lehrernrw 3 2024

BRENNPUNKT

   Kein Raum für frische Ideen

terricht? Durch die vielen Gespräche mit und Kontakte zu Kolleginnen und Kollegen verschiedener Schulformen habe ich einen ganz anderen Eindruck gewonnen. Die Kreativität und Motivation ist vorhanden, kann aber häufig nicht in die Praxis umge setzt werden, da schlicht und ergreifend die zeitlichen Ressourcen fehlen. Neben den Vorgaben der Kernlehrpläne bleibt keine Zeit mehr, eigene Ideen und Projekte umzusetzen. Das bedauern viele Kollegin nen und Kollegen sehr, ist doch in der ADO NRW auch zu lesen: § 5 Pädagogische Freiheit und Verantwortung (1) Es gehört zum Beruf der Lehrerinnen und Lehrer, in eigener Verantwortung und päda gogischer Freiheit die Schülerinnen und Schü ler zu erziehen, zu unterrichten, zu beraten, zu beurteilen, zu beaufsichtigen und zu be treuen. Dabei ist der Bildungs- und Erzie hungsauftrag der Schule nach Verfassung (BASS 0-2) und Schulgesetz NRW zu beach ten. (2) Lehrerinnen und Lehrer sind an Vorgaben ge bunden, die durch Rechts- und Verwaltungs vorschriften, Richtlinien und Lehrpläne sowie durch Konferenzbeschlüsse und Anordnungen der Schulaufsicht gesetzt sind. Konferenzbe schlüsse dürfen die Freiheit und Verantwor tung der Lehrerinnen und Lehrer bei der Gestaltung des Unterrichts und der Erziehung nicht unzumutbar einschränken.

 Pädagogische Freiheit in Gefahr

Das ist es, was viele Kolleginnen und Kolle gen fordern: eigene Verantwortung und pädagogische Freiheit. Diese sehen viele Lehrkräfte zunehmend eingeschränkt, da es leider häufig von größerer Priorität ist, Schü lerinnen und Schülern den vorgegebenen Unterrichtsstoff zu vermitteln und sie auf standardisierte Prüfungsformate vorzuberei ten, als der Kreativität der Schülerinnen und Schüler, aber auch der eigenen, Freiräume zu geben. Dies wurde mir besonders deut lich, als ich eine Podiumsdiskussion bei der didacta zum Thema ‘Quereinstieg ist (k)eine Lösung? Fachkräftemangel in der Schule’ besuchte. Hier meldete sich ein Mitglied der Schülervertretung NRW zu Wort: »Seitenein steiger erkennt man an ihrer Kreativität.« Das kann man natürlich nicht generell und pauschal bestätigen, aber der junge Mann hatte nicht ganz unrecht. Viele Seitenein steigerinnen und Seiteneinsteiger kommen mit den unterschiedlichsten beruflichen Vor erfahrungen ins System Schule und bringen frische, neue Ideen ein. Ideen, von denen sich in diesem System über Jahrzehnte ge gängelte Kolleginnen und Kollegen schwe ren Herzens irgendwann einmal verabschie det haben. Oder besser gesagt, verabschie den mussten, um den Vorgaben und Stan dardisierungen gerecht zu werden.

Erschreckend ist, dass bereits im Jahr 2011 die ehemalige Vorsitzende unseres Verbandes, Brigitte Balbach, in ihrem Artikel ‘Pädagogi sche Freiheit in Gefahr’ ( lehrer nrw 7/2011) auf diese besorgniserregende Tendenz hin wies: »Es fehlen Raum und Zeit während des Schulbetriebs, um eigene Ideen und innovati ve Ansätze umsetzen zu können. Erinnern Sie sich daran, lieber Leser, wann Sie zuletzt lust voll Ihre nächste Unterrichtsreihe inhaltlich wie didaktisch nach eigenen Vorstellungen entwickelt haben? Wann haben Sie sich das letzte Mal für ein in Ihren Augen aktuelles Thema für Ihre Stundendiskussion entschie den, um daran anschließend den Inhalten neue, auf die Schülerschaft abgestimmte Akzente geben zu können? Wann haben sie zuletzt Ihre klaren Vorgaben des Curriculums verlassen, um den Anforderungen Ihrer Schü lerinnen und Schüler besser gerecht zu wer den?... Idealismus und Enthusiasmus, die he rausragenden Eigenschaften, die gerade im Lehrberuf häufig zu finden sind, werden uns dann abhanden kommen, wenn wir auf die pädagogische Freiheit verzichten.« Wir brauchen dringend wieder mehr Vertrauen in die Expertinnen und Experten vor Ort. Ein ‘Weiter so‘ darf es nicht geben!

Sarah Wanders ist stellv. Vorsitzende des lehrer nrw E-Mail: wanders@lehrernrw.de

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lehrer nrw · 3/2024

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