Profil 9/2021

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(2013) grundlegende, für den Schüler nachvollziehbare Erklä- rungsansätze und Leitideen des fachlichen Denkens, die sich in unterschiedlichen geographi- schen Sachverhalten immer wiederfinden lassen. Wird die vorangestellte Übung beispiels- weise auf die Geographie über- tragen, so ergibt sich die Frage, was haben aus geographischer Perspektive die folgenden, zu- nächst ganz verschieden er- scheinenden Themen Massen- tourismus, Klimawandel und Biokraftstoff gemeinsam? Eine – alle Themen verbinden- de – Antwort wäre zum Bei- spiel das Basiskonzept ‘Nach- haltigkeitsviereck’. Alle drei Sachverhalte thematisieren aus geographischer Sicht einen Konflikt zwischen wirtschaftli- cher Leistungsfähigkeit, ökolo- gischer Verträglichkeit, sozialer Gerechtigkeit sowie partizipa- tiver Politikgestaltung. Auch das Basiskonzept ‘Maßstabs- ebenen/-wechsel’ als geogra- phischer Erkenntniszugang fin- det sich in allen drei Themen wieder, da zum Beispiel die Auswirkungen der dargestell- ten Prozesse jeweils Folgen auf lokaler, regionaler, nationaler, internationaler und auch glo- baler Ebene haben. Das Konzept der Nachhaltig- keit (Abbildung 1) steht für ein neues globales Wohlstandsver- ständnis, das über die vereng- te Betrachtung von Pro-Kopf- Einkommen hinausreicht. Im Laufe der Jahre wurde das so- genannte Nachhaltigkeitsdrei- eck (Umwelt-Wirtschaft-Sozia- les) erweitert. So fehlte etwa aus entwicklungspolitischer Überzeugung die politische Dimension. Nachhaltigkeit ist dieser Auffassung nach ohne politische Stabilität und eine entwicklungsorientierte Regie- rungsführung (good governan- ce) nicht zu erreichen. Also nicht, wenn grundlegende Ele- mente wie ‘Menschenrechte’, ‘Demokratie’, ‘Frieden’ und ‘Gleichstellung der Geschlech-

und diese stellen somit konkre- te Perspektiven auf das Mensch- Umwelt-System dar. Was leisten Basiskonzepte? Basiskonzepte sind für die Lehrkraft ein wichtiges Instru- ment der Unterrichtsplanung, weil sie als Relevanzfilter den fachlichen Kern des Unterrichts fokussieren. Der eigene Unter- richt wird konzeptualisiert und dadurch stärker ‘geographi- siert’. Leitend dabei ist, einen fachlich roten Faden durch die Themen meines Faches zu er- möglichen. Das (fachliche) Ler- nen verlangt ein längeres Ver- weilen am Thema, eine elabo- rierte Auseinandersetzung mit entsprechender Verarbeitungs- tiefe und bindet ganz gezielt das geographische Fragenstel- len und metakognitive Reflexi- onsphasen mit ein. Basiskonzepte können so als die ‘Grammatik’ des Faches ver- standen werden, während et- wa die geographischen The- men und Inhalte (Fachbegriffe und Raumbezüge, Modelle und Theorien) des Unterrichts die ‘Vokabeln’ darstellen. Basiskon- zepte als konzeptioneller Zu- gang bilden so aus diesen ein- zelnen Vokabeln eine sinnhafte (systematische) Gesamtstruk- tur. Kurz: Von der Beliebigkeit zur Systematik! Oder: Vom Stoff zum Konzept! Basiskonzepte stellen in beson- derer Weise ein Strukturie- rungsprinzip dar und leisten einen wertvollen Beitrag zur Förderung von Progression und des kumulativen Lernens. Das bedeutet auch, dass die klassi- schen Vorgaben einer Inhaltso- rientierung und Kompetenzori- entierung um die sog. Basis- konzeptorientierung erweitert werden müssen. So hat die Ge- staltung mehrphasiger Lern- aufgaben erfolgreiches Geo- graphielernen zum Ziel, wenn ganz bewusst ein Denken in Fachkonzepten, geographische Denkstrategien und der > >

Abbildung 1: Erweitertes Viereck der Nachhaltigkeit

Quelle: Eigene Darstellung

Definition: Das erweiterte Nachhaltigkeitsviereck bedeutet, dass Entwicklungen gleichzeitig sozial gerecht, wirtschaftlich sinnvoll, ökologisch verträglich und politisch demokratisch sein sollen. Dieser Vierklang gilt nicht nur auf lokaler Ebene, sondern weltweit (global denken, lokal handeln) und sollte auch nicht auf Kosten zukünftiger Generationen gelingen. Beispiel: Wie gelingt es Deutschland in seiner Industrieproduktion die CO 2 -Grenzwerte, die im Kyoto-Protokoll festgesetzt wurden, zu erreichen? Diskussion: Eine Ursache dafür ist, dass zahlreiche Pro- duktionen nach China ausgelagert wurden. Dass China die Grenz- werte nicht einhält, liegt also unter anderem auch daran, dass es unsere Waren produziert. Insofern haben wir in Deutschland eine ökologisch verträgliche Wirtschaft, die sozial gerecht und demokra- tisch ist, aber auf Kosten anderer Länder.

(intragenerationelle Gerech- tigkeit). Insofern wird häufig in der Geographie auf das er- weiterte Nachhaltigkeitsvier- eck zurückgegriffen. Aktuell werden in der Geogra- phie(-didaktik) sechs Basiskon- zepte diskutiert. Die Bildungs- standards Geographie für den Mittleren Schulabschluss (DGfG 2020) definieren das ‘Mensch-Umwelt-System’ als zentrales Basiskonzept sowie ‘Struktur-Funktion-Prozess’ und ‘Maßstabsebenen’ als veran- schaulichende Basiskonzepte zur Untersuchung des Mensch- Umwelt-Systems. Jüngst wur- de dieses Modell um drei wei- tere Basiskonzepte ‘Raumkon- zepte’, ‘Nachhaltigkeitsviereck’ sowie ‘Zeithorizonte’ erweitert

ter’ nicht gewährleistet wer- den. Unter anderem aus geo- graphischer Perspektive – die Geographie versteht sich als Raum-Zeit-Wissenschaft – wurden die zeitliche und die maßstäbliche Ebene vermisst. Im Sinne der zeitlichen Per- spektive kann nur dann von Nachhaltigkeit gesprochen werden, wenn der Einklang zwischen Ökonomie, Ökolo- gie, Sozialem und Politischem nicht die Lebenschancen zu- künftiger Generationen ent- scheidend beeinträchtigt (in- tergenerationelle Gerechtig- keit). In Bezug auf den Maß- stab darf der Ausgleich der vier Perspektiven auf lokaler Ebene nicht die Entwicklungs- chancen in anderen Teilen der Welt negativ beeinträchtigen

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