lehrernrw 6 2022

ANGESPITZT

Das Lüftungs-Dilemma

EE s mangelt in diesen Tagen ja nicht an wohlmeinenden Ratschlägen von Mandatsträgern, die mit missiona rischem Eifer Energiespartipps unters Volk bringen. Der Waschlappen und der Zweitpullover lassen grüßen. Lehrkräfte und Schüler können darüber nur müde lächeln. Gestählt durch zwei Corona Winter, in denen die durchschnittliche Klassenraumtemperatur dank heroischen Stoßlüftens zwischen 15 und 16 Grad pendelte, sind sie der Energiesparkolonne Kretschmann/ Schäuble meilenweit voraus. Belustigt nimmt man in den Schulen zur Kenntnis, dass fürsorgliche Bil dungspolitiker eiligst versichern, dass Bildungseinrichtungen zu den ‘ge schützten Kunden’ bei der Gasversor gung gehören. Soll heißen: Niemand muss frieren. Echt jetzt? Gut, dass das nordrhein-westfälische Schulministeri

um energischst auf die arbeitsschutz rechtlichen Vorgaben zur Sicherstellung einer ‘gesundheitlich zuträglichen Raumtemperatur’ verweist, hübsch de koriert mit ein paar Paragrafen aus der Arbeitsstättenverordnung. Für Klassen- und Unterrichtsräume ist danach »eine Mindesttemperatur von +20 Grad Cel sius bei leicht sitzenden Tätigkeiten der Beschäftigten wie der Schülerinnen und Schüler als ausreichend anzusehen«. Klingt heimelig. Dumm nur, dass wir es im kommenden Winter nicht nur mit einem Mangel an Gas, sondern auch mit einem Überschuss an Corona-Viren zu tun haben werden. Und so mahnt der fürsorgliche Dienstherr zugleich an, dass neben dem Energiesparen auch regelmäßiges Stoßlüften das Gebot des Winters ist. Das ist ein klassisches Di lemma: Fenster zu gegen Putin oder Fenster auf gegen Corona?

Das ließe sich natürlich trefflich als philosophischer Exkurs in den Unter richt einbinden. Oder man handhabt die Sache pragmatisch – so wie das Schulministerium, das uns mit einem physikalischen Exkurs überzeugen möchte: »Bei einer Stoßlüftung sinkt die Temperatur im Raum nur kurzfris tig um zwei bis drei Grad Celsius und wird durch die in Wänden, Decken und Böden gespeicherte Wärme schnell wieder ausgeglichen. Gesundheits schäden durch eine kurzfristige Unter schreitung der Raumtemperatur wäh rend der erforderlichen Lüftungspau sen sind der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung bislang nicht be kannt.« Man muss halt nur dran glauben – oder vielleicht doch besser zum Zweit pullover greifen. Jochen Smets

lehrer nrw · 6/2022 30

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