Bildung aktuell 6/2022

Recht

troffene Schulleitung und nicht etwa die Schulaufsicht eine Schule infek tionsschutzrechtlich schließen soll. Rechtsstaatlich fragwürdig ist ferner die Bezugnahme auf eine ‘Extrem wetterlage’ – ein in der Rechtspre chung bislang nicht näher konturier ter Begriff. Er führt zu Rechtsunsi cherheit imVollzug und bürdet Schulleitern die Verantwortung auf, schwierige Entscheidungen gegen über Eltern und Schülern zu vertre ten. Dringend nachjustiert werdenmuss der Wortlaut des Verordnungsent wurfs vor allemdort, wo Distanzun terricht ermöglicht wird, wenn das Lehrpersonal infektionsbedingt aus fällt, und – wie es in der bisherigen Fassung heißt – »kein Vertretungs

unterricht erteilt werden kann«. Hier stellt sich ein verfassungsrechtliches Grundsatzproblem: Ist es mit dem Grundgesetz vereinbar, dass die Länder ihre Verpflichtung dazu, Kin dern und Jugendlichen ein Recht auf schulische Bildung zu gewähr leisten, je nach Infektionslage, wet terbedingten Gegebenheiten und Verfügbarkeit von pädagogischem Vertretungspersonal als Präsenz- oder Distanzunterricht erfüllen? In seiner vielbeachteten Grundsatz entscheidung vomNovember 2021 (‘Bundesnotbremse II’) hat das Bun desverfassungsgericht (BVerfG) zwar die Verpflichtung der Länder ausgesprochen, »den für die Persön lichkeitsentwicklung der Kinder und Jugendlichen unverzichtbarenMin deststandard schulischer Bildung so

weit wiemöglich zu wahren.« Die Länder müssten dafür zu sorgen, dass bei einemVerbot von Präsenz unterricht nachMöglichkeit Distanz unterricht stattfinde. Distanzunterricht darf nur die Ultima Ratio sein Für das BVerfG ist Distanzunterricht ein aus Sicht der Infektionsbekämp fung unbedenkliches Mittel, umdie Intensität des Eingriffs in das Recht auf schulische Bildung durch den Wegfall von Präsenzunterricht abzu mildern. Doch hat das Gericht zu gleich etwas klargestellt, was für betroffene Schüler, ihre Eltern und insbesondere für das pädagogische Lehrpersonal eine Selbstverständ lichkeit darstellt, jetzt aber in Ver gessenheit gerät: Distanzunterricht kann Präsenzunterricht nur sehr be grenzt ersetzen. Wegen der Mög lichkeit einer direkten Interaktion zwischen Schülerinnen und Schü lern und Lehrkräften ist Präsenzun terricht – wie das BVerfGunter Rückgriff auf sachverständige Experten erläutert – besonders gut dazu geeignet, Bildung und soziale Kompetenzen erfolgreich und chan cengerecht zu vermitteln. Auf direk te Interaktionenmit den Lehrern sieht das Gericht insbesondere Grundschüler angewiesen, wenn sie Kompetenzen wie Lesen und Schreiben erlernen sollten. Distanzunterricht kann also immer nur ultima ratio sein. Dies geht nicht zuletzt aus der Definition hervor, die das BVerfGgefunden hat, umdas

Der Begriff Extremwetterlage ist in der Rechtsprechung nicht näher kontu riert. Er kann imAlltag zu Unsicherheiten führen und bürdet Schulleitungen eine hohe Verantwortung auf.

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