Blickpunkt Schule 2/2020

In Bezug auf die Differenzierung sprach sie von Stufen des Lernens (nach Hattie) vom Anfänger zum Geübten und zum Fortgeschrittenen. An dem anschaulichen Modell ei- nes Eisberges entwickelte sie die Oberflächen- und Tiefen- struktur von Unterricht (Reusser). Hierbei erläuterte sie, dass es vor allem auf die Tiefenstruktur des Unterrichts an- komme, wobei die Aspekte der ’effektiven Klassenfüh- rung’, der ’inhaltlichen Klarheit’, der ’kognitiven Aktivie- rung’ und die ’Qualität von Feedback’ eine besondere Rolle spielten. Diese Tiefenstruktur des Unterrichts hätten Aus- wirkungen auf die Lernleistungen und Motivation der Schülerinnen und Schüler, wobei auch hier die Differenzie- rung ansetzen solle. Die Lehrkraft solle demzufolge nicht nur die Oberflächenstruktur von Unterricht (organisatori- sche, räumlich-zeitliche Struktur, Unterrichtsmethoden, Sozialformen, Medien) im Blick haben, wenn es darum ge- he, Differenzierungen in puncto Heterogenität der Schü- lerschaft im Unterricht vorzunehmen. Diagnose der Kompetenzen und Lerntypen sowie Trans- parenz bezüglich der Leistungsanforderungen erläuterte die Referentin als Voraussetzungen zum Umgang mit He- terogenität. Die verschiedenen Kompetenzen der Schüler- schaft lieferten hierbei fortlaufend wichtige diagnostische Informationen. An dieser Stelle des Vortrages wurden die folgenden Punkte genauer erläutert: Fachliche Kompetenz (Faktenwissen, fachliches Verstehen), Methodische Kom- petenz (Lerntypus, Selbstständigkeit und die verfügbaren Lernstrategien), Personale Kompetenz (Anstrengungsbe- reitschaft, Kritikfähigkeit), Soziale Kompetenz (Kooperati- ons- und Kommunikationsfähigkeit). Im Folgenden wurden die verschiedenen Lerntypen mit ihren jeweiligen Lernstra- tegien in den Fokus gerückt, wobei grundsätzlich vier Lern- typen (nach Creß & Friedrich) unterschieden werden: der Minmax-Lerner, der Tiefenverarbeiter, der Wiederholer und der Minimal-Lerner. Die Lernstrategien, die generell ver- fügbaren Taktiken, auf die eine Schülerin bzw. ein Schüler zurückgreifen kann, und die Lernorientierung, die Motivati- on, die Anstrengungsbereitschaft und die aufgewendete Lernzeit seien für die Lerntypus-Bestimmung entschei- dend. Zudem stellte Prof. Dr. Bosse in ihrem sehr an der Praxis orientierten Vortrag Aufgabenformate, zum Beispiel mit gestuften Lernhilfen für die Oberstufe (Philosophie, Q1: Staatsutopien – Platon), und Möglichkeiten individueller Leistungspräsentation, etwa im Fach Englisch mit einem e-Portfolio, vor. Im Anschluss an den Vortrag hatten die Tagungsteilnehmer die Möglichkeit, Rückfragen zu stellen bzw. Ergänzungen und Anmerkungen vorzunehmen. Heterogenität – Zugänge aus systemischer Praxis Der zweite Tag der pädagogischen Tagung begann mit ei- nemVortrag Markus Hochbaums , der als systemischer Kinder- und Jugendtherapeut den Zuhörern eine besonde- re Sicht auf die Heterogenität im System Schule eröffnete.

Unsere Andersartigkeit sei der Normalzustand und loh- nenswert, allerdings entstünden aus ihr Schwierigkeiten, wenn sie zur Bedrohung für einen Einzelnen werde, was durch Machtgefüge verstärkt werden könne. Durch ein Beispiel aus der Praxis (ein Schüler widersetzt sich der Aufforderung einer Lehrerin und beleidigt diese vor der Klasse), welches Hochbaum als Rollenspiel inszenierte, aktivierte er die Tagungsteilnehmer, da sie nach ihren Ge- danken zur Szene und zu ihren möglichen Reaktionen so- wie pädagogischen Konsequenzen auf das Fehlverhalten des Schülers befragt wurden. Zahlreich waren die Wort- meldungen zu diesem Praxisbeispiel, die Zuhörer berück- sichtigten hierbei sowohl die Perspektive der betroffenen Pädagogin als auch die möglichen Motive des Schülers für sein respektloses Verhalten der Lehrkraft gegenüber. Hochbaum diente das Beispiel, welches sich wie ein roter Faden durch den weiteren Vortrag zog, zur Verdeutlichung des Systembegriffs nach Luhmann, der davon ausgeht, dass Systeme erst durch Beobachtung entstehen. Die Zu- bzw. Beschreibung liege immer im Auge des Betrachters, je mehr Personen Teil eines Systems seien, desto mehr Reali- täten existierten. Die kommunikativen Muster, denen wir im System Schule gerecht werden, ergäben sich aus der jewei- ligen Kommunikationssituation. Außerdem gehe Luhmann davon aus, dass Kommunikation immer zweckgebunden und anlassbezogen sei, ebenfalls habe sie stets den An- spruch, sinnvoll zu sein. Problematisch sei allerdings, dass das Missverstehen in der sozialen Kommunikation die Re- gel darstelle, das Verstehen dagegen die Ausnahme bilde. Ebenfalls dürfe, so Hochbaum, nicht vernachlässigt wer- den, dass jeder Mensch zusätzlich zu seiner Rolle, die er je nach Kommunikationssystem besitze, ein eigenes ’inner- psychisches System’ im Kopf habe, das ihn in seiner Beob- achtung einer Situation und in seinemTun beeinflusse. Die Beeinflussbarkeit jedes einzelnen Menschen im Sys- tem sowie dieTatsache, dass unser Handeln in einer Kom- munikationssituation von zahlreichen Faktoren abhängig ist, veranschaulichte Markus Hochbaum, indem er das Publikum direkt, in Bezug auf den eingangs erwähnten Fall, mit den Fragen »Wer gehört noch zu unserem System dazu?« und »Wer bekommt die Problemtüte?« konfrontierte. Daraufhin wies er mithilfe der Teilnehmer vielen leeren Stühlen Rollen

14 BLICKPUNKT Schule Berichte

»  Rollenspiel während des Vortrags von Markus Hochbaum

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