Profil 9/2022

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Wieso liegt Berlin immer hinten? Aber: Wieso belegt Berlin dann bei den Bildungsverglei chen durchweg hintere Plät ze? Diese Frage hat sich auch die Bildungssenatorin der ver gangenen zwei Legislaturen, Sandra Scheeres (SPD), ge stellt. In ihrer Amtszeit (2011 bis 2021) ist ihr eine deutliche Steigerung der Bildungsaus gaben gelungen. Zur Klärung der Frage hat sie eine soge nannte Qualitätskommission unter Führung von Prof. Dr. Olaf Köller mit der Analyse be auftragt. Die kurze und sehr oberflächliche Zusammenfas sung lautet: zu unkoordiniert, zu wenig Qualitätssicherung, nicht zielgerichtet. Im über tragenen Sinn kann man es auch bei den von mir benann ten Bereichen oben sehen: Die Schule hat zwar viele Ressour cen, aber zum Beispiel keinen Hausmeister, der das Gebäu de abschließt, denn die Haus meister beenden gegen 14:30 Uhr ihren Dienst. Sobald man Schäden am Gebäude fest stellt, wird es ebenfalls schwierig. Trotz Budget für kleine Reparaturen gibt es bei den Bezirken zu wenig Perso nal, um die Maßnahmen um zusetzen. Das Problem der Zu sammenarbeit der Bezirke mit dem Senat möchte ich hier al lerdings nicht tiefer themati sieren. Der Hauptteil der Ausgaben des Senates in Bildung sind Personalkosten. Schaut man in die Statistiken der Kultus ministerkonferenz fällt auf: Berlin liegt bei der Schüler Lehrkräfte-Relation der Sekun darstufe I am Gymnasium (hier: Klasse 7 bis 10) auf den ersten Plätzen (13,5 Schülerinnen und Schüler pro Lehrkraft). Das macht stutzig, denn in Berlin sind die Klassen mit sehr großem Abstand ge genüber anderen Bundeslän dern im Schnitt am größten (28,5 Schülerinnen und Schü- >

gering sind, ist allerdings be reits seit Jahrzehnten be kannt. Bis vor kurzem lag der NC für das Grundschullehr amt bei annähernd 1,0. Es ka men teilweise über 1000 Be werberinnen und Bewerber auf 180 Plätze an der Uni. Zu diesem Zeitpunkt wurden be reits Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger in großer Zahl eingestellt. Erst seit ein, zwei Jahren sind deutlich mehr Studienplätze geschaffen wor den. Warum dies so lange ge dauert hat, obwohl die Not bereits vor fünfzehn Jahren absehbar war, ist eine der vie len Fragen, die man sich rund um das Berliner Bildungssys tem stellt. Lehrkräfte werden endlich wieder verbeamtet Die gleiche Frage stellt sich auch bei der Verbeamtung. Statt diese wieder einzufüh ren und mehr ausgebildete Lehrkräfte in Berlin zu halten oder gar zu locken, wurde stattdessen allen angestellten Lehrkräften die höchste Erfah rungsstufe gezahlt, was übri gens für die angestellten Be standslehrkräfte weiterhin geschieht. Als weitere Maß nahme wurde die Anhebung der Besoldung der Grund- >

schullehrkräfte nach A13 be schlossen. Dass die in Berlin ausgebildeten Referendarin nen und Referendare trotz dem scharenweise ins Land Brandenburg abgewandert sind, wurde lange von Teilen der regierenden Parteien ignoriert. Erst in diesem Jahr wurde endlich die Verbeam tung der Lehrkräfte wieder eingeführt und der Sondersta tus gegenüber den anderen Bundesländern beendet. Wa rum dies so spät geschehen ist, ist eine weitere der vielen Fragen, die man sich stellen muss. An einem anderen Beispiel kann man ein Muster hinter diesen Fragen erkennen, dass einen näher zu einer Antwort bringt. Am Gymnasium in Ber lin wird der Mittlere Schulab schluss (MSA) mit einer Prü fung abgelegt, die in Berlin an allen Schulformen gleich ist. Am Gymnasium in Berlin steht das Abitur nach zwölf Jahren an. An den anderen Schulformen erst nach drei zehn Jahren. Die Prüfungsin halte des MSA in Jahrgang 10 beziehen sich deshalb am Gymnasium auf die 9. Klasse. Alle Schülerinnen und Schüler an Gymnasien werden damit zeitgleich auf die Kursphase und auf eine Prüfung mit In halten des vergangenen Jah res vorbereitet. Das führt zu einer Doppelbelastung, die der Qualität sicherlich nicht förderlich ist. Das Nachbar bundesland Brandenburg, das die gleichen Aufgabenstellun gen wie Berlin verwendet, hat dies von vorneherein erkannt. Dort schreiben die Gymnasien eine andere Prüfung. Die so genannte Köller-Kommission hat dieses MSA-Problem ebenfalls festgestellt. In Berlin verhindern aber weiterhin die politisch verantwortlichen Parteien aufgrund des Gedan kens, »alle sollen gleichbehan delt werden«, diese Verände rung.

ler pro Klasse in der Sekundar stufe I am Gymnasium). Erst bei 32 Schülerinnen und Schü lern zieht das Schulgesetz bei der Aufnahme in Klasse 7 eine Grenze, die durch gerichtliche Zuweisungen regelmäßig ge rissen wird. Die Folge ist eine hohe Belastung der Kollegin nen und Kollegen, zumal sich Berlin in der Oberstufe ein Probeabitur und lange Klau surzeiten leistet. Viele Kolle ginnen und Kollegen gehen bei einer Unterrichtsverpflich tung von 26 Stunden deshalb in Teilzeit. Inzwischen liegt die Quote bei fast 50 Prozent. Ei ne gute Schüler-Lehrer-Relati on, sehr große Klassen, eine hohe Belastung bei den Lehr kräften – wie passt das zu sammen? In Zeiten von Lehr kräftemangel ist es eine span nende Frage, wohin diese Stunden verschwinden. Als Schulleiter kann ich feststel len, dass sie sicher nicht in Gänze bei den Schulen an kommen. Dies ist ein Beispiel für den nicht zielgerichteten Einsatz von Ressourcen. Es wäre ein Gewinn für die Unterrichts qualität, wenn die Stunden im System für die Reduzie rung der Unterrichtsverpflich tung der Lehrkräfte eingesetzt werden könnten. Eventuell ist dies sogar in Zeiten des Lehr kräftemangels möglich. Viele Quer- und Seiteneinsteiger, wenig Studienplätze Womit wir beim nächsten Stichwort wären: Berlin stellt seit Jahren in hohem Umfang Quereinsteiger ein, vor allem im Grundschulbereich, und kaschiert so die riesige Lücke zwischen der Zahl der Absol ventinnen und Absolventen an der Universität im Grund schullehramt und dem Bedarf an Einstellungen. Dass ein ho her Bedarf an Grundschullehr kräften bestehen wird und die Ausbildungskapazitäten zu >

Foto: privat

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Arnd Niedermöller ist Vor sitzender der Vereinigung der Oberstufendirektoren Berlin und Vorsitzender der Bundesdirektorenkonferenz Gymnasien. Er ist Schullei ter am Immanuel-Kant Gymnasium in Berlin-Lich tenberg.

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