Profil 9/2024

PROFIL // Recht

die Adresse gebe es Möglichkeiten, diese herauszuhalten – beispielsweise lässt sich die Dienststelle als ladungs fähige Anschrift angeben. „Das funk tioniert meistens, aber eine endgülti ge Garantie, dass die Privatadresse nicht doch abgefragt wird und in der Akte landet, gibt es nicht.“ In einem zi vilrechtlichen Verfahren geht es oft mals nicht ohne Nennung der Adres se. Das hat unter anderem praktische Gründe: Angenommen, jemand er hebt Zivilklage, verliert den Prozess und muss entsprechend die Verfah renskosten tragen – dann müsste die Seite des Beklagten wissen, wo sie ihr Geld einfordern kann. Welche Strafen sind möglich? Im Strafgesetzbuch heißt es: Die Belei digung wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Beleidigung ö ff entlich, in ei ner Versammlung, durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Abs. 3) oder mittels einer Tätlichkeit begangen wird, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft (§ 185 StGB). „Wenn eine Täterin oder ein Täter nicht vorbestraft ist, dann ist die Stra fe im unteren Drittel des Strafrah mens zu suchen“, kommentiert Nau mann. Dies sei zumindest eine gängi ge Faustregel. Entsprechend wäre bei diesem Szenario mit einer Geldstrafe von höchstens 120 Tagessätzen zu rechnen. Schmerzensgeld Zivilgerichte können wegen einer Be leidigung ein Schmerzensgeld zuspre chen – allerdings nur, wenn sie ein hohes Gewicht hat und eine nicht un erhebliche Verletzung des Persönlich keitsrechts vorliegt. „Eine Rolle spielt primär, in welchem Umfang die Belei digung verbreitet wurde“, erklärt Rechtsanwalt Naumann. „Stand sie ö ff entlich in den sozialen Medien oder haben nur zwei Unbeteiligte, die

funktioniere in vielen Fällen bereits gut, aber längst nicht überall. Bilek: „Es ist wichtig, dass wir alle Führungs kräfte für das Thema sensibilisieren. Niemand muss sich beleidigen las sen!“ Aus Sicht der AG Sicherheit sind zwei Punkte von zentraler Bedeutung: verlässliche Meldesysteme umsetzen und Anonymität garantieren. Wer An zeige erstatten möchte, soll wissen, an wen er sich wenden muss und dass dem Wunsch nach Strafanzeige nachgekommen wird. Gerade bei der Eingri ff sverwaltung – etwa Polizei, Le bensmittelkontrolle und Steuerfahn dung – fürchten die Beschäftigten, dass es zu weiteren Bedrohungen oder Sachbeschädigungen kommt, wenn die Privatadresse in die falschen Hände gerät. „In Deutschland entscheiden die Ge richte, das ist auch gut so und zu ak zeptieren“, unterstreicht Philipp Wei mann, der sich ebenfalls in der AG Sicherheit engagiert. „Nur die Realität ist eben auch: Es ist extrem frustrie rend, wenn Strafverfahren eingestellt werden. Das passiert leider sehr oft. Beleidigungen kratzen an der Psyche, die Betro ff enen fühlen sich im Stich gelassen und stumpfen ab. Und die präventive Wirkung eines Richter spruchs kommt uns vollkommen abhanden, wenn nichts passiert.“ cdi

den Betro ff enen nicht einmal kennen, etwas mitbekommen?“ Fakt ist: Für die üblichen Beleidigungen gibt es laut aktueller Rechtsprechung im Re gelfall kein Schmerzensgeld. „Das gilt für alle“, sagt Naumann. „Für die Be schäftigten des ö ff entlichen Dienstes, aber auch für alle Bürgerinnen und Bürger, die von ihrem Nachbarn be leidigt wurden.“ „Mich schockiert es immer wieder, was Beschäftigte im ö ff entlichen Dienst über sich ergehen lassen müs sen, nur weil sie ihren Job machen“, sagt Daria Abramov, stellvertretende Vorsitzende der dbb jugend. „Und ih ren Job machen sie im Sinne der All gemeinheit. Nicht zuletzt deshalb ha ben sie Respekt verdient.“ Abramov verweist auf eine Studie der Univer sität Speyer, die zu dem Ergebnis kommt, dass jede vierte Person im ö ff entlichen Dienst bereits Opfer von Gewalt geworden ist. „Beleidigungen sind eine Vorstufe von Gewalt, die wir nicht hinnehmen dürfen!“ „Als Dienstherr und Arbeitgeber muss der Staat seinen Beschäftigten den Rücken stärken“, sagt Iris Bilek, Spre cherin der AG Sicherheit der dbb ju gend. „Wenn jemand im Dienst oder bei der Arbeit beleidigt wird, müssen Vorgesetzte das ernst nehmen und auf Wunsch Strafantrag stellen“ – das

Erfahrungen aus der Praxis

„Klar, im Polizeidienst gehört es irgendwie zur Jobbeschreibung, dass es auch mal rau er zugeht. Auf Demonstrationen sind Beleidigungen gegen den Staat und die Polizei als Repräsentant des Staates Normalität. ,ACAB‘, ,ihr seid doch nur gut bezahlte Hoo ligans‘, ,Drecksbullen‘ – Derartiges bekommt man aus dem schwarzen Block oft zu hö ren. Für mich verläuft die Grenze dort, wo es persönlich wird. Wenn der Mittel fi nger gegen meine Person geht. Wenn jemand mich anschaut und sagt: ,Ich fi cke deine Mutter.‘ Ein Kollege musste sich als ,blondes Nazischwein‘ bezeichnen lassen. In mei nen Augen eine klare Grenzüberschreitung.“ Iris Bilek, Polizistin „Bei uns in der JVA kommt die Nazikeule ständig. Die Inhaftierten sagen: ,Du Nazi, das machst du nur, weil ich Ausländer bin!‘ Das geht mir schon nah, denn ein Nazi bin ich de fi nitiv nicht. Oft hagelt es auch Bedrohungen: ,Warte bloß ab, wenn wir uns mal draußen tre ff en …‘ Wer sich das jeden Tag anhören muss, stumpft ab. ,Schwuchtel‘, ,Arschloch‘ und ,Wichser‘ stören mich inzwischen nicht mehr. Ich kann aber jeden ver stehen, der das anders sieht. Bei uns in Baden-Württemberg ist es seit dem 1. Januar 2024 Standard, dass alle Kolleginnen und Kollegen darauf hingewiesen werden, dass sie Strafantrag stellen können – ein großer Fortschritt!“ Philipp Weimann, Justizvollzugsbeamter

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