Blickpunkt Schule 1 2025
! Das ist Teil des Problems. Häufig wird Antisemitismus als Streit zwischen Schülerinnen und Schülern bagatellisiert oder relativiert, er wird nicht ernst genommen. Damit wird auch das Kind, das Antisemitismus erfahren hat, nicht erst genommen. OFEK Hessen berät Betroffene, ihre Familien sowie Zeuginnen und Zeugen von antisemitischer Gewalt und darü ber hinaus auch Bildungseinrichtun gen und Organisationen beim Aufbau von Strukturen gegen Antisemitismus. ? Welche weiteren Kompetenzen braucht es für das Handeln gegen Antisemitismus? ! Die sozialen Medien sind ein gro ßes Problem. Wir erleben hier seine gesamte Bandbreite – es ist ein wah rer Tsunami, von Judenwitzen bis zu gezielten Aufrufen zur Gewalt an Ju den. Die Vermittlung von Medienkom petenz und der Einfluss von Social Media müssen daher zwingend mitge dacht werden, denn hier werden die Jugendlichen den meisten und hef tigsten antisemitischen Narrativen ausgesetzt. Die Erlangung von Me dien- und Informationskompetenz gilt übrigens nicht nur für Schülerinnen und Schüler, sondern auch und erst recht für Lehrkräfte. Das Interview führte Thorsten Rohde, stellvertretender Landesvorsitzender des hphv 1 Hier kann auf folgende Publikationen verwiesen werden: • Martin Liepach/Wolfgang Geiger: Fragen an die jüdische Geschichte. Darstellungen und didaktische Herausforderungen (2014) • Martin Liepach/Dirk Sadowski: Jüdische Ge schichte im Schulbuch. Eine Bestandsaufnah me anhand aktueller Lehrwerke (2014) • LBI-Kommission für die Verbreitung deutsch jüdischer Geschichte: Deutsch-jüdische Ge schichte im Unterricht. Eine Orientierungshilfe für Schule und Erwachsenenbildung (2003) 2 https://www.kmk-zentralratderjuden.de/ 3 Siehe https://www.swk-bildung.org/veroeffent lichungen/demokratiebildung-als-auftrag-der schule-bedeutung-des-historischen-und-politi schen-fachunterrichts-sowie-aufgabe-aller-fa echer-und-der-schulentwicklung/ 4 https://jugend-und-bildung.pageflow.io/tole rant-statt-ignorant#274145 5 https://www.zentralratderjuden.de/fileadmin/ user_upload/KMK/2021-06-10_Gemeinsame_ Empfehlung-Antisemitismus_ohne-Signatur.pdf
kommen und die Vorfälle sich manch mal unterhalb der Strafbarkeitsgren ze befinden. Damit wird Antisemitis mus in seinen Anfängen bagatellisiert und normalisiert und das Signal ge sendet, dass Hate speech in Ordnung ist. Bei jüdischen Schülerinnen und Schülern entsteht der Eindruck, nicht relevant, gleichwertig oder schützens wert zu sein. Juden wissen jedoch aus der Geschichte, dass den Worten von Judenhassern physische Taten folgen, deswegen nehmen sie solche Symbo lik sehr ernst. ? Welchen Irrglauben gibt es in Bezug auf Antisemitismus in Bildungseinrichtungen? ! Schulen sind häufig der Meinung, dass bei ihnen kein Antisemitismus existiert, weil es scheinbar keine jüdi schen Schülerinnen und Schüler gibt. Dem ist nicht so. Antisemitismus ent steht nicht in leeren Räumen, sondern greift auf bestehende Denkmuster zurück. Judenfeindliche Narrative wa ren nicht plötzlich weg, nur weil sie nach 1945 im öffentlichen Raum ge ächtet wurden. Sie konnten in den Köpfen und Strukturen fortbestehen und bewusst oder unbewusst an die nächsten Generationen weitergeben werden. Daher sollte Antisemitismus immer bekämpft werden, auch wenn ver meintlich keine Betroffenen anwe send sind. Antisemitismus wirkt in die Gesellschaft hinein und ist demokra tiezersetzend – dafür braucht er kei ne Präsenz von Juden. Besonders gut kann man dies auf der Ebene der Verschwörungsideologien beobach ten, bei Erzählungen über mächtige Gruppen, die die Gesellschaft und Politik vermeintlich im Hintergrund lenken. Diese Narrative sind sich in ihren Mustern sehr ähnlich und die Gruppen sind beliebig austauschbar, wobei Juden nicht selten als ‘Super verschwörer’ gelten. Das unterschei det den Antisemitismus übrigens auch vom Rassismus. Denn der Ras sismus beruht vor allem auf Abwer tung. Es ist von großer Bedeutung, anti semitische Äußerungen und Vorfälle
als solche zu benennen. Antisemitis mus zeigt sich in seiner Wirkung auf die Betroffenen, deshalb darf er nicht verharmlost und als jugendlicher Leichtsinn oder Provokation abgetan werden. Gerade für die Betroffenen ist es wichtig, ernstgenommen zu wer den. Zudem muss bei jedem antisemi tischen Vorfall interveniert werden. Man darf nicht wegschauen oder weghören. Bagatellisierung von Anti semitismus oder gar Verständnis für antisemitische Aussagen normalisie ren ihn. ? Welche konkreten Maßnahmen ergreifen Schulen, wenn antise mitische Vorfälle gemeldet werden? ! Leider sehen wir, dass häufig gar keine Maßnahmen ergriffen wer den. In Hessen gibt es seit 2018 eine Meldepflicht für antisemitische Vor fälle, die dem Schulamt gemeldet werden müssen. Das gibt es sonst nur noch in Baden-Württemberg und Ber lin. Allerdings ist häufig nicht festge legt, wie eine Meldung zu erfolgen hat, auch fehlt es zwölf Monate nach dem 7. Oktober immer noch an vielen Orten an Notfallkonzepten bzw. Handlungsplänen für den Umgang mit Antisemitismus. Grundsätzlich muss antisemitische Diskriminierung von der Schulaufsicht konsequent geahndet werden und darf nicht erst bei der Strafbarkeits grenze beginnen. Außerdem ist für eine Meldung elementar, Antisemitis mus überhaupt zu erkennen. Hier ist noch viel Luft nach oben. Nicht nur Lehrkräfte, auch Schulleitungen müs sen darin geschult werden, Antisemi tismus in all seinen Erscheinungs- formen zu entlarven. Gibt es einen konkreten Fall von Antisemitismus in der Schule, muss adäquat pädago gisch darauf reagiert werden: Wenn sich eine Schülerin oder ein Schüler israelbezogen antisemitisch äußert, sollte nicht mit einem Gedenkstätten besuch reagiert werden. ? Welche Unterstützung erhalten betroffene Schülerinnen und Schüler nach antisemitischen Vor fällen?
Titelthema
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SCHULE
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