Blickpunkt Schule 2/2020

Behindertenrechtskonvention dem Grundgesetz untergeordnet ist.

terhin Sonderschulen existieren, deren spezifischer Auftrag ja gerade darin bestehe, durch intensive Förderung in ei- nem eher homogenen Rahmen die gesellschaftliche Inklu- sion ihrer Schützlinge zu befördern. Daraus resultieren fol- gende Thesen: • Spezielles, zum Beispiel die spezielle Schule, als Men- schenrechtsverletzung anzusehen, ist eine ideologische Position, die als solche keine Infragestellung ihrer Prämissen zulässt. • Die Probleme der Inklusion sind sicher nicht nur Über- gangsprobleme, da sie aus unterschiedlichen Erfah- rungswelten resultieren: Weltweit können zum Beispiel Schüler mit schweren psychischen Schäden nicht erfolg- reich inkludiert werden. • Dringend erforderlich sind weitere empirische Forschun- gen und die Trennung vom ’ideologischen Überbau’. Ein Ausblick auf die Probleme der Zukunft zentrierte sich um den Begriff der Dekategorisierung, deren Verfechter ei- ne Auflösung des Behinderungsbegriffes wie auch in der Konsequenz die Aufhebung von Leistungsbegriffen über- haupt verfolgen. In vielen Bundesländern würden zumindest im Grundschulbereich Förderkategorien aufgehoben und durch eine systemische Mittelvergabe ersetzt. Ahrbeck sieht große Probleme überall da, wo »Unterschiede nicht mehr benannt werden dürfen«, wo Auflösung von Kategorien all- gemein und eine Aufweichung von Leistungskategorien im Besonderen propagiert wird, und nannte als Beispiel Bre- men, das zugleich mit der Auflösung von Fördereinrichtun- gen auch die schlechteste Leistungsbilanz aufweise. Dabei habe sich auch ergeben, dass die Abschaffung di- agnostischer Kategorien nicht hilft; die Vorstellung, der Behinderungsbegriff löse sich von selbst auf, wenn Schulen aufnahmefähig sind, resultiere aus einem ideologisch mo- tivierten Irrglauben, ebenso wie die kategorische Forde- rung möglichst weitgehender Individualisierung, die letzt- lich dazu führe, dass eine Klasse in inkompatible Klein- gruppen zerfalle. In der anschließenden lebhaften Frage- und Kommen- tierrunde konnte die Problematik des grundlegenden Wi- derspruches zwischen der allgegenwärtigen Aufforderung zur unterrichtlichen Differenzierung einerseits und dem Verdikt der Benennung von Differenzen andererseits wie auch die sich aus diesemVerdikt ergebende Freisetzung der Bestimmungshoheit darüber, was in Zukunft wie zu hand- haben und zu bewerten sei, nur angerissen werden. Bernd Ahrbecks demnächst erscheinendes Buch ’Was Erziehung heute leisten kann. Pädagogik jenseits von Illu- sionen’ (2020) verspricht eine Vertiefung der Thematik. Arbeitsgruppen: konkrete Ansatz- punkte für die unterrichtliche Arbeit im pädagogischen Alltag ’Förderung der Lesekompetenz in heterogenen Lerngrup- pen’, ’Interkulturelle Kompetenz’ sowie ’Pädagogische He- rausforderungen durch Heterogenität und ihre Grenzen’

• Der Sinn der Konvention ist es, die Lebens- und Lern- situation von Menschen mit Behinderung zu verbessern, und dies erfordert eine behinderungsspezifische Förderung auf möglichst hohem Niveau. • Es gibt fachlich keine einheitlich akzeptierte Definition dessen, was Inklusion ist oder sein kann, die Vorstellun- gen gehen diesbezüglich weit auseinander und der Begriff bietet gegenüber dem der Integration auch keine nennenswerte Ausschärfung. • Die Vertreter einer extremen Auslegung des Begriffes ver- langen ungetrennte Gemeinsamkeit von Anfang an ohne jede Sonderung und jeglichen Ausschluss, fordern, Inklu- sion müsse konsequenterweise in eine ’Schule für alle münden’, während die Begriffsdefinition auf der Ebene von politischemWillen sehr kontrovers diskutiert wird. • In dieser Diskussion existiert auch eine ganz andere Vorstellung des Auftrages zur Etablierung eines inklu- siven Bildungssystems nach der UN-Konvention, der nach Hillenbrand die optimale Erfüllung der Bedürfnisse aller Lernenden an einem bestmöglichen Förderort bedeutet, nicht die Auflösung von Förderschulen, die auch von der UNESCO nicht gefordert wird. • Aus bildungssoziologischer Sicht existiert ohnehin längst ein inklusives Schulsystem gemäß § 24, denn das Bildungsrecht für alle sei bereits erfüllt: »Wir grenzen heute niemanden mehr wegen ’Bildungsunfähigkeit‘ aus der Schule aus.« (Tenorth 2013) • Aus einer Untersuchung, die Ahrbeck 2015 in Nordrhein- Westfalen durchgeführt hat, ergibt sich, dass einerseits Eltern insgesamt, d.h. zu 90 Prozent eine positive Grundhaltung zum ’Gemeinsamen Lernen’ haben, ande- rerseits sich über 89 Prozent für den Erhalt von Förder- schulen aussprechen, bei langjährigen Erfahrungen mit der gemeinsamen Beschulung sogar noch mehr. • Ein Blick über die Landesgrenzen ergibt, dass zum Bei- spiel in Skandinavien und England eine Trendumkehr hin zu mehr Fördereinrichtungen zu beobachten ist. Über Ideale, Menschenrechte und Empirie Im zweiten und dritten Teil seines Vortrages ’Über Ideale, Menschenrechte und Empirie’ bzw. ’Dekategorisierung’ stellte Prof. Ahrbeck folgende Thesen in den Raum: • Gegenwärtig verbinden sich mit der Inklusion die größ- ten moralisch-politischen Ansprüche und die höchsten pädagogischen Versprechen, wie der Bildungshistoriker Heinz-Elmar Tenorth formuliert. • Jede differenzierte Gesellschaft besteht aus einer Fülle partieller Inklusion wie partieller Exklusion. Somit stellt auch eine Sonderbeschulung keinen totalen Ausschluss aus der Gesellschaft dar. Ahrbeck selbst ist laut eigener Aussage »für mehr gemein- same Beschulung«, hält es aber für unerlässlich, dass wei-

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