lehrernrw 5 2023

RECHT § AUSLEGER

Darf eine Beeinträchtigung wie Legasthenie als Vermerk auf einem Zeugnis erscheinen? Diese Frage wird das Bundes- verfassungsgericht in Kürze beantworten.

Foto: AdobeStock/Marco Martins

Zeugnisvermerk als Stigma? Das Bundesverfassungsgericht beschäftigt sich aktuell mit der Frage, ob und wie transparent Behinderungen oder Beeinträchti gungen von Schülern auf einem Zeugnis gemacht werden müs sen. Es wird ein Urteil mit beträchtlicher Strahlkraft erwartet.

  Klage zunächst abgewiesen Die drei Schüler mit Lese- und Rechtschreib störung klagten gegen den nach ihrer An sicht stigmatisierenden Vermerk zunächst bis vor das Bundesverwaltungsgericht. Die ses wies die Klage – wer hätte es geahnt – allerdings im Kern ab (Urteil vom 29. Juli 2015, Az. 6 C 35.14). Das Gericht argumen tierte dabei im Wesentlichen wie folgt: Das aus Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 Grundgesetz abgeleitete Gebot, behinderte Menschen zu fördern, rechtfertige, dass Schülerinnen und Schüler mit Legasthenie, die als Behinde rung anerkannt ist, den sogenannten Noten schutz erhalten. Notenschutz bedeutet das Recht dieser Schülerinnen und Schüler, dass ihre Rechtschreibleistungen nicht bewertet werden. Gleichzeitig sei aber auch ein entspre chender Zeugnisvermerk gerechtfertigt, da er ausdrücklich klarstelle, dass die Noten im speziellen betreffenden Zeugnis nicht auf der Grundlage des allgemeinen Bewer tungsmaßstabes zustande gekommen wa ren. Das Bundesverwaltungsgericht kommt dazu, weil es im Zusammenhang mit Prü fungen und Benotungen zwischen Noten schutz und Nachteilsausgleich differenziert. Und aufgrund dieser komplexen Systematik kommt es zu weitreichenden Folgen hin sichtlich entsprechender Vermerke in Zeug nissen.

Prozent aller Schülerinnen und Schüler be troffen. Ein entsprechender Vermerk kann jeden möglichen Arbeitgeber wie mit dem Holzhammer auf die betreffenden Schwä chen aufmerksam machen und veranlas sen, sich zu überlegen, eine Bewerberin oder einen Bewerber in die engere Wahl zu nehmen. Dazu kommt es paradoxerweise auch noch gerade deshalb, weil ihre Beein trächtigung durch Nicht-Bewertung der Rechtschreibung in der Schule ausgegli chen werden sollte. Personen mit einer Lese- und Recht schreibschwäche leiden oft unter ihrer Beeinträchtigung. Sie haben oftmals psychische Probleme. Schülerinnen und Schüler stoßen in der Schule häufig auf ein Nicht-Verstanden-Werden sowie auf Ausgrenzung, obwohl sie weder einsatz scheu noch desinteressiert sind. Sie erle ben Schule häufig als einen Ort der Nie derlage. Wegen durchschnittlich schlech terer Schulabschlüsse ist der Zugang für diese Schülergruppe zu beruflichen Bil dungswegen eingeschränkt, erklärt der Bundesverband Legasthenie und Dyskal kulie.

von CHRISTOPHER LANGE

K lagen, die das Bundesverfassungs gericht verhandelt und die den Be reich Schule betreffen, sind in Rela tion zur gesamten Fülle und Bandbreite der Fälle vor dem höchsten deutschen Ge richt eher selten. Wenn dies aber einmal der Fall ist, sind sie dafür umso spektaku lärer und bedeutender. So hat das Bundes verfassungsgericht kürzlich über die Klage von drei Legasthenikern verhandelt. Diese sehen es als Stigma an, dass in ihren Abi turzeugnissen festgehalten ist, dass Recht schreibleistungen aufgrund einer fachärzt lich festgestellten Legasthenie nicht be wertet wurden. Zwar handelt es sich bei den Klägern um Gymnasiasten aus Bayern, die zugrundeliegende Thematik könnte je doch auch in anderen Bundesländern wie auch in Nordrhein-Westfalen und über Abi turzeugnisse hinausgehend denkbar sein.  Ein Thema mit Brisanz Das Thema hat Brisanz: Von einer Lese- und Rechtschreibschwäche sind rund vier

lehrer nrw · 5/2023 28

Made with FlippingBook - Online Brochure Maker