Blickpunkt Schule 2/2020
und andere Gesten. Ad (2): Warum muss man Noten haben? Di Fuccia er- läuterte, dass imGegensatz zu heute das Entstehen der Notengebung da- mals ein ’emanzipatorischer Akt’ des preußischen Schulsystems gewesen sei, um Leitungsfunktionen in der Ge- sellschaft nicht mehr aufgrund der Herkunft, sondern aufgrund der Leis- tung zu vergeben. Und dies wurde da- mals als Gerechtigkeit empfunden, wobei heute mehr der damit verbunde- ne Leistungsgedanke als ’Leistungs- druck’ disqualifiziert wird, der aber eher mit Überforderung als mit Eig- nung einhergeht. Leider wird derzeit, so Di Fuccia, »gerade der Gerechtig- keitsgedanke in der aktuellen Situation oft vergessen«. Heute will in dieser Tradition der Staat mit demNotensys- tem den Leistungsgedanken und die Förderung ermöglichen, zum Beispiel durch einen Numerus clausus für ein Medizinstudium; der Lehrer wiederum will die »Benotung als Erziehungsele- ment, was allerdings im Lehrerberuf ammeisten Stress bereitet und uns in Konflikte bringt«, so Di Fuccia; für die Schüler bedeute die Notenbewertung Lob, zumindest aber Feedback. Ad (3): Was kann, was soll bewer- tet werden? Bewertet werden könne nur, was im Unterricht erlernbar sei. Hierbei seien drei Bezugsnormen zu unterscheiden: Die sogenannte ’indivi- duelle Bezugsnorm’ zeigt den indivi- duellen Spielraum an, wozu ein Schü- ler in der Lage ist – aufgrund seiner persönlichen Disposition; die ’kriteria- le Bezugsnorm’ beschreibt, was auf- grund des Unterrichts gekonnt werden müsste; durch die ’soziale Bezugs- norm’ wird die Leistung des Einzelnen mit dem Rest der Klasse oder dem Durchschnitt der letzten zwei Jahre in dieser Klassenstufe verglichen. Ad (4): Die Frage, was der Maßstab des Bewertens sei, sei schwieriger zu beantworten: Hier herrsche vielfach keine eindeutige Transparenz und »es gibt auch keine klaren Vorgaben der Behörden«. Auch deshalb ist die Dis- kussion nach Dafürhalten von Prof. Di Fuccia »ein Stellvertreterkrieg!«, was er in der folgenden Fragenstellung Nr. 5 begründete.
20 BLICKPUNKT Schule Berichte
Foto: privat
» Thorsten Rohde, Prof. David S. Di Fuccia, Monika Roth und Heinz Seidel
Ad (5): In welcher Weise wollen wir die Bewertung kommunizieren? Hier stellte Prof. Di Fuccia eingangs fest, dass sich mündliche Rückmel- dungen »stärker zu Herzen genom- men werden als eine Klausurnote«. Ein motivierendes verbales »Gut ge- macht!« oder ein »Nun ja, du kannst das nicht!« werden von den Schülern oftmals stärker beachtet als Noten. Zu der Argumentation, dass die ’ver- bale Beurteilung’ mehr Arbeit dar- stelle als die Ziffernnoten hielt Di Fuccia dagegen, dass es die Verwen- dung von Textbausteinen hierfür ge- be. Allerdings selbst schon bei den Grundschulschülern finde die Rück- übersetzung in eine Ziffernnote statt! Das weitere Argument, dass man »bei Verbalbenotung mehr Informationen seitens des Lehrer erfährt«, hält er für falsch: Die Verbalbenotung kom- me nämlich eigentlich zu spät, denn diese müsste innerhalb und nicht am Ende des Lernprozesses erfolgen. Und die Ziffernnoten seien für Arbeit- geber etc. unumgänglich, was ne- benbei der Numerus clausus für die Studienplätze ebenfalls ausweise. Für Prof. Di Fuccia sei deshalb eminent wichtig: Die Frage ’Schule ohne No-
ten’ stelle sich für ihn nicht wegen der Gerechtigkeit, was eher durch ’solide Ziffernnoten’ auf den Punkt gebracht und gewährleistet werde. Wichtig sei allerdings innerhalb des Lernprozesses: Lernhilfe und Rück- meldung seien vonnöten und würden zu gerechter Bewertung führen. Und letztlich bleibe der ’Wert eines Men- schen’ von der Notengebung unbe- rührt. Dies müsse stets vermittelt werden. Nicht die Abschaffung der Ziffernnoten zuguns- ten einer Verbalbenotung Nach diesem sehr grundlegenden und differenzierten Grundsatzreferat ver- trat nun Monika Roth die administrati- ve Seite als Referatsleiterin im Hessi- schen Kultusministerium: Von einer ’Schule ohne Noten’ könne nicht die Rede sein, da die Noten in Hessen nicht generell abgeschafft würden; es gebe lediglich eine Koalitionsverein- barung zu dem jetzt neu vereinbarten Typ ’Pädagogisch selbstständige Schule’ (=PSES), nach der pro Schul- jahr »nur dreißig Schulen hessenweit hierfür aufgenommen werden«, d.h.
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