Blickpunkt Schule 2/2023
dass Rechtsstaatlichkeit und Gewal tenteilung im nachsowjetischen Russ land nicht richtig eingeübt wurden. Demokratie verlangt eben nach einer inneren stabilen Ordnung und nach Rechtssicherheit, die den Frieden ga rantiert und eine Institutionenord nung praktiziert, die demokratischen Anforderungen entspricht. Eine demokratische politische Kul tur zu entwickeln, setzt eine Werte vermittlung voraus, die klassischer weise mit dem Stichwort politische Bildung verbunden wird. Etwas Ähnli ches wie der amerikanische Reeduca tion-Ansatz im Nachkriegsdeutsch land hätte in Russland nach 1991 eine große Aufmerksamkeit finden müs sen. Die Entstalinisierung zu reflektie ren, blieb bald nur Organisationen wie Memorial vorbehalten. Und die Um stände der Jelzin-Ära ließ Bereiche rungsentwicklungen zu, aus denen oligarchische Strukturen entstanden, die dann von den Silowiki um Putin kontrolliert wurden. Vor diesem zeitgeschichtlich aktu ellen Hintergrund setzen wir nun drei Akzente zur allgemeinen Bedeutung von politscher Bildung hierzulande: 1. Politische Bildung ist eine Angele genheit, für die nicht nur in den Schulen gesorgt werden muss. Sie legt aber dort, in den Schulen, wenn sie eindrucksvoll unterrichtet wird, ein Leben lang nachwirkende Grundlagen politischen Bewusst seins. Das darf man nicht unter schätzen. Politische Bildung in den Schulen muss gerade in einer plura listischen, gar multikulturellen Ge sellschaft zu integrieren gesucht werden. Ein enormes Pensum an Vermittlungsaufgaben leisten die Schulen durch einen gelingenden Unterricht von Gemeinschaftskun de und so weiter. Zu vermitteln ist auch ein gewisser Habitus, ein Stil des Umgangs miteinander. Anstand zum Beispiel ist eine Tugend, die wieder mehr zu verinnerlichen aller Anlass besteht. 2. Aufklärung über das staatsbürger liche Selbstbewusstsein, Bürgerin oder Bürger einer Demokratie zu sein, setzt voraus, dass ein gewisses
tung für fortgesetzte politische Bil dungsarbeit sehr bewusst sein. Wir sind uns alle einig: Politische Bil dung darf natürlich nicht erst zur Brandbekämpfung eingesetzt wer den, das heißt zur Korrektur zum Bei spiel von antisemitischen Entgleisun gen, wie wir sie immer wieder erleben müssen, oder zur Korrektur von extre mistischen Fehlentwicklungen. Politi sche Bildung muss im schulischen All tag dauerhaft und nachhaltig einge übt werden, als wertvoll erkannt wor den sein – dazu liegt als Empfehlung die Handreichung für Lehrkräfte ‘Grundrechtsklarheit, Wertevermitt lung, Demokratieerziehung’ vor, auf die in diesem Heft in einem eigenen Beitrag näher eingegangen wird. Politische Bildung ist selbstredend positiv auf die demokratische politi sche Kultur hin orientiert. Ohne diese normative Grundeinstellung ist eine Demokratie nicht zu bewahren. Ohne eine derart werbende und im Schul alltag eingeübte politische Kultur, wird man es in Konfliktsituationen nicht weit bringen. An Grundrechts klarheit orientierte Unterrichtspraxis und ein wertebezogener Schulalltag tragen zum gesellschaftlichen Zu sammenhalt einer immer pluralisti scher werdenden Gesellschaft bei, die auf ihren Zusammenhalt achten muss. Eine derartige Erfahrung und Praxis erzieht zum demokratischen Selbstbewusstsein und, ja, zum Stolz auf die Demokratie, die jede demo kratische Gesellschaft benötigt. Und jede Gesellschaft benötigt auch die ständige Erneuerung dieses demo kratischen Selbstbewusstseins. Eine derartig gut gebildete – poli tisch gebildete – Gesellschaft för dert informierte Bürgerinnen und Bürger, die zu einem demokratischen Urteilsvermögen fähig sind. Die also fähig sind sogenannten Fake News, dass zum Beispiel die amerikanische Präsidentenwahl 2020 Donald Trump gestohlen worden sei, widersprechen zu können. Die erwähnte Reichsbür gerszene, die die Existenz der Bun desrepublik Deutschland nicht be griffen hat und infrage stellt, verkör pert beispielhaft dieses irregeleitete,
Wissen da sein muss, um am demo kratischen Prozess teilnehmen, um bestenfalls sogar eine gewisse Ur teilskraft entwickeln zu können. Diese Art an sich anspruchsvoller Bildung setzt voraus, dass dieser Bürger, auch die junge Bürgerin in der Schule, dafür sorgt, informiert zu sein. Zu dieser Informationsver arbeitungskompetenz ist die Schule berufen. Dem Gegenteil begegnet man in Gestalt der Desinformation imVerschwörungsdenkermilieu, wo mit Halbbildung Politikwahrneh mung fehlgesteuert wird und gar nicht mehr sortiert werden kann, was wahr und was nicht wahr ist. Die Verrohung in der Internetkom munikation offenbart eine krasse Fehlentwicklung in der Gesell schaft, die beunruhigend wirken sollte. Die Entfremdung gegenüber dem politischen System ist zu groß geworden, bedarf dringender Ge genmaßnahmen. Politische Bildung ist eine Leistung, die dieser Ent fremdung entgegenwirken muss. Um anspruchsvolle politische Bil dung zu erhalten und fortzuentwi ckeln sollte aller Anlass bestehen. 3. Politische Bildung ist aber darüber hinaus eine Daueraufgabe der ge samten Gesellschaft. Die prodemo kratische Einstellung zum politi schen Systemmuss immer wieder eingeübt werden und in der Medien welt sichtbar sein. Wo Verschwö rungsdenken hochkocht, Fake News verbreitet werden, Reichsbürger Irr lehren verbreiten, da hat politische Bildung in Gestalt der Demokratie erziehung eine klassische integrati ve Aufgabe, die vor allem und zuerst über die schulische Sozialisation ge leistet werden muss. Aber nach schulische politische Bildung, die ‘sans la lettre’ über die Medien er folgt, ist eine Daueraufgabe der Ge sellschaft. Auch gilt dabei, was im schulbezogenen Beutelsbacher Konsens beschlossen wurde: Me dienkonsumenten nicht zu überwäl tigen und eine neutrale Berichter stattung zu gewährleisten. Der Journalismus muss sich dieser ge samtgesellschaftlichen Verantwor
Politische Bildung
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