Blickpunkt Schule 3/2023
Drei Jahre nach Corona – und nun? A ls Corona uns 2020 reichlich unvorbereitet traf und in der Folge Präsenzunterricht an eingebracht haben. Andere verfügen selbst über Kenntnisse oder konnten
muss ein Umdenken auf ganz ande ren Ebenen stattfinden. Schule kann einen Beitrag leisten, aber nicht die Lösung liefern und nicht in dem Ma ße in die Verantwortung genommen werden, wie es vielerorts in der öffentlichen Diskussion geschieht. Eine zweite Schiene ist die Frage nach den psychosozialen Auswirkun gen. Es wird gern und viel von der Rückkehr zur ‘Normalität’ gespro chen, aber was ist denn die Realität? Was beobachten wir denn bei unse ren Mitmenschen, was beobachten Lehrkräfte im Verhalten ihrer Schü lerinnen und Schüler? Was beobach ten Eltern bei ihren Kindern, Ärztin nen und Ärzte bei ihren Patientinnen und Patienten? Diesen Punkten muss nachgegangen werden. Die Gesamtheit der Ereignisse, die in Einzelfällen mit schmerzhaften Ver lusten einher gegangen sind, ent spricht gemessen an dem weitge hend sorgenfreien Leben der letzten Jahrzehnte durchaus einer Grenzer fahrung, und für manche Menschen kann, ja muss man sie möglicher weise als Trauma ansehen. Auf die Ergebnisse möglicher Studien hierzu darf man gespannt sein. So verständlich der Wunsch nach der Rückkehr zum ‘Vorher’ sein mag, so unvernünftig ist er. Wir müssen aus dieser Erfahrung lernen, Vorsor ge für Ernstfälle treffen, politisch Verantwortliche ihre Verantwortung dafür ernst nehmen und gegen die Tendenz zu kollektivem Vergessen arbeiten. Wir müssen lernen, dass Prävention und Vorhaltung von In frastruktur (von der FFP2-Maske über Krankenhausbetten bis zu Be atmungsgeräten) und Ausbildung von sowie pfleglicher Umgang mit Fachkräften in nahezu allen Berei chen, die unseren Alltag am Laufen halten, unverzichtbar sind. Es sollte also keine Rückkehr zur Normalität angestrebt werden, sondern ein Auf bruch in eine neue Normalität unter dem Motto ‘Wir-haben-dazuge lernt’. Renate Kaiser
auf private Unterstützung zurück greifen. Manche waren aber auch überfordert, sei es in technischer Hinsicht oder, wie so viele, durch die familiäre Situation, oft auch durch beides. Letztere bekamen dann auch prompt die Kritik ab: Sie hätten sich verweigert, seien ewig gestrig etc. Für die Gründe interessiert sich dann kaum jemand und die so oft wieder holte Forderung, man solle Schüle rinnen und Schüler abholen, wo sie sind, findet hier leider keine Anwen dung. Dabei wären alle Verantwort lichen, auf welcher Ebene auch im mer, gut beraten, deutlich achtsa mer und fürsorglicher mit der Res source ‘Lehrkraft’ umzugehen, denn sie ist knapp! Wie geht man nun mit dem um, was nach den Phasen des Distanz unterrichts vorgefunden wurde? In der öffentlichen Diskussion habe ich zwei Schienen beobachtet. Eine Schiene ist die Forderung, die Digita lisierung voranzutreiben. Das scheint nicht so richtig zu funktionieren. Die Infrastruktur professionell (also nicht wie bisher nur auf Lehrkräfte an den Schulen gestützt) auf- bezie hungsweise auszubauen, ist perso nal-, kosten- und zeitintensiv, die Aufrechterhaltung und ständige Ak tualisierung auch. (Die wirtschaftli chen Folgen der Pandemie an sich wurden schließlich längst nicht auf gefangen und der Krieg in der Ukrai ne mit seinen sich langsam abzeich nenden dramatischen Folgen ist hin zugekommen.) Nun ist Digitalisie rung auch kein Allheilmittel, im Ge genteil, es lauern viele Gefahren, und mit der zunehmenden Komple xität und Raffinesse der Algorithmen werden Schutz- und Kontrollmecha nismen sicher auch weiterhin nicht Schritt halten können. Es ist eine ab solute Illusion, von allen Lehrkräften zu erwarten, jederzeit auf dem Stand der Entwicklung zu bleiben. Das ist schier menschenunmöglich. Hier
52 Zur Diskussion SCHULE
den Schulen zeitweise fast vollstän dig unterbleiben musste, befeuerte dies die bereits lange Zeit mehr oder weniger latent geführte Diskussion um den Stand der Digitalisierung in diesem Bereich (wie in vielen Berei chen des öffentlichen Dienstes ins gesamt). Die Alternative ‘Distanzun terricht’ – der zu jenem Zeitpunkt einzig gangbare Weg – erzeugte ei ne neue Dynamik. Während bis dahin die Einbindung und Nutzung der Möglichkeiten digitaler Tools und Ressourcen in erster Linie im Kontext des Präsenzunterrichts betrachtet wurden, gab es nunmehr die zusätz liche Herausforderung der Kommu nikation aus der Distanz. Darauf war weder die schulische Infrastruktur noch die Gesamtheit der handeln den Personen vorbereitet. Ergo, es wurde viel improvisiert, mal glückli cher, mal weniger glücklich. Und na türlich kamen nicht alle mit, weder aufseiten der Familien noch der Leh rerschaft. Gut drei Jahre sind nach dem ers ten Lockdown vergangen. Drei Jahre, während derer ich als ehemalige Lehrerin und Ausbilderin anteilneh mende Beobachterin war und noch bin. Die Bandbreite dessen, was mir erzählt wurde, ist so vielfältig wie die Persönlichkeiten, die mich an ihren Erfahrungen, Sorgen und Gedanken teilhaben ließen und weiterhin las sen. Keineswegs im wissenschaftli chen Sinn repräsentativ, aber varian tenreich genug, um ein vielschichti ges Bild zu erzeugen. Es ist mir wich tig vorauszuschicken, dass aus nahmslos alle Lehrkräfte, mit denen ich Kontakt hatte, sich der Aufgabe zu stellen bereit waren. Einige konn ten auf Unterstützung aus dem be ruflichen Umfeld zurückgreifen, es gab Personen in Schulleitungen und Kollegien, die ungemein versiert in technischen Fragen sind und ihre Kompetenzen unermüdlich helfend
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