lehrernrw 3 2022
SCHULE & POLITIK
Gesunde Führungskultur Ein wesentlicher Aspekt für eine nachhalti- ge Gesundheitsförderung im Lehrerberuf ist aber auch eine gesunde Führungskultur in der Schule, die nicht unwesentlich über den Gesundheitsstatus eines ganzen Kollegiums mitentscheidet. Schule ist ein kompliziertes System und kaum vergleichbar mit anderen Bereichen der Arbeitswelt. Das liegt auch am speziel- len hierarchischen Aufbau mit seinen be- sonderen Aufgaben und Zuständigkeiten. Und dem besonderen Dienstrecht, das einen Arbeitsplatzwechsel unwahrscheinlicher macht. Schulleitung steht als Führungspersonal häufig im Fokus, wenn es um Fragen der Führungsqualität geht. Dabei stellt Schullei- tung ’lediglich’ das Bindeglied zwischen Schulaufsicht und schulischer Umsetzungs-
KOMMENTAR
auf allen Ebenen zutage, von oben nach un- ten, aber auch umgekehrt, individuell oder kollektiv. Manches Vorkommnis liegt in der Natur der Sache, wenn Menschen mit Men- schen umzugehen haben. Manches wäre nicht nötig oder dürfte nicht sein, wenn man seine Aufgabe an seiner Stelle im System so wahrnähme, wie es geboten wäre. Personalräte erreichen im schlimmsten Fall immer wieder auch Klagen von Lehr- kräften darüber, dass ’unter dem Schullei- ter/der Schulleiterin’ eine Fortsetzung der beruflichen Tätigkeit nicht möglich sei. Die Frage bzw. Notwendigkeit einer Versetzung steht dann zumeist sofort im Raum. Die Gründe, die für diesen angeblich unauflös- baren Konflikt angeführt werden, liegen häufig in der Art der Ausübung der Funkti- on als Dienstvorgesetzter oder in besonde- ren persönlichkeitsstrukturellen Merkmalen. Der BAD hat sich dieser Thematik der ’Gesunden Führung’ mit mehreren Work- shops angenommen, der Bedarf scheint vor- handen zu sein. Diese Workshops sollen da- zu dienen, im Schulalltag den Fokus auf ge- sundheitsfördernde Methoden zu legen. Die Angebote richten sich sowohl an Schullei- tungen (zum Teil verpflichtend) als auch an Lehrkräfte/Kollegien. Ein Weg, der helfen könnte, besonders belastende oder sogar krankmachende Strukturen aufzudecken und, wenn möglich, aufzubrechen. Psychische Erkrankungen als Ursache für Arbeitsunfähigkeit Wer die statistischen Untersuchungen der Krankenkassen zur Kenntnis nimmt, stellt einen hohen Anteil an psychischen Erkran- kungen als Ursache für Arbeitsunfähigkeit fest. Erkrankungen, die zumeist einen lang- fristigen Genesungsprozess zur Folge ha- ben, mit sehr persönlichen Konsequenzen für den Betroffenen. Und volkswirtschaft- lich einen hohen Schaden anrichten, nicht nur im Schulbereich. Leisten kann man sich das in Zeiten des Fachkräftemangels ei- gentlich nicht.
»Bleiben Sie gesund!«
Es kann und darf nicht sein, dass derart viele Menschen im Schulsystem über hohe bis hin zu überfordernden psy- chischen Belastungen klagen. Vorüber- gehende oder dauerhafte Dienstunfä- higkeit sind häufig die Folge. Gegenüber dem einzelnen Individuum ist diese Tat- sache wie ein Verstoß des Arbeitgebers gegen seine Fürsorgepflicht zu werten. Denn die Arbeitsbedingungen sind so zu gestalten, dass alle Beschäftigten ihren Dienst unter Wahrung der eigenen kör- perlichen Unversehrtheit ausüben kön- nen. Neben der Sinnhaftigkeit und Umset- zungsmöglichkeit politischer Vorgaben sowie der Angemessenheit schulischer Strukturen zählen die Führungsqualitä- ten zu den Bausteinen, die über diese gesundheitsfördernde Arbeitssituation ganz wesentlich mitentscheiden. Das reicht von politischen Entscheidungen im Schulministerium in Düsseldorf über den Umgang der Schulaufsicht mit Lehr- kräften und Schulleitungen bis hin zur Schulebene, wo alle Belastungsfaktoren zusammenlaufen und im Kollegium aus- getragen werden. Was fehlt, ist der institutionalisierte Weg von unten nach oben, der direkten Kommunikation von der Basis an die Spitze, des Austauschs, auch der Be- schwerde. Denn ohne diese intensive Rückkopplung entfernen sich die Politik und die Schulaufsicht von den realen Zuständen, nehmen sie das wahre Schulleben nicht mehr wahr. Und lassen die Lehrkräfte damit allein! Der Gesundheits- und Schuldezernent des Kreises Herford hat recht: »Wenn wir unseren Kindern eine gute Bildung und Betreuung ermöglichen wollen, müssen wir auf die Verantwortlichen, unsere Lehrkräfte, Acht geben.« Ulrich Gräler
ebene poli-
tischer Vorgaben vor Ort dar. Sie sitzt bildlich ’zwischen den Stühlen’. Der psychische Druck, der auf dem System lastet, wird dann von ganz oben über die Schulleitungen bis auf die unterste Ebene durchgereicht, ohne dass dem Einzelnen ausreichend Mitsprache- und Gestaltungs- recht zugebilligt wird. Führungsqualität auf allen Ebenen Wer daher ’Führungsqualität’ in den Blick nehmen will, der muss die Führungsstruktur insgesamt in den Blick nehmen, von der Spit- ze des Ministeriums bis hinunter zur Basis mit den Lehrkräften und dem sonstigen pä- dagogischen Personal. Denn gesundheitsbe- lastendes Verhalten zu Lasten anderer tritt
Ulrich Gräler ist stellv. Vorsitzender des lehrer nrw E-Mail: graeler@lehrernrw.de
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