Gymnasium Baden-Württemberg 11-12 2019

Glosse

Das Qualitäts(verlust)konzept oder: Wie man funktionierende Strukturen zerstört

Bild: oatawa/AdobeStock

Geschickter hätten es die Geg- ner der Bildung nicht planen können: Ein nahezu perfekter Coup, um ein seit Jahren be- währtes System lahmzulegen. W as man dazu braucht: eine am- bitionierte politische Führung, die ein (vermeintliches) Defizit entdeckt hat, ein praxisfernes Pla- nungsgremium, das über wenig Mit- tel verfügt. Diese unwillige Verwal- tung, die vor allem sieht, was sie zu verlieren hat – diese lasse man meh- rere Jahre tagen, möglichst ohne dass die von der Veränderung Betroffe- nen dabei zu Wort kommen. Dann entsteht das sogenannte Q-Konzept: ein so neues wie verzichtbares Büro- kratiemonster, eine zusätzliche admi- nistrative Ebene, die zunächst vor al- lem über einen Briefkopf verfügt, bei der wertvolle Kompetenzen zu er- probten Arbeitsabläufen nicht wei- tervermittelt werden können, denn viele Stellen sind gar nicht besetzt, und bei der kompetente Fachberater auf einen Teil ihrer Fähigkeiten re- duziert werden, womit verhindert wird, dass die Ämter in gewohnter Weise funktionsfähig bleiben und in

gewohntem Umfang Fortbildungen stattfinden können. Um die Verwirrung zu multiplizie- ren, werden einem der neuen zentra- len Institute noch diverse Regional- stellen untergeordnet, deren Leitung man vorerst unbesetzt und deren Struktur man weitgehend in der Schwebe lässt. So geht auch der Kon- takt zu den Beamten, die diesen Stel- len zugeordnet wurden, verloren. Besonders geschickt erscheint der Schachzug, diese Scheinreform genau dann durchzusetzen, wenn die Struk- tur des Abiturs gerade verändert wird und viele Kolleginnen und Kollegen Fortbildungsbedarf haben. Damit die Fortbildungen, die dennoch angebo- ten werden, von möglichst wenig Kol- leginnen und Kollegen besucht wer- den können, installiert man ein ’ver- bessertes’, tatsächlich jedoch dys- funktionales digitales Anmeldesys- tem, das zum Zeitpunkt der Frei- schaltung nicht nur nicht funktioniert (’Anlaufschwierigkeiten’), sondern bei dem die Kolleginnen und Kolle- gen, die trotz aller Widrigkeiten den Anmeldeprozess erfolgreich durch- laufen haben (oft indem sie einfach beim Fortbildner anrufen), nicht über ihre Zulassung zur Teilnahme infor-

miert werden. Eine Mail an Teilneh- mer wäre zu viel des Aufwandes – sonst würden diese ja tatsächlich fort- gebildet werden. Das zentrale Institut wird dann rechtzeitig vor, nein: kurz nach der In- betriebnahme unter Wasser gesetzt. Doch halt! Das war höhere Gewalt. Es kursieren allerdings Theorien, dass hinter dieser scheinbar unver- bundenen Strategie ein langfristiger Masterplan steckt: angefangen mit der Verkürzung der gymnasialen Schul- zeit über die Verlängerung der Leh- rerarbeitszeiten und die Niveaunivel- lierung mithilfe der entfallenen Grundschulempfehlung bis hin zur meisterhaft durchgeführten Zerschla- gung der über Jahre mühsam errichte- ten Fortbildungsstrukturen. Und jedes Mal hat sich ein Politiker dabei profi- liert – auf Kosten der Schülerinnen und Schüler, der Lehrkräfte, der Bil- dung. Und jedes Mal hat dieser Politi- ker die auszulöffelnde Suppe zurück- gelassen. Wie gesagt: Geschickter hätten es die Gegner der Bildung nicht planen können. Dieter Grupp Stand: November 2019 – als unverbesserlicher Optimist wagt der Autor zu hoffen, dass der Coup nicht gelingt.

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