lehrernrw 6/2021

Zeitschrift des Verbandes lehrernrw

1781 | Ausgabe 6/2021 | NOVEMBER | 65. Jahrgang

Digitalisierung: Zwischen Euphorie und Alarm

Pädagogik & Hochschul Verlag . Graf-Adolf-Straße 84 . 40210 Düsseldorf · Foto: AdobeStock

15 Dossier Bildung und Digitali-Täter

28 Recht§ausleger »Wegen der drei Minuten«

3 Unter der Lupe Mutausbruch

6 Im Brennpunkt

Unterstützung für neues Fachleitungsnetzwerk

IMPRESSUM lehrer nrw – G 1781 – erscheint sieben Mal jährlich als Zeitschrift des ‘lehrer nrw’ ISSN 2568-7751 Der Bezugspreis ist für Mitglieder des ‘lehrer nrw’ im Mitgliedsbeitrag enthal- ten. Preis für Nichtmitglieder

INHALT

UNTER DER LUPE Sven Christoffer: Mutausbruch BRENNPUNKT Sarah Wanders: Unterstützung für neues Fachleitungsnetzwerk JUNGE LEHRER NRW Marcel Werner: So klappt der Einstieg SERIE HAUPTSCHULEN »Wir lassen niemanden fallen« BATTEL HILFT Keine Lust mehr auf Coronathemen?! TITEL Digitalisierungsstress in Schulen DOSSIER Bildung und Digitali-Täter Was die autogerechte Stadt mit Digitalitätskonzepten für Schulen zu tun hat SCHULE & POLITIK Es gibt keinen QR-Code für Wertschätzung Ulrich Gräler: Die ‘Mär’ vomWert? Schlechtes Digital-Zeugnis Zwei Milliarden Euro für die schulische Digitalisierung

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im Jahresabonnement: € 35,– inklusive Porto Herausgeber und Geschäftsstelle lehrer nrw e.V. Nordrhein-Westfalen, Graf-Adolf - Straße 84, 40210 Düsseldorf, Tel.: 02 11 / 1 64 09 71, Fax: 02 11 / 1 64 09 72, Web: www.lehrernrw.de Redaktion Sven Christoffer, Ulrich Gräler, Christopher Lange,

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Jochen Smets, Sarah Wanders, Marcel Werner Düsseldorf Verlag und Anzeigenverwaltung PÄDAGOGIK & HOCHSCHUL VERLAG – dphv-verlags- gesellschaft mbH, Graf-Adolf-Straße 84, 40210 Düsseldorf, Tel.: 02 11 / 3 55 81 04, Fax: 02 11 / 3 55 80 95 Zur Zeit gültig: Anzeigenpreisliste Nr. 21 vom 1. Oktober 2020 Zuschriften und Manuskripte nur an lehrer nrw ,

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Jochen Smets: »Wir wollen neue Wege gehen«

’Sprech:ZEIT 24/7’ intensiv genutzt

SENIOREN Endlich wieder unterwegs! 26 Exkursion zum Gasometer Oberhausen 27 Fächermuseum und St. Jodokuskirche in Bielefeld 27 IT-Schulung für Seniorinnen und Senioren 27 Das Programm 2022 27 RECHT § AUSLEGER Christopher Lange: »Wegen der drei Minuten…!« 28 ANGESPITZT Jochen Smets: Der digitale Fünfjahresplan 30

Zeitschriftenredaktion, Graf-Adolf-Straße 84, 40210 Düsseldorf

Für unverlangt eingesandte Manuskripte kann keine Ge- währ übernommen werden. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung ihrer Verfasser wieder.

HIRNJOGGING Aufgabe 1: Zahlenpaare Aufgabe 2: Summ, Summ, Summ

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UNTER DER LUPE

Mutausbruch Der Mülheimer Kongress kann nach der Corona-bedingten Absage im vergangenen Jahr nun wieder stattfinden. Das Tagungsmotto am 23. und 24. November lautet ’Optimistisch in die Zukunft’.

in den letzten anderthalb Jahren an den Rand gedrängt, über allem standen Corona und die Fra-

von SVEN CHRISTOFFER

E r ist DAS Veranstaltungshighlight unseres Ver- bandes und dient ihm alljährlich zur bildungs- politischen Selbstvergewisserung. Umso schmerzlicher war es, dass der Mülheimer Kongress im letzten Jahr Opfer der Pandemie wurde. Zu unser aller Erleichterung und Freude kann er in diesem Jahr wieder in gewohnter Weise stattfinden. Das Motto des Kongresses ist deshalb konsequenterwei- se auch ein kleiner Mutausbruch und lautet ’Opti- mistisch in die Zukunft’. Die Sehnsucht nach Nähe und Normalität ist rie- sengroß – in der Gesellschaft, in der Schule, aber auch in unserem Verband. Wir sind eine Lehrerge- werkschaft und setzen uns für optimale Arbeitsbe- dingungen unserer Mitglieder ein. Wir sind ein Bil- dungsverband und setzen uns für bestmögliche Bildung in unserem Land ein. All das wurde jedoch

 Teilen neu justiert hat. Insofern ist der Mülheimer Kongress auch ein wertvoller und unverzichtbarer Kompassgeber des lehrer nrw .  Premiere für den neuen Vorstand Der 52. Mülheimer Kongress vom 23. bis 24. November findet erstmals unter der Regie des neuen geschäftsführenden Vorstands  dungs- und Erziehungswissenschaftler mit ihren Thesen und Beiträgen Anstoß geben für spannende Diskussionen un- ter den Teilnehmerinnen und Teilneh- mern. In der Vergangenheit hat der In- put der geladenen Expertinnen und Ex- perten immer wieder auch dazu geführt, dass der Verband seine bildungs- und er- ziehungswissenschaftlichen Positionen in  ge, wie sich Präsenzunterricht und Gesundheits- schutz in Einklang bringen lassen. Das glich biswei- len der Quadratur des Kreises und erzeugte mitunter ein Ohnmachtsgefühl.  Der MüKo als Garant für Nähe und Normalität Vielleicht ist meine Vorfreude auf den diesjährigen Mülheimer Kongress auch deshalb so groß, weil er für Nähe und Normalität steht: Es sind nicht nur die hochkarätigen Vorträge auf dem Podium, die dem MüKo seinen unverwechselbaren Charakter verlei- hen. Es sind vielmehr die vielen kleinen Gespräche am Rande der Veranstaltung, es ist der kollegiale Austausch, das vertraute Miteinander. Und es ist die Rückkehr zu einer Normalität, in der es endlich wie- der um Bildungsinhalte geht und nicht um Einschät- zungen von Virologen und Aerosolfor- schern. Eine Normalität, in der Bil-

Auf nach Mülheim: Der Mülheimer Kongress bietet wieder ein spannendes Programm.

Foto: AdobeStock/Cevahir

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statt. Das ist sicherlich ein weiterer Grund dafür, dass meine Vorfreude enorm ist. Gemäß unserem Motto sind wir optimistisch, mit den Vortragenden eine ausgewogene Mischung aus Wissenschaftlich- keit, Praxisnähe und Unterhaltung gefunden zu ha- ben. Für Letzteres steht vor allem der Deutschlehrer und Comedian ’Herr Schröder’, der in Mülheim aus seinem neuen Werk ’Instagrammatik’ über die Seg- nungen der Digitalisierung für den Schulbetrieb be- richten wird. Garanten für Praxisnähe sind Yvonne Michel und Michael Rudolph. Die Diplom-Sozialpädagogin und Fachkraft für Suchtprävention bei der Suchthilfe Aa- chen referiert darüber, wie Aspekte der Glücksfor- schung das Wohlbefinden von Lehrkräften und Schü- lern stärken können. Der Berliner Schulleiter Michael Rudolph hat in wenigen Jahren die Bergius-Schule, die einen üblen Ruf hatte, zu einer begehrten Unter- richtsstätte gewandelt – mit klaren Regeln für ein diszipliniertes Lernen. Für ihn sind auch Tugenden wie Pünktlichkeit und höflicher Umgang entschei- dend, um wieder Struktur und Verlässlichkeit in den Schulalltag zu bringen. Michael Rudolph wird auf dem Mülheimer Kongress beschreiben, wie man eine

 schulische Umgebung schaffen kann, egal wo, in der Lernen das wichtigste Ziel ist.  Das optimistische Menschenbild der konfrontativen Pädagogik Den Auftakt macht der Erziehungswissenschaftler und Kriminologe Prof. Jens Weidner. Er zeigt auf, wie die Konfrontative Pädagogik Konflikte in der Schule reduzieren und ein gelingendes Miteinander evozie- ren kann. In dem Sammelband ’Konfrontative Päda- gogik in der Schule. Anti-Aggressivitäts- und Cool- nesstraining’ erläutert er das Anliegen der Konfron- tativen Pädagogik folgendermaßen: »Auf der Grund- lage einer von Sympathie und Respekt geprägten Beziehung gilt es, ein wiederholt abweichendes Ver- halten einer Person, nicht aber die Person an sich ins Kreuzfeuer der Kritik zu nehmen. Ziel ist eine Ein- stellungs- und Verhaltensänderung beim Betroffe- nen.« Es geht demnach um Konfrontation unter Bei- behaltung der Wertschätzung der zu konfrontieren- den Person. Gefördert werden Empathie, Frustrati- onstoleranz, Ambiguitäts- oder Ambivalenztoleranz sowie Rollendistanz. Ein spannender Ansatz, wie ich finde. Ich jedenfalls freue mich auf Tage der Nähe, der Normalität und des Optimismus – denn den brau- chen wir alle mehr denn je!

Unverzichtbarer Kompass: Der Mülheimer Kongress ist für lehrer nrw nicht nur ein Fachforum und Netzwerktreffen, sondern auch eine Quelle der bildungspolitischen Selbstvergewisserung.

Sven Christoffer ist Vorsitzender des lehrer nrw sowie Vorsitzender des HPR Realschulen E-Mail: christoffer@lehrernrw.de

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M a c h h a u s

BRENNPUNKT

  Die Missstände Bereits seit vielen Jahren wird auf die Missstände hingewiesen und ihre Behe- bung gefordert.

Arbeitsbedingungen: In den vergange- nen Jahren haben die Aufgaben für Fach- leitungen – wie auch die der Lehrerinnen und Lehrer – massiv zugenommen. Die großen Themen Inklusion, Integration, sprachsensibler Unterricht und Digitalisie- rung erfordern viel konzeptionelle Arbeit, um die angehenden Lehrkräfte bestmög- lich auf den schulischen Alltag vorzuberei- ten. Neben den grundständig ausgebilde- ten Lehramtsanwärterinnen und -anwär- tern gehören zu dieser Gruppe auch die Lehrerinnen und Lehrer im Seiteneinstieg (OBAS, Pädagogische Einführung, Anpas- sungslehrgang), die damit vielfältige, un- terschiedliche Herausforderungen mit sich bringen. Darüber hinaus hat die Verkür- zung der Lehrerausbildung auf achtzehn Monate bei gleichbleibender Anzahl von Unterrichtsbesuchen dazu geführt, dass das Arbeitsaufkommen für Fachleitungen weiter gestiegen ist. Zusätzlich erfolgte mit der Verabschiedung des neuen LABG eine Reduzierung der Anrechnungsstun- den. Hieraus resultiert die Forderung nach einer deutlichen Anhebung der Anrech- nungsstunden für die Planung und Durch- führung der Seminararbeit. Die zusätzli- chen Aufgaben können nicht einfach ne- benbei geleistet werden, wenn die hohe Qualität, die sich Fachleitungen zum Maß- stab setzen, erhalten bleiben soll. Darüber hinaus muss auch ein weiteres Anrech- nungsdeputat für die ZfsL geschaffen wer- den, um zusätzliche Aufgaben bewältigen zu können. Adäquate Bezahlung: Absolut unver- ständlich ist die ungerechte Besoldung von Fachleitungen der unterschiedlichen Lehr- ämter. A15 (Lehramt GyGe/BK) vs. A12Z (HRSGe und G) bei gleichen Revisionsan- forderungen und Tätigkeitsprofilen zeugt von mangelnder Wertschätzung. Diese Un- gerechtigkeit verärgert zu Recht viele Fachleitungen und führt immer mehr auch

Das ’Netzwerk Fachleiter*innen NRW’ setzt sich für bessere Arbeitsbedingungen und eine faire Bezahlung der Fachleitungen ein.

Unterstützung für neues Fachleitungsnetzwerk Fachleitungen brauchen endlich gute Arbeitsbedingungen und eine gerechte Bezahlung. Aus diesem Grund hat sich das ’Netzwerk Fachleiter*innen NRW’ gegründet.

bestmögliche Ausbildung der angehenden Lehrkräfte sicherstellen. Unerlässlich für diese beste Ausbildung sind gut qualifi- zierte, engagierte und motivierte Fachlei- tungen, deren Arbeit auch entsprechend wertgeschätzt wird. Dies ist ein wichtiger Baustein in der Bekämpfung des Mangels an gut ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern.

von SARAH WANDERS

l ehrer nrw kämpft seit Jahren für eine adäquate Bezahlung sowie bessere Ar- beitsbedingungen für Fachleitungen für Haupt-, Real-, Sekundar- und Gesamt- schulen (HRSGe). Wer beste Bildung in diesem Land fordert, der muss auch die

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BRENNPUNKT

  lehrer nrw setzt sich ein ■ lehrer nrw hat schon vor vielen Jahren ein eigenes Referat ’Fachleitungen’ ein- gerichtet, um diesem Thema nach innen und außen Gewicht zu geben. Referats- dazu, dass Stellen nicht besetzt werden können. Ein gleiches Beförderungsamt für Fachleitungen aller Schulformen wäre so- mit nicht nur gerecht und längst überfällig, sondern würde auch endlich die notwendi- ge Wertschätzung zeigen. leiter ist Hardi Gruner, der auch Mit- glied im ’Netzwerk Fachleiter*innen NRW’ ist (gruner@lehrernrw.de). ■ Ulrich Brambach, ehemaliger Fachleiter und Vorsitzender unseres Verbands, war schon immer ein starker Fürsprecher für Fachleitungen bei lehrer nrw . Dass sich der Verband nicht erst seit Kurzem die- sem Thema widmet, wissen langjährige Mitglieder. So haben wir bereits 2012 ein ‘Reclam-Heft’ mit dem Titel ’Alltag eines Fachleiters – Ein Trauerspiel’ ver- öffentlicht und auf die Missstände auf- merksam gemacht. ■ In der Ausgabe 2/2019 unserer Ver- bandszeitschrift machten wir die Pro- blematik, diesmal unter einer anderen Landesregierung, erneut zum Titelthe- ma, um Fachleitungen zu unterstützen, die sich in Briefen an Schulministerin Yvonne Gebauer gewandt hatten.

Gerne würde ich an dieser Stelle auch schreiben, was sich durch den Einsatz der Fachleiterinnen und Fachleiter sowie unter anderem auch unseres Verbands verbes- sert hat. Leider konnten wir außer großem Verständnis bei den Verantwortlichen we- nig erreichen. Und jeder weiß, dass sich allein durch Verständnis die Bedingungen nicht ändern. Entschlossenes Handeln statt warmer Worte ist gefordert. In der Zwischenzeit hat sich ein Netzwerk aus Fachleitungen nahezu aller ZfsL – HRSGe in Nordrhein-Westfalen konstituiert und ist mit der Bitte um Unterstützung an Gewerkschaften und Verbände herangetre- ten. Ein erster Austausch, an dem ich für unseren Verband sehr gerne teilgenommen habe, fand am 30. September 2021 statt. Es wurden die Probleme diskutiert und mögliche Ansätze besprochen, die Thema- tik wieder mehr ins Bewusstsein des Schul- ministeriums und der Politik zu rufen, um endlich nicht nur Verständnis zu bekom- men, sondern echte Lösungen. lehrer nrw hat dem Netzwerk seine Unterstützung zugesichert. Wir stehen zu unseremWort und an der Seite der Fachleitungen!  Netzwerk gegründet

Bei vielen Gelegenheiten hat lehrer nrw bereits auf die untragbare Si- tuation der Fachleitungen HRSGe hinge- wiesen – unter anderem mit dieser Titel- seite der Verbandszeitschrift vor zweiein- halb Jahren. ■ Im Mai 2020 war die ungerechte Besol- dung und die hohe Belastung von Fach- leitungen ein Tagesordnungspunkt in der Gemeinschaftlichen Besprechung des lehrer nrw -geführten Hauptperso- nalrates für Lehrkräfte an Realschulen mit Ministerin Gebauer. Dies sind nur einige Beispiele für den Ein- satz unseres Verbandes.

Sarah Wanders ist stellv. Vorsitzende des lehrer nrw E-Mail: wanders@lehrernrw.de

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JUNGE LEHRER NRW

Foto: AdobeStock/stockartstudio

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 nung, Lehrerkalender, Passwörtern usw. Weiterhin sollten Sie sich mit den Kürzeln, Raumnummerierungen und dem Vertre- tungsplan vertraut machen. Sollten Sie di- rekt eine Klassenleitung übernehmen, ist es hier auch hilfreich, sich mit den Kolleginnen der Parallelklassen auszutauschen.  Das Kollegium: Zeigen Sie Interesse Die Gemeinschaft eines Kollegiums zeichnet eine gute Schule aus, daher sollten Sie auch Interesse an dieser Gemeinschaft zeigen. Ich persönlich bin der Auffassung, dass gerade ein Lehrerkollegium, welches unseren Ju- gendlichen Kompetenzen in allen Bereichen Aufregend, aber kein Grund zur Panik: Wer sich gut vorbereitet und ein paar Ratschläge beachtet, wird einen starken Start in den Lehrerberuf schaffen.

von MARCEL WERNER Gestern noch Lehramtsanwärter – heute schon junge Lehrkraft an einer neuen Schule. Der Start in den Lehrerberuf ist mit viel Aufregung und noch mehr Fragen verbunden. Ein paar Tipps für einen erfolgreichen Einstieg gibt der Vorsitzende von junge lehrer nrw , Marcel Werner. E ndlich eine feste Stelle. Nach dem doch sehr anstrengenden Referendariat kann es endlich losgehen. Da gibt es ein neu- chen Sie doch vor Dienstantritt die neue Schule, so können Sie schon einige Kollegen kennenlernen, den Weg zur Arbeit testen und

sich einen ersten Eindruck verschaffen. Gerade wenn der erste Tag nicht nach den Sommerferien ist, kann es schonmal turbulent werden, die Kolleginnen befinden sich schließlich mitten im Schuljahr und ha- ben einiges an Arbeit zu absolvieren. Nützli- che Ansprechpartner sind hier zum Beispiel die Vertrauenslehrerin oder der Vertrauens- lehrer von lehrer nrw oder die Kollegen des Lehrerrates. Diese helfen Ihnen sicher sehr gerne bei der Beschaffung von Hausord-

es Gebäude, viele neue Kolleginnen, die schon eine Gemeinschaft sind. Aber keine Angst: Der Start an einer neuen Schule ist für jede Lehr- kraft eine ungewohnte, aber doch aufregende Situation. Im Folgenden gebe ich Ihnen ein paar bewährte Tipps, die Ihnen helfen werden, den ersten Tag doch etwas weniger aufgeregt anzugehen.Wenn es Ihnen möglich ist, besu-

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JUNGE LEHRER NRW

  Der Unterricht: Nutzen Sie Ihr Handwerkszeug

vermittelt, einen guten und freundschaftli- chen Umgang miteinander hegen sollte. Denn wer sich für den Beruf des Lehrers entscheidet, muss ein Interesse am Umgang mit Menschen haben. Daher sollten Sie zeit- nah hinterfragen, ob es eine Lehrerkasse so- wie eine Kaffeekasse gibt. Weiterhin ist es nützlich zu wissen, ob zu Geburtstagen oder sonstigen feierlichen Anlässen ein Ritual ge- pflegt wird, beispielsweise das Backen eines Kuchens. Unabhängig davon sollten Sie nach den ersten Tagen eine Kleinigkeit aus- geben – Kuchen oder Süßigkeiten kommen in jedem Lehrerzimmer gut an. Langfristig sollten Sie sich auch überlegen, wo Sie sich mit Ihrer Expertise im Schulalltag einbringen können. Denn die Aufgaben des Schulperso- nals gehen weit über das Unterrichten hi- naus. Im Laufe der Jahre wurden viele Auf- gaben auf uns Lehrer abgewälzt, die es gilt unter den Kollegen zu verteilen. Ein neuer großer Baustein ist die Digitalisierung.

litäten sollten Sie für die Planung Ihres Unter- richts allerdings in Erfahrung bringen. Hierzu sollten Sie die jeweiligen Fachvorsitzenden Ihrer zu unterrichtenden Fächer ansprechen. Viele Fachschaften haben zusätzliches Mate- rial, welches oftmals sehr hilfreich sein kann. Weiterhin ist es für Ihre langfristige Planung wichtig zu wissen, ob fachinterne Regelun- gen zu den Lernzielkontrollen bestehen. Oder ob es in einzelnen Stufen gemeinsame Pro- jekte oder Unterrichtsreihen gibt. Außerdem können Sie die schulinternen Lehrpläne bei Ihren Fachvorsitzenden erfragen. Ich hoffe, dass ich Ihnen mit diesen Tipps einen entspannten Start in diese doch sehr aufregende Phase Ihres Arbeitsalltages ge- ben konnte. Gerne stehe ich Ihnen für weite- re Fragen zur Verfügung, und ich würde mich auch freuen, mit Ihnen über ein mögliches Engagement im Verband zu sprechen.

’Unterrichten’ – der Punkt, weshalb Sie ei- gentlich vom Land Nordrhein-Westfalen ein- gestellt wurden. Hier sollten Sie sich aller- dings auch erstmal die Zeit nehmen und Ih- re Lerngruppen kennenlernen. Sitzpläne er- stellen, Kurshefte anlegen und die schulin- terne Vorgehensweise zu Arbeits- und Sozialverhalten erfragen. Die ersten Wochen mit einem vollen Stundenplan werden Sie sicher fordern, und Sie werden auch fest- stellen, dass nicht jede Stunde eine Prü- fungsstunde sein kann. Dennoch sollten Sie den Anspruch an Ihren Unterricht nicht ver- lieren und stets offen für neue Ideen, Me- thoden, etc. sein. Nutzen Sie das im Referendariat gelernte Handwerkszeug und gestalten Sie Ihren Un- terricht stets motivierend für die Schüler und Schülerinnen. Einige organisatorische Forma-

Marcel Werner ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft junge lehrer nrw E-Mail: werner@lehrernrw.de

SERIE HAUPTSCHULEN

Fotos: WvS Bochum

England-Trip

mit einem Abstecher nach London – inklusive obligatorischem

Schnappschuss vor einer der charakteristischen Telefonzellen.

Das Gartenprojekt ist ein Beispiel für die vielen Aktivitäten, Projekte und Aktionen an der Werner-von-Siemens-Hauptschule Bochum.

 »Wir lassen niemanden fallen« Die Werner-von-Siemens-Hauptschule (WvS) in Bochum hat sich mit einer erfolgreichen Ausrichtung auf Berufsorientie- rung und einem ausgeprägten sozialen Miteinander einen sehr guten Ruf erworben. D er Name ist Programm: Die Bochu- mer Werner-von-Siemens-Schule (WvS) ist, genau wie ihr berühmter Namensgeber, ständig unter Strom. Die  Beiderseitige Aha-Erlebnisse In den Praktika gibt es nicht selten auf bei- den Seiten Aha-Erlebnisse: Die Schüler ent- decken eigene Fähigkeiten und die Betriebe vielversprechende potenzielle Azubis. »Wer

sich im Praktikum gut anstellt, hat sehr gute Chancen auf einen Ausbildungsplatz«, weiß Kathrin Torka. Viele Partnerschaften mit loka- len Unternehmen öffnen Türen. Daher ist der Slogan »Kein Abschluss ohne Anschluss« keine Floskel: In der Tat verlassen nahezu 100 Prozent eines Abschlussjahrgangs die WvS mit einem Abschluss in der Tasche – ein gutes Drittel davon schafft zeitnah den Sprung in eine Ausbildung. Dank einer Koope- ration mit zwei Berufskollegs eröffnen sich weitere Anschlussmöglichkeiten. »Wir lassen niemanden fallen«, bringt Schulleiterin Ute Meyer-Lerch die Philosophie der WvS auf den Punkt. Viele Schülerinnen und Schüler kommen mit einem Rucksack vol- ler Misserfolgs-Erlebnisse an die Werner-von- Siemens-Hauptschule. Zur Hauptschul-Päda- gogik gehört daher auch, Selbstwertgefühl zu fördern. Beziehungsarbeit ist das A und O. Ge- nau das fasziniert Ute Meyer-Lerch an ihrem Arbeitsplatz: »Wir sind an der Hauptschule als Lehrerpersönlichkeit gefordert, nicht nur als Wissensvermittler*innen.« Außerdem, so hebt die Schulleiterin hervor: »Alle Abschlüsse der Sek I sind an einer Hauptschule möglich. Nur der Weg dorthin wird individueller betreut und intensiver fördernd unterstützt, als einige grö-

Ganztagshauptschule hat über die normale Stundentafel hinaus eine Fülle von zusätzli- chen Angeboten in musischen, künstleri- schen, sportlichen und handwerklichen Bereichen im Programm. Berufsorientierung ist ein großer Schwerpunkt imWahlpflicht- bereich. »Kein Abschluss ohne Anschluss« lautet die Devise. Das beginnt schon in der Klasse 8 mit Potenzialanalysen und Berufs- felderkundungen, setzt sich in Klasse 9 mit mehrwöchigen Praktika in Betrieben fort, ehe sich in Klasse 10 vertiefende Praktika und Bewerbertrainings anschließen. Gerade die Praktika sind für viele der Schlüssel für einen erfolgreichen Übergang von der Schu- le in den Beruf. Denn noch immer ist der Stempel ’Hauptschule’ eine Hürde bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz, sagt Kathrin Torka, stellvertretende Schulleiterin der WvS.

INFO In Nordrhein-Westfalen gibt es (immer noch) 175 Hauptschulen, rund 6.300 Hauptschul-Lehrkräfte und über 52.000 Hauptschüler. Und doch bewegt sich die Hauptschule in der öffentlichen Wahr- nehmung und beim Image unter dem Radar. Aber gerade in Zeiten, da Schlag- worte wie Fachkräftemangel, individuel- le Förderung oder Integration die (schul-) politische Diskussion prägen, kann die Hauptschule ihre Stärken ausspielen. Höchste Zeit also, die vermeintlich ver- gessene Schulform wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. lehrer nrw tut dies mit einer Serie, in der wir in loser Folge Hauptschulen vorstel- len, die mit innovativen Konzepten und guter Arbeit erfolgreich sind.

 ßere Systeme es leisten können.«  Aktionen, Projekte und Aktivitäten für das Wir-Gefühl

Zahlreiche Aktionen, Projekte und Aktivitäten dienen auch der Förderung des Wir-Gefühls.

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BATTEL HILFT

Keine Lust mehr auf Coronathemen?!

 störungen sowie geistige Behinderung.  Unterricht in der Regel mit Doppelbesetzung Unter anderem geht es einmal pro Jahr zum Wandern nach England – geschlafen wird meist in Zelten, gekocht an der frischen Luft. In der Adventszeit geht es alljährlich auf eine Fahrt ins Sauerland, umWeihnachtsbäume zu schlagen, die dann im Rahmen eines Schulevents verkauft werden. Auch Skifreizeiten oder Surfkurse wären hier zu nennen. Und jeden Monat wird das ’Vor- bild des Monats’ gekürt.Wer im Schulalltag durch Hilfsbereitschaft, Mut, Ehrlichkeit, Fleiß oder in anderer Weise durch soziale Kompetenz aufgefallen ist, erhält diese Auszeichnung, die ei- nen hohen Stellenwert im Schulleben hat. 354 Schüler hat dieWerner-von-Siemens- Hauptschule aktuell. »Die Schule ist stabil, und das sagt einiges über unsere Arbeit aus«, sagt Ute Meyer-Lerch nicht ohne Stolz. DieWvS genießt bei Eltern, Kooperationspartnern und nicht zuletzt der Bezirksregierung hohes Ansehen. Nicht von unge- fähr ist sie Standortschule im Bereich Inklusion mit den Schwerpunkten Lern- und Entwicklungs- Zum Erfolg trägt neben einem engagierten Leh- rerkollegium auch eine vergleichsweise gute Aus- stattung mit multiprofessionellem Personal bei: Drei Sonderpädagog*innen, drei Schulsozialar- beiter*innen und vier MPT-Kräfte gehören zum Team. »Darüber hinaus können wir in der Regel eine Doppelbesetzung im Unterricht gewährleis- ten«, sagt Kathrin Torka. Sie selbst kam vor gut elf Jahren als junge Studienabsolventin über das Programm ’Teach first’ an die WvS – damals noch gar nicht mit dem konkreten Berufs- wunsch, Lehrerin zu werden. Doch die Arbeit an der Hauptschule packte sie schnell. »Man kann hier so viel bewirken«, sagt sie und ist längst lei- denschaftliche Hauptschullehrerin, denn: »Unse- re Schule ist super!« Jochen Smets

Der Kinder- und Jugendpsychiater Dr. Stefan Battel gibt in seiner Kolumne regelmäßig Antworten auf Fragen aus dem Lehreralltag. M ittlerweile entdecke ich bei mir einen zunehmenden Zynismus hin- sichtlich der ganzen Dinge, die um das Thema Corona medial auf- bereitet werden, und ich will kein Zyniker sein. Um dies zu vermeiden heute nur eine kleine Geschichte zum Nachdenken. Der Mullah Nasreddin ist einer der großen Meister des Querdenkens im Osten. Eine Gruppe von Bewohnern eines Dorfes, in dem sich der Mullah auf Durchreise befand, wollte ihm einen Streich spielen. Sie ver- steckten seine Reisetasche, und nirgends vermochte Nasreddin sie wie-

derzufinden. »Gebt mir unverzüglich meine Ta- sche wieder, oder wahr- lich, ich weiß, was ich tun werde!«, rief Nasreddin mit gewaltiger und zorn- bebender Stimme aus. Seine Stimme war so energisch und die ge- heimnisvolle Drohung so einschüchternd, dass die Dorfbewohner dem Mul- lah seine Tasche mit kleinlauten Entschuldi- gungen zurückgaben. Nur ein Kind wagte es, Nas- reddin zu fragen, was er denn sonst getan hätte, wenn man ihm die Tasche nicht zurückgegeben hät- te. »Gar nichts«, antwor- tete Nasreddin, »ich wäre ohne meine Tasche wei- tergereist.« Sprach’s, schwang sich auf seinen Esel und ritt davon. Freuen wir uns doch bald wieder auf lachende Kindergesichter ohne … Sie wissen schon. Und immer dran den- ken, frei nach Karl Valen- tin »Die Zukunft war frü- her auch besser.«

ZUR PERSON Dr. med. Stefan Battel ist seit 2007 niedergelassener Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychothe- rapie mit eigener Praxis in Hürth bei Köln und seit 2012 systemischer Fami- lientherapeut (DGSF). Im Rahmen des lehrer nrw -Fortbildungsprogramms greift er in einer Vortragsreihe regel- mäßig verschiedene Themen aus dem Bereich der Jugendpsychologie auf.

Foto: Andreas Endermann

Ausschließlich für Mitglieder von lehrer nrw bietet Dr. Stefan Battel einmal pro Woche ei- ne Telefonsprechstunde an. Lehrkräfte, die In- formation, Rat und Hilfe im Umgang mit schwierigen Schülern oder Eltern brauchen oder selbst in einer psychisch belastenden beruflichen Situation stecken, können dieses Angebot nutzen. Die Hotline ist jeden Dienstag von 15 Uhr bis 16 Uhr freigeschaltet und unter der Tele- fonnummer 02233 / 9610120 erreichbar.

»Wir lassen niemanden fallen« , sagt Schulleiterin Ute Meyer-Lerch.

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Foto: AdobeStock/Konstantin Hermann

Digitalisierungsstress in Schulen

 Dana Jarczyk hat in ihrer Masterarbeit die gesundheitlichen Auswirkungen der Mediennutzung in Schulen auf Lehrerinnen und Lehrer untersucht. Ihre Arbeit enthält hochaktuelle Thesen in Zeiten von Corona und wurde nun mit einer hohen Auszeich- nung gewürdigt. II m vergangenen Jahr wurde wie in einem Brennglas sichtbar: Deutschlands Schu- len hinken in der Digitalisierung hinter- her. Wir hören hier viel von den Auswirkun- gen auf die Schülerinnen und Schüler –  Einseitige Perspektive und mangelnde IT-Ausstattung als Stressfaktoren

Neben dem ’klassischen’ Einsatz im Un- terricht nutzen Lehrerinnen und Lehrer di- gitale Medien für die Unterrichtsplanung und zu administrativen Zwecken, wie die Verarbeitung von Noten und Zeugnissen. Dabei wird bereits das erste Problem deutlich: »Viele Lehrkräfte arbeiteten da- für auch vor Corona von zuhause an ihren privaten Computern«, sagt Jarczyk. Denn: Ob langsames Internet oder keine Arbeits- laptops – an vielen Schulen fehlte es schlichtweg an der notwendigen Infra- struktur. Ein weiteres Problem seien sehr schwer einzuhaltende Datenschutzbe- stimmungen: »Einige der Regelungen verhindern die Handlungsfähigkeit oder begünstigen gar einen Verstoß gegen den Datenschutz, wenn durch die Schule kei- ne Geräte gestellt werden und personen- bezogene Daten dadurch am privaten Computer verarbeitet werden müssen. Diese rechtliche Unsicherheit ist belas- tend und führt oftmals zu Frustration«, so Jarczyk.

Grundlage der Arbeit bilden Interviews mit acht Lehrkräften von vier Schulen aus dem Sekundarbereich, die Dana Jarczyk noch vor Beginn der Corona-Pandemie durchführte. »Besonders im Zusammenhang mit dem 2019 verabschiedeten DigitalPakt Schule ist mir aufgefallen, dass bisher nur wenig aus Sicht der Lehrerinnen und Lehrer gespro- chen wurde«, so Jarczyk, die Angewandte Sozialwissenschaften am Fachbereich Sozi- alwesen der FH Bielefeld studiert hat. Meist fokussieren sich Studien auf positive oder negative Effekte für den Lernprozess bzw. die Bildungsteilhabe von Schülerinnen und Schülern.

doch wie sieht es auf der anderen Seite des Bildschirms aus? In ihrer Masterarbeit un- tersuchte Dana Jarczyk von der Fachhoch- schule (FH) Bielefeld die berufsbedingte Mediennutzung von Lehrkräften und das Entstehen von ’Technostress’. Das Ergebnis: Für eine ’gesunde’ Digitalisierung sind pas- sende Fortbildungen, eine angemessene Infrastruktur und Unterstützungsangebote nötig, um Überbelastungen zu verhindern und Fehlzeiten entgegenzuwirken. Ihre Mas- terarbeit wurde nun mit dem 1. Award vom Berufsverband Deutscher Soziologinnen und Soziologen (BDS) ausgezeichnet.

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Schattenseiten der Digitalisierung: Die berufsbedingte Mediennutzung von Lehrkräften kann in ’Technostress’ ausarten.

 fektiven Strategien zur Stressbewältigung ein Gefühl der dauerhaften Erreichbarkeit erzeugen und auf diese Weise zu Überbelas- tungen führen«, so Jarczyk.  Corona-Projekte auf Kosten der engagierten Lehrkräfte Erhoben hat Dana Jarczyk ihre Daten bereits 2019 – also noch bevor die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie Home- schooling und Wechselunterricht zum Stan- dard an den Schulen machten. Wie schätzt sie die Auswirkungen durch Corona ein?

Auch wenn gezwungenermaßen seit Be- ginn der Pandemie einiges an Schulen ver- bessert wurde, ist Dana Jarzcyk sicher, dass viele dieser ’Ad hoc-Projekte’ auf Kosten der psychischen Gesundheit von engagierten Lehrkräften durchgeführt wurden: »Digitali- sierung hätte im Bereich Schule schon viel früher, umfassender und systematischer an- gegangen werden sollen, sodass nicht nur die Schulen, die einen guten Förderverein, eine motivierte Elternschaft und ein kleines Kollegium haben, sich entwickeln können, sondern dies flächendeckend geschieht.«

 Immer erreichbar? –

Nachhilfe per WhatsApp

Ein weiterer Stressfaktor: Durch digitale Medien hat sich die Kommunikation auch an Schulen verändert. Jarczyk: »Vor allem durch E-Mails wird oft eine unmittelbare Reaktion von Seiten der Schülerinnen und Schüler, Eltern oder dem Kollegium erwar- tet. Aber auch Handys werden immer mehr genutzt.« So kommt es durchaus vor, dass Lehrkräfte ihre privaten Handynummern an Schülerinnen und Schüler und das Kollegium geben, um besser erreichbar zu sein. Whats- App-Gruppen mit Schülerinnen und Schü- lern sollte es aus datenschutzrechtlichen Gründen eigentlich nicht geben, dies sei aber dennoch oft der Fall. Dadurch verschwimmen die Grenzen zwischen Privatem und Dienstlichen immer mehr. »Einerseits bieten diese Möglichkeiten eine schnelle Informationsweitergabe und einen guten Austausch und werden daher oft als praktisch empfunden. Andererseits kann dies bei nicht vorhandenen oder inef-

»Viele Schulen sind digital einfach noch nicht ausrei- chend ausgestattet, und dies wurde durch die Corona-Pan- demie nun noch offensichtli- cher. Ich kann mir vorstellen, dass Lehrkräfte, die gerne und viel in der Schule gearbeitet haben oder weniger technik- affin sind, überrumpelt, wenn nicht überfordert sind«, so die Absolventin.

Dana Jarczyk untersuchte die gesundheitlichen Auswirkungen der Mediennutzung in Schulen auf Lehre- rinnen und Lehrer.

Foto: Patrick Pollmeier/FH Bielefeld

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Schlechtes Digital-Zeugnis D ie Lehrkräfte in Deutschland vergeben mit Beginn des neuen Schuljahres schlechte Noten für die digitale Ausstattung ihrer Schulen. Einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des Cloud- und Hostinganbieters IONOS zufolge hält nach wie vor die Mehrheit (51 Prozent) den Digitalisierungsgrad ihrer Schule für schlecht, 16 Prozent davon sogar für sehr schlecht. Gleichzeitig zeigen die Befragten wenig Interesse am Thema Datenschutz: Mit Blick auf digitale Lernformate gab knapp die Hälfte der Lehrkräfte (48 Pro- zent) an, dass ihnen dieser Aspekt unwichtig ist. Für die Umfrage befragte das Meinungsforschungsunternehmen Civey zwischen 31. August und 18. September deutschlandweit rund 250 Lehrkräfte. Nur zehn Prozent bewerten die Ausstattung ihrer Schule mit Hard- und Software sowie die Möglichkeiten für digitalen Unter- richt mit sehr gut. Immerhin: 58 Prozent der Lehrenden sind der Meinung, dass ihre Schulen oder Schulträger während der Pande- mie deutlich mehr in die Digitalisierung investiert haben. Bei einem Drittel der Befragten (34 Prozent) hat sich auf diesem Gebiet aller- dings nichts getan – hier stehen weiter die Kreidetafel und der Overhead-Projektor im Mittelpunkt.  Noch viel Unsicherheit beim Umgang mit digitalen Lösungen Der Wechsel zwischen Präsenz- und Distanz-Unterricht hat den Ein- satz von onlinebasierten Formen der Zusammenarbeit unausweich- lich gemacht. Etwa sechs von zehn Lehrenden (62 Prozent) fühlen sich laut Umfrage sicher im Umgang mit den digitalen Lösungen, die sie im Schulumfeld einsetzen. Mehr als ein Viertel (29 Prozent) ge- ben allerdings an, dass sie unsicher bei der Nutzung sind (18 Prozent) beziehungsweise sich nur teilweise damit wohlfühlen (11 Prozent). Für die digitale Zusammenarbeit mit Kollegium und Lernenden setzen die befragten Lehrkräfte am häufigsten auf die E-Mail mit Schuladresse – vor der Pandemie (63 Prozent) genauso wie seit Be- ginn (55 Prozent).Während vor Corona Messenger wie Signal oder WhatsApp an zweiter Stelle standen (29 Prozent), findet seit Pande- mie-Beginn der Austausch verstärkt über Microsoft Office 365/Teams statt (39 Prozent vs. vorher 18 Prozent). Die Messenger liegen nur noch auf Platz drei (24 Prozent). Auch der Videokonferenz-Dienst Big Blue Button und die Lernplattform Moodle konnten zulegen.

Zwei Milliarden Euro für die schulische Digitalisierung

SS chulministerin Yvonne Ge- bauer hat am 23. September die ’Digitalstrategie Schule NRW’ vorgestellt. Rund zwei Milliarden Euro werden in Nordrhein-Westfalen innerhalb von fünf Jahren bis 2025 in das Lehren und Lernen mit digitalen Medien investiert. Davon sind 184 Millionen für ein zweites Ausstattungsprogramm für Schülerinnen und Schüler mit digitalen Endgeräten vorgese- hen. Die ’Digitalstrategie Schule NRW’ umfasst drei Handlungs- felder: ■ Handlungsfeld 1: Die pä- dagogischen und didakti- schen Chancen der Digitali- sierung in den Mittelpunkt stellen – Schulen und Unter- richt weiterentwickeln ■ Handlungsfeld 2: Lehrkräf- te unterstützen und qualifi- zieren ■ Handlungsfeld 3: Zugang zu digitalen Medien und digitaler Infrastruktur schaffen und sicherstellen Insgesamt stehen für die Digita- lisierung der Schulen in Nord- rhein-Westfalen für den Zeit- raum 2020 bis 2025 Mittel in Höhe von knapp zwei Milliar- den Euro zur Verfügung. Diese Summe umfasst die Gesamtheit aller zum Teil auch bereits er- folgten Investitionen in diesem Bereich. Aus Sicht von lehrer nrw ist das Gesamtvolumen von zwei Milliarden Euro beachtlich. »Ob die ’Digitalstrategie Schule NRW’ ein Erfolg wird, hängt allerdings maßgeblich von der

Umsetzung vor Ort ab. Geld und guter Wille allein reichen nicht«, betonte der Verbands- vorsitzende Sven Christoffer in einer Pressemitteilung. Damit aus der Digitalstrategie eine wirkliche Digitaloffensive für die Schulen werden kann, seien drei Punkte entscheidend: ■ Mehr Personal: Die meis- ten Schulen sind schon jetzt personell am Limit oder da- rüber hinaus. Um ein sinn- volles und pädagogisch- didaktisch passgenaues Digitalkonzept zu implemen- tieren, brauchen die Schulen mehr Personal. ■ Mehr zeitliche Ressour- cen: Ab dem Schuljahr 2022/23 soll es an jeder Schule in Nordrhein-Westfa- len eine Digitalisierungsbe- auftragte bzw. einen Digita- lisierungsbeauftragen ge- ben. Die Kolleginnen und Kollegen, die diese Aufgabe übernehmen sollen, brau- chen mehr als nur eine sym- bolische Entlastung. Digitali- sierung nebenbei funktio- niert nicht. An den Schulen muss es Ko- ordinatoren für Digitalisie- rung geben, die das Binde- glied zwischen Schulleitung und Kollegium bilden und den Digitalisierungsprozess steuern. Das erfordert neue Funktionsstellen, denn gera- de in kleineren Systemen ist die Führungsebene viel zu dünn besetzt, um eine sol- che Herkulesaufgabe zu stemmen. ■ Mehr Funktionsstellen:

Grafik: IONOS

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Die autogerechte Stadt lässt wenig Platz für Fußgänger, Radfahrer und Ökologie. Eine ähnli- che Fixierung auf ein Ziel ist in der Diskussion um die Digitalisierung (nicht nur) in Schulen zu beobachten.

Foto: AdobeStock/eyetronic

Bildung und Digitali-Täter Was die autogerechte Stadt mit Digitalitätskonzepten für Schulen zu tun hat.

D as Mantra der 1920er und wieder der 1960er Jahre war »die autogerechte Stadt«. Hundert Jahre später ist es das Mantra der digital- gerechten, datenkompatiblen Bildungseinrichtun- gen. Dabei sollte, wer die digitale Lehre verkündet, hinter die Bildschirme schauen, Akteure und deren Interessen benennen. Die autogerechte Stadt Das Vexierbild der autogerechten Stadt als Meta- pher der industrialisierten und permanent mobilen

Moderne wurde erstmalig in den 1920er Jahren in Berlin propagiert. Martin Wagner, Stadtrat für Hoch- bau und Leiter des Amtes für Stadtplanung, setzte sich erfolgreich für einen ’automobilorientierten’ Stadtumbau ein. Stadtautobahnen und Hochstra- ßen gehörten in den 1920er Jahren ebenso dazu wie mehrspurige Autobahnen quer durch die Stadt, großzügige Parkplätze und Parkhäuser sowie, im Gegenzug, Unterführungen für Fußgänger und Radfahrer. Freie Fahrt dem Auto-Mobil. Nach 1945 nahm der West-Berliner Senat wesentliche 

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Computational Thinking und informatisches Denken

Ideen Wagners für den autogerechten Umbau der In- nenstadt auf. 1959 erschien das Buch ’Die autogerechte Stadt – Ein Weg aus dem Verkehrs-Chaos’ von Hans-Bernhard Rei- chow. Alle Aspekte der Stadt- und Verkehrsplanung sollten sich dem ungehinderten Verkehrsfluss des Autos unterordnen. Was im Krieg stehen blieb, schleifte jetzt die Mobilitäts-Ideologie. Die Bedürfnisse nichtmotori- sierter Verkehrsteilnehmer wurden ebenso wenig be- rücksichtigt wie ökologische Aspekte. Heute weiß man: Mehr Straßen bringen mehr Verkehr, Dreck und Lärm und gefährden die körperliche wie psychische Gesund- heit der Menschen durch Lärm, Stress und Luftver- schmutzung. Die digitalgerechte Schule An diese automobilfixierten Konzepte samt Unterord- nung elementarer menschlicher Bedürfnisse unter die Interessen der motorisierten Verkehrsteilnehmer erinnern die heutigen Diskussionen über den Einsatz von Digital- technik (nicht nur) in Schulen. Während die Konzepte der »autogerechten Stadt« das Prinzip der Mobilität auf Auto-Mobilität verkürzten, reduzieren heutige Konzepte der Digitalisierung die Diskussion über den pädago- gisch sinnvollen Einsatz von Medien (analog wie digi- tal) im Unterricht auf Digitaltechnik. So wird etwa stolz verkündet, alle Grundschulen vor Ort hätten jetzt WLAN. Dumm nur, dass die Kinder aufgrund der Pandemie ge- rade zu Hause sind. Da hilft WLAN in Schulen nichts. Dumm auch, dass weder WLAN-Anschluss noch Endge- räte alleine als pädagogisches Konzept tragfähig sind. Ebenso könnte man Bücher ausliefern und sagen: Lernt mal schön lesen oder Musikinstrumente bereitstellen und auffordern: Musiziert mal fleißig. Richtig doof wird dieser Technikpositivismus, wenn ei- ne aktuelle Studie der Oxford University zur Schulschlie- ßung und Corona belegt, dass selbst eine sehr gute digi- tale Infrastruktur samt Endgeräten für alle Beteiligten nicht zum Unterrichtserfolg führt. Obwohl niederländi- sche Schulen als digitale Vorreiter gelten und die Aus- stattung mit Geräten überdurchschnittlich gut ist, brach- te der Fernunterricht per Netz kaum Lernfortschritte. Die Ergebnisse der Studie von Engzell seien besonders be- sorgniserregend, da die Niederlande so viele Dinge rich- tig gemacht hätten, so ein Mitautor. Lehrer und Schulbe- amte hätten »enorme Anstrengungen unternommen und die Regierung habe sogar Laptops für alle Kinder gekauft, die einen benötigen«. Trotzdem hätten die Er- gebnisse des Onlineunterrichts »viele der schlimmsten Befürchtungen [bestätigt], die Pädagogen anfangs des ersten Lockdowns hatten«.

Vermeintlich alles richtig gemacht und doch nichts gelernt? Aber sollen nicht alle Kinder möglichst früh lernen, mit Rechnern zu arbeiten, besser noch, wie Rech- ner zu denken in einer zunehmend vollständig digitali- sierten Welt? Das Stichwort dafür ist ’Computational Thinking’ (Rechnerisches Denken) und zeigt bereits im Begriff die Problematik der beabsichtigten Verkürzung menschlicher Erkenntniskräfte. Die ’Offensive Digitale Schultransformation’ (#Odigs) soll sowohl den Schulall- tag wie die Lehrerausbildung ganz nach den Anforde- rungen der Informationstechnik umformen. »Dazu gehört unter anderem die verpflichtende infor- matische und digitale Grundbildung in der Breite der Lehrkräfteaus- und -weiterbildung, verpflichtender Infor- matikunterricht für alle Schülerinnen und Schüler und mehr IT-Fachpersonal für die Schulen, das digitale Infra- strukturen aufbauen und dauerhaft pflegen kann.« (GI 2020) Mehrere Lehrerverbände unterstützen diese Initiative der IT-Wirtschaft und ihrer Lobbyverbände. Kurioserwei- se fragt kaum jemand, was informatische Grundbildung bzw. informatisches Denken konkret bedeutet. Computa- tional Thinking trainiert und verkürzt das Denken auf Fragen der Berechenbarkeit. »Informatisches Denken beruht auf der Mächtigkeit und den Grenzen von Berechnungsprozessen, ob sie nun von Menschen oder Maschinen ausgeführt werden. Be- rechnungsmethoden und -modelle geben uns Mittel an die Hand, Probleme zu lösen und Systeme zu entwerfen, die niemand von uns alleine zu lösen in der Lage wäre. Was kann der Mensch besser als ein Computer? Was können Computer besser als Menschen? Grundsätzlich wird die Frage behandelt: Was ist berechenbar?« (Wing 2006). Informatisches Denken ist, sachlogisch verstanden, eine spezifische Art von Problemlösungsstrategie, die eine beliebige Aufgabenstellung so lange in Teilaufgaben zerlegt, bis diese Teilaufgaben mathematisch beschrie- ben, in einen Algorithmus (eine Handlungsanweisung für Computer) übersetzt und von einem Computerpro- gramm berechnet werden können. Für jede Teilaufgabe muss ein eindeutiger (binärer) Wert herauskommen: Ja oder Nein, Richtig oder Falsch, Eins oder Null. Berech- nungen können beliebig komplex werden und immer höhere Rechenleistungen erfordern, aber das Grund- prinzip bleibt identisch. Berechenbarkeit von Prozessen Ja oder Nein, Richtig oder Falsch, Eins oder Null

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Foto: AdobeStock/zinkevych

Der gläserne Schüler? Mit digitalen Lernmitteln könnten Kinder zu beobachteten und vermessenen Lernern werden.

als Basis informatischen Denkens weist zugleich auf die Defizite. Sehr vieles von dem, was den Men- schen und sein Leben in Gemeinschaft ausmacht, ist nicht berechenbar. Umgekehrt lässt sich formulieren: Gerade das nicht Berechenbare macht den Menschen und sei- ne Lebenswelt aus. Man nennt es Kultur. Technik ist ein Teilaspekt, aber menschliche Kultur beruht auf viel mehr als nur mathematischen und/oder infor- matischen Denkmodellen. Kultur ist Ausdruck der Vielfalt der Menschen und ihrer Ideen, ihrer Lebens- weisen und ihrer Phantasie, Kreativität und Schöp- fungskraft. Kultur beruht vor allem auf Gemein- schaft und Sozialität, die gerade nicht berechnet werden können. Wer die Standardphrase von Start- ups »Wir programmieren eine bessere Welt« sprach- logisch und kultursensibel hinterfragt, wird es als Drohung begreifen. »Nicht alles, was man zählen kann, zählt. Und nicht alles, was zählt, kann man zählen«, soll Albert Einstein gesagt haben. Wem im- mer man dieses Bonmot zuschreibt: Eine berechnete Welt ist keine humane, sondern ein auf Berechenba- res verkürztes Dasein.

Automatisieren und Vermessen von Lernprozessen

Exakt diese digitale Infrastruktur zum Erfassen und Verdaten von Lernverhalten wird derzeit in den Schulen installiert, mit den bekannten Big Five der IT im Hintergrund und exakt den gleichen Mög- lichkeiten der Probandensteuerung durch Rückka- nal und personalisierte Daten. Bei der Installation von Lernsystemen in Schulen ist die wichtigste Ap- plikation das sogenannte Identitätsmanagement (IM oder ID-M). Bei Microsoft heißt es Azure und er- laubt, alle Handlungen einer Person auch über mehrere Geräte hinweg zu verfolgen und der Per- son zuzuordnen. Christoph Meinel (HPI) beschreibt die Notwendigkeit der Identifizierung der Nutze- rinnen und Nutzer am Beispiel der HPI-Schulcloud so: »Viele dieser interaktiven Systeme funktionieren nur, wenn sie den Nutzer kennen. Das bedeutet, dass Daten protokolliert werden: Was hat der Be- treffende gestern gemacht? Welche Frage konn- 

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DER AUTOR

ne Daten und Klarnamen speichern. Das System müsse schließlich ’wissen’, wer vor dem Bildschirm sitzt und da- zu alle Interaktionen mit dem System aufzeichnen. »In dieser Lern- und Arbeitsumgebung sind Klarna- men unerlässlich. Lehrer müssen Ihre Schüler erkennen, Schüler ihre Klassenkameraden, Teilnehmer ihre Arbeits- gemeinschaften.« (Meinel, 2020b) Klarnamen im System und Abgleich von Lernleistungen mit allen jemals eingeloggten Probanden dürften klar machen: Hier geht es nicht um individuelle Lernprozesse und Verstehen, sondern um Ergebnismessung und Pro- zessoptimierung. Hier gilt es, IT-Strukturen insgesamt neu zu denken und vom Menschen her zu konzipieren, bevor man diese Technologien in Schulen einsetzen kann. Stichworte sind: Kappen des Rückkanals für Daten und damit das Unterbinden von Datensammlung und Profi- lierung, Dezentralisierung und Datensparsamkeit sowie Datenhoheit und Löschoption bei den Nutzerinnen und Nutzern. Andernfalls etabliert man in Schulen Kontroll- und Steuerungssysteme, die Shoshana Zuboff für das kommerzielle Web als ’Zeitalter des Überwachungskapi- talismus’ charakterisiert und aus denen in Bildungsein- richtungen eine digital basierte Überwachungspädago- gik wird. Digital basierte Überwachungs- pädagogik Engzell, P., Frey, A., & Verhagen, M. D.: Learning Inequality During the Covid-19 Pandemic (29. Oktober 2020). https://doi.org/10.31235/osf.io/ve4z7 ; https://osf.io/ preprints/socarxiv/ve4z7 GI (2020) Pressemeldung Gesellschaft für Informatik: GI star- tet ’Offensive Digitale Schultransformation’ (18. Mai 2020), Web: https://offensive-digitale-schultransformation.de/ Meinel, Christoph (2020a): Im internationalen Vergleich sind wir nicht gut aufgestellt, didacta-Themendienst; https://bildungsklick.de/schule/detail/im-internationalen- vergleich-sind-wir-nicht-gut-aufgestellt (19. Februar 2020) Meinel, Christoph (2020b): Bildungsdaten der Schüler schüt- zen (16. September 2020) https://blog.hpi-schul-cloud.de/ individuelle-foerderung-mit-interaktiven-lernsystemen/ (22. Oktober 2020) Wing, Jeannette M. (2006): Computational Thinking. Com- munications of the ACM, vol. 49, no. 3, pp. 33-35, März 2006; deutsche Übersetzung: ’Computational Thinking – Informatisches Denken’ von Hermann Hellwagner (AAU Klagenfurt), Gerti Kappel und Radu Grosu (TU Wien) QUELLEN & LINKS

te er nicht beantworten? Wo müssen wir wieder anset- zen?« (Meinel, 2020a) Dabei geht es nicht um einzelne Schülerinnen oder Schüler als Individuum. Sie sind nur ein Fall in einer Reihe von beobachteten und vermessenen Lernern. Im HPI-Blog-Beitrag zu Bildungsdaten schreibt Meinel, dass Lernsysteme ... »… Vergleichsanalysen mit den Verhaltensdaten aller anderen jemals eingeloggten Lerner durchführen und darauf aufbauend die weiteren Interaktionen dem anvi- sierten Lernziel entsprechend steuern (könne).« (Meinel, 2020b) Lernsysteme würden sich ’erinnern’ (genauer: spei- chern) welche Matheaufgaben nicht richtig gelöst wür- den, oft sogar die Ursache erkennen. Das System spei- chert, »welche Vokabeln nicht richtig sitzen und deshalb weiter geübt und trainiert werden müssten«. Solche klein- teiligen Lernleistungsprüfungen könnten Lernmanage- mentsysteme viel besser umsetzen, als es Lehrkräften je möglich wäre. Durch ’passgenaue Angebote’ (ein be- liebtes Wort der Prozessoptimierer) würden Schwächen der Schüler/innen erkannt und überwunden und ’zielge- nau’ (ein ebenso beliebter Begriff) Stärken individuell gefördert. Die Lernziele gibt das Lernprogramm vor und ist für Lernende ebenso intransparent wie die Leistungs- messung. Dafür müsse man allerdings personenbezoge- Ralf Lankau ist Grafiker, Philologe und Kunstpäda- goge. Er unterrichtet seit 1985 Gestaltungstechniken mit analogen und digitalen Techniken, seit 2002 als Professor für Mediengestaltung und Medientheorie an der Hochschule Offenburg. Er leitet die grafik. werkstatt an der Fakultät Medien und Informations- wesen, forscht (praktisch und theoretisch) zu Experi- menteller Medienproduktion in Kunst, Lehre und Wis- senschaft und publiziert zu Design, Kommunikations- wissenschaft und (Medien-) Pädagogik.

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