lehrernrw 5/2021

KOLUMNE

Ferdinand Kümmertsich

Wir sind doch keine Jur isten …

Der Kollege Ferdinand Kümmertsich ist gestählt durch unzählige Schlachten in Konferenzen, Bezirksregierungsbüros und Elternsprechtagen. Mit reichlich Berufs- und Lebenserfahrung ausgestattet, blickt er mit einem Augenzwinkern auf den ganz normalen Wahnsinn des Systems Schule.

ber Herr Kümmertsich, gehen sie noch- mals in sich, ob Joline-Christin wirklich eine mangelhafte Leistung auf dem Zeugnis ver-

wenn wir die Noten verteilen, die wir nun mal verteilen, so ha- ben wir uns da schon Gedanken gemacht. Wenn ich wollen wür- de, dass alles justiziabel ist, dann wäre ich Jurist geworden. Das bin ich aber nicht; ich bin Lehrer! Alles muss seit Jahren justizia- bel sein und rechtssicher, und es werden Berge von Seiten mit Vorschriften gefüllt, die sich eh keiner merken kann, aber kommt es zum Falle eines Falles, dass etwas ’passiert’, so wird schnell der Vorwurf laut, warum man sich nicht an § blablabla auf Seite 17 209 der Verordnung für Schwachsinn gehalten hat und nun dienstrechtlich belangt werden würde. Und dann soll man moti- viert seine Arbeit machen. Es reicht! Liebe Bezirksregierungen und liebes Ministerium, steht endlich einmal hinter Euren Lehrkräften. Anstatt ihnen vorzuhalten, was sie alles laut Paragraph blablabla falsch machen, sollte man bes- ser einmal erwähnen, was sie gut meistern. Zum Beispiel die Corona-Krise, aber auch dafür bekommen manche Kollegien so ordentlich eins auf den Deckel, dass es schon einer Schikane gleicht. Das muss aufhören, sonst sinkt die Motivation noch weiter, wenn sie nicht bereits im Keller angekommen ist. Euer alter Kollege Ferdinand Kümmertsich

dient hat. Vielleicht finden sie noch etwas, das eine ausreichende Leistung begründen kann«, flehte mich unser Schulleiter Herr Diensttreu an. »Seien Sie mir nicht böse, aber wenn ich eine mangelhafte Leistung auf das Zeugnis setze, dann werde ich schon wissen, was ich da tue. Schließlich ziehen wir die Noten hier nicht aus dem Hut! Alle drei Klassenarbeiten im Fach Eng- lisch waren ungenügend und die sonstige Mitarbeit schon im so dünnen mangelhaften Bereich, dass es auch fast eine Sechs wä- re. Und nun betteln sie mich an eine vier zu geben, warum? Was soll der Schwachsinn?«, antwortete ich erbost. »Na, wegen der Möglichkeit eines Widerspruchs. Herr Kümmertsich, wir werden doch nicht heraufprovozieren wollen, dass die Schulaufsicht so juristisch genau prüft, dass uns das Hören und Sehen vergeht. Es muss schon alles justiziabel sein, damit wir den Widerspruch nicht verlieren. Ach, ich darf gar nicht daran denken!«, äußerte sich Herr Diensttreu fast weinend. Da reißt einem ja fast die Hutschnur. Wir sitzen an der Front und unterrichten und bewerten. Dazu sind wir ausgebildet. Und

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