Blickpunkt Schule 4/2024

Visionssuche – probates Mittel zur Lehrer- gesundheit, Burnout-Prophylaxe und Sinnfindung

Aus der Supervisions- arbeit für Lehrkräfte Bei meiner Tätigkeit als Supervisor be treue ich vor allem Lehrkräfte um die fünfzig Jahre. Sie haben in der Regel bereits über zwanzig Jahre Schul dienst hinter, aber eben noch gut fünfzehn Jahre vor sich. Die meisten von ihnen fühlen sich erschöpft und in einen oder mehrere Konflikte verwi ckelt, die Kraft kosten, Energie rauben und die ursprüngliche Motivation für den Lehrberuf radikal infrage stellen, wie folgende Situationen exempla risch zeigen können: Großer Ärger mit den Eltern eines Drittklässlers, die sich erdreisten, die Lehrerin wegen einer Probe im Fach Religion anzugreifen. Der Grund: Ihr Sohn erreichte nur die Note 2 statt der erwarteten Note 1! Das lässt die Lehrerin, die einen engagierten und umsichtigen Un terricht hält, schier verzweifeln, da die Eltern deswegen auch noch bei der Schulleitung vorgesprochen und die Lehrerin dort schlecht- gemacht haben. Permanente Unruhe in einer 9. Klasse am Gymnasium im Fach Mathematik. Der Lehrer, ausgebil det als Diplom-Mathematiker, be kommt die Pubertätsklasse mit ho hem Jungenanteil einfach nicht in den Griff. Gedanken, nicht mehr le ben zu wollen, kommen immer öf ter in ihm hoch. Was soll er nur tun? Unlösbar erscheinender Konflikt mit der Vizechefin, die zugleich Fachkollegin in Deutsch an der Re alschule ist. Die Lehrerin kann oft nicht mehr abschalten, auch am Wochenende nicht. Ihre Gedan kenmühle dreht sich die ganze Zeit. Das belastet sie selbst emotional und auch ihre Familie immer mehr. Diese Reihe an Konfliktsituationen könnte fast beliebig fortgesetzt wer den. In der Arbeit mit meinen Super- → → →

Gastbeitrag

den im Lehrberuf, wenn sich Situatio nen wie die obigen ergeben, man aber nicht die Kraft oder das rechtzeitige Einsehen in die Notwendigkeit einer begleitenden Hilfe hat. Ein Burnout kann die Folge sein. Das Aufbrechen von Sinnfragen in der Mitte des Berufslebens Meine Erfahrung aus der langjährigen Arbeit als Supervisor ist es jedoch, dass sich für nicht wenige Lehrkräfte gerade in einem Alter um die 50 – oft ausgelöst durch einen schulischen Konflikt – grundlegende Sinnfragen stellen: Was habe ich in den vergangenen 20 oder 25 Jahren als Pädagoge schon erreicht? Was ist mir gut gelungen, was ist mir misslungen? Welche Konflikte mit Schulleitern, → → → einzelnen Schülern, ganzen Klassen oder mit Eltern haben mich viel Kraft gekostet? Wie soll es die nächsten 15 Jahre bis zu meiner Pensionierung wei tergehen? Spüre ich überhaupt noch genügend Energie, dies zu schaffen? Welche Projekte will ich noch verwirklichen, was gibt mir jetzt gerade Motivation? Welche Ziele strebe ich für den Rest meiner Dienstjahre noch an? Gibt es eine höhere Position im Schulsystem, die ich noch errei chen könnte? usw. Um diese beruflichen Fragen und Überlegungen zur weiteren Lebens gestaltung und Lebensplanung für sich klären zu können, ist oft eine Auszeit dringend nötig. Manche Lehr kräfte bemühen sich daher rechtzeitig um ein sogenanntes ‘Sabbatjahr’. Ich kenne einige Pädagogen * , die sich ei ne derartige Auszeit genommen ha- → → →

Der Autor

Peter Maier ist Gymna siallehrer, Supervisor, Jugend- Visions- suche-Leiter und Autor

visanden geht es dann natürlich zu nächst darum, konkrete Lösungen zu diesen scheinbar rein schulischen Fra gen und Problemen zu finden. Fast immer liegt das Problem jedoch viel tiefer: Grundlegende Lebensfragen tauchen auf, die nach einer Antwort drängen. Obwohl gar nicht beabsich tigt, gerate ich in den meisten Super visionsprozessen in die Rolle eines Le bensberaters, Psychologen oder Seel sorgers. Gar nicht so selten zeigt es sich, dass unter den äußeren schulischen Konflikten ungelöste Erlebnisse oder ungeheilte Emotionen »von früher«, d.h. aus Kindheit und Jugend liegen können. Die momentanen Probleme, weswegen die Lehrkräfte in die Super vision gekommen sind, sind zwar Aus löser, aber nicht die tieferen und ei gentlichen Ursachen. Insofern ist der Lehrberuf, bei dem man es mit Kin dern in der Entwicklung und Jugend lichen in der Pubertät zu tun hat, eine sehr exponierte und herausfordernde Profession. Denn mit zielgenauer Treffsicherheit erwischen die Schüler die wunden Punkte und drücken die berühmten ‘rote Knöpfe’, die jeder von uns Lehrkräfte hat – einfach des halb, weil wir Menschen sind. Dies hat Vor- und Nachteile. Stellt man sich den aufgebrochenen The men und persönlichen Fragestellun gen in einer Supervision oder in einer (Psycho-)Therapie, kann dies zur per sönlichen Weiterentwicklung beitra gen. Gefährlich kann es jedoch wer

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