Bildung aktuell 1/2023

Thema

places of theearth«, derenBevölke rungunter Krisen, KriegenundKata strophengelittenhat und leidet, inun ser historischesBewusstsein rücken. Denn das heutige Staatsgebiet der Ukraine gehörte auf weite Strecken im20. Jahrhundert zu den ‘blutigs ten’ Regionen Europas – zwischen den Diktaturen Hitlers und Stalins, gezeichnet von Kommunismus, Im perialismus und Kolonialismus bei gleichzeitigemRingen umnationale Identität und staatliche Unabhän gigkeit. Umunsere Schülerinnen und Schü ler nicht als zeithistorische ‘Analpha betinnen und Analphabeten’ aus Schule und Abitur zu entlassen, bedarf es angesichts des eingangs geschilderten Bedürfnisses nach Orientierung und Thematisierung nicht nur reformierter curricularer und didaktischer Konzeptionen für das Fach Geschichte, sondern auch fachwissenschaftlicher Expertise von Unterrichtenden zu relevanten Aspekten osteuropäischer bzw. ukrainischer Geschichte. Relevante Aspekte ukrainischer Geschichte Wenn in Curricula anderer Bundes länder bisweilen nationalgeschichtli che Narrationen und Perspektiven verlassen werden, sind wir imRah men nordrhein-westfälischer Kern lehrpläne bspw. für dieQualifikati onsphase zumZentralabitur in wei ten Teilen an ‘nostrozentrische Kon

zeptionen’ (Hans-Jürgen Pandel) deutscher Geschichte von 1815 bis 1989/90 gebunden. Relevante Aspekte in unseremSinne hier müssten daher vor allemauf ukrainisch-deutsche und russisch deutsche Beziehungen beschränkt sein, ohne aber dabei histografisch bedeutsame ukrainisch-russische ‘Knotenpunkte’, so der Historiker Jan Kusber (siehe Infobox, S. 12), aus demBlick zu verlieren. Wie aber können wir Aspekte ukrai nischer Geschichte imRahmen un serer curricularen Vorgaben in den Geschichtsunterricht integrieren? Die Liste folgender Anregungen ist sicher nicht abgeschlossen, doch es dürfte deutlich werden, dass konkre te Zugänge realisiert werden kön nen, wenn imRahmen bewährter Thematik Perspektiven und Schwer punkte in Richtung Ukraine bzw. ost europäische Geschichte verlagert werden. Nations- und Staatsbildung: Auch wennmit der ukrainischen Revoluti on (1917 bis 1921) und demVersuch einer Nationalstaatsbildung ein his torisches Erbe und ein nationaler Bezugspunkt geschaffen war, auf den sich die Ukraine nach demZer fall der Sowjetunion ab 1989/90 berufen konnte: Nach der geschei terten Staatsbildung Anfang der 1920er-Jahre war die Ukraine eine Mögliche Unterrichts- themen und -inhalte

der größten Nationen Europas ohne eigenen Staat. Das Ringen umdie Bildung eines Nationalstaates ließe sich komparativ als Fallbeispiel the matisieren: deutsche Nations- und Staatsbildung vs. eingehegte ukrai nische Nationsbildung imRussländi schen Reich im 19. Jahrhundert und (gescheiterte) Versuche einer Staatsbildung während der Ukraini schen Revolution. Erster Weltkrieg: In einer Unter richtsreihe zumErstenWeltkrieg könnte ein Schwerpunkt in Richtung osteuropäische Geschichte verla gert werden, insbesondere wenn es umKriegsverlauf und Kriegsende geht. Denn oft ausgeblendet wird nach der vomDeutschen Reich für den Revolutionär Lenin gesicherten Passage nach Petrograd die Bedeu tung der Russischen Revolution (1917) für Kriegsverlauf, ukrainische Geschichte und ukrainisch-deut sche Beziehungen. Als das Deutsche Reich nach der Unabhängigkeitser klärung der Ukrainischen Volksrepu blik Ende Januar 1918mit ihr einen Separatfrieden schloss und sie als Staat anerkannte, spielten auchma terielleMotive eine Rolle. Dennmit der staatlichen Anerkennung der Ukraine waren Getreidelieferungen an das Deutsche Reich verknüpft – Getreide, mit demunter anderem eine letzte großeOffensive an der Westfront gesichert werden sollte. Zudemdürfte – wie auch bei einer Thematisierung des Endes des Zwei tenWeltkrieges – amEnde einer

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