Blickpunkt Schule 2/2020
kapazität der Lehrkraft nicht beliebig ausgeweitet werden kann. Bei zu großer Heterogenität ist die Gefahr groß, dass das Curriculummit den Lernzielen nicht erfüllt werden kann. Unterrichtliche Inhalte werden schlichtweg wegge- lassen oder zumindest durch Kürzung stark vereinfacht. Beispiele in unterschiedlichen Fächern zeigen den Niveau- verlust in den letzten zwanzig Jahren deutlich auf. In den Nebenfächern scheint sich stellenweise eine ’Beliebigkeit’ eingestellt zu haben. Die Forderung nach Schülerzentrie- rung darf nicht umgesetzt werden, indem der Unterricht ’leichter’ gemacht wird und somit das Anspruchsniveau abgesenkt wird. Der Ansatz, den Schülerinnen und Schü- lern inhaltlich alles zu ’servieren’, führt in der Mehrzahl der Fälle zu einer ’Bewegungslosigkeit’ der Schülerinnen und Schüler in Bezug auf die geistige Bewegung und fördert ih- re Konsumhaltung. Heterogenität kann eine Bereicherung sein; sie darf aber nicht zu einer Beliebigkeit der Leistungs- anforderungen führen (Absenkung des Niveaus). Beim Übergang von den Grundschulen zu den weiterführenden Schulen sollte der Elternwille nicht unberücksichtigt blei- ben; die Grundschulempfehlung muss zukünftig einen grö- ßeren verbindlichen Stellenwert bekommen. An Universtä- ten werden mittlerweile bei Anfangssemestern Förderkurse für gymnasiale Inhalte eingerichtet. Öfters wird eine Un- terscheidung zwischen Studienberechtigung und Studien- fähigkeit gemacht. In der Arbeitsgruppe wurde auch eine stärkere Förderung der Leistungsspitzen gefordert, da sie oft in sehr heteroge- nen Gruppen nicht im Fokus stehen. Der Blick der Lehrkraft ist aufgrund der Gesamtbedingungen oft auf die ’Mitte der Lerngruppe’ gerichtet. Der Einsatz von leistungsstarken Schülerinnen und Schülern als ’Assistenzlehrer’ im Lehr- prozess ist zu begrüßen; er ersetzt aber nicht die inhaltli- che Förderung zu Spitzenleitungen. In anderen Ländern wie beispielsweise Russland werden gute Schülerinnen und Schüler stärker unterstützt und bekommen sogar Stipen- dien. Der Ansatz »Alle können zu allem gefördert werden« ist falsch. Im Sportbereich käme wohl kaum jemand auf die Idee, dass alle ’kickenden’ Kinder bei entsprechender För- derung in die Fußballnationalmannschaft kommen könn- ten. Die Notenvergabe in der Schule ist zunehmend kritisch zu betrachten. Die Noten für Arbeits- und Sozialverhalten bewegen sich in der Regel nur im oberen Bereich und stel- len eine Entwertung dar. Die Noten im Leistungsbereich werden aus den unterschiedlichsten Gründen nach oben korrigiert (Anzahl der negativen Noten, Durchschnittsnote, Eltern, Schulleitung). Heterogenität liegt nicht nur bei den Schülerinnen und Schülern vor. In manchen schulischen Bereichen ist der Lehrerarbeitsmarkt praktisch leer. Bei Einstellung der benötigten Lehrkräfte (teilweise fehlende Ausbildung und Qualifizierung) liegen oft große Unter- schiede vor. Lehrerkollegien von Schulen werden zuneh- mend heterogener mit allen Vor- und Nachteilen. Folgende Gesichtspunkte werden in der Arbeitsgruppe abschließend zusammenfassend genannt:
• Heterogenität erfordert differenzierte Zugänge im Unterricht. • Im Rahmen der Förderung muss zukünftig insbesondere die Spitzenförderung stärker ausgebaut werden. • Die Verstärkung der Individualisierung im Unterricht fin- det ihre Grenzen, wenn damit das einheitliche Bildungs- ziel (auf der entsprechenden Niveaustufe) des jeweiligen Bildungsganges nicht erreicht werden kann. Die stärkere Ausrichtung auf das ’Konsumentenverhalten’ von Schü- lerinnen und Schülern durch zunehmende Individualisie- rung wird als kritisch erachtet. • Leistungsanforderungen (insbesondere bei Zugängen zu den unterschiedlichsten Bildungsgängen und bei Abschlussprüfungen) müssen landesweit vereinheitlicht werden. Ein weiteres Absenken ist mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler sowie in Bezug auf die wahrzunehmenden beruflichen und gesellschaftlichen Aufgaben abzulehnen. Prof. Dr. Dorit Bosse, Professorin für Schulpädagogik mit dem Schwerpunkt Gymnasiale Oberstufe an der Uni Kas- sel, sprach zumThema ’Umgang mit Heterogenität – Dif- ferenzierung im Unterricht’. Die Referentin ging in ihrem äußerst interessanten Vortrag auf die folgenden vier The- menfelder ein: 1. Differenzierung, 2. Umgang mit Heterogenität – Diagnose und Transparenz, 3. Aufgabenformate, 4. Individuelle Leistungspräsentation. Dabei konnte Prof. Dr. Dorit Bosse, die ursprünglich eine Schullaufbahn eingeschlagen, die Fächer Deutsch und Kunst studiert hat und von Hause aus Studienrätin ist, auf eigene Unterrichtserfahrungen zurückgreifen. Auch heute noch geht sie regelmäßig in Schulen und testet, ob sich die Theorie in der Praxis, sprich vor und mit Schülerinnen und Schülern, umsetzen lässt. Umgang mit Heterogenität – Differenzierung im Unterricht
BLICKPUNKT Schule Berichte
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» Prof. Dr. Dorit Bosse und Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing
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