Bildung aktuell 6/2022

Thema

Ein besonders kritischer Punkt in IhremGutachten ist die im Impuls papier II skizzierte neue Rolle und Haltung der Lehrkraft. Von ihr wer den dort »veränderte Haltungen undMindsets, die aktive Beteili gung an Innovationsprozessen so wie eine Veränderung der eigenen Arbeitsprozessstrukturen« (S. 11) verlangt: Kann man von Lehrkräf ten nicht erwarten, dass sie Verän derungen gegenüber offen sind? Dammer: Manmuss die Frage nach den Zielen der Veränderungen stel len. Problematisch an demgesam ten Digitalisierungsdiskurs, wie er momentan bildungspolitisch geführt wird, ist, dass Innovation zu einem Wert an sich erklärt wird, wobei die Qualität der Veränderung, ihre Fol gen und Ziele zweitrangig bzw. zu wenig öffentlich diskutiert werden. So entstehen ein gewisser Sach zwang und eine Alternativlosigkeit mit demSubtext: Verändere dich, sonst wirst du verändert! Davon abgesehen gibt es dabei auch einen ethischen Aspekt: Welches Recht hat ein Arbeitgeber, auch unter be amtenrechtlichen Gesichtspunkten, von seinen Lehrkräften eine be stimmte Einstellung zu verlangen, außer dass sie etwa hinter der Ver fassung stehen? Ein professioneller bzw. strategischer Aspekt ist noch folgender: Man wird lang und gründ lich ausgebildete, erfahrene Lehr kräfte kaum für sich gewinnen, wenn man ihnen dauernd signalisiert, sie seien nicht professionalisiert genug

undmüssten an ihrer Arbeit etwas optimieren. Damit fördert man die Gefahr eines vorzeitigen Ausstiegs aus demBeruf. Woher kommt eigentlich diese dauernde Forderung nach Innova tion, in deren Zusammenhang man auch von ‘Changemanagement’ spricht? Dammer: ‘Changemanagement’ ist eine formal-organisatorischeMa nagementmethode, die auf jede Form inhaltlichen Innovationsansin nens angewandt werden kann. Sie zielt darauf, bestimmte Innovations ziele unter Vorgabe von Rahmenbe dingungen bei vermeintlicher Auto nomie der Beteiligtenmit psycho technischenMethoden zu erreichen. Es geht auch umexterne Kontrolle und Auswertung von Daten imSinne einer Output-Orientierung. Hinter der Forderung permanenter Innova tion steckt die neo-liberale Grund idee: Alle Bereiche des gesellschaft lichen Lebens, alle Institutionen, alle, mit Luhmann gesprochen, ‘Subsys teme’ sollen sich einheitlich nach der Logik des Marktes organisieren. Da bei spielen dann Effizienzgesichts punkte, Messbarkeit des Outputs, Benchmarks, mit denen die nächs ten Ziele formuliert werden, usw. ei ne Rolle. Unterstellt wird, dass diese Systeme dann besser funktionieren würden. Das betrifft nicht nur das Bildungssystem, sondern auch das Gesundheitssystemoder die Sozial fürsorge, öffentliche Verwaltung, al les imGrunde. Es geht umobjektive

Kontrolle von Erfolg und umKon kurrenz. Es entstehenWettbewerbe, wo sie eigentlich gar nicht hingehö ren (vgl. Mathias Binswanger, Sinnlo seWettbewerbe). Sie werden künst lich induziert, damit man eineMarkt logik implementieren kann. Dieses Konkurrenzdenken hat sichmeiner Meinung nach verselbstständigt. Daher heißt es dann: Wir müssen besser sein als X, also zumBeispiel als Finnland oder die USA, und wir hinken hinterher. Öffentliche Sub systeme, Bildung usw., funktionieren so allerdings nicht. Deshalb wird ein rationaler Diskurs gescheut undman versucht, die eigenen Innovations ziele eben durch ein ‘Changemana gement’ zu realisieren. Sie lehnen sogenannte ‘Learning Analytics’ (also adaptive Lernsys teme) grundsätzlich ab. Im Impuls papier heißt es: »DieMöglichkei ten digitaler Unterstützungsfor mate zur Lern(prozess)diagnostik und Unterstützung und Begleitung von individuellen Lernprozessen, zumBeispiel über adaptive oder tutorielle Systeme, werden zuneh mend erschlossen« (S. 8). Können diese adaptiven Systeme für be stimmte Phasen des Unterrichts, insbesondere Übungsphasen, nicht eine hilfreiche Ergänzung sein, da sie auf die Lernschwächen der jeweiligen Schülerinnen und Schüler eingehen und der Lehr kraft das aufwendige Erstellen in dividueller Lernaufgaben abneh men?

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