Bildung aktuell 4/2024
Thema
? Ein Grund mehr, Antisemitis mus in der Schule nicht nur ‘nebenbei’ bzw. ‘mal eben so bei Bedarf’ zu thematisieren, oder? Weiland: Völlig richtig. Schulen ha ben ja auch den Auftrag, politischer Kriminalität präventiv zu begegnen, wie der Erlass zur Zusammenarbeit bei der Verhütung und Bekämpfung der Jugendkriminalität unmissver ständlich festlegt. Und deutlich wer den muss auch: Die Behandlung des Themas Antisemitismus gehört nicht nur in den Geschichtsunterricht oder in den Politikunterricht. Die Auseinandersetzung mit dem Anti semitismus muss ein fächerübergrei fendes Thema aller Fächer werden. Die Schulen sind ja dem Grundge setz verpflichtet. Samuel Salzborn hat in einem vor kurzem veröffent lichten Essay (S. Salzborn: Wehrlose Demokratie? Antisemitismus und die Bedrohung der politischen Ord nung. Leipzig 2024) deutlich ge macht, dass unser Grundgesetz ei nen bewussten Gegenentwurf zum nationalsozialistischen Staat dar stellt, dessen ideologischen Kern wiederum der Antisemitismus dar stellt. Das heißt mit den Worten Salzborns: Der ‘Kampf gegen den Antisemitismus’ ist ein ‘Kernanliegen der bundesdeutschen Demokratie’ als einer offenen und freien Gesell schaft. Es ist daher Aufgabe der Schulen, ihren Schülerinnen und Schülern diesen Geist des Grundge setzes zu vermitteln. Denn Antisemi tismus ist Gift für die Demokratie.
lich auch wichtig, darf aber nicht da zu führen, dass die Bedürfnisse der Betroffenen übersehen werden. Mit den Täterinnen und Tätern muss ihr Verhalten so besprochen werden, dass ihnen die Problematik ihres Verhaltens bewusst wird. Und die Thematisierung muss anschließend auch in den jeweiligen Lerngruppen erfolgen. ? Und wann kommt die Repression zum Zuge? Weiland: Besonders für Fälle von Wiederholungen, konstante Verwei gerungshaltungen bzw. Unbelehr barkeit und bei strafrechtlich rele vanten Handlungen wie dem Zeigen oder Verbreiten verfassungsfeindli cher Kennzeichen (zum Beispiel Ha kenkreuz, Hitlergruß) müssen Schu len klare Kante zu zeigen und Hand lungen unterbinden. Ganz beson ders gilt dies bei strafrechtlich rele vanten antisemitischen Handlungen. Zum Umgang mit antisemitischen Handlungen in Schulen finden sich konkretisierende Hinweise im Bil dungsportal. ? Wie lässt sich Antisemitismus nun eigentlich inhaltlich ver stehen? Weiland: Inhaltlich ist Aufklärung erforderlich. Deutlich werden muss: Antisemitismus ist keine Meinung. Denn Antisemitismus beruht auf fal schen Denkmustern und Stereoty pen, die auf jahrhunderte- und teil weise jahrtausendealten antijüdi
schen Denkmustern beruhen. Diese wiederum sprechen jeglichem ratio nalen und der Aufklärung verpflich teten Denken Hohn. Antisemitismus ist auch nicht gleichzusetzen mit Rassismus. Denn im Rassismus wer den die anderen stets als unterlegen dargestellt und empfunden. Vor der zu allen Zeiten wirklich sehr kleinen jüdischen Minderheit aber besteht absurderweise eine ungeheure Angst, nämlich dass diese – als eine im Kern als böse und überlegen fan tasierte Minderheit – die Macht an sich reißen könnte und möchte. Und mit dem Beginn der Moderne gilt: Als unerträglich empfundene Schat tenseiten der Moderne versucht man ‘den Juden’ zu bekämpfen. Da her rühren dann wieder die verschie densten abstrusen Verschwörungs theorien. Und zwar von rechts wie von links und auch aus der Mitte. Das fantasierte Böse, das in ‘den Juden’ gesehen wird, muss – in der Logik antisemitischen Denkens – konse quenterweise vernichtet werden, um die Welt zu retten oder zu einer bes seren zu machen. Daher trägt der Antisemitismus in seinem Kern stets eine eliminatorische Tendenz und hat entsprechend in Vergangenheit und Gegenwart verheerende Wir kungen gezeigt. Bis hin zu den jüngsten Terrorattacken der Hamas, in deren Charta unmissverständlich Vernichtungsphantasien formuliert sind. Und zwar in Bezug auf alle Jüdinnen / Juden weltweit , nicht nur in Bezug auf die in Israel leben den Jüdinnen / Juden.
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