lehrernrw 3 2022

Die Basis der Demokratie Dem interessierten Beobachter und Pädagogen sei hier die Frage erlaubt, ob diese Bewertung von Prof. Hanno- ver und offensichtlich des Expertengremiums insgesamt akzeptabel ist. Beruht eine Demokratie nicht gerade da- rauf, dass nicht eine jede Person für sich selbst entschei- det, was gerecht und gleich ist und was die Würde des Einzelnen ausmacht, sondern die Gesellschaft insge- samt darüber befindet? Einem Pädagogen/einer Pädagogin, welche(r) im Rahmen der Politischen Bildung für die repräsentative Demokratie mit Dreiteilung der Staatsgewalt, dem staat- lichen Gewaltmonopol, Parlamentarismus werben soll, fällt es schwer zu akzeptieren, dass bei der Vorbereitung junger Menschen für ein erfülltes Leben in unserer Ge- sellschaft die höchste Form der demokratischen Kompe- tenz in einem postkonventionellen Niveau moralischen Urteilens und Handelns liegt. Mit dieser wissenschaftli- chen Aussage stellt man das System der Demokratie, aber auch das Grundgesetz auf den Kopf. So urteilend würde auch der Sturm auf das Kapitol in Washington am Nachmittag des 6. Januar 2021 zu rechtfertigen sein. Denn wer bestimmt das postkonventionelle Niveau mo- ralischen Urteilens und Handelns? Offensichtlich nimmt der Aktionsrat Bildung hierbei – wie so viele in unserer Gesellschaft fälschlicher Weise – Bezug auf das Widerstandsrecht, welches in Artikel 20, Abs. 4 des Grundgesetzes festgeschrieben steht. Es postu- liert ein naturrechtlich gegebenes Recht jedes Men- schen, sich unter bestimmten Bedingungen gegen staat- liche Gesetze oder Maßnahmen aufzulehnen bzw. ihnen den Gehorsam zu verweigern. Aber diese Gehorsams- verweigerung hat sehr enge Grenzen und ist nur dann anzuwenden, wenn gegen die in den Absätzen 1 bis 3 beschriebene Ordnung beseitigt würde. Das ist jedoch in Deutschland bisher nie der Fall gewesen. Ja, »Die triste Wirklichkeit« der Politischen Bildung in Deutschland, in den westlichen Demokratien insgesamt, macht nachdenklich. Die Krise der Politischen Bildung ist zugleich eine Krise der Demokratie, die Herrschaftsform, die wir selbst zunehmend aushöhlen, weil vielen in Deutschland in Politik und Gesellschaft – getrieben vom Motiv der Machterhaltung oder des Machterwerbs – das Verständnis für die Grundlagen der repräsentativen De- mokratie abhandengekommen ist – leider! Anton Huber Dies ist die gekürzte Fassung eines Beitrags, der als Erst- veröffentlichung in ’Bildung real’, der Zeitschrift des Ver- bandes Deutscher Realschullehrer (VDR), erschienen ist. INFO

1. Bildung zu demokratischer Kompetenz als Schul- prinzip und als fächer-übergreifendes Prinzip. 2. Erhöhung der Qualität des Fachunterrichts. 3. Professionalisierung des Personals. 4. Etablierung eines systematischen Monitorings. Prof. Hannover beschrieb in ihren Ausführungen die ent- wicklungspsychologischen Aspekte der Förderung de- mokratischer Kompetenz. Sie führte unter anderem aus, dass demokratische Kompetenz »erst relativ spät in der Biografie eines Menschen vollständig erworben (werde)« … »Erst im Alter zwischen vier und neun Jahren können sich die Kinder mental in die Perspektive einer anderen Person hineinversetzen. Perspektivübernahme ist eine Voraussetzung demokratischer Kompetenz, denn Demo- kratie bedeutet immer, dass wir verschiedene Sichtwei- sen anerkennen und versuchen miteinander zum Aus- gleich zu bringen.« Eng verknüpft sei damit die Fähig- keit zur Empathie, »d.h. das Vermögen, die Gefühle einer anderen Person nachzuempfinden«. In der mittleren Kindheit komme, so Hannover, eine weitere Voraussetzung hinzu, nämlich moralische Urteils- und Handlungsfähigkeit. »Äußere Normen und Vorga- ben werden zu inneren Normen und Vorgaben, an de- nen die Person ihr Handeln ausrichtet und ihr Handeln bewertet.« In der späten Kindheit und im Jugendalter er- reichen die Menschen das sogenannte konventionelle Niveau moralischen Urteilens und Handelns. »Kinder und Jugendliche richten sich in dieser Altersphase nach sozialen Konventionen aus, in moralischen Konfliktsitua- tionen achten sie also darauf, was ihre soziale Gruppe meint oder was nach ihrer Auffassung in der Gesell- schaft für richtig gehalten wird.« In dieser Zeit setzt auch in der Schule der Fachunterricht in Politischer Bildung ein (7. bzw. 8. Jahrgangsstufe), das Ziel: »Vermittlung poli- tischen Wissens und dessen Berücksichtigung im eige- nen Argumentieren und Schlussfolgern. Erste Formen po- litischer Einstellungen und politisch aktiven Verhaltens entstehen.« Ein weiteres Ziel der Politischen Bildung sei es dabei aber auch, die moralische Entwicklung der jungen Leute voranzutreiben. Das ’höchste’, das sogenannte postkonventionelle Niveau moralischen Urteilens und Handelns werde, so Hannover, nur von rund dreißig Prozent der Erwachse- nen erreicht. »Die Menschen machen universell gültige Prinzipien oder Werte zur Richtschnur ihres Handelns, Beispiele sind Gerechtigkeit, Gleichheit, Würde des Ein- zelnen, also letztlich demokratische Werte.« Ein Großteil der Erwachsenen bleibe auf dem Niveau des konventio- nellen Urteilens und Handelns, das sei nach Hannover kritisch zu sehen, weil sie in moralischen Konfliktsituatio- nen ihr Verhalten an sozialen Konventionen ausrichten.

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