Bildung aktuell 6/2022

Recht

Distanzunterricht kann Präsenzunterricht nur sehr begrenzt ersetzen. Distanzunter richt kann also immer nur ultima ratio sein.

Recht der Kinder und Jugendlichen auf schulische Bildung zu umschrei ben: ihr Recht gegenüber demStaat, ihre Entwicklung zu einer eigenver antwortlichen Persönlichkeit auch in der Gemeinschaft durch schulische Bildung zu unterstützen und zu för dern. Deutlich kommt hier das Men schenbild des Grundgesetzes zum Vorschein, das die Rechtsprechung des BVerfG seit ihren Anfängen prägt: der Mensch als ein gemein schaftsbezogenes und gemein schaftsgebundenes Individuum. Aus diesem integrativen Bildungsansatz, auf dessen Grundlage das BVerfG in mehreren Judikaten einemelterli chen Recht auf wie immer begrün detes Homeschooling eine klare Absage erteilt hat, lässt sich nur der Schluss ziehen, dass Unterricht im Grundsatz immer in Präsenz zu er folgen hat. Ausnahmen von einer Präsenzbeschulung sind nicht nur ‘nachMöglichkeit’ zu vermeiden. Sie kommen lediglich dann in Betracht, wenn höchstrangige Rechtsgüter wie Leben undGesundheit von Schülern oder Lehrpersonen imEin zelfall konkret gefährdet erscheinen. Distanzunterricht nicht hoffähig machen Rechtspolitisch bleibt die Frage: Ist Distanzunterricht wirklich ein Instru mentarium, das sich in der Pandemie bewährt hat, wie dies vom federfüh rendenMinisterium in Nordrhein Westfalen behauptet wird? Unter demAspekt der Wissensvermittlung mag Distanzunterricht die Intensität

eines Eingriffs in das Recht auf schuli sche Bildung abmildern. Doch lässt sich die erschreckende Zunahme an psychischen Erkrankungen von Kin dern und Jugendlichen für die Zu kunft nur dann vermeiden, wenn schulische Interaktionen in Präsenz

erfolgen. Eine der wichtigsten Lehren der Pandemie ist es daher, schuli schen Distanzunterricht auf Dauer in eben den Dornröschenschlaf zu ver setzen, in demer vor Ausbruch der Coronapandemie schlummerte. Ob es vor diesemHintergrund überhaupt die Aufgabe des Rechts sein kann, ei nen organisatorischen Regelungsrah men für eine Alternative zumPrä- senzunterricht bereitzustellen, ist politisch fragwürdig. Denn allein Erlass und Diskussion über eine Verordnung zumDistanzunterricht machen diesen wieder hoffähig. Demgegenüber tritt der einzig denk bareMehrwert einer Distanzunter richtsverordnung, die Entscheidungs zuständigkeit für einen Übergang zumDistanzunterricht in die Hände von Personen zu legen, welche die Gegebenheiten vor Ort berücksichti gen können, imRahmen einer politi schen Gesamtgewichtung deutlich zurück. Verfassungsrechtlich zwin gendmüssen jedenfalls die Hürden für einenWechsel vomPräsenz- zum Distanzunterricht hoch genug ange setzt sein, umein Szenario auszu schließen, das viele Eltern und Schü ler bereits jetzt auf sich zukommen sehen: dass in Zukunft einWechsel zumDistanzunterricht mit haushalts politischen Erwägungen, Lehrerman gel und vielleicht sogar mit Sparzwän gen aufgrund der Energiekrise be gründet wird.

Es lässt sich nur der Schluss ziehen, dass Unterricht im Grundsatz immer in Präsenz zu erfolgen hat.

Erstveröffentlicht in: libra-rechtsbriefing, 4. Oktober 2022

https://www.libra-rechtsbriefing.de/L/wird- der-distanzunterricht-zum-dauerinstrument/

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