilden sich Tridems. Innerhalb der Tridems wird, wie auch in den Tan dems, im Tätigkeitsbereich ähnlich verfahren. Zuzüglich setzt das Bundesland Sachsen auch noch auf eine Drei Länder-Kooperation. In Zusammen arbeit mit Bayern und Hessen werden

Förderstrategien für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler umgesetzt. Die Drei-Länder-Kooperation hat ge meinschaftlich das Ziel, Austausch zu gewährleisten, Bildungsangebote für Begabte bereitzuhalten und ein Netz werk aus Schulen zu bilden. Aus je dem Bundesland nehmen acht Gym nasien teil. Somit können sich Tridems bilden, die gegenseitige Hospitatio nen durchführen. Ebenfalls bildet sich eine Koordinierungsgruppe, mit je zwei Vertreterinnen und Vertretern der jeweiligen Kultusministerien, wodurch Fachtagungen oder ländereigene Fortbildungsangebote gemeinsam organisiert werden. Auch stellt das Bundesland Bayern schulartspezifische Angebote zur Be gabtenförderung bereit. Leistungs starke Gymnasiastinnen und Gymna siasten erhalten ‘Pluskurse’, die eine Ergänzung zum Lehrplan bieten und wissenschaftlich oder künstlerisch fördern. Ebenfalls gibt es speziell zu geschnittene Ferienprogramme sowie vereinzelte Kompetenzzentren für Be gabtenförderung an Gymnasien. Die se begleiten Schulen in ihrem Bezirk hinsichtlich der Förderung von begab ten Kindern und sie bieten Fortbildun gen für Lehrkräfte an. Des Weiteren gibt es an neun bayerischen Gym- nasien Hochbegabtenklassen. Neben dem Regelunterricht gibt es zusätz- liche Betreuungs- und Unterrichts angebote, die kognitive, emotionale sowie die soziale Entwicklung fördern. Hinsichtlich der Begabtenförderung setzt das Land Bayern auch auf eine Vernetzung von Schule und Hoch schule, sodass Begabte Unterstüt zung in Studien- und in der Berufs orientierung erhalten. Die von den Ländern gestalteten Maßnahmen bieten ein vielfältiges Angebot zur Begabtenförderung. Ersichtlich ist, dass leistungsstarke

Schülerinnen und Schüler in Hinblick zur Inklusion im deutschen Bildungs system bedacht werden. An diesem Punkt lässt sich nun jedoch auch die kritische Frage stellen: Trägt Begab tenförderung zur Bildungsgerechtig keit im Schulsystem bei? Wie ‘gerecht’ ist Begabtenförderung? Das Thema, ob Begabtenförderung zur Bildungsgerechtigkeit im deut schen Schulsystem beiträgt, ist um stritten. Laute Stimmen aus der Bil dungspolitik äußern, dass es paradox sei, das Spitzenschülerinnen und Spit zenschüler als eine ‘benachteiligte’ Gruppe, die Förderungsbedarf habe, angesehen werden. Zudem befänden sich, laut dem Erziehungswissen schaftler Johannes Giesinger, vermehrt hochbegabte Kinder und Jugendliche in überdurchschnittlich privilegierteren Schichten. Die ‘Fami lienkulturen’ von bildungsnahen Fa milien würden die Entwicklung schul bezogener Kompetenzen, Werthal tungen sowie Motivation begünstigen. Fraglich ist also, ob die Begabtenför derung zu einer Elitenförderung führt. Jedoch ist hier ebenso anzumerken, dass das Bildungssystem allgemein von struktureller Chancenungleich heit geprägt ist, sodass nicht aus schließlich die Begabtenförderung ei ne Ungerechtigkeit hervorrufen kann. Allenfalls könnte sie Ungleichheit un terstützen. Des Weiteren beruht das Schulsystem auf einer inklusiven Bil dung, sodass keine Kinder und Ju gendliche von Förderung, Unterstüt zung und Bildung ausgeschlossen werden sollten. Jedes Schulkind hat ein Recht auf persönliche Förderung, sodass auch die Begabtenförderung ihre Daseinsberechtigung hat und sinnvoll ist.

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