lehrernrw 2 2022
Zeitschrift des Verbandes lehrer nrw
1781 | Ausgabe 2/2022 | MÄRZ | 66. Jahrgang
Ich verdiene A13!
Pädagogik & Hochschul Verlag . Graf-Adolf-Straße 84 . 40210 Düsseldorf
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20 Schule & Politik Wahlprüfsteine
3 Unter der Lupe Von Schulfreiheit, Innovationen und Investitionen
6 Im Brennpunkt Personalnot! – Notpersonal?
Schluss mit der Bildungs-Deform
IMPRESSUM lehrer nrw – G 1781 – erscheint sieben Mal jährlich als Zeitschrift des ‘lehrer nrw’ ISSN 2568-7751 Der Bezugspreis ist für Mitglieder des ‘lehrer nrw’ im Mitgliedsbeitrag enthal- ten. Preis für Nichtmitglieder
INHALT
UNTER DER LUPE Sven Christoffer: Von Schulfreiheit, Innovationen und Investitionen BRENNPUNKT Ulrich Gräler: Personalnot! – Notpersonal? Kommentar: Sich ehrlich machen JUNGE LEHRER NRW Marcel Werner: Krieg und Schule Beschulung von Flüchtlingskindern TITEL Sarah Wanders: Wir sind Cato! Warum sich Beharrlichkeit auszahlt
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im Jahresabonnement: € 35,– inklusive Porto Herausgeber und Geschäftsstelle lehrer nrw e.V. Nordrhein-Westfalen, Graf-Adolf - Straße 84, 40210 Düsseldorf, Tel.: 02 11 / 1 64 09 71, Fax: 02 11 / 1 64 09 72, Web: www.lehrernrw.de Redaktion Sven Christoffer, Ulrich Gräler, Christopher Lange,
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Ich verdiene A13
DOSSIER Schluss mit der Bildungs-Deform
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BATTEL HILFT Wozu sind Kriege da?
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Jochen Smets, Sarah Wanders, Marcel Werner Düsseldorf Verlag und Anzeigenverwaltung PÄDAGOGIK & HOCHSCHUL VERLAG – dphv-verlags- gesellschaft mbH, Graf-Adolf-Straße 84, 40210 Düsseldorf, Tel.: 02 11 / 3 55 81 04, Fax: 02 11 / 3 55 80 95 Zur Zeit gültig: Anzeigenpreisliste Nr. 22 vom 1. Oktober 2021 Zuschriften und Manuskripte nur an lehrer nrw ,
SCHULE & POLITIK Wahlprüfsteine
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SENIOREN Das zerbrechliche Paradies IT-Fortbildung im April Zu den Schönheiten Ostfrieslands FORTBILDUNGEN Auf die Stimme kommt es an RECHT § AUSLEGER Christopher Lange: Corona als Dienstunfall ? – Nicht ganz so einfach… ANGESPITZT Jochen Smets: Der große Bluff oder: Warum eine Partie Poker mitunter seriöser ist als ein Wahlprogramm HIRNJOGGING Aufgabe 1: Spieglein, Spieglein Aufgabe 2: Streichholz-Rätsel
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Zeitschriftenredaktion, Graf-Adolf-Straße 84, 40210 Düsseldorf
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Für unverlangt eingesandte Manuskripte kann keine Ge- währ übernommen werden. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung ihrer Verfasser wieder.
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UNTER DER LUPE
Von Schulfreiheit, Innovationen und Investitionen Am 16. Februar hat der nordrhein-westfälische Landtag das ’Gesetz zur Modernisierung und Stärkung der Eigenverantwortung von Schulen’ (16. Schulrechts-
änderungsgesetz) beschlossen. Zuvor hatte unser Verband sowohl eine schriftliche Stellungnahme zur Entwurfsfassung abgegeben als auch am 18. Januar an der Sachverständigenanhörung im Ausschuss für Schule und Bildung teilgenommen.
gegenwärtigen Personalmangel zum Hemmschuh. Wer Innovationen will, darf aus meiner Sicht Investi- tionen nicht ausschließen. Diese erweiterte Selbst- ständigkeit im §25 ist zudem an das Modellvorha- ben ’Selbstständige Schule’ angelehnt. Bei den Schulen, die seinerzeit am Modellvorhaben teilge- nommen haben, wurde jedoch eine halbe Stelle zu- sätzlich als Ressource investiert, die auch kapitali- siert werden konnte. Ich war selbst an einer solchen selbstständigen Schule und weiß deshalb, wie gut es getan hat, dass auf diese Weise Spielräume geschaf- fen wurden, um sich den Entwicklungsvorhaben, die im Modellprojekt ’Selbstständige Schule’ angelegt waren, intensiv widmen zu können. Elternwille bleibt entscheidend Um den Eltern eine qualifizierte Entscheidung für den Bildungsweg ihres Kindes nach der Klasse 4 zu ermöglichen, soll künftig, neben der Grundschule, auch die weiterführende Schule die Eltern beraten, falls das Kind keine – auch keine eingeschränkte – Empfehlung für diese Schulform erhalten hat. Sie sollen dadurch die Fördermöglichkeiten der Schule besser beurteilen können. Eltern können jedoch nicht zu dem Beratungsgespräch verpflichtet wer- den. Somit bleibt es am Ende dabei, dass die Eltern über den weiteren Bildungsgang ihres Kindes in der Sekundarstufe I entscheiden. Mehr Verbindlichkeit wünschenswert Ich würde das als kleinen Schritt in die richtige Rich- tung bezeichnen wollen, könnte mir aber noch deut- lich mehr Verbindlichkeit vorstellen. Über wel-
von SVEN CHRISTOFFER
II n diesem Gesetz kommt aus meiner Sicht ein freiheitlicher Bildungsbegriff zum Ausdruck, der den Verbandsvorstellungen durchaus nahe- kommt. Ich glaube fest daran, dass Bildung nicht von oben verordnet und unten nur umgesetzt wer- den sollte. Innovation entsteht nur, wenn den Schu- len Spielräume eröffnet und Gestaltungsmöglichkei- ten gegeben werden. Dass das Schulprogramm ge- mäß §3 nun ein Schulprofil ausweisen kann, führt aus meiner Sicht im Idealfall zu mehr Individualisie- rung, mehr Profilierung, mehr Passgenauigkeit im Hinblick auf das Umfeld, das die Schule umgibt, und auch im Hinblick auf die eigenen Stärken, Mittel und Möglichkeiten. Im Grundsatz positiv zu sehen sind auch die er- weiterten Erprobungsspielräume im Rahmen der schulischen Selbstverwaltung und Eigenverantwor- tung (§25). Hier sind Abweichungen von den Ausbil- dungs- und Prüfungsordnungen möglich, um innova- tive Wege zum Beispiel in der Unterrichtsorganisati- on und Schulmitwirkung zu eröffnen. Das stärkt die Position der Schulleitungen und der Lehrkräfte vor
Ort – zumindest in der Theorie. Viel Wasser im Wein
Denn ein Zusatz im Gesetzesentwurf besagt, dass entsprechende Vorhaben nur dann genehmigt wer- den können, wenn sie keine Kosten verursachen. Damit erstickt die Landesregierung leider viele gute Ideen und Konzepte im Keim. Das ultimative Gebot der Kostenneutralität wird neben dem ohnehin all-
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UNTER DER LUPE
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Wenn der Dienstherr auf dem Geld sitzt, können die Ideen noch so gut sein: Ohne Investitionen sind Innovationen nicht möglich.
che Situation sprechen wir? Wir sprechen über die Situation, in der der Wunsch der Eltern in krassem Widerspruch steht zur Expertise der Grundschullehr- kräfte. Die Erfahrungen der Vergangenheit haben gezeigt, dass, wenn auf dem Elternwunsch beharrt wird, in nicht wenigen Fällen am Ende der Erpro- bungsstufe ein Bildungsgangwechsel notwendig ist. Das wird von den Kindern selbst als subjektives Scheitern empfunden. Insofern müssten wir uns doch bemühen, einen Weg zu finden, der dieses Sze- nario wenig wahrscheinlich werden lässt. Aus die- sem Grund habe ich die Befürchtung, dass die avi- sierte Beratung an den weiterführenden Schulen ein Stück zu kurz greift. Sie ist vielerorts ohnehin bereits gelebte Praxis. Der Schritt von der vierten in die fünfte Klasse ist von enormer Wichtigkeit für die Schülerinnen und Schüler. Daher sollte es eine sorg- fältig abgewogene Entscheidung sein, die adäquate Schulform zu finden, die zu den Fähigkeiten und Neigungen des Kindes passt. Schulvielfalt als Stärke An dieser Stelle würde ich deshalb gerne noch ein- mal eine Lanze brechen für das nordrhein-westfäli-
sche Schulsystem. Wir haben in Nordrhein-Westfalen eine Schulvielfalt, die ein breites Angebot bereithält – aus meiner Sicht eine enorme Stärke. Wir haben Schulformen, die Differenzierung und kognitive Ho- mogenisierung auf ihre Fahnen geschrieben haben. Wir haben Schulformen, die gemeinsames Lernen und Kollaboration in den Mittelpunkt stellen. Wir ha- ben die Neigungsdifferenzierung und die Berufs- wahlorientierung an unseren Realschulen. Und wir haben große Systeme wie die Gesamtschulen und die Gymnasien, aber auch kleine, sehr behütete Sys- teme. Und auch die werden von einigen Schülerin- nen und Schülern in besonderer Weise benötigt, weil sie sich dort besonders aufgehoben und individuell betreut fühlen. Deshalb ist die Entscheidung nach Klasse vier eine so wichtige. Und jede Maßnahme, die die Expertise der Lehrkräfte stärkt, wird von mir ausdrücklich begrüßt.
Sven Christoffer ist Vorsitzender des lehrer nrw sowie Vorsitzender des HPR Realschulen E-Mail: christoffer@lehrernrw.de
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BRENNPUNKT
Foto: AdobeStock/bluedesign
Das Angebot kann den Bedarf nicht decken: Um den strukturellen Lehrermangel in den Griff zu bekommen, bedarf es vor allem einer Attraktivitätssteigerung des Arbeitsplatzes Schule.
Personalnot! – Notpersonal? Über Personalnot im Schulbereich wird seit Jahren geklagt, gleichzeitig weist die Politik wiederholt und statistisch be- legt auf zunehmend umfangreichere Neueinstellungen hin. Und zwar als Ausdruck nachhaltigen politischen Bemühens, diesen Personalmangel zu beheben und damit ein funktio- nierendes Schulwesen zu gewährleisten. D ie Bandbreite der Nachrichten reicht einerseits von »Rund drei Prozent der knapp 160 000 Lehrer- allgemeine Öffentlichkeit, mit zum Teil verstörenden Eindrücken auf die betroffe- ne Lehrerschaft vor Ort. von ULRICH GRÄLER der schulischen Personalausstattung statt. Mit verwirrenden Konsequenzen für die
Missverhältnis von
Angebot und Nachfrage
Unbestreitbar scheint zu sein, dass der Nachwuchs an Lehrkräften nicht ausreichen wird, die notwendigen Nachbesetzungen für die ausscheidenden Lehrkräfte der gebur- tenstarken Jahrgänge zu kompensieren. Wer die Zahlen aus den Zentren für schulfachli- che Lehrerbildung (ZfsL) in den Blick nimmt und diese ins Verhältnis zu den im Jahres- durchschnitt in den Ruhestand tretenden Kollegen setzt, kann allein zahlenmäßig das Missverhältnis zwischen Zu- und Abgängen erkennen. Und wer dann noch einmal fach- spezifisch dieses Zahlenverhältnis betrach- tet, stößt auf besondere Diskrepanzen beim Missverhältnis von Angebot und Nachfrage. Das Ergebnis für den Sekundarstufe I-Be- reich besteht nun darin, dass für bestimmte Fächer kaum bzw. keine grundständig quali- fizierten Bewerber mehr zur Verfügung ste- hen. Das Land NRW steht deshalb vor dem Dilemma, entweder eine Kürzung der Stun- dentafel in dem jeweiligen Fach zuzulassen oder den Mangel an bestimmtem Fachper- sonal anderweitig aufzufangen.
Denn in all diesen Diskussionen ist es unerlässlich, vorab zuerst den Bereich zu definieren, über den man Aussagen irgend- welcher Art tätigen möchte. Die Personal- not betrifft schließlich nicht alle Bereiche des Schulwesens gleichermaßen. Deshalb sei vorweg klargestellt, dass es in diesem Artikel vorrangig um die Schulen der Sekundarstufe I gehen soll.
stellen in Nordrhein-Westfalen unbesetzt« bis hin zu »deutlich verbesserte Lehrerver- sorgung seit Amtsantritt 2017« anderer- seits (zum Beispiel ’Neue Westfälische’, 11. Februar 2022). Gerade im auf Landes- ebene so politisch bedeutsamen Schulbe- reich findet medial von Zeit zu Zeit immer wieder ein Ringen um die Deutungshoheit
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BRENNPUNKT
wäre, die im Hinblick auf den weiteren Lebensweg einen Anspruch auf einen lehr- plankonformen Unterricht für ihre Kinder und Jugendlichen hat. Anspruch auf bestmögliche Vorbereitung Um es klar herauszustellen: Schulen wenden enorme Anstrengungen auf, geeignetes Per- sonal zu finden, und sie sind äußerst dank- bar für jeden Interessierten, der sich der Aufgabe von Unterricht und Erziehung stel- len will und sich diese auch zutraut. Diese sollten dann aber auch den Anspruch haben KOMMENTAR Sich ehrlich machen! zum originären Arbeitsplatz Lehrer aufwei- sen. Und die dann auch immer häufiger mit voller Stundenzahl zum Einsatz kommen sollen. Personalräte schlagen bei dieser ’Quadra- tur des Kreises’ Alarm. Denn für Bewerber mit diesen Voraussetzungen gibt es weder ausreichende Unterstützungs- noch Qualifi- zierungsmaßnahmen. Diese wären aber dringend geboten, will man auch nur annä- hernd ein Qualitätsniveau für den zu ertei- lenden Unterricht sicherstellen, der nicht nur bei einer Qualitätsanalyse den Anforderun- gen genügen sollte, sondern der vor allem auch vor einer Elternschaft zu rechtfertigen
dürfen, dass sie auf diese Aufgabe bestmög- lich vorbereitet werden. Es liegt in der Verantwortung der aktuel- len und vorherigen Landesregierungen, die- sen Bereich des Schulpersonals wenig bis gar nicht in den Blick genommen zu haben. Er darf jedoch keinesfalls allein der Verant- wortung oder der bisweilen wirklich ehren- werten Improvisationskunst der Schullei- tung vor Ort überlassen bleiben. Den Arbeitsplatz Schule attraktiver machen Die quantitative Absicherung von Unterricht kann nicht das Ziel von Schule sein, sondern nur der sowohl quantitativ als auch qualita- tiv hinreichende Unterricht. Und von diesem Ziel entfernen wir uns seit Jahren stetig mehr. Die Gründe dafür sind seit langem bekannt. Getan und geleistet für eine Abhil- fe wurde jedoch zu wenig. Es gilt nach wie vor: Eine Trendumkehr wird nur gelingen, wenn die auch von lehrer nrw stets einge- forderten Bedingungen des Arbeitsplatzes Schule insgesamt attraktiv werden. Nur dann werden sich wieder mehr Bewerber für dieses Berufsfeld interessieren und finden.
Defizitäre Lösungen
Die Lösungen dazu sind, gemessen am Idealzustand, wenn man das eigene Ausbil- dungssystem des Landes NRW für Lehrkräf- te zum Maßstab nimmt, stets defizitär. Sie reichen von Lehrkräften, die einen Zertifi- katskurs in dem Mangelfach absolviert haben, über fachfremd erteilten Unterricht unbefristet eingestellter regulärer Lehrkräf- te bis hin zu so genannten Seiteneinstei- gern, befristet oder unbefristet, mit mehr oder minder fachspezifischer Qualifikation. Die Bandbreite der ’Seiteneinsteiger’ be- ginnt per definitionem bei Gym/Ge-Lehr- kräften, die zwar auch am Gymnasium bzw. einer Gesamtschule in der Sekundarstufe I unterrichten sollen, dennoch aber wegen des ’falschen’ Lehramtes unter die Katego- rie ’Seiteneinsteiger’ fallen. Die Modelle des Landes NRW, überzählige Bewerber aus dem Gym/Ge-Bereich mit einem Garan- tieversprechen auf einen späteren Arbeits- platz an einem Gymnasium oder einer Ge- samtschule zunächst in der Sekundarstufe I einzusetzen, erwies sich als qualitativ und quantitativ sehr erfolgreich. Die Einstellung von Hochschulabsolven- ten mit einem unterrichtsaffinen Fach als Seiteneinsteiger, die Anspruch auf eine ein- jährige Qualifizierungsmaßnahme in Form einer ’Pädagogischen Einführung’ haben, trug ebenfalls in hohem Maße zur quali- tätsorientierten Bedarfsdeckung bei, da von Bewerbern aus diesen Berufsfeldern vielfach der praktische Anwendungsbezug des Faches überzeugend und glaubwürdig mit eingebracht werden konnte. Quadratur des Kreises Nun ist die ’Not’ an den Schulen jedoch so groß, dass die Rekrutierung von Ersatzein- stellungen auf diesem Qualifikationsniveau in immer mehr Fällen nicht mehr gelingt, vor allem im Vertretungsbereich. Schulen sehen sich gezwungen, auf Bewerber zu- rückzugreifen, die entweder als Student für das Lehramt mit wenigen Fachsemestern oder als anderweitig ausgebildete Fach- kraft eine noch deutlich größere Distanz
Ulrich Gräler ist stellv. Vorsitzender des lehrer nrw E-Mail: graeler@lehrernrw.de
Die Politik wird zu sehr vom Disput über Zahlen bestimmt, derweil sich die Lage nicht zum Guten wendet. Vor allem im Sek-I-Bereich, der in den Medien viel zu wenig Auf- merksamkeit erfährt. Doch gerade dieses ’schwierige’ Alter sowie die Aufgabe der Berufsfindung und -vorbereitung sollten ein vordringliches Interesse der Gesellschaft bekom- men. Denn gerade hier
gibt es Reibungsverluste, zahlreiche gelingende oder vertane Chancen sowie viele persönliche Entschei- dungen der Kinder und Jugendlichen. Dazu bedarf es mehr Personal, für mehr Flexibili- tät bei der Bildung von Lerngruppen, für mehr Qualitätsanspruch bei den Ergebnissen. Dass dieses derzeit nicht genügend zur Verfügung steht, ist offen- kundig. Insofern bedarf es
’unkonventioneller’ Lösun- gen, dieses Personal zu fin- den und zu gewinnen. Da- zu gehört dann aber auch, dieses Personal mit Hilfs- angeboten und Qualifizie- rungsmaßnahmen massiv zu unterstützen und zu begleiten, damit deren Ein- satz im Unterricht einen größeren Nutzen für alle Schülerinnen und Schüler nach sich zieht. Alles ande- re wäre fahrlässig! Ulrich Gräler
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JUNGE LEHRER NRW
wir wollen keinesfalls, dass sich die rus- sischstämmigen Schülerinnen und Schüler schuldig oder ausgegrenzt fühlen. Daher ist es wichtig, ihnen zu vermitteln, dass es Putins Krieg ist. Schulalltag gibt Sicherheit und Struktur Dennoch sollten wir die Schülerinnen und Schüler inhaltlich nicht mit dem Thema des Krieges überfrachten, denn die Psyche unse- Gefühle zeigen und diese mit unseren Schü- lerinnen und Schülern teilen, doch müssen wir dieses Thema in der Schule mit Bedacht behandeln. Schließlich treffen in der Schule viele Nationen zusammen. In unserer Schule zum Beispiel leben und lernen Russen und Ukrai- ner friedlich unter einem Dach, gehen pro- blemlos miteinander um, sind befreundet. Hier ist besondere Vorsicht geboten, denn
rer Schützlinge ist noch durch die Pandemie angeschlagen genug. Auch wenn es wichtig ist, sich zu informieren, sollten wir die Ju- gendlichen zwischendurch aktiv abschalten lassen. Besprechen Sie mit Ihren Kollegen, wann und von wem das Thema aufgegriffen wird – eine Möglichkeit bieten die Klassen- lehrerstunden. In der Regel sind die Klassen- lehrerinnen und -lehrer sehr gut in der Lage, die Stimmung in der Klasse sensibel wahr- zunehmen und optimal drauf einzugehen. Denn für unsere Schüler ist es wichtig, auch etwas Normalität in ihrem Alltag zu erfah- ren, daher ist eine enge Absprache mit den Kollegen ratsam. Der gewohnte Schulalltag gibt den Kindern Sicherheit und Struktur. Unterstützung durch Experten einfordern Wichtig ist es auch, ein Zeichen des Friedens und des Zusammenhalts in die Welt zu sen-
von MARCEL WERNER
Der Krieg in der Ukraine sorgt für Fassungslosigkeit, Wut, Verunsicherung und Angst – auch in den Schulen. Lehrkräf- te sollten ihre Antennen für die Stimmungslage in ihren Klassen ausfahren. ÄÄ ngste, Wut und viele Fragen be- schäftigen wahrscheinlich gerade alle Bürgerinnen und Bürger Europas, wenn sie an den Krieg in der Ukraine denken. Aber wir als Lehrkräfte sind trotz der eigenen Ängste und Sorgen mal wieder besonders gefragt. Es wird von uns erwartet, dass wir professionell mit dem Thema umgehen. Natürlich dürfen auch wir
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JUNGE LEHRER NRW
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Krieg und Schule
Sich selbst nicht vergessen So dramatisch die Situation auch ist – ver- gessen Sie nicht sich selbst. Wir Lehrkräfte haben in den letzten Jahren enormes ge- leistet, und durch den Ukraine-Krieg kommt die nächste Aufgabe auf uns zu. Sorgen Sie aktiv für sich, denn in belasten- den Situationen ist es besonders wichtig, sich aktiv um die was Ihnen aktiv hilft, den Kopf freizube- kommen. Was sich hier immer eignet, sind körperliche Aktivitäten wie Sport oder Waldspaziergänge, kreative Betätigungen, Filme schauen, Bücher lesen oder Musik hören. Verbringen Sie aktiv Zeit mit Ihrer Familie oder kochen gemeinsam mit Ihren Freunden etwas Leckeres. Auch Sie sollten sich Time Slots setzen, in denen Sie sich bewusst nicht über die aktuelle Lage infor- mieren. Denn leider ist davon auszugehen, dass die aktuelle Lage noch einen länge- ren Zeitraum andauern wird, und die nächste Aufgabe für Sie und Ihr eh schon gebeuteltes Kollegium wird die Aufnahme und Integration vieler Flüchtlingskinder sein. Dennoch sollten Sie trotz der ganzen Belastung nie vergessen, warum Sie diesen Job ausgewählt haben, denn auch das kann ein Anker in der aktuellen Situation sein. Selbstfürsorge zu küm- mern. Nehmen Sie sich die notwendige Pause und überlegen Sie sich,
Der Ukraine-Krieg löst bei Kindern viele Fragen und Ängste aus. Lehr- kräfte sollten dem Raum geben.
den. Hier haben Sie, Ihre Kolleginnen und Kollegen, aber auch Ihre Schülerinnen und Schüler bestimmt schon viele kreative Ideen und diese teilweise sicher auch bereits um- gesetzt. Weiterhin sollten Sie die Expertise und vor allem die ’Manpower’ des Schulpsy- chologischen Dienstes und der Schulsozial- arbeit einfordern. Denn in Einzelfällen kön-
nen Schülerinnen und Schüler mit der Situa- tion emotional überfordert sein und anfan- gen zu weinen oder zu erstarren. Hier helfen Ihnen die Beratungsstrukturen Ihrer Schule. Durch eine gezielte Absprache können sol- che Zusammenbrüche vermieden werden. Aufgrund dessen ist der Ukraine-Krieg auch kein Thema für den Vertretungsunterricht.
Marcel Werner ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft junge lehrer nrw E-Mail: werner@lehrernrw.de
JUNGE LEHRER NRW
Foto: AdobeStock/daria antipina
Beschulung von Flüchtlings- kindern Über die ersten Schritte zur Bewältigung der pädagogischen, fachlichen und organisatorischen Herausforderungen im Zusammenhang mit der Beschulung von Flüchtlingskindern hat das nordrhein- westfälische Schulministerium informiert.
D er Krieg in der Ukraine hat hundert- tausende Menschen in die Flucht getrieben. Auch in Deutschland sind bereits viele Flüchtlinge angekommen – zum großen Teil Frauen, Kinder und alte Menschen. »Unter den Ankommenden be- finden sich viele Kinder und Jugendliche
im schulpflichtigen Alter. Diese bedürfen im Besonderen des Schutzes und unserer aller Hilfe«, heißt es in der Schulmail vom 8. März. Darin gibt das NRW-Schulministe- rium erste Informationen zur Beschulung der Flüchtlingskinder. Hier das Wichtigste in Auszügen:
■ In den kommenden Tagen und Wochen werden die Ausländerbehörden grund- sätzlich allen Flüchtlingen aus der Ukraine die Aufenthaltserlaubnis nach §24 Aufenthaltsgesetz erteilen, auch denjenigen, die bislang schon eingereist und privat untergekommen sind. Damit erfolgt auch die Zuweisungsentschei- dung. Sobald die Flüchtlinge ihren Wohnsitz in der Zuweisungskommune genommen haben, entsteht für die be- troffenen Kinder und Jugendlichen nach § 34 Absatz 1 Schulgesetz die Schul- pflicht. ■ Die Zuweisung eines Schulplatzes für die schulpflichtigen Kinder und Jugend- lichen erfolgt durch die örtlich zuständi- gen staatlichen Schulämter. ■ Im Rahmen der Zuweisung erfolgt auch eine Beratung der ankommenden Fami- lien aus der Ukraine zur angemessenen Beschulung ihrer Kinder. Diese Bera- tungsleistung erfolgt in den meisten nordrhein-westfälischen Kommunen durch die an die Kommunalen Integrati- onszentren abgeordneten Lehrkräfte des Landes Nordrhein-Westfalen. Da in den vergangenen Jahren stetig Zuwan- derung erfolgte, liegen hier gute Bera- tungspraxen und erprobte Konzepte vor.
VDR: DEMOKRATIEBILDUNG JETZT VERSTÄRKEN mit historisch-politischen Zusammen- hängen sei es möglich, den Schülerinnen und Schülern die Bedeutung der Souve- ränität eines Landes zu verdeutlichen, so Böhm weiter. »Die Schulen müssen im Rahmen des Unterrichts kontinuier- lich Möglichkeiten bieten, den universa- len Wert der Demokratie zu thematisie- ren, auch um den jungen Leuten Ängste zu nehmen«, sagt der VDR-Bundesvor- sitzende. In Anbetracht der schrecklichen Entwick- lungen im Ukraine-Konflikt fordert der Bundesvorsitzende des Deutschen Real- schullehrerverbands (VDR), Jürgen Böhm, die Lehrkräfte dazu auf, demo- kratische Bildungsarbeit an den Schulen zu verstärken: »Gerade jetzt sind Lehre- rinnen und Lehrer dazu aufgerufen, mit den Jugendlichen intensiv über den Wert der demokratischen Grundprinzipien zu sprechen. Freiheit, Gleichheit und Souve- ränität sind höchste Güter einer freien, modernen und zukunftsgerichteten Ge- sellschaft. Diese Werte müssen wir stets verteidigen, und wir Lehrkräfte sind da- zu aufgefordert, die Schülerinnen und Schüler regelmäßig für diese demokrati- schen Grundwerte zu sensibilisieren!«. »Wie die aktuelle geopolitische Lage zeigt, sind autokratische Regime leider wieder auf dem Vormarsch und bedro- hen den Weltfrieden. Demokratiebildung ist jetzt umso wichtiger, denn sie ist ein gewaltiges und gleichzeitig gewaltloses Schutzschild gegen Angriffe auf die frei- heitlich-demokratische Grundordnung«, schließt Böhm. Nur durch umfassende Aufklärung und ausführliche Auseinandersetzung
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JUNGE LEHRER NRW
besuchten Schulform verbunden. Das erfolgt mit Blick auf die jeweilige schulische Entwicklung der Schülerin bzw. des Schülers zu einem späteren Zeitpunkt. ■ In Zeiten von Flucht aus der Ukraine wird Schule ein wichtiger Ankerpunkt sein für das Lernen und das psychische und soziale Wohlbefinden von geflüch- teten Kindern und Jugendlichen. Das Erleben von Schule als sicherem Ort ist dabei von entscheidender Bedeutung: Hier wird Resilienz gestärkt durch die sichere Strukturierung des Alltags und durch die Stärkung von Kontrollüber- zeugungen und Zugehörigkeit. Belas- tungen wie die Sorge um Angehörige und den Verlust von Heimat und sozia- len Beziehungen können so in einem ersten Schritt aufgefangen werden. Die
in jedem Kreis und jeder kreisfreien Stadt als gemeinsame Kooperation von Land und Kommunen vorhandenen schulpsychologischen Beratungsein- richtungen können von Schulen bei Bedarf für eine inhaltliche Vertiefung dieses Themas im Kollegium oder für die Schulteams im Sinne einer systemi- schen Beratung für die Schulberatung, Gewaltprävention und Kriseninterven- tion angefragt werden. Weitere Infor- mationen und hilfreiche Links hat die Landesstelle Schulpsychologie und Schulpsychologisches Krisenmanage- ment (LaSP NRW) in Kooperation mit den kommunalen Stellen hier bereitge- stellt und aktualisiert diese fortlau- fend:
■ Die in den Schulen für die neu ankom- menden Schülerinnen und Schüler einzuleitenden Maßnahmen zur För- derung der deutschen Sprache regelt der Runderlass ’Integration und Deutschförderung neu zugewanderter Schülerinnen und Schüler’ (BASS 13-63 Nr. 3). Die Beschulung der neu angekommenen Schülerinnen und Schüler er- folgt danach
Heimatlos geworden: Zahlreiche Kinder kommen in diesen Tagen nach einer überstürzten Flucht aus ihrer Heimat in den Schulen auch in Nordrhein-Westfalen an. Zum Teil sind sie schwer traumatisiert.
entweder in innerer
Differenzie- rung, in teil- weise oder in vollstän- dig äußerer
Differenzierung. Damit ist noch keine Zuordnung der Schülerin bzw. des Schülers zu einem Bildungsgang der
https://schulpsychologie.nrw.de/ themen/krieg/krieg.html
TITEL
Wir sind Cato! Warum sich Beharrlichkeit auszahlt
von SARAH WANDERS
Nur um nicht missverstanden zu werden: Natürlich bewundere ich Cato ausschließlich für die Beharr- lichkeit seines Tuns und nicht für den Inhalt seines Ziels. Dreizehn Jahre politische Untätigkeit Ähnlich wie Cato nicht müde Von Cato lernen heißt Beharrlichkeit in der Verfolgung seiner Ziele lernen. N eulich hörte ich einen sehr inte- ressanten Vortrag über ’Cato den Älteren’. Für diejenigen, die die- sen Namen nicht ohne Weiteres in einen geschichtlichen Kontext einordnen kön- nen (wie ich es vor dem Vortrag wahr- scheinlich auch nicht hätte tun können), eine kurze Erläuterung: Der römische Senator Marcus Porcius Cato hat sich mit seiner Art, seine Reden zu beenden, in den Geschichtsbüchern verewigt, denn er soll grundsätzlich mit dem Satz »Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Kar- thago zerstört werden sollte« (»Ceterum censeo Carthaginem esse delendam«) geendet haben, unabhängig vom sonsti- gen Inhalt seiner Reden. Im Dritten Pu- nischen Krieg folgte Rom schließlich der Forderung Catos.
wurde, bei jeder Gelegen- heit seine Forderung nach der Zerstörung Karthagos zu platzieren, wird lehrer nrw nicht müde, bei je- der Gelegenheit die
Forderung nach einer angemessenen Besol- dung/Vergütung
(A13/E13) für alle Lehrkräfte unabhängig von der Schulform zu platzieren. Und die Umsetzung dieser Forderung ist längst überfällig. 2009 entfiel mit der Änderung des LABG (Lehrerausbildungsgesetz) die Rechtferti- gung für die unterschiedliche Besoldung/
Beharrlichkeit führt zum Erfolg: Seit Jahren kämpft lehrer nrw für das Ziel ‘A13 für alle’ – unter anderem mit diesem Plakat bei der Personalratswahl 2020.
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TITEL
Vergütung unterschiedlicher Lehrämter, denn die Regelstudienzeit wurde angegli- chen. 2010 bis 2017 hätte die rot-grüne Landesregierung unter Hannelore Kraft ausreichend Zeit gehabt, diesen Missstand endlich zu beseitigen. Leider warteten die Lehrkräfte vor Ort vergeblich auf die An- passung, die nicht zuletzt auch ein Zeichen für die Wertschätzung der Arbeit aller Lehrkräfte gewesen wäre. Und auch unter der Nachfolgeregierung aus CDU und FDP änderte sich nichts. Die Wende? Anfang Januar sagte SPD-Landeschef Kut- schaty gegenüber der Deutschen-Presse- Agentur in Düsseldorf, dass er im Falle sei- ner Wahl im Mai schon ab dem 2023 be- ginnenden Schuljahr die Eingangsbesol- dung auf A13 für alle Lehrämter anglei- chen wolle. »Ich kann heute keinem mehr erklären, dass ein Lehrer an einem Gymna- sium mehr verdienen muss als an den an- deren Schulen. Deswegen muss das Ein- stiegsgehalt für alle Lehrkräfte auch gleich sein«, wurde er in der Rheinischen Post am 9. Januar 2022 zitiert. Somit sicherte sich die SPD die Pole-Position, was das Wahl- kampfthema ’A13 für alle Lehrkräfte’ be- trifft. Die SPD ist in diesemWahlkampf aber nicht allein mit dieser Forderung. So ist im Wahlprogramm von Bündnis 90/Die Grü-
Frage stellen, warum die SPD und die Grü- nen dieses Thema nicht angegangen sind, als sie in der Regierung waren, aber lieber späte Einsicht als gar keine. FDP führt im Überbietungswettbewerb Die FDP, die seit 2017 mit Frau Gebauer die Schulministerin stellt, geht in ihrem Wahlprogramm noch einen Schritt weiter: »Die Lehrämter sind gleichwertig und er- fordern daher auch eine einheitliche Ein- stiegsbesoldung. Bei einer Neuordnung der Lehrkräftebezahlung müssen jenseits der Einstiegsbesoldung auch Beförderungsäm- ter und eine faire Lösung für die Bestands- lehrkräfte in den Blick genommen wer- den.« Die FDP nimmt also nicht nur die Neueingestellten und Bestandslehrkräfte in den Blick, sondern auch die Kolleginnen und Kollegen in Beförderungsämtern. Na- türlich begrüßt lehrer nrw dies ausdrück- lich, allerdings bleibt die Frage, warum die nen NRW auf Seite 61 unter dem Punkt »Wir bringen mehr Personal in die Schule« zu lesen: »Die gleiche Besoldung für alle Lehrämter (A13 als Eingangsbesoldung) – nicht nur für die neu ausgebildeten Leh- rer*innen – ist unser Ziel.« Gut, nur ein Satz, aber immerhin sind auch die Kolle- ginnen und Kollegen mitgedacht, die be- reits seit Jahren für A12/E11 arbeiten. Natürlich könnte man sich jetzt die
keit (siehe Seite 20). Folgen den FDP mit Schulministerin Yvonne Gebauer diese Pläne nicht schon lange umgesetzt hat. Ist es nur so, dass der Finanzminister dies immer blockiert hat? Oder war die FDP an dieser Stelle nicht ähnlich nach- drücklich wie der alte Cato? Bliebe zu guter Letzt noch ein Blick in das Wahlprogramm der CDU, die schließ- lich den Ministerpräsidenten stellt. Leider hatte diese bis zum Redaktionsschluss noch kein Wahlprogramm veröffentlicht. Warum auch zwei Monate vor der Wahl demWähler mitteilen, wofür man steht? Immerhin bekennt sich die CDU in unseren Wahlprüfsteinen zur Besoldungsgerechtig- Ankündigungen Taten? Angesichts der Tatsache, dass sich zumin- dest die drei Parteien, die auf Bundesebe- ne eine Koalition bilden, dazu bekannt haben, dass es einer Neuordnung der Lehrkräftebezahlung bedarf, bleibt am Ende eine entscheidende Frage: Werden den Ankündigungen in den Wahlprogram- men endlich Taten folgen? Aus diesem Grund möchte ich nach dem Vorbild Catos meinen Artikel beenden: Im Übrigen bin ich der Meinung, dass jede Lehrkraft A13/E13 verdient!
Sarah Wanders ist stellv. Vorsitzende des lehrer nrw E-Mail: wanders@lehrernrw.de
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TITEL
gleiche Tätigkeit und gleiche Leistung be- steht Anspruch auf gleichen Lohn.‘ Jedoch haben weder die rot-grüne Landesregierung (2010 bis 2017) noch die aktuell regierende schwarz-gelbe Landesregierung die vergü- tungs- und besoldungsrechtlichen Konse- quenzen aus der Reform des Lehrerausbil- dungsgesetzes von 2009 gezogen.« Für lehrer nrw ist klar: »Eine leistungsgerechte Bezahlung der Lehr- kräfte an Schulen der Sekundarstufe I sowie an Grundschulen ist eine Frage der Gerech- tigkeit und steigert gleichzeitig die Attrakti- vität des Lehrerberufs in Nordrhein-Westfa- len!« ’Ich verdiene A13’ ist ebenfalls auf tau- senden von Magnetstickern und Aufklebern zu lesen, mit denen Lehrkräfte überall ihre Unterstützung für das A13-Ziel dokumentie- ren können. Teil der Kampagne ist zudem ein Plakat, das auch dieser Ausgabe unserer Verbandszeitschrift beigelegt ist. Es soll am
Mit diesem Slogan startet lehrer nrw am 28. März eine Kampagne, um im Vorfeld der Landtagswahl die Forderung nach einer gerechten Bezahlung für alle Lehrkräfte nochmals in den Fokus der Politik und der Öffentlichkeit zu rücken.
N RW-Ministerpräsident Hendrik Wüst bekommt demnächst reichlich Post. Im Idealfall werden 75 000 Postkar- ten auf dem Schreibtisch des jungen Lan- desvaters landen. Sie werden ihn daran er- innern, dass noch ein Wahlversprechen offen ist. ’Ich verdiene A13’ steht auf den lehrer nrw -gelben Postkarten. Sie bilden den Mittelpunkt einer Kampagne, mit der lehrer nrw seiner Forderung nach einer Eingangsbesoldung nach A13 bzw. Eingangsver- gütung nach E13 kurz vor der Landtagswahl am 15. Mai nochmals Nachdruck verleiht. Am 28. März läuft die Kam- pagne an. Dann werden die Postkarten an über 1000 Haupt-, Real-, Sekundar- und Gesamt- schulen in Nordrhein-Westfalen verschickt. Vor Ort sollen die Lehrer- räte an den einzelnen Schulen für die Verteilung an die Kollegien sor- gen. Alle Kolleginnen und Kollegen sind aufgefordert, die Postkarten zu unterschreiben und an Ministerpräsi- dent Wüst zu schicken. In einem begleitenden Anschreiben an die Lehrerräte werden die Hintergründe und der Ablauf der Kampagne erläutert. Darin heißt es: »Seit der Reform des Lehrerausbildungs- gesetzes im Jahre 2009 ist die Ausbildungs-
dauer aller Lehramtsstudiengänge in Nord- rhein-Westfalen gleich. Damit ist auch die rechtliche Grundlage für eine einheitliche Besoldung/Vergütung aller Lehrkräfte ge- schaffen worden. Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang Artikel 24, Absatz 2, Satz 2 unserer Landesverfassung: ‘Für
schwarzen Brett aufmerksam- keitsstark auf die Aktion hin- weisen. Daher geht die herzli- che Bitte an alle Leserinnen und Leser, das Plakat an ihrer Schule aufzuhängen und so unsere Aktion zu unterstüt- zen.
Mit diesem Plakat wirbt lehrer nrw an den Schulen für die Postkar- tenaktion, die der Forde- rung nach ’A13 für alle’ Nachdruck verleiht.
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Foto: be free/AdobeStock
Vermessen: Quantitative Messverfahren können Bildung nicht objektiv erfassen. Entscheidend ist nicht eine Messmethode, sondern ein Lehrerurteil in pädagogischer Freiheit und Verantwortung.
Schluss mit der Bildungs-Deform
In ihrem Ende 2021 veröffentlichten ’Manifest für Bildung’ skizziert die Gesellschaft für Bildung und Wissen Grundzüge einer Bildungsreform nach der Corona-Krise. lehrer nrw veröffentlicht das Manifest in zwei Teilen. Nach der Bestandsaufnahme in Teil 1 (siehe lehrer nrw 1/2022) geht es im hier folgenden Teil 2 um die Frage, was nun notwendig ist.
Was tun und was lassen? Das Folgende ist kein Plädoyer für eine Rückkehr zur vermeintlich guten alten Zeit, in der faktisch manches Gute unterlassen wurde. Die momenta- ne Reform lehnen wir aber ab, weil sie kaum zur Bildung mündiger Bürger beiträgt.
1. Beurteilen statt messen Der Volksmund weiß, dass die Sau vomWiegen nicht fetter wird. Das gilt für das Bildungssystem als Ganzes, dessen allein mit Kennziffern operie- rende Qualitätskontrolle der Komplexität des pädagogischen Auftrags nicht gerecht wer-
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den kann. Quantitative Messverfahren haben vorder- gründig den Vorteil, dass sie Leistungen unabhängig von subjektiven Lehrerurteilen und sozialen Bezugsnor- men feststellen können. Welche pädagogischen und di- daktischen Schlussfolgerungen aus den Messergebnis- sen zu ziehen sind, kann die empirische Forschung aber nicht mitteilen, auch wenn sie sich zunehmend als bil- dungspolitische Beratungsinstanz geriert. Problema- tisch wird die Messerei, wenn sie, wie momentan, im Dienste einer möglichst reibungslosen Steuerung des Schulsystems steht und dabei indirekt festlegt, was als schulisch relevante Bildung gilt. Dann bestimmt in ers- ter Linie die Forschungsmethode, was gelehrt wird. Natürlich ist die Objektivierung schulischer Leistungen unvermeidbar, und die übliche Benotung leistet zunächst nichts anderes als wissenschaftliche Messungen auch: Sie übersetzt Qualität in Quantität. Entscheidend sind aber die pädagogischen und fachlichen Überlegungen, die zu einem sowohl sachangemessen wie individuell auf Schülerinnen und Schüler abgestimmten Urteil füh- ren. Dazu gehört auch die formative Rückmeldung jen- seits der Zahl, also das Gespräch darüber, was verbesse- rungsbedürftig ist und wie diese Verbesserung zu errei- chen wäre. Dies ist insbesondere für diejenigen wichtig, deren Bildungserfolg gefährdet ist; sie bedürfen stärker pädagogischer Beratung, was aber nicht mit Coaching zu verwechseln ist: Pädagogische Beratung ist auf das Verstehen der Sache verpflichtet, Coaching nicht. 2. und 3. Bildung statt Nutztier-Training Wir wollen den Bildungsbegriff wieder stark machen, weil er auf die Kraft und Fähigkeit des Menschen zielt, seine individuelle geistige und seelische Gestalt in viel- fältiger Auseinandersetzung mit der Welt auszuprägen, um in ihr handlungs-, gestaltungs- und urteilsfähig werden zu können. Damit ist nichts anderes gemeint, als der grundsätzliche verfassungsmäßige Auftrag der Schule, nämlich die Ermöglichung von Mündigkeit, ohne die, das sei noch einmal betont, eine demokrati- sche Gesellschaft nicht funktionieren kann. Das bedeutet konkret: Wenn Bildung zur Orientierung in der Welt beitragen soll, ist Wissen über deren Sachver- halte in den verschiedensten Bereichen unabdingbar. Dieses Wissen auf wissenschaftlicher Grundlage zu ver-
mitteln, muss zentrale Aufgabe der Schule sein, denn bisher wurde keine Institution gefunden, die das in der gleichen Breite und Verbindlichkeit leisten kann. Gegen diese Kernaufgabe werden heute häufig zwei Argumen- te ins Feld geführt, die aber beide schwach sind. Das erste Argument behauptet, dass die Schule nur ’träges’ oder gar ’totes’ ’Vorratswissen’ vermittle, das nicht zur Lösung praktischer Probleme tauge. Dem ist entgegenzuhalten, dass es kein ’totes Wissen’ geben kann, da Wissen immer an lebendige Subjekte gebun- den ist (sonst handelt es sich um bloße Information) und dass selbstverständlich in verschiedenen Situationen immer nur ein Teil dieses Wissens genutzt wird, ohne dessen ’Bevorratung’ und Verknüpfung aber eine sol- che Nutzung im Bedarfsfall gar nicht möglich wäre. Bereits das Verstehen von Kochrezepten setzt Kenntnisse von Mengenangaben, Ingredienzien und Zuberei- tungsformen voraus. Das zweite Argument verweist auf die Geschwindig- keit, mit der sich heute das Wissen verdopple; diesem Tempo könne der schulische Kanon unmöglich ge- wachsen sein, weswegen es besser sei, den Unterricht auf die Recherche von Informationen und die Vermitt- lung von Methoden zu konzentrieren. Dahinter ver- birgt sich ein groteskes Missverständnis der Inhalte und der Funktion schulischer Allgemeinbildung, die nie den Anspruch erhob, ein umfassendes Wissen in allen Fächern zu vermitteln. Vielmehr geht es um das Verstehen von deren Grundlagen, fachspezifischen Gesetzmäßigkeiten und Methoden, die Ergebnis einer langen Kulturgeschichte sind und sich nicht von heute auf morgen ändern. Im Hintergrund steht hier natür- lich auch die Erziehung zu Gewissenhaftigkeit und Genauigkeit. Auf dieser Basis können die Individuen ihren Fähigkeiten, Interessen und beruflichen Aspira- tionen nach weiterlernen. Mit demWissen verbundenes Können zielt dabei, unabhängig vom Bildungsabschluss, nicht auf bloße Anwendung, sondern auf sachlich angemessene, ver- antwortliche und die Person bereichernde Könnerschaft. Bildung, Können und Wissen sind nicht zu trennen: Wer lediglich anwendungsbezogene Kompetenzen trainiert, wird darauf abgerichtet, später nur die Vorgaben ande- rer auszuführen. Dagegen umfasst Bildung neben dem
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grundlegenden Wissen auch dessen Verknüpfung und Reflexion sowie ethische Urteilskraft. Eine Schu- le, die solche Fähigkeiten nicht zumindest anbahn- te, hätte ihren Auftrag verfehlt. Es gilt daher, die Bedeutsamkeit des Wissens und Könnens und seiner schulischen Vermittlung ge- gen jegliche rein funktionalistische Kompetenzver- mittlung zu verteidigen und Wagenscheins Devise »Verstehen ist Menschenrecht« Geltung zu verschaf- fen. Daraus folgt notwendig: Man muss 4. Ansprüche stellen Werden fachliche Inhalte nur noch unter dem Aspekt der unmittelbaren Nützlichkeit vermittelt oder zum beliebigen Material für den Erwerb von Methoden- und Präsentationskompetenzen degra- diert, dann wird der Unterricht geistlos und igno- riert nicht nur den Lernwillen und die Bildsamkeit der Schülerinnen und Schüler, sondern konfrontiert sie auch nicht mehr mit den Herausforderungen, die das Verstehen einer Sache mit sich bringt. Dies beginnt mit dem sicherlich manchmal müh- samen und viel Übung erfordernden Erwerb der Kulturtechniken in der Grundschule. Versucht man, den Kindern aus falsch verstandener pädagogi- scher Rücksicht heraus diese Mühen zu ersparen, so beeinträchtigt das ihren gesamten weiteren Lern- und Lebensweg. Mit der Bildung in der Sekundarstufe I rücken die Erschließung stärker fachlich strukturierter Inhalte, die Unterschiedlichkeit ihrer Weltzugänge und die mit ihnen verbundenen fundamentalen Fragen in den Vordergrund, was für eine Orientierung in der Welt, aber auch für die Entdeckung eigener Nei- gungen und daraus sich ergebender Lebensent- würfe unerlässlich ist. Die Sekundarstufe II führt mit dem Gymnasium und dem beruflichen Schulwesen zwar weiterhin zu einer Gabelung der Bildungswege, diese ist aber weitaus weniger markant als früher, da die Ansprü- che in den meisten beruflichen Bildungsgängen stark gewachsen sind und sich immer mehr an wis- senschaftlich begründeten Verfahren orientieren.
Daraus ist bereits seit längerem die richtige Konse- quenz gezogen worden, den Hochschulzugang auch über berufliche Bildungswege zu ermögli- chen und damit, ebenso wie im Gymnasium, einen wissenschaftspropädeutischen Akzent zu setzen. Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass die nicht- akademische Berufsausbildung nun zu vernach- lässigen wäre, im Gegenteil: Das ausgesprochen differenzierte und durchlässige System der berufli- chen Bildung mit seinen dualen Bildungsgängen muss gegen eine rein formale Expansion akademi- scher Abschlüsse, wie die OECD sie unablässig for- dert, verteidigt werden. Es hat seine Gründe, dass Deutschland weltweit eine der niedrigsten Quoten bei der Jugendarbeitslosigkeit aufweist und dass umgekehrt in Ländern mit überdurchschnittlich hohen akademischen Abschlussquoten auch die Arbeitslosigkeit unter den Hochschul-Absolventen signifikant hoch ist. Egal, umwelchen Bildungsgang und Abschluss es geht: Fachlichkeit und sachlicher Anspruch sind und bleiben tragende Prinzipien von Bildung. 5. Didaktik statt ’Tools’ Weder digitale Medien noch grassierende unter- richtsmethodische ’Tools’ wie Stationenlernen, ’Think pair share’ oder eben PP-Präsentationen unterstützen an sich Lernprozesse in sinnvoller Weise. Medien und Methoden sind sekundär, denn sie ersetzen nicht die didaktische Begrün- dung in Bezug auf die jeweiligen Schülerinnen und Schüler und die jeweilige Sache. Eine gute Orientierung bieten dabei nach wie vor Klafkis Prinzipien des Exemplarischen, Elementaren und Fundamentalen. Die wechselseitige Erschließung der Schüler für die Sache und der Sache für die Schüler bleibt Kern der professionellen Aufgabe von Lehrkräften. Sie müssen gewährleisten, dass die Bedeutsamkeit der Inhalte auch in der didak- tischen Vermittlung noch erkennbar bleibt, sonst wird Unterricht aus Schülersicht sinnlos, weil sich künstliche Motivationsinstrumente zwischen Ler- nende und Sache schieben, statt sie miteinander zu vermitteln.
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6. Der kulturelle Generationenvertrag ist die gesellschaftliche Grundlage und Legitimation der Schule. Sie soll künftige Generationen systema- tisch in die historisch gewachsene Kultur (im weitesten Sinne verstanden) einführen. Dies ist nicht nur eine bildende, sondern auch eine erzieherische Aufgabe, denn sie bringt die künftigen Erwachsenen zur Ein- sicht in ihre vielfältigen Abhängigkeiten, ohne deren Kenntnis eine spätere mündige Haltung dazu nicht denkbar ist. Nur in der subjektiven Auseinanderset- zung mit dieser Kultur kann ein Mensch überhaupt seine Individualität bilden. Die Individualisierung wird also erst durch die schulische Enkulturation er- möglicht und nicht durch individuelle Bildungspläne. Selbstverständlich müssen im Vermittlungsprozess die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen und Lern- wege der Schülerinnen und Schüler berücksichtigt wer- den, damit ihnen die subjektive Aneignung der Kultur gelingt. Dies darf aber nicht zu einer beliebigen An- passung der inhaltlichen Ansprüche an ihre lebens- weltlichen Horizonte führen, denn erst mit deren Über- schreitung können sie sich von sozialisatorisch beding- ten Vorurteilen und anderen Einschränkungen emanzi- pieren und damit ihre Individualität entfalten. 7. Das Hamsterrad stoppen Nach der Veröffentlichung der ersten PISA-Studie und dem danach medial inszenierten ’PISA-Schock’ waren die Schuldigen schnell gefunden: Wenn die deutschen Probanden nicht einmal durchschnittli- che Ergebnisse erzielten, lag das scheinbar an der mangelnden Professionalität der Lehrkräfte. Daher veröffentlichte die Kultusministerkonferenz 2004 ihre Standards für die Lehrerbildung , die weit mehr als die bis dahin üblichen Aufgaben von Lehrerinnen und Lehrern enthalten (Umgang mit Heterogenität, Medienbildung, Schulentwicklung, empirische Bil- dungsforschung), mit einer bezeichnenden Ausnah- me: Von der Notwendigkeit solider Fachkompeten- zen ist dort nicht mehr die Rede. Die Lehrkräfte werden damit nicht nur zu individu- ellen Coaches für hunderte von Schülerinnen und Schülern erklärt, sondern haben sich zusätzlich mit den Kollateralschäden der Aufgabenhäufung, näm-
lich dem enormen bürokratischem Aufwand für die Rechenschaftslegung, herumzuschlagen, den ’indivi- duelle Förderung’, externe Leistungsmessung und Schulinspektion mit sich bringen. Die Lehrkräfte sind also einer auf Dauer gestellten Reform in verschiede- nen Bereichen ausgesetzt, deren jeweilige Wirkun- gen nicht in Ruhe abgewartet und evaluiert werden und deren Nutzen schon vorher fraglich war. Der so produzierte Stress führt nicht zu mehr Sinnerfahrung, sondern zu weiterer Erschöpfung. 8. Pädagogische Freiheit und Verantwortung Es ist also höchste Zeit innezuhalten, um wieder über die wesentlichen Aufgaben und Zwecke schulischer Bildung und Erziehung nachzudenken. Dies beinhal- tet zum einen die Konzentration auf das für die Lehrer- bildung Essentielle, nämlich eine umfassende fachli- che, fachdidaktische und pädagogische Bildung. Zum anderen bedarf es des Bekenntnisses zur päda- gogischen Freiheit und Verantwortung der Lehrerin- nen und Lehrer. Es ist höchste Zeit, ihnen wieder Ver- trauen in ihre professionelle Erfahrung und ihr päda- gogisches Augenmaß entgegenzubringen, die sie in der Mehrheit auch bisher befähigt haben, ihre Aufga- be verantwortungsvoll wahrzunehmen. Wenn die Fähigkeit zu verantwortungsvoller Entfal- tung individueller Freiheit Ziel schulischer Bildung ist, dann können Lehrerinnen und Lehrer nicht wie Un- mündige behandelt werden. Pädagogische Freiheit und Verantwortung statt technischer Steuerung und Kontrolle sind daher das Elixier, aus dem auch die Schule der Gegenwart Sinn, Richtung und Kraft für die anstehenden wichtigen Aufgaben gewinnt.
INFO
Das Manifest für Bildung kann bei der Gesellschaft für Bildung und Wissen in Papierform bestellt (info@bildung-wissen.eu) oder unter folgendem Link heruntergeladen werden: https://bildung-wissen.eu/ wp-content/uploads/2021/10/ Flugschrift_0_digital.pdf
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BATTEL HILFT
Wozu sind
phische oder religiöse oder wie auch immer geartete Texte zum Frieden und zum Miteinander zu lesen. Es gibt dies- bezüglich keine einfache Gebrauchsan- weisung. Wichtig erscheint mir jedoch, entgegen eines Ohnmacht-Gefühls sich selbstwirksam zu positionieren, Ideen zu entwickeln, wie wir auf kleinster Mikroebene Frieden schaffen können. »Sie stehen sich gegenüber und könnten Freunde sein. Doch bevor sie sich ken- nenlernen, schießen sie sich tot« (Lindenberg). Wir sollten keinen Hass vermitteln gegen jegliche Art von Bevölkerungsgrup- pen, sondern mitmenschlich überlegen, wie wir jetzt gerade in diesen Zeiten Menschen in Not helfen können. Mit welcher Initiative kann es uns gelingen, Mitmenschlichkeit vorzuleben? Wie lassen wir die Kinder daran partizipieren? Dies impliziert Selbstwirksamkeit und hilft uns aus der Ohnmacht, die zwischendurch immer mal wieder an der seelischen Tür klopft und angstvoll fragt: »Wozu sind denn dann Kriege da?«
Kriege da? Der Kinder- und Jugendpsychiater Dr. Stefan Battel gibt in seiner Kolumne regelmäßig Antworten auf Fragen aus dem Lehreralltag. Diesmal geht es um die Frage, wie man Kindern einen Krieg erklären kann. D er Titel des Liedes von Udo Linden- berg von 1981 ist mir in den letz- ten Wochen häufig durch den Kopf
chen, wie wir im Hier und Jetzt und zu- künftig bezogen auf den professionellen Kontext (schulischen Kontext) friedvoll miteinander umgehen, wie man Frieden schaffen kann, Frieden als Thema neh- men und diesbezüglich auch keine Feind- bilder aufbauen. Auch mit den Kindern zu diskutieren, wo fängt Frieden eigentlich an, was heißt das für uns als Klassenge- meinschaft, soziale Wesen etc.? Vielleicht kann es auch sinnstiftend sein, je nach Entwicklungsalter philoso-
gegangen. Wie erklärt man in dieser Si- tuation Kindern den Krieg? Absolut unbe- nommen ist, dass die Situation im Mo- ment der kriegerischen Auseinanderset- zung uns allen große Angst machen kann oder macht. Wie schaffen wir es nun, mit unseren eigenen Kindern bzw. im schuli- schen Kontext mit den Schülern darüber zu sprechen? Hilfreich könnte sein, auf Vertrauen und Offenheit zu setzen. Es bedarf hier einer vertrauensvollen und für Fragen offenen Atmosphäre. Für uns alle sind solche Begebenheiten nicht einfach zu erklären und schon gar nicht von Emotionen zu trennen. Des Weiteren ist es wichtig, ver- ständlich zu bleiben. Überladen Sie die Kinder nicht mit Informationen. Je jünger das Kind, desto weniger wird es die volle Tragweite eines Krieges begreifen können. Geben Sie den Kindern ehrliche Antworten und Informationen (was in Zeiten von pro- pagandistischen Mechanismen sicherlich uns selbst nicht einfach fällt). Wichtig ist auch, alle Gefühlslagen des Kindes zu akzeptieren. Krieg ist eine sehr schwer zu erklärende Angelegen- heit. Auch scheint es wichtig, Transparenz eigener Gedanken und Gefühle zu er- möglichen und sich auch selbst unter Umständen mal hilflos zu zeigen, wenn man gewisse Dinge nicht erklären kann. Aber dafür sorgen bzw. Angebote ma-
ZUR PERSON
Dr. med. Stefan Battel ist seit 2007 niedergelassener Facharzt für Kinder- und Jugendpsychia- trie und -psychothe- rapie mit eigener Praxis in Hürth bei Köln und seit 2012 systemischer Famili- entherapeut (DGSF). Im Rahmen des lehrer nrw -Fortbil- dungsprogramms greift er in einer Vor- tragsreihe regelmä- ßig verschiedene Themen aus dem Bereich der Jugend- psychologie auf.
Foto: Andreas Endermann
Ausschließlich für Mitglieder von lehrer nrw bietet Dr. Stefan Battel einmal pro Woche eine Telefonsprechstunde an. Lehrkräfte, die Infor- mation, Rat und Hilfe im Umgang mit schwierigen Schülern oder Eltern brauchen oder selbst in einer psychisch belastenden beruflichen Situa- tion stecken, können dieses Angebot nutzen. Die Hotline ist jeden Dienstag von 15 Uhr bis 16 Uhr freigeschaltet und unter der Telefonnummer 02233 / 9610120 erreichbar.
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