Profil 9/2022
PROFIL > buch-tipp & verlosung
MIT VERLOSUNG
man bei aller konservativer Bodenständigkeit nicht auf die Idee gekommen wäre, ei ne der leuchtenden, bahn brechenden Gedankenfolgen in der Geschichte der Menschheit, die Relativitäts theorie, als schlichten Betrug abzutun. Als ‘jüdischen Schwindel’, wie der Heidel berger Fachkollege Philipp Lenard unter der wohlwol lenden Zustimmung vieler deutscher Physiker formu lierte. Und dass bei dieser Gemen gelage ein Jude wie Rathe nau jetzt sogar als Außenmi nister das gedemütigte, nach ungeheurer Selbstüberschät zung sich nun im Selbstmit leid wälzende, auf Rache und Revanche sinnende Deutsch land in ebendieser als sehr feindlich und ungerecht wahrgenommenen Welt vertreten sollte, schien Blumfeld und Einstein keine gute, sondern für Rathenau eine lebensgefähr liche Idee. Das Treffen dauerte fünf Stunden, von sieben Uhr abends bis ein Uhr nachts. Blumfeld und Einstein hat ten sich vorgenommen, Ra thenau dazu zu bewegen, vom Gipfel seiner Karriere, dem Außenministeramt, zu rückzutreten. Einstein, der von Elementen und Systemen etwas ver stand, hielt es für schlecht möglich, dass dieses Ge misch auf die Dauer ohne größere Katastrophen funk tionieren könnte. Über 100 000 Juden hatten für ‘ihr’ Deutschland im Krieg gekämpft, die meisten an der Front. Über 12 000 hatten den Tod gefunden. Was bewies das? Nichts, fanden jene, die den Juden einen großen Teil der Weil Rathenau Jude war.
Foto: KiWi-Verlag
‘Berlin, 24. Juni 1922: Der Rathenaumord und der Beginn des rechten Terrors in Deutschland’ ist im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen (24 Euro)
24. Juni 1922
Der Rathenaumord und der Beginn des rechten Terrors in Deutschland
»N atürlich säße ich lieber in der Downing Street als in der Wilhelmstraße« »Anfang April 1922, es war abends noch ein Hauch von den heller werdenden Tagen in der Luft, bekam Rathenau bedeutenden Besuch in seiner Villa in der Königsallee. Nicht, dass dies etwas Unge wöhnliches gewesen wäre. Bedeutende Zeitgenossen zu kennen, mit ihnen zu verkeh
Berlin – Am 24. Juni jährte sich der Mord an Walther Rathenau zum 100. Mal. 1922 wurde der damalige jüdische Reichsaußen minister von Rechtsradikalen er mordet. In seinem Buch ‘Berlin, 24. Juni 1922: Der Rathenau mord und der Beginn des rech ten Terrors in Deutschland’ (Kiepenheuer &Witsch, 24 Euro), erzählt der Journalist Tho mas Hüetlin den Weg zu einem Attentat, das alles veränderte. PROFIL druckt einen Auszug aus der historischen Reportage:
ren, jene angeblich dreihun dert Großmanager, die die Geschicke Europas und der Welt lenkten, gehörte zum Selbstverständnis Rathe naus. Aber dieses Mal bei ihm zu Hause war es doch anders. Denn die Gäste hie ßen Kurt Blumfeld, einer der bedeutendsten deutschen Zionisten, und Albert Ein stein, im schwäbischen Ulm aufgewachsen, aber doch bald in der Schweiz heimisch geworden. Einem Land, wo
38
> PROFIL | September 2022
Made with FlippingBook Learn more on our blog