Profil 7-8/2024

PROFIL // Titel

lebenslang geprägt hat, und das er zählerische Talent, das sich in der eingenommenen Perspektive eines Jungen ausdrückt, der entbehrungs reich, aber gestärkt durch die Liebe seiner Mutter, aufwächst, gehen in dem Jugendroman „Emil und die Detektive“ (1929) eine wunderbare Synthese ein. Emil wird bekanntlich zum Opfer eines Diebstahls im Zug von Dresden nach Berlin, und bei der Verfolgung des Diebes in den Straßen der Hauptstadt zur Zeit der Weimarer Republik gelingt es ihm nicht nur, den Täter zu schnappen, sondern erfährt auch noch eine neue Form der Sozialisation, hier durch eine lebensnah beschriebene Clique Berliner Großstadtgören. Ein Buch von zeitloser Aussage und unterhaltender Spannung, so dass sein anhaltender Erfolg eigentlich nicht verwundert. Erich Kästner fühlte sich jedenfalls motiviert, weitere Kinderbücher zu schreiben. „Das fl iegende Klassen zimmer“ (1933) über zwei rivalisie rende Schülergruppen ist von über raschender Aktualität, weil hier In ternatsschüler mit Realschülern an einander geraten, und von keines wegs überholter Sozialkritik ist ,Pünktchen und Anton’ (1931), das von der Freundschaft zweier Kinder aus sehr unterschiedlichen Schich ten bzw. Milieus erzählt. Trotz sei nes heiteren und komödiantischen Plots ist auch ,Das doppelte Lott chen’ (1949) nicht frei von Gesell schaftskritik, die hier Scheidungs kinder und alleinerziehende berufs tätige Mütter in den Vordergrund stellt und deren Lebensform in der Nachkriegszeit enttabuisiert. Die Erscheinungsjahre der genann ten Kinderbücher zeigen es be Weltruhm für den Kinderbuchautor

reits: Die dunklen Jahre des Natio nalsozialismus bedeuteten für Kästner ein Publikationsverbot. Der beliebte Schriftsteller musste 1933 Bücherverbrennungen mit erleben (auch die seiner Werke) und, wenn er denn veröffentlichen wollte, auf Pseudonyme zurück greifen. Hier wird bereits ein entscheiden des Merkmal seiner Biographie deutlich. Kästner ( wie auch Ger hart Hauptmann) fl oh vor persönli chen Repressalien nicht ins Aus land, wie Thomas Mann, Bertolt Brecht oder so viele andere Kultur scha ff enden, sondern hielt die kul Kein Weg ins Exil

turelle Barbarei der Diktatur aus. Widerspruchsfrei war Kästners Le ben und Wirken in den zwölf Jahren der NS-Herrschaft nicht! Er arran gierte sich insofern mit den Ver hältnissen, als er als begabter Ver fasser von Drehbüchern für zum Teil anspruchslose Unterhaltungs fi lme und auch aufgrund von Ver lagseinkünften aus dem Ausland, die man ihm ließ, ein Leben nicht ohne materielle Annehmlichkeiten führte. Andererseits musste er Ver haftungen durch die Gestapo erle ben und o ffi zielle Di ff amierungen hinnehmen, da seine vor 1933 ver ö ff entlichten Werke des propagier ten heroischen „deutschen Geistes“ völlig entbehrten (Goebbels) und sein Bekenntnis zu sozialistischen

Foto Trier

Die bekannte Illustration zu ,Emil und die Detektive’ von Walter Trier

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