Profil 9/2025
PROFIL // Begegnungen
ben, stellen Sie hier einen Zusam menhang her zu dem Satz: „Wie die Nacht mit Autobahnfernver kehrsrauschen nach Atem ringt“ von der Poetry Slammerin Theresa Hahl. Sie betonen auch den Rhyth mus sehr, etwa, wenn Sie Goethes „Erlkönig“ zitieren: „Wer reitet so spät durch Nacht und Wind …“. Prof. Dr. Kaehlbrandt: Ja, hier bildet das Metrum den Doppelschritt des Pferdes nach. Warum geht das? We gen der geschlossenen Silben, die auf einen Konsonanten enden! Sie sind ja Teil des Klangbildes des Deutschen – des vielgeschmähten. Immer wieder gibt es in der Kulturgeschichte der deutschen Sprache Lästerungen im In- und Ausland über den harten Klang der Konsonanten (aber auch Lob für die dunklen Langvokale). Festzuhalten ist: In dem Verhältnis von Vokalen zu Konsonanten liegt das Deutsche im Mittelfeld. Es hat überraschenderweise mehr Vokale als das Italienische. Allerdings weist es mehr konsonantisch geschlossene Silben auf. Doch die geschlossenen Silben sind keine Grille der Evolution, sondern sie haben ihren guten Sinn. Durch sie lässt sich nämlich die Wort grenze bei den tausenden zusam mengesetzten bildlichen Wörtern des Deutschen erkennen: Nehmen Sie „Herbst-zeit-lose“ oder „Abend-son nen-schein“. Der Romanist Harald Weinrich hat diesen Zusammenhang einmal so benannt: „Schönheit für den Verstand.“ Aber ich meine, Schön
heit durchaus auch fürs Ohr, wenn Sie an Komposita wie „Nebelglanz“ und „Waldeinsamkeit“ denken. Das Klang bild mag insgesamt konsonantischer sein als in manch anderer Sprache, aber es gibt der deutschen Sprache auch besondere Möglichkeiten in der Wortbildung und im Metrum. dungsbürgerlichem Hochmut – moderne Ausdrucksweisen wie Poetry Slam verachten oder aus grenzen … Prof. Dr. Kaehlbrandt: Nein, das wäre auch ganz falsch. Poetry Slam ist Bühnendichtung vor Publikum, vorwiegend für junges Publikum. Die Texte sind häu fi g komisch und poin tenreich, manchmal aber auch sehr nachdenklich. Es heißt bei Bas Bött cher: „Und lerne ich die Sprache neu kennen, dann lehrt mich die Sprache, mich neu zu kennen.“ Schön gesagt! Die Sprache prägt uns, und sie hat eine prägende, bereichernde Wir kung auf Menschen, die sie neu ler nen wollen. arten nicht von sich schieben als Artikulationsform gesellschaftlich niedriger stehender Menschen. Prof. Dr. Kaehlbrandt: Wenn es ei nes Beweises bedarf, dass das Deut sche durchaus eine melodische Spra che ist, dann sind es seine Dialekte. Denken Sie an den von großen Ton- ? Pro fi l: Sie gehören außer dem zu denen, die Mund- ? Pro fi l: Uns ist aufgefallen, dass Sie nicht – etwa aus bil-
28 PROFIL // 9/2025 Mit Prof. Dr. Roland Kaehlbrandt sprach auf Gut Siggen in Ostholstein Walter Tetzlo ff . en Werkes und für die Motivation, die sich daraus für den Umgang mit der deutschen Sprache ableiten lässt. Wir wünschen Ihnen Erfolg! höhenunterschieden geprägten köl schen Dialekt („Also sujet. Dat jiddet doch ja nit.“) oder an die au ff älligen Langvokale des Frankfurterischen („Mer waas es net.“). Noch haben wir die vielen schönen Mundarten, sie sind ein Schatz! Doch wenn es um Melodie und Sangbarkeit der Sprache geht: Allein das deutsche Lied be zeugt die ausgezeichnete Sangbarkeit der Sprache durch die Jahrhunderte, bis hin zu Grönemeyers berühren dem Lied „Der Weg“. britannien und in den Niederlan den, eine Humorlosigkeit nach – zu Unrecht, wie ich fi nde. Prof. Dr. Kaehlbrandt: Tatsächlich haben wir eine jahrhundertelange Tradition in komischer Lyrik bis in un sere Zeit. Denken Sie allein an Robert Gernhardt. Auch der Sprachwitz ist im Deutschen sehr lebendig. Heraus ragend einfach und komisch der folgende Sprachwitz von Harald Schmidt: „Der Klügere kippt nach.“ Pro fi l: Zum Schluss die Frage nach der Hauptintention, die Sie mit Ihrem neuesten Buch verfolgen, gegenüber Eltern, jungen Menschen und Lehrkräften etwa. Prof. Dr. Kaehlbrandt: Erstens: Das Deutsche ist durch seine Anlagen zur Schönheit begabt. Es ist mitnichten eine hässliche, unmelodische Spra che. Zweitens: Aus der empirischen Ästhetik wissen wir: Kunstvolle Spra che wirkt schön. Deswegen: Mut zur Schönheit! ? ? Pro fi l: Uns Deutschen sagt man gern, gerade in Groß- Pro fi l: Wir danken Ihnen für diese Vorstellung Ihres neu- ?
Mit Pro fi l Redaktionsleiter Walter Tetzlo ff im Gespräch
Foto: Kobs
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