Bildung aktuell 2/2025
Glosse
ne kritische Auseinandersetzung, eine sachliche Debatte oder gar Mit bestimmung blieb da oft kaum Zeit. Lehrerverbände und Gewerkschaf ten, welche die Entgrenzung der Ar beitszeit, die digitale Verhaltenskon trolle oder schlicht den Datenschutz beklagten, wurden als ‘ewig gestrige Blockierer’ und ‘Fortschrittsverhinde rer’ verunglimpft. Es wurden sehr, sehr viele Tablets und Laptops – in vielen Kommunen leider unterschiedliche - angeschafft, deren Administration, Wartung und Ersatz bis heute nicht dauerhaft nicht ge klärt sind und mit denen die Lehrkräf te doch nicht alle ihre dienstlichen Aufgaben versehen können. Es gehörte fortan auch zu den dienst lichen Tätigkeiten - nicht nur von Bio logie-Lehrkräften - sich mit Nasense kreten von Schülerinnen und Schülern zu beschäftigen und sie bei Testungen anzuleiten, was sonst natürlich nicht zu den Aufgaben von Lehrkräften ge hört. Sie sind ja schließlich kein medi zinisches Personal. Damals schon.
später nachgeholt werden. Sie gehö ren zu den gesellschaftlichen Grup pen, die den Lockdown wohl am teuersten bezahlt haben. Die Anzahl psychischer Erkrankungen bei Kin dern und Jugendlichen hat seitdem sprunghaft zugenommen. Durch die fehlende direkte Kommunikation und Interaktion wurde Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern schmerz haft bewusst, dass sich Lehr- und Lernprozesse innerhalb menschlicher Beziehungen vollziehen. Statt Schülerinnen und Schülern schwarze Kacheln auf den Monitoren Also versuchte man, die direkte Kom munikation durch Videokonferenzen zu simulieren. Doch in dieser digitalen Unterrichtsform sahen Lehrkräfte statt ihrer Schülerinnen und Schüler oft nur schwarze Kacheln, da man sich außer Stande sah, sie zu verpflichten, die Kamera und das Mikrofon einzu schalten. Lehrkräfte wussten dann nicht genau, wer tatsächlich an der Videokonferenz teilnahm oder wer eher nicht. Sie lernten stattdessen ken nen, was ‘Zoom-bombing’ ist. Manche Mittelstufenschüler zockten wochen lang. Die direct instruction, also das Er klären der unzähligen PDF-Arbeits blätter, die über die vielen unterschied lichen Lernplattformen verteilt wurden, übernahmen meist die Mütter. Berufstätige Mütter, die, als sie ihre Kinder bekamen, davon ausgegangen waren, dass die Vereinbarkeit von Mutterschaft und Beruf nicht nur mit hochgezogenen Augenbrauen ge
duldet wird, sondern gesellschaftlich gewollt ist, fanden sich innerhalb we niger Tage zurück in eine Zeit katapul tiert, in der vollkommen klar war, wer in Krisensituationen den Erwerbstä tigkeitshammer fallen lässt und sich um die Kinder zu kümmern hat: Frauen. Nach ein paar Wochen der Schockstarre, als sie verstanden hat ten, dass das jetzt ihre neue Normali tät war, wurden viele von ihnen zwar laut, aber in den Talkshows konzen trierte sich die allgemeine Empörung auf geschlossene Fußballstadien, Baumärkte und Autohäuser. Und so gingen auch diese vorgeblichen ‘Männerorte’ lang vor den Schulen wieder auf. Vorläufiges Ende der Geschichte: Hurra, wir leben noch! Mütter arbeiteten also einfach rund um die Uhr, auch Lehrerinnen mit Kindern im Haus – sie beschulten bis zum Nachmittag ihre Kinder und kümmerten sich in den Abendstun den und nachts um ihren Beruf, weil das ja angeblich alles gleichzeitig ging. Für berufstätige Mütter war das Homeoffice ein ‘Home everything’. Während es für alle anderen vor allem darum ging, die zähe Langeweile zu bewältigen. Aus der jetzt mehrfach immunisierten Rückschau heraus lässt sich all dies leicht sagen. Jede wird wahrschein lich ihre eigene Geschichte erzählen. Wichtig ist: wir haben als Gesellschaft die Pandemie überlebt, aber noch lange nicht überstanden.
Es war eine wilde Zeit. Es war der Goldrausch
der Digitalisierung in Schule. Es war aber auch eine Zeit des gesellschaftlichen Rückschritts.
Die Kinder und Jugendlichen waren in der Isolation von ihren Altersgenos sen getrennt und konnten all das, was für ihre Entwicklungsprozesse enorm wichtig ist, nicht gemeinsam erleben – und sowas kann auch nicht einfach
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