Profil 9/2022

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Antwort auf Klaus Zierer Wir brauchen keinen weiteren Berufseid für Lehrkräfte

2022, S. 35f.) Hergeleitet aus Forschungsergebnissen der em pirischen Bildungsforschung solle die erweiterte Neufassung des Sokratischen Eides einer »fundierte(n) und empirisch abgesicherte(n) Selbstverpflich tung von Lehrpersonen (…)« dienen. Der erneuerte Sokrati sche Eid müsse »nicht nur bei der Übergabe der Einstellungs urkunde verlesen werden, son dern zum roten Faden der Leh rerbildung werden.« Erst wenn also angehende Lehrkräfte die sen umfassenden Eid internali siert und auf ihn geschworen hätten, seien sie im Umgang mit Kindern, Eltern, Kollegin nen und Kollegen sowie mit der eigenen Person gefestigt. Auch das angemessene Handeln ei ner Lehrkraft im Hinblick auf die Bildungsöffentlichkeit und die Gesellschaft deckt der Eid ab. Zierer fasst diese Selbstver pflichtung in 37 Maßstäben des ‘Fühlen, Denken und Han deln’ zusammen. Dreißig Jahre liegen zwischen beiden Veröffentlichungen. Mehr als doppelt so viele As pekte der Selbstverpflichtung im Vergleich zu von Hentig führt Zierer in seinem Beitrag auf. Beiden Ausführungen ist gemeinsam, dass die genann ten Einzelaspekte den geläufi gen Regeln des respektvollen und verantwortlichen Um gangs entsprechen. Garantiert ein Eid en gros et en détail formulierter Selbst verständlichkeiten des gesell schaftlichen Umgangs mitei nander mehr als ein Berufseid auf unsere Verfassung das pro fessionell angemessene Ver halten von Lehrkräften? Wa rum sollte ein Eid auf unser Grundgesetz, in dem bereits in den ersten Artikeln die Rechte jedes Menschen umfas send niedergeschrieben ste hen, dafür nicht mehr ausrei chen? Brauchen wir wirklich einen hypertrophen ‘Berufseid für Lehrkräfte’? Mitnichten. ■

zung der Lehrkraft befürwor tet die Schulleiterin oder der Schulleiter die Ernennung der Lehrkraft zur Beamtin oder zum Beamten auf Lebenszeit . Brauchen wir also tatsächlich einen weiteren Berufseid für Lehrkräfte? Die Beschäftigung mit dieser Frage ist nicht neu. Bereits in den 1990er Jahren formulierte Hartmut v. Hentig den Sokratischen Eid für Erzie her und Lehrer (Hartmut von Hentig, ‘Sokratischer Eid’ für Lehrer und Erzieher, in: Arbeits hilfe für den Religionsunter richt an Gymnasien, Gelbe Fol ge, 1992/2, S. 45-47). Seine Auf zählung umfasst 14 Regeln des Umgangs mit und der Erzie hung von Kindern, damit diese zu selbstbestimmten und ver antwortungsvollen Mitglieder einer Gesellschaft werden. Wei tere vier Selbstverpflichtungen ergänzen den Katalog des So kratischen Eids von Hentigs. Nun begründet der Schulpäda goge Klaus Zierer die seines Erachtens notwendige Erneue rung des Sokratischen Eides in erster Linie mit den gegenwär tigen Umwälzungen durch die Corona-Pandemie, welche zur Vertiefung der ohnehin beste henden Bildungsungerechtig keit führen würden. (Klaus Zie rer, Wir brauchen einen Berufs eid für Lehrkräfte, in: Profil, Juni

Foto: privat

von DR. BARBARA LANGLET-RUCK

Kiel – Der Professor für Schul pädagogik an der Universität Augsburg, Klaus Zierer, fordert in seinem neuesten Buch und in der Juni-Ausgabe von PRO FIL eine zeitgemäße Interpre tation des Sokratischen Eides für Lehrkräfte und Erzieher (Klaus Zierer, 2022, Der Sokra tische Eid. Eine zeitgemäße Interpretation, Münster). Jenes Eides also, den seinerzeit Hart mut von Hentig als Entspre chung zum Hippokratischen Eid für Medizinerinnen und Mediziner, formuliert hatte. Dazu lohnt sich zunächst ein Blick auf das gegenwärtige Pro cedere bei der Einweisung auf eine Planstelle im Schuldienst: Bevor Lehrerinnen und Lehrer als Beamte auf Probe eine Plan stelle übernehmen, haben sie eine zwölf- oder dreizehnjähri ge Schulausbildung, ein min destens fünfjähriges Studium sowie ein drei- bis viersemestri ges Referendariat erfolgreich absolviert. Vor uns stehen also Persönlichkeiten, die nicht nur ein gerütteltes Maß an Intelli genz und Ausdauer bewiesen haben. Diese jungen Men schen, im Alter von Ende zwan zig, finden sich in sozialen Be zugsräumen zurecht und haben Respekt, Rücksichtnahme und Unterstützung erlebt. Sie sind in der Lage, dieses Wertegerüst als Maßstab ihres Handelns in ihren Beruf hinein zu nehmen. Diese Absolventinnen und Absolventen haben sich erfolg reich in einem Auswahlge spräch durchgesetzt und sitzen nun im Dienstzimmer der Ober studiendirektorin oder des Oberstudiendirektors. Vor der

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Dr. Barbara Langlet-Ruck ist Vorsitzende des Philologenverbandes Schleswig-Holstein

Aushändigung der Urkunde zur Beamtin oder zum Beamten auf Probe legen sie einen Amtseid ab. Sie schwören auf die Verfas sung. Diejenigen, welche eine religiöse Einbettung wünschen, ergänzen ihren persönlichen Eid mit dem christlichen Gelöb nis »so wahr mir Gott helfe«, beziehen also zusätzlich die Zehn Gebote in ihren Eid ein. Nach drei Jahren Berufstätig keit beurteilt die Schulleiterin oder der Schulleiter abermals die fachlichen, didaktischen und pädagogisch-psychologi schen Fähigkeiten seiner jun gen Lehrkraft erneut. Drei Jah re lang wurde beobachtet, ob sich die Kollegin oder der Kol lege im Netz der Schulgemein schaft, der Bildungsöffentlich keit und der Gesellschaft an gemessen bewegen kann. Nur bei einer positiven Einschät

In der Juni-Ausgabe von PROFIL forderte Prof. Klaus Zierer eine Erneuerung des Sokratischen Eides für Lehrkräfte >

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