Profil 5/2023

Die Profil Ausgabe 5/2023 mit dem Leitthema „Die „Perspektive der Frauen in der Verbandsarbeit: Sichtbar sein, mitwirken und gestalten!“ ist veröffentlicht. Jetzt lesen!

5/2023

Interview SWK- Co-Vorsitzende Prof. Dr. Felicitas Thiel: »Wir müssen gemeinsam über sehr unpopuläre Maß- nahmen nachdenken«

Buchankündigung und Buchverlosung: ‘Hattie für gestresste Lehrer 2.0’ – Kernbotschaften aus ‘Visible Learning’ jetzt mit 2.100 Meta-Analysen

Die Perspektive der Frauen in der Verbandsarbeit: Sichtbar sein, mitwirken und gestalten!

Pädagogik & Hochschul Verlag . Graf-Adolf-Straße 84 . 40210 Düsseldorf

PROFIL > auf ein wort

Herzliche Gratulation der neuen Berliner Bildungssenatorin und KMK-Präsidentin!

Foto: Marlene Gawrisch

Liebe Kollegen und Kolleginnen,

führt. Den Schulen sollen geprüfte Lehr- und Lernprogramme web- und/oder cloudbasiert über das Schulportal und die Lizenzen über ein Lizenzmanagement des Landes zur Verfügung gestellt werden. Angesichts der enormen Herausforde rungen im Berliner Schulsystem ist so wohl Gründlichkeit als auch Eile bei der Umsetzung der Pläne geboten, denn die Situation der Lehrkräfte und der Schülerinnen und Schüler hat sich in den vergangenen Jahren zusehends verschlechtert. Sie brauchen spürbare Verbesserungen – und dies zeitnah. Die im Koalitionsvertrag vereinbarte schnellstmögliche Lehrkräfteverbeam tung muss zu den Prioritäten gehören. Zahlreiche Forderungen des Philolo genverbands wurden also im Koaliti onsvertrag berücksichtigt. Die Stär kung des Gymnasiums gehört zu den wichtigsten Punkten. Dafür wünschen wir Frau Günther-Wünsch von Herzen bestmöglichen Erfolg! Auch aus der Berliner DPhV-Geschäfts stelle gibt es gute Neuigkeiten zu ver melden: Nach dem Ausscheiden von Karolina Pajdak aus privaten Gründen als DPhV-Pressesprecherin, was wir sehr bedauern und mit der wir nach wie vor sehr verbunden sind, führt nun Anne Schirrmacher, Leiterin der Ge schäftsstelle des Deutschen Lehrerver bands, in Nebentätigkeit PROFIL weiter, und Friedrich Pohl ist seit dem 1. April der neue DPhV-Pressesprecher (in Teil zeit). Beide sind bereits mit unserem Berliner DPhV-Geschäftsstellente am bestens vertraut und es ist eine Freude, mit ihnen zu arbeiten. An dieser Stelle ein herzliches offizielles Willkommen! Mit herzlichen Grüßen

Berlin hat eine neue Bildungssenatorin, eine Gymnasiallehrerin, eine stellver tretende Schulleiterin, die ab 2021 ihr Direktmandat für die CDU im Berliner Abgeordnetenhaus holte – und die nun, weil Berlin die diesjährige KMK Präsidentschaft stellt, voraussichtlich auch gleich KMK-Präsidentin wird: Katharina Günther-Wünsch. Der Deutsche Philologenverband (DPhV) hat Katharina Günther-Wünsch zu ihrer neuen Position als Berliner Senatorin für Bildung, Jugend und Familie beglückwünscht und zahlreiche Eckpunkte des neuen Koalitionsvertra ges besonders begrüßt. Warum? Die Stärkung der schulischen Leistungsori entierung ist – wie die zurückliegenden Bildungsstudien zeigen – in Berlin be sonders nötig. Die Stärkung der Gym nasien in dieser Stadt ist ebenfalls be sonders nötig, weil der Übergang zum Gymnasium dort in der Regel erst nach der Klasse 6 erfolgt und das Abitur bereits nach zwölf Jahren abgelegt wird. Die gymnasiale Lernzeit ist noch einmal knapper als anderswo. Der neue Koalitionsvertrag nun, den Katharina Günther-Wünsch und auch Ferdinand Horbat vom Philologenver band Berlin/Brandenburg (siehe Beitrag auf den Seiten 20 und 21) mit verhan delt haben, sieht jetzt unter anderem die Stärkung der Gymnasien wie auch die der grundständigen Gymnasien (ab Klassenstufe 5) vor. Es sollen Verbesse rungen der Arbeitsbedingungen für Berliner Lehrkräfte erfolgen ebenso wie Entlastungen, unter anderem durch weniger Konferenzen. Die Berliner Schulbauoffensive soll fortgesetzt und beschleunigt werden, die Prüfungen des Mittleren Schulabschlusses (MSA) am Gymnasium zum Ende der 10. Klasse werden abgeschafft, das Wahl pflichtfach Weltanschauungen/Religio nen als ordentliches Lehrfach einge

Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing, Bundesvorsitzende des Deutschen Philologenverbandes

Ihre Susanne Lin-Klitzing

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> PROFIL | Mai 2023

PROFIL > inhalt

dphv-termine >

Berufspolitischer Ausschuss des DPhV in Fulda: Intensive Diskussionen Frühjahrstagung der Jungen Philologen: Quo vadis, Lehrerausbildung?

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nachruf >

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Nachruf auf Ursula Päßler

Die Perspektive der Frauen in der Ver bandsarbeit: Sichtbar sein, mitwirken und gestalten! Seite 10

> titel

Die Perspektive der Frauen in der Verbandsarbeit: Sichtbar sein, mitwirken und gestalten! Frühjahrstagung der AG Frauen im Deutschen Philologenverband – Stereotypen in der Verbandsarbeit durchbrechen Drei Fragen an Gabriela Kasigkeit

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debatte

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Dr. Sebastian Ostritsch: Fünf Gründe, warum Homeschooling erlaubt sein sollte Privatisierung der Bildung? Eine Erwiderung von Dr. Marcus Hahn Ferdinand Horbat: Berliner Koalitionsverhandlungen Michael Felten: Prüfungsunkultur Fachtagung: Schule ohne Lehrkräfte?

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> aktuell

Berliner Koalitionsverhandlungen Seite 20

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> interview

Interview mit SWK-Vorsitzender Prof. Dr. Felicitas Thiel

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> aus den ländern

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bpv Lehrerbildungstag

PhV NRW: Lehrer-Umfrage zu ChatGPT: Eher Skepsis und Unsicherheit Bayerischer Philologenverband: Regionalprämie gegen Lehrermangel wirft Fragen auf PhV BW: Analyse der Maßnahmen zur Lehrkräftegewinnung PhV Schleswig-Holstein: Vorzeitige Pensionierungen sind Folgen erhöhter Belastungen PhV NRW: Ministerium muss für pannen- freien Ablauf der Abiturprüfungen sorgen

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Interview mit SWK-Vorsitzender Prof. Dr. Felicitas Thiel Seite 26

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> buch-tipp & verlosung

‘Hattie für gestresste Lehrer 2.0’ – Kernbotschaften aus ‘Visible Learning’ jetzt mit 2.100 Meta-Analysen

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> impressum

einkommenspolitik

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dbb magazin

Einkommensrunde 2023: Tarifabschluss mit bis zu 16 Prozent mehr Einkommen

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‘Hattie für gestresste Lehrer 2.0’ – Kernbotschaften aus ‘Visible Learning’ jetzt mit 2.100 Meta-Analysen Seite 38

nachrichten

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dbb magazin

Pflegeunterstützungs- und Entlastungs- gesetz (PUEG): Bundesregierung kassiert Entlastungsbudget

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> interview

dbb magazin

Volker Wissing, Bundesminister für Digitales und Verkehr: Wir müssen schneller werden: beim Planen, Genehmigen und Bauen

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> PROFIL | Mai 2023

PROFIL > dphv-termine

Berufspolitischer Ausschuss des DPhV in Fulda

Intensive Diskussionen um die Erfassung der Arbeitszeit in Zeiten des Lehrkräftemangels und der SWK-Vorschläge

Der Berufspolitische Ausschuss (BRA) des Deutschen Philologen verbandes diskutierte auf seiner Tagung in Fulda ausführlich Maßnahmen zur Behebung des Lehrermangels und die Auswirkungen des EuGH-Urteils zur Arbeitszeiterfassung.

vorliegt, wird sich der Philolo genverband dazu argumenta tiv klar positionieren. Die geplante Entpro- fessionalisierung des Lehrerberufes im Land Brandenburg wird scharf verurteilt Kathrin Wiencek, die Vorsitzen de des Philologenverbandes Berlin-Brandenburg, die selbst als Schulleiterin eines Bran denburger Gymnasiums tätig ist, stellte die geplante Mög lichkeit einer Verbeamtung mit dem bereits niedrigsten akade mischen Grad, also einem Ba chelor-Abschluss, vor. Für einen wissenschaftlich fundierten, gymnasial qualifizierten und wissenschaftspropädeutischen Unterricht ist der Abschluss ei nes Lehramtsstudiums mit Staatsexamen oder mit min destens einem vergleichbaren Masterabschluss unabdingbar. Die im Masterstudium erwor benen Kenntnisse und Fähig keiten können auch nicht in ei nem achtzehnmonatigen Zer tifikatskurs, wie in Branden burg geplant, nachgeholt wer den. In der aktuellen Personal situation ist es leider in Man gelfächern notwendig, auch auf Seiten- und Quereinsteiger zurückzugreifen. Für eine dau erhafte Tätigkeit im Schul dienst ist aber aus Sicht des Deutschen Philologenverban des eine Nachqualifizierung mit Masterabschluss/ Staats examen und Referendariat un abdingbar. Wenn diese erfolgt, dann erfolgreich abgeschlos sen ist, muss sie natürlich auch zu einer entsprechenden Besoldung der Lehrkraft führen. > >

Umsetzung des EuGH Urteils zur Arbeitszeit erfassung wird große Herausforderung für die Dienstherren

Fotos (2x) : Jörg Menzel

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Die noch fehlende Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofes zur Erfassung der Arbeitszeit von Beschäf tigten vom Mai 2019 in deut sches Recht führt auf ver schiedenen Sitzungen von Gremien des DPhV immer wieder zu intensiver Diskussi on, so auch bei der Tagung in Fulda. Es ist unbestritten, dass eine objektive Erfassung bei Lehrkräften sehr schwierig ist. Bei vielen Beschäftigten be steht die Sorge, dass einer seits eine Überwachung von Beschäftigen durch zum Bei spiel elektronische Erfas sungssysteme erfolgen könn te und andererseits, dass sie zu einer weiteren Verdichtung der Arbeit führt. Hier wurde nochmals auf die wichtige Rolle der Hauptpersonalräte hingewiesen, die vor einer Einführung beteiligt werden müssen. Die Tätigkeit der Lehrkräfte in der Schule muss außerdem analog zur Arbeits zeit der vergleichbaren Be schäftigten in anderen Berei chen erfasst werden. Wenn bei diesen die Bestimmung der Arbeitszeit im Büro nach dem Stechuhrprinzip erfolgt, kann es nicht sein, dass bei Lehrkräften nur die Unter richtszeit erfasst wird. Die

Zeitgleich mit der Tagung des Berufspolitischen Ausschusses hatte der Deutsche Beamtenbund in Fulda zu einem Warnstreik aufgerufen, um den Forderungen in den Tarifverhandlungen bei Bund und Kommunen Nachdruck zu verleihen. >

Ein großer Teil der Sitzungsteilnehmer nutzte die aktive Mittags pause, um auf der Kundgebung in der Nähe des Tagungshotels die Demonstranten aus anderen Mitgliedsgewerkschaften des dbb in ihrer Forderung nach einer Entgelterhöhung von 10,5 Pro zent zu unterstützen. >

Aspekte der Erfassung außer unterrichtlicher Tätigkeiten wurden lebhaft diskutiert. Das Gremium entwickelte auf seiner Tagung Vorstellungen darüber, welche Tätigkeiten bei einer Arbeitszeiterfassung unbedingt berücksichtigt wer

den müssen. Vor einer konkre ten Positionierung wollten die Teilnehmer aber die für das erste Quartal des Jahres ange kündigte nationale Umset zung des EuGH-Urteils abwar ten. Spätestens, wenn ein Ent wurf des Arbeitsministeriums

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> PROFIL | Mai 2023

PROFIL > dphv-termine

Unterstützung der laufenden Tarif- verhandlungen im TVöD Zeitgleich mit der Tagung des BRA hatte der Deutsche Beam tenbund in Fulda zu einem Warnstreik aufgerufen, um den Forderungen in den Tarif verhandlungen bei Bund und Kommunen Nachdruck zu ver leihen. Ein großer Teil der Sit zungsteilnehmer nutzte die aktive Mittagspause, um auf der Kundgebung in der Nähe des Tagungshotels die De monstranten aus anderen Mit gliedsgewerkschaften des dbb in ihrer Forderung nach einer Entgelterhöhung von 10,5 Pro zent zu unterstützen. Die Tarif verhandlungen für die Landes beschäftigen finden in diesem Herbst statt, und neben der Solidarität mit den Beschäftig ten von Bund und Kommune ist ein erfolgreicher Tarifab schluss jetzt eine wichtige Vorlage für die Forderungen des Philologenverbandes und des dbb im Herbst. schaftlichen Kommis- sion (SWK) der KMK zur Reduzierung des Lehrermangels haben das eigentliche Problem völlig verfehlt Eigentlich wäre es zu begrüßen gewesen, dass sich die SWK wissenschaftlich mit der The matik des Lehrkräftemangels auseinandersetzt. Die Ergeb nisse der Stellungnahme der SWK brachten jedoch keine neuen Erkenntnisse. Im Kern wurde eine weitere Arbeits zeitverdichtung als Lösung des Problems des Lehrermangels vorgeschlagen. Besonders da rin zeigt sich, wie weit die Ver fasser vom Schulalltag ent fernt sind und wie wenig Vor stellung sie von der täglichen Belastung der Kolleginnen und Kollegen vor Ort haben. Kern punkt der kurzfristigen Redu zierung des Mangels kann aus Sicht des Philologenverbandes > > Die Vorschläge der Ständigen Wissen

nur der Erhalt der vollständi gen Dienstfähigkeit der Be standslehrerschaft sein. Die Arbeitswelt außerhalb der Schule hat sich in den letzten Jahren deutlich gewandelt. In vielen Bereichen hat die Ver einbarkeit von Familie und Beruf einen deutlich höheren Stellwert bekommen. Hier muss der öffentliche Dienst, zum Beispiel mit einer spürba ren Senkung der Belastungen für Ältere und verlässlicheren Planungen bezüglich zu unter richtender Klassen bzw. Zeit verteilung unbedingt wieder konkurrenzfähig werden. Eine Möglichkeit hierfür sind unter anderem Altersteilzeitmodelle. Über die Möglichkeiten in Rheinland-Pfalz wurde der berufspolitische Ausschuss im Rahmen eines Vortrages infor miert. Um auch bei Lehrermangel eine qualifizierte Bildung der Kinder zu gewährleisten, müs sen Lehrkräfte im Rahmen ei

ner ‘Sortimentsbereinigung’ von nichtunterrichtlichen Or ganisationsaufgaben entlastet werden, damit das Kernge schäft wieder der Unterricht wird. Es ist gesellschaftlich un abdingbar, dass eine Rückkehr zur Verantwortung und Erzie hungspflicht des Elternhauses in Angriff genommen wird. Die Schule ist nicht der ‘Repa

raturbetrieb’ der Gesellschaft. Die längst überfällige Umset zung der gültigen Arbeits schutzrichtlinien in den Schu len ist zwingend notwendig. Langfristig ist es auch Aufga be der Politik, dem Lehrerbild in der Gesellschaft wieder zu dem nötigen Stellenwert zu verhelfen. Es muss klar sein, dass die Lehrkraft der Experte für Bildung und Unterricht ist. In seiner Zuständigkeit liegt die fachliche Kompetenz für den Wissenserwerb der Schü lerinnen und Schüler. Die dreitägige Tagung hat ver schiedene Positionen des Phi lologenverbandes vertieft und präzisiert. Auch wenn nicht alle Themen abschließend behandelt werden konnten, so wurde doch die Brisanz der vor uns liegenden berufspoli tischen Aufgaben deutlich. Der Lehrerberuf wird nicht zu letzt durch den Lehrermangel und die Digitalisierung in der kommenden Zeit grundlegen de Veränderungen erfahren. Vor diesem Hintergrund ist der Austausch zwischen den Philologenverbänden aus den Bundesländern und die Ver ständigung auf eine gemein same Marschrichtung der Landesverbände und des Deutschen Philologenver bands wesentlicher Bestand teil berufspolitischer Arbeit. ■

Fotos (2x): Friedhelm Windmüller

Auch bei den Demonstrationen des dbb in Berlin im März waren DPhV-Mitglieder – hier im Bild unter anderem DPhV-Bundes- vorsitzende Susanne Lin-Klitzing – aktiv, um die Forderungen der anderen dbb-Mitgliedsgewerkschaften in den Tarifverhandlungen bei Bund und Kommunen zu unterstützen. >

Nach regionalen und bundesweiten Warnstreiks und zahlreichen Demonstrationen unter anderem in Hannover, Kiel, Bonn, Dresden, Stuttgart, Saarbrücken fand Ende März die dritte Verhandlungsrun de in Potsdam statt, die ohne Einigung abgebrochen wurde. Nach Anrufung der Schlichtung kam es am 22. April zu einer Einigung. >

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> PROFIL | Mai 2023

Fotos (2x): Georg Hoffmann

PROFIL > dphv-termine

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Quo vadis? In welche Richtung geht es mit der Lehrkräfteausbildung?

Frühjahrstagung der Jungen Philologen: Quo vadis, Lehrerausbildung?

Zu Gast waren der Landes- vorsitzende des Saarländi schen Philologenverbands, Dr. Marcus Hahn, ebenso wie zwei Vertreter des Saarländi schen Ministeriums für Bil dung und Kultur: der Leiter des Referates Gymnasien Sylvio Schaller und Karin Burk hardt aus dem Referat Lehr kräfteaus- und -weiterbil dung. Mit den beiden Vertre tern des Ministeriums spra chen wir über die Auswirkun gen des Lehrermangels auf die Lehrerausbildung und die aktuelle Situation im Saar land. Der Bundesvorsitzende

bundesweiten Kunterbunt einen Zeitraum von 12 bis 24 Monaten umfassen kann und inhaltlich sehr unterschiedlich ausgestaltet wird. Auch im Studium gleichen die Reform ansätze einem Experimentier feld, das vom dualen Lehr amtsstudium über die Verbe amtung von Lehrkräften mit Bachelorabschluss, die Ausbil dung von Stufenlehrkräften bis hin zu einem »längeren ge meinsamen Lernen der Lehr amtsstudierenden« reicht. Die Motive dieser Reformversuche sind schnell zusammenge fasst: Die Ausbildungsdauer soll verkürzt, schulformspezi fische Anteile reduziert und Lehrkräfte möglichst lange einheitlich ausgebildet wer den, um diese schneller und einfacher in unterschiedlichen Schulformen einsetzen zu können. Diese Marginalisie rung der schulformspezifi schen Anforderungsprofile und der Wunsch nach einer Lehrkraft als Multifunktions werkzeug sind fatal, führen zu rückläufigen Zahlen bei Lehr amtsstudium und Referenda riat und einem enormen Qua

der Jungen Philologen, Georg Hoffmann, machte im Ge spräch deutlich, dass gerade jetzt wichtige Impulse gesetzt werden müssten, damit der Lehrerberuf für junge Men schen attraktiver werde. Eine Verbesserung der Rahmenbe dingungen in Studium, Refe rendariat und Beruf sei die beste präventive Maßnahme gegen Lehrkräftemangel. Die Realität sieht in vielen Bundesländern leider anders aus. Der aktuelle Lehrkräfte mangel macht sich nicht nur in den Klassenzimmern, son dern auch in Reformen der Lehrerausbildung bemerkbar. Die Not, bedingt durch jahre lange Fehlplanungen, lässt politische Entscheidungsträ ger erfinderisch werden. Wei tere Aushöhlungs- und Ver kürzungstendenzen in der Lehrerausbildung sind die Folge.

von GEORG HOFFMANN V om 9. bis 11. März tagten die Jungen Philologen im DPhV e.V. auf ihrer diesjähri gen Frühjahrstagung in Saar brücken im Saarland. Thema tisch stand eine Auseinander setzung mit aktuellen Ansät zen zur Reform der Lehrer ausbildung im Mittelpunkt. Insbesondere die Entwicklun gen in den Bundesländern Bayern, Brandenburg, Nieder sachsen, Nordrhein-Westfa len und Thüringen wurden dabei mit Sorge in den Blick genommen.

Lehrerausbildung als Experimentierfeld

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Auf der Frühjahrstagung der Jungen Philologen im DPhV: Alexander Leinemann, Maximilian Röhricht, Georg Hoffmann, Sylvio Schaller, Karin Burkhardt, Heike Kühn, Matthias Schilling, Isabelle Niklas, Dominik Lörzel, David Thies (v.l.n.r.) >

Die aktuelle Lage ist bereits ein Flickenteppich, bei dem das Referendariat in einem

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> PROFIL | Mai 2023

PROFIL

Ursula Päßler, Studiendirektorin i.R., ehemaliges Vorstandsmitglied des DPhV und Ehrenmitglied des Philologenver bandes Rheinland-Pfalz

litätsverlust an allen Schul formen. Dieser macht sich am Ende bei den Schülerinnen und Schüler bemerkbar, denn die Lehrkraft ist der wichtigs te Faktor in puncto schuli sches Lernen, wie in zahlrei chen Studien und Meta-Stu dien wie ‘Visible Learning’ von John Hattie gezeigt wurde. Lehrerausbildung braucht Zeit und Freiräume Grundständig ausgebildete Lehrkräfte sind das Funda ment für den Bildungserfolg junger Menschen. Gerade deshalb darf die Lehrkräfte ausbildung kein Opfer von Reformen werden, die vor nehmlich die akute Behebung des Lehrkräftemangels zum Ziel haben. Personalplanung an den Schulen muss lang fristig gedacht sein und nicht auf Sicht fahren. So hat man es in den Ländern verpasst, in Zeiten großer Bewerber jahrgänge durch Verkleine rung der Klassen und Anrech nung von Fortbildungszeiten mehr Lehrkräfte einzustellen, die nun nicht mehr zur Verfü gung stehen, weil sie am Ar beitsmarkt inzwischen eine andere Beschäftigung gefun den haben. Eine zeitgemäße Lehrerausbildung benötigt gerade mehr Zeit und Freiräu me für die Ausbildung ange hender Lehrkräfte. Hierzu zählt auch ein 24-monatiges Referendariat mit Entlastun gen für alle an der Ausbil dung Beteiligten, um gute Ausbildungsbedingungen zu ermöglichen. Angehende Lehrkräfte haben auch in ei ner personellen Mangelsitua tion Anspruch auf gute Be dingungen im Studium, Refe rendariat und Berufsalltag. Dafür setzen sich insbeson dere die Jungen Philologen ein und sind froh, dass der DPhV die Anliegen der zu künftigen Lehrkräfte in der Ausbildung im Blick hat. ■ >

Nachruf Wir trauern um unser ehemaliges Vorstandsmitglied Studiendirektorin i.R. Ursula Päßler A m 6. Januar 2023, einen Tag vor ihrem 81. Geburtstag, ist Ursula Päßler, ehemaliges Vorstandsmitglied im Geschäftsführenden Vorstand des DPhV, zuständig für die spezifischen Belange der Frauen, und Ehrenmitglied des Philologenverbandes Rheinland-Pfalz, nach längerer Krankheit verstorben. Seit Mitte der achtziger Jahre engagierte sie sich für den Verband, obwohl sie mit zwei aufwendigen Fächern Englisch und Französisch und als allein- erziehende Mutter von zwei Jungen durchaus schon genug zu tun hatte. Von Anfang an war es ihr sehr wichtig, auch weibliche Lehrkräfte für die Verbandsarbeit zu gewinnen. Sie war Mitglied im Hauptpersonalrat für die Lehrerinnen und Lehrer an Gymnasien und Kollegs beim Kultusministerium Rheinland-Pfalz und bekleide te den Posten als erste Referentin für Frauenfragen im Geschäftsführenden Vorstand des Landes. An ihrer Schule, dem Theodor-Heuss-Gymnasium Lud wigshafen, wurde sie als erste Frau überhaupt zur Studiendirektorin berufen, zuständig für die Mittelstufe und die Öffentlichkeitsarbeit. Von 2001 bis 2005 war Ursula Päßler Beisitzerin im Geschäftsführenden Vor stand des Deutschen Philologenverbandes. Im Jahr 2003 wurde sie Vorsitzende der frauenpolitischen Arbeitsgemeinschaft des DPhV, die sie bereits seit 2001 zusammen mit Utta Kestel leitete. Ursula Päßler bewies sich auch dort als kluge, engagierte, ungeheuer fleißige und zuverlässige Mitstreiterin, die zum Beispiel maßgeblich am Entstehen der Gesundheitsbroschüre beteiligt war, die der DPhV 2005 herausgab. Ihre wichti ge Arbeit und ihr Engagement im Bereich der Frauenförderung und Gleichstel lung hatten einen nachhaltigen Einfluss auf die Bildungslandschaft nicht nur in Rheinland-Pfalz, sondern auch weit darüber hinaus. Daneben war Ursula Päßler zweite Vorsitzende des Berufspolitischen Ausschusses des DPhV und setzte sich dort tatkräftig für die Belange der Gymnasiallehrkräfte sowie ein qualitätsvolles Gymnasium ein. Auch nach ihrer Pensionierung galt ihr Interesse weiterhin der Arbeit des Philologenverbandes, und sie war uns stets eng verbunden. Wir trauern mit der Familie um Ursula Päßler, sind und bleiben ihr sehr dankbar für ihr Engagement und ihr Wirken und werden ihr stets ein ehrendes

Andenken bewahren.

Gabriela Kasigkeit

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> PROFIL | Mai 2023

PROFIL > titel

Die Perspektive der Frauen in der Verbandsarbeit Sichtbar sein, mitwirken und gestalten! Im März war die Frühjahrstagung der Arbeitsgemeinschaft für frauenpolitische Fragen im DPhV in Hamburg. Profil nimmt das zum Anlass, nicht nur von der Frühjahrstagung zu berich ten, sondern auch die AG, ihre Mitglieder und ihre Leiterin, Gabriela Kasigkeit, genauer vorzustellen. Die Arbeitsgemein schaft ist fester Bestandteil in der Organisation des DPhV, in dem der Anteil weiblicher Mitglieder beständig wächst. Vertreterinnen der DPhV-Frauen aus allen Bundesländern treffen sich regelmäßig zweimal im Jahr – wie jetzt in Ham burg –, um frauenpolitisch relevante Themen zu besprechen. Frauenpolitik schließt Berufs- und Bildungspolitik ein, ent sprechend spielen beide Bereiche stets eine Rolle. Den Mit gliedern der Arbeitsgemeinschaft gelingt durch diese Per spektive noch einmal ein anderer Blick auf Bildung am Gym nasium und Tätigkeiten in diesem Zusammenhang. Neben ihrer Arbeit als Lehrerinnen, Schulleiterinnen oder in anderen Funktionen Verantwortung tragend, bringen sich die Frauen engagiert, kompetent und mit enormem Idealismus in die sem Gremium ein. Das Netzwerk zeichnet sich durch den ehrlichen und offenen Austausch zwischen den Frauen und ein wertschätzendes Mitei nander aus. Es ist den Teilnehmerinnen ein wichtiges Anliegen, mehr Frauen für die aktive Arbeit im Verband zu gewinnen. Die AG steht nach wie vor für Chancengleichheit im Beruf und im Verband. Sie sieht es als ihre Aufgabe, Frauen gleich berechtigt neben Männern in Führungspositionen zu bringen. Es finden Qualifizierungen in vielfältigen Bereichen statt, neue Ideen werden entwickelt, die DPhV-Frauen agieren prä ventiv und vorausschauend im Sinne des vernünftigen Um gangs mit Ressourcen. >

Frühjahrstagung der AG Frauen im Stereotypen in

von DR. TERESA EICHELMANN U nter der Leitung von Gabriela Kasigkeit tag te die Arbeitsgemein schaft der Frauen im Deut schen Philologenverband (DPhV) vom 8. bis 11. März 2023 in Hamburg. Dabei tauschten sich die zahlreich erschienenen Vertreterinnen der Landesverbände zunächst über aktuelle personalrechtli che sowie berufs- und bil dungspolitische Themen in den Bundesländern aus. Be sonders betroffen machte die Schilderung der Kolleginnen aus Sachsen-Anhalt zur soge nannten Vorgriffsstunde, die

Wer sich in frauenpolitischen Fragen im DPhV engagieren möchte, findet die An sprechpartnerinnen auf Bundes- und Landesebene auf der Webseite des DPhV unter https://www.dphv.de/ institutionen/frauen-im-dphv/ bzw. unter dem nebenstehenden QR-Code.

Aktuell bereitet die Arbeitsgemeinschaft den DPhV-Kon gress im kommenden Jahr vor, der sich an alle DPhV Mitglieder wendet: Fit und innovativ in der Schule am 8. März 2024 in Berlin Halten Sie sich den Termin frei! HINWEIS

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> PROFIL | Mai 2023

PROFIL > titel

Deutschen Philologenverband der Verbandsarbeit durchbrechen

infolge des eklatanten Lehr kräftemangels eingeführt wurde. Für eine nicht minder große Entrüstung sorgte der in Ost- sachsen seit diesem Schuljahr praktizierte Hybrid-Unter richt, bei dem eine Lehrkraft online Schülerinnen und Schüler an zwei Schulstandor ten unterrichtet. Obwohl die se Unterrichtsform als eine Möglichkeit gepriesen wird, auch in ländlichen Regionen ein breites Leistungskursan gebot zur Verfügung stellen zu können, kritisierten die Kolleginnen die dafür fehlen den datenschutzrechtlichen Grundlagen und warnten er neut vor der Entgrenzung von Arbeits- und Begrenzung von Freizeit. Überdies wurde die Vereinbar keit von Familie und Beruf in den Blick genommen. Sorge bereitete der bundesweit zu nehmende Trend, Teilzeit nur noch bei zwingenden Grün den (Kinder unter 18 sowie pflegebedürftige Angehörige) zu gewähren. Ebenso mahn ten die Landesvertreterinnen, den Beschäftigten ein Sabba tical trotz des Lehrkräfteman gels weiterhin zu ermöglich, da es nicht nur ein attraktives Merkmal des Lehrerberufes ist, sondern einen Beitrag da

Der zweite Tag der Frühjahrs tagung firmierte unter dem Thema ‘Genderstereotype im Kontext von Verbandsarbeit’. Als Gastredner konnte Prof. Dr. Matthias Spörrle, Wirt schaftspsychologe an der Uni versität Seeburg, gewonnen werden. In seinem Impulsvor trag beschrieb er zunächst das Kategorisieren als eine Vergrö berung bzw. Vereinfachung – ja, als funktionale und situati onsabhängige Denkabkür zung, die uns Tag für Tag im Umgang mit vielfältigsten Eindrücken hilft. Dabei greifen wir auf Stereotypen zurück,

Als Gastredner sprach Prof. Dr. Matthias Spörrle, Wirtschafts- psychologe an der Universität Seeburg, in seinem Impulsvortrag über Funktionen von Stereotypen im Alltag als funktionale und situationsabhängige Denkabkürzung. >

zu leistet, die Gesundheit der Lehrkräfte langfristig zu erhal ten. Weiterhin thematisiert wurden aus dem Mutter

schutzgesetz abzuleitende Re gelungen für stillende Mütter sowie der vorzeitige Renten eintritt vieler Kolleginnen.

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Anita Tobias, Bremen, Vorsitzende Bremerhavener Philologenverein, sie unterrichtet die Fächer Deutsch und Kunst: »Die Mitarbeit in der Frauen-AG bereichert mich seit gut zwanzig Jahren, sowohl beruflich als auch persönlich. Die Gruppe und ihre Treffen und Fortbildungsveran

staltungen ließen und lassen mich mit meinen Aufgaben wachsen, sie beflügeln mich und sprechen meine Potenziale an. Ich lerne viel, sowohl inhaltlich als auch menschlich. Es ist sehr wichtig, dass es dieses Verbandsgremium gibt, denn ‘ein weiblicher Blick’ auf unse ren Beruf und unsere Herausforderungen im Alltag nimmt Aspekte in den Fokus, die aus anderen Blickwinkeln, in anderen Gremien nicht erfasst werden. Dazu gehört beispielsweise – wie wir es mit Prof. Spörrle in Hamburg diskutieren durften –, dass der reflektierte, sachkundige Umgang mit Geschlechterstereotypen, also dem Blick auf ‘die Frauen’, entscheidend dafür ist, wie erfolgreich wir in der Verbandsarbeit agieren können. Unsere AG möchte auch Frauen für

die Verbandsarbeit gewinnen, indem wir vermitteln: Wir sind die Gruppe, der Ver band, wo Du Du sein kannst, gebraucht wirst, Stärkung und Stützung erfährst, von Wissen, Erfahrungen und Menschlichkeit profitierst.«

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> PROFIL | Mai 2023

PROFIL > titel

die entweder deskriptiv sind, d.h. wertungsfrei beschreiben, wie jemand ist, oder präskrip tiv werten, wie jemand zu sein hat. Überdies belegte Prof. Dr. Spörrle anhand wis senschaftlicher Forschungs- daten die immer weiter vo ranschreitende Individualisie rung der Gesellschaft, eine Entwicklung, die dem Wir oder Kollektivismus formal entgegensteht. Im Anschluss an die Ausfüh rungen des Wissenschaftlers wurden während verschiede ner Workshops Strategien un-

zende, Gabriela Kasigkeit, das Konzept New Work vor und führte aus, welche Rolle es für den Bildungsbereich spielen kann. Der Begriff New Work bezeichnet ein neues Ver ständnis von Arbeit, konkret die Wahrnehmung des Ar beitsplatzes als Ort der Selbst verwirklichung. Ein bestimm tes Arbeitsmodell wird dabei nicht favorisiert, jedoch gelten Freiheit, Eigenständigkeit, Sinnhaftigkeit und Inklusion als zentrale Elemente dieser Konzeption. New Work zielt folglich darauf ab, die Lebens qualität und Motivation der

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu erhöhen und ihnen mehr Freiraum für Selbstentfaltung und Entscheidungen zu geben. Die Ver treterinnen der Lan desverbände waren sich einig, dass es durchaus wün schenswert sei, die Ideen der New Work im Kontext schuli scher Bildung an- zuwenden, sie erör terten aber auch

Austausch über die berufs- und bildungspolitische Situation in den Ländern und Diskussion über aktuelle Entwicklungen der Arbeitsbe dingungen spielen eine wichtige Rolle bei den Treffen der frauenpoli tischen Arbeitsgemeinschaft im DPhV. >

Die vielfältigen thematischen Schwerpunkte der Frühjahrs tagung ergänzend, wurde auch der Kongress ‘Fit und in novativ in der Schule’ weiter vorbereitet. Die vom Deut schen Philologenverband, dem Verband der Gymnasial lehrkräfte, am 8. März 2024 in Berlin durchgeführte Veran staltung soll informieren, fort

bilden sowie kollegialen Aus tausch fördern und so einen Beitrag zur Gesunderhaltung der Kollegien leisten. Der Kon gress bietet neben Impulsvor trägen praxisbezogene Work shops, die eine lösungsorien tierte Auseinandersetzung mit der Thematik gestatten. Sie sind herzlich dazu eingela den! ■

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Wie kann das Durchbrechen von Stereo typen bei der Mitgliedergewinnung helfen? Eines von vielen Themen, das in der Runde diskutiert wurde.

ter anderem für die Mitglie dergewinnung abgeleitet. Um in einer Welt der ‘Ichlinge’ für einen Berufsverband zu inte ressieren, ist es notwendig, mit Stereotypen von Ver bandsarbeit zu brechen. Wer den diese Denkabkürzungen nicht bedient, wird zur nähe ren Beschäftigung mit den Themen und Positionen der Verbände angeregt. So kann deutlich gemacht werden, dass Berufsverbände auch in dividuelle Belange berücksich tigen, die Mitgliedschaft in ei ner solchen Interessenvertre tung also Individualität nicht verhindert. Für Mitglieder sollten Verbände demnach »die Gruppe, in der du du sein kannst« sein, so Spörrle.

mögliche, daraus resultieren de Risiken für die Beschäftig ten.

Martina Scherer, 2. stellvertretende Vorsitzende Baden-Württemberg, sie unterrichtet die Fächer Musik und Mathematik: »Warum ich mich bei den Frauen im DPHV engagiere? Meiner Meinung nach spielen die Vernetzung und der Austausch mit den Bundesländern ei ne sehr große Rolle. Gemeinsam sind wir stark! Das ist (m)ein Motto, das für mich vom kleinsten Gremium bis hin zu den Dachverbänden gilt.

Problemstellungen sind ähnlich, Synergieeffekte können entstehen und ge nutzt werden, und vor allem geht es um das gemeinsame Entwickeln von Strategien und deren Umsetzung. Familie und Beruf – egal in welcher Form – sind und werden immer mehr von zentraler Bedeutung sein für unsere berufspolitischen Ziele und Forderungen, die Gesellschaft ist immer im Wandel und somit auch die Herausforderungen, die damit einhergehen. Die Frauen AG ist dabei ein Sprachrohr und Motor. Sie hat die Aufgabe, sich für den Ausgleich und die Abschaffung von Benachteiligung einzusetzen. Unsere Aufgabe ist es, uns als Verband für die Belange unserer Mitglieder

Foto: Marlene Gawrisch

stark zu machen. Die Frauen stellen für mich neben berufs- und bildungspolitischen Ar beitskreisen oder den JuPhi oder den Pensionären eine weitere gleichberechtigte Säule des DPhV für unsere Mitglieder dar. Nur von vielen Säulen kann ein starkes Dach getragen wer den. Ich bin dankbar und stolz, dabei sein zu dürfen, mitgestalten zu dürfen und für Forde rungen der Basis einstehen zu dürfen.«

Im weiteren Verlauf der Früh jahrstagung stellte die Vorsit

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> PROFIL | Mai 2023

Foto: Marlene Gawrisch

PROFIL > titel

Drei Fragen an … Gabriela Kasigkeit ? Liebe Gabriela Kasigkeit, Sie leiten seit 2005 die AG litische Arbeit sind, die Förde rung von Mädchen und Frau en, damit sie in ihren Bil

für frauenpolitische Fragen: Was macht diese Arbeit so wichtig – für Sie, für die Leh rerinnen im Verband und an den Gymnasien? Welche Themen sind Dauerbrenner für die frauenpolitische AG? Frauen sind in der Gesell schaft und auch im Bildungs system nach wie vor mit struktureller Diskriminie rung und Benachteiligung konfrontiert. Geschlechtsspezifische Ste reotype und Vorurteile wir ken sich auch auf die Arbeit der Lehrerinnen an den Gym nasien aus. Frauenpolitische Arbeit trägt dazu bei, diese spezifischen Herausforde rungen zu identifizieren und Lösungen zu finden, um Frauen zu stärken und zu unterstützen sowie ihre Interessen und Bedürfnisse zu vertreten. Es gibt verschiedene The men, die immer aktuell und wichtig für unsere frauenpo

dungs- und Berufschancen gleichgestellt sind, steht da ganz oben. Dazu gehört zum Beispiel, geschlechtsspezifi sche Stereotype zu vermei den, Chancengleichheit im Beruf zu ermöglichen und flexible Arbeitszeiten und an dere Maßnahmen zur Unter stützung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu för dern. Das alles trägt dazu bei, dass mehr Frauen Führungs positionen im Bildungsbe reich anstreben können. Gewalt gegen Frauen und Mädchen in der Gesellschaft stellt nach wie vor ein erns tes Problem dar. Die frauen politische Arbeit im DPhV trägt dazu bei, ein Bewusst sein für das Thema zu schaf fen und stellt Maßnahmen zur Prävention und Bekämp fung von Gewalt gegen Frau en und Mädchen vor. Frauenpolitische Arbeit ist für die Kolleginnen am Gym

Gabriela Kasigkeit ist Lehrerin für Psychologie, Deutsch, Russisch und Englisch, sie leitet seit 2005 als Vorsitzende die Arbeitsgemeinschaft für frauenpolitische Fragen im DPhV. Sie ist stellvertretende Vorsitzende des Philologenverbands Berlin/Brandenburg. >

nasium und auch innerhalb unseres Verbandes notwen dig. Eine geschlechtergerech te Interessenvertretung stärkt die Gewerkschaftsbe wegung insgesamt und för dert das Engagement von Frauen im DPhV. ? Wenn Sie auf diese Zeit zurückblicken – welche Fortschritte für Frauen im Verband und im Beruf als Lehrerin am Gymnasium hat es seitdem gegeben? Oder gab es möglicherweise auch Rückschritte? Es gibt heute ein größeres Bewusstsein für geschlechts spezifische Diskriminierung und die Bedeutung von Frau enrechten. Die Anliegen der Frauen und Politik für Frauen ist zunehmend in den Fokus

von Politik und Gesellschaft gerückt und ist auch fester Bestandteil der Verbandsar beit. Damit wurden Fortschritte bei der Förderung der Gleich stellung von Mädchen und Frauen im Bildungssystem, selbstverständlich auch am Gymnasium erzielt. In unserem Verband werden inzwischen die Ressourcen gerecht verteilt, wenn es um Sitzungen, Referenten, Ver anstaltungen und Ähnliches geht, um sicherzustellen, dass die Bedürfnisse und In teressen von Frauen und Männern in gleicher Weise berücksichtigt werden. Es ist gelungen, die Partizi pation von Frauen in

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rungspositionen sowie eine starke Vernetzung mit Gleich gesinnten stehen auf unserer Agenda. All diese demokratischen Er rungenschaften sind keine Selbstverständlichkeiten, die einfach in Stein gemeißelt sind, sondern sie müssen re gelmäßig wieder erkämpft werden, egal wie unnötig ei nem die Debatte um Gleichbe rechtigung vorkommt. Viele denken: »Mein Gott, ihr könnt ja alles tun, was ihr wollt!« – das stimmt so beileibe nicht, es ist etwas, das ständig und immer wieder erkämpft wer den muss. Die Zeit, diesen Kampf allein den Frauen zu überlassen, ist vorbei, auch weil wir alle von einer gerech teren und vielfältigeren Ge sellschaft profitieren. Die Arbeit in der frauenpoliti schen AG des DPhV stellt eine Herausforderung dar, ist je doch ebenso ein Gewinn für jede von uns. Es klingt viel leicht pathetisch: Wir unter stützen uns in verbandspoliti schen, alltäglichen und beruf lichen Angelegenheiten, kämpfen um größere Anerken nung unseres Ehrenamtes in der Politik und stehen fürei nander ein. Von daher empfin de ich die Arbeit im DPhV als Bereicherung und nicht als Be lastung. Ich wünsche mir, dass wir noch mehr Frauen, die Schülerinnen und Schüler zum Abitur bringen, motivieren können, sich uns anzuschlie ßen. Nur mit den Frauen sind wir ein starker Verband. ■

Im Vortrag von Prof. Spörrle wurde die Funkti on verschiedener Stereotypen-Arten deutlich. Jeder sollte den Blick dafür entwickeln, wann das eigene Denken, Fühlen und Handeln von einem Stereotyp beeinflusst ist – um diesem Einfluss dann gezielt entgegenzuwirken.

band und an den Gymnasien in Deutschland? Frauen, die sich in unserem Verband engagieren, haben in der Regel unterschiedliche Wünsche und Bedürfnisse. Uns vereint selbstverständ lich der Wunsch nach einer gerechteren und gleichbe rechtigten Gesellschaft, in der Frauen und Männer die gleichen Chancen und Mög lichkeiten haben sowie eine größere gesellschaftliche Wertschätzung und Aner kennung der Arbeit von Frau en im Beruf, in der Familie und in der Gesellschaft ins gesamt. Eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die verstärkte Vertretung von Frauen in politischen Ent scheidungsgremien und Füh

Bildungs- und Arbeitsfragen zu erhöhen und ein starkes Netzwerk innerhalb und außerhalb des Verbandes aufzubauen. Leider mussten wir während der Corona-Krise einen ge wissen Einbruch verzeich nen. Gesellschaftliche Un gleichheiten und Geschlech terstereotype haben sich in dieser Phase auch im Bil dungsbereich zum Teil wie der verschärft, und die Pan demie hat die nach wie vor bestehende Dominanz der traditionellen Geschlechter rollen verdeutlicht. Das Ar beiten von zu Hause hat er hebliche Auswirkungen auf uns alle gehabt: Doch die Folgen unterscheiden sich für Frauen und Männer. Bei de arbeiten in dieser Situati on länger, doch die Männer mehr in der beruflichen Tä tigkeit, die Frauen überneh men dagegen wieder einen größeren Anteil der Sorgear beit für die Familie. Sie pro fitieren damit seltener von der neuen Flexibilität in der Digitalisierung – neue Me dien, alte Klischees?! Bei die ser neuen-alten Problematik packen wir an und wollen Schwierigkeiten überwinden

und die Chancen, die sich durch die Digitalisierung zweifellos ergeben, für unsere Arbeit im Verband aber auch im Gymnasium nutzen. Fähigkeiten sind gleich ver teilt, für alle gilt gleicherma ßen: Ohne Bildung keine Karriere. Jeder Mensch kann die Moti vation und die Kompetenz entwickeln zu erkennen, wann das eigene Denken, Fühlen und Handeln von ei nem Stereotyp beeinflusst ist – und diesem Einfluss dann gezielt entgegenwir ken. Männer und Frauen auf Augenhöhe im DPhV! ? Was wünschen Sie sich für die Zukunft – für die frau enpolitische Arbeit im Ver

Jutta Bohmann, Bezirkspersonalrat Köln, Nordrhein Westfalen, unterrichtet die Fächer Deutsch und Fran zösisch: »Die konkrete Umsetzung der Ausführungen von Prof. Spörrle können bereits bei den im kommenden Jahr anstehenden Personalratswahlen in einzelnen Bundesländern wie bei uns in Nordrhein-Westfalen sehr hilfreich sein – eine Herausforderung, der sich die Mitglieder der AG gemeinsam stellen wollen.«

Foto: Marlene Gawrisch

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Fünf Gründe, warum Homeschooling erlaubt sein sollte

Sie lieben und kennen sie wie sonst niemand. Daher liegt ih nen auch das Wohl der eige nen Kinder in einem Maße am Herzen, wie es beim Staat nie der Fall sein kann. Welcher Bil dungsweg der richtige für ein Kind ist, können daher die El tern in aller Regel am besten einschätzen. In diesem Zusam menhang sei auch erwähnt, dass Eltern selbstredend um die Bedeutung sozialer Kon takte wissen. Die These, außer halb der staatlichen Schule könne es diese nicht geben, ist aber – man denke nur an das Vereinswesen – offen- kundig Unsinn. 4. Das Indoktrinations- argument: Verfechter der staatlichen Schulpflicht berufen sich gerne darauf, Kinder vor Ideologisie rung und Indoktrination in der Familie schützen zu müssen. Wie aber bereits ein kurzer Blick auf die mörderischen Totalitarismen des 20. Jahr hunderts beweist, geht diese Gefahr in erster Linie vom Staat und seiner Propaganda und nicht von der Familie aus. Es ist also umgekehrt gerade die Familie, die ihre Kinder vor staatlichem Missbrauch schüt zen können muss. 5. Das Entlastungs- argument: Unser Staat hat sich nicht nur prinzipiell (nämlich natur rechtlich), sondern auch ganz praktisch übernommen: Die katastrophalen sozialen Zu stände an vielen Schulen, das Absinken des Bildungsniveaus und der akute Lehrermangel zeigen, dass der Staat mit seinem Schulmonopol völlig überfordert ist. Es ist daher unverantwortlich, wenn er die dringend nötige Entlastung, die durch eine Liberalisierung des Schulwesens und das Recht auf Homeschooling möglich wäre, verweigert.

Überlegungen von DR. SEBASTIAN OSTRITSCH I n Deutschland ist Home schooling gesetzlich verbo ten. Wer seine Kinder nicht auf eine staatliche Schule schicken möchte, dem bleiben höchstens die Privatschulen. Aber auch über deren Errich tung wacht der Staat mit Ar gusaugen. Dabei gibt es gute Gründe dafür, das staatliche Schulmonopol zu beenden und den Familien endlich die Freiheit zu gewähren, selbst über die Erziehung und Bil dung ihrer Kinder zu entschei den. Insbesondere die folgen den fünf Argumente sprechen für ein Recht auf Homeschool ing und eine Liberalisierung des Schulwesens: 1. Das naturrechtliche Argument: »Pflege und Erziehung der Kin der sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.« So heißt es in Artikel 6 des Grund gesetzes. Es verweist damit auf ein überpositives oder natürli ches Recht , das ihm geltungs mäßig übergeordnet ist. Natür liche Rechte und Pflichten sind nämlich solche, die aus der Na tur des Menschen, sprich: aus seinem Wesen, folgen. Selbst wenn es kein Grundgesetz gä be, würde also gelten: Die Er ziehung der Kinder ist primär das Recht und die Pflicht der Eltern. Das heißt: Eltern dürfen und müssen sich, sofern sie da zu in der Lage sind, um die Er ziehung ihrer Kinder kümmern. Nun lassen sich Erziehung und Bildung zwar unterscheiden, aber nicht trennen. Es wäre da her höchst künstlich, ja gerade zu absurd, zu behaupten, El tern hätten nur das natürliche Recht auf die Erziehung ihrer Kinder, aber kein Recht auf de

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Welche Argumente sprechen dafür, dass Eltern, die das finanziell und von ihren Kenntnissen her leisten könnten, ihre Kinder zuhause unterrichten dürfen? >

ren Bildung. Aus all dem folgt: Wo der Staat das natürliche Recht der Eltern, selbst über die Erziehung und Bildung ihrer Kinder zu entscheiden, ein schränkt, handelt er wider das Naturrecht. Freilich gibt es Fäl le, in denen der Staat eingrei fen muss, aber das darf nur ge schehen, wenn die Eltern nicht in der Lage oder willens sind, ihre natürliche Pflicht zu erfül len. Das führt unmittelbar zum zweiten Argument. 2. Das Subsidiaritäts- argument: Das Subsidiaritätsprinzip ist nicht nur ein politisches, son dern auch ein ethisch-natur rechtliches Prinzip: »Wie das jenige, was der Einzelmensch aus eigener Initiative und mit seinen eigenen Kräften leisten kann, ihm nicht entzogen und der Gesellschaftstätigkeit zu gewiesen werden darf, so ver stößt es gegen die Gerechtig keit, das, was die kleineren und untergeordneten Gemein wesen leisten und zum guten Ende führen können, für die weitere und übergeordnete Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen.« So formuliert es die Katholische Soziallehre. Inso fern sie aber ausschließlich auf natürliches Recht (‘Gerech tigkeit’) rekurriert, ist das ethi

sche Subsidiaritätsprinzip voll ständig konfessionsunabhän gig. Der Staat ist also in fami liären Dingen erst gefragt, wenn die Familie es nicht selbst regeln kann. Da die meisten Familien aus wirt schaftlichen, zeitlichen oder anderen Gründen auf öffentli che Schulen angewiesen sind, soll der Staat diese durchaus betreiben. Nur darf er eben niemanden sanktionieren, der seine Kinder auf anderem Weg erziehen und bilden möchte. 3. Das Intimitäts- argument: Eltern haben eine einzigartige Beziehung zu ihren Kindern.

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Sebastian Ostritsch ist pro movierter Philosoph und Autor. Er arbeitet an der Universität Stuttgart, zu letzt erschien von ihm ‘Let’s Play oder Game Over? Eine Ethik des Computerspiels’ bei dtv (April 2023).

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Zuerst erschienen auf der Plattform www.corrigenda.online

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Die private Verantwortung der Familien und von nicht-staat lichen Akteuren sollte eher im Bereich der sozialen und the rapeutischen Aufgaben, die die Gesellschaft den Schulen auferlegt hat, gefördert werden, anstatt ausgerechnet den schulisch-unterrichtlichen Teil an die Eltern auszulagern.

von Einzelfällen, sondern als Ausdruck einer generellen Überforderung zu verstehen. Das hilf- und teilweise auch planlose, jedenfalls mühseli ge und quälend langsame Agieren bei der Digitalisie rung wäre ein Beispiel dafür. Vielleicht schafft es ‘unser’ Staat ja wirklich nicht, die Voraussetzungen für einen auf kluge Weise digital un terstützten Präsenzunter richt für alle Schüler zu schaffen – ganz gleich, ob ein Nachfolge-Digitalpakt ausbleibt oder doch noch kommt. Oder: Vielleicht wird ‘unser’ Staat es wirklich nie schaffen, eine halbwegs er trägliche Balance auf dem Lehrerarbeitsmarkt herbei zuführen. Und falls dem so ist: Vielleicht wäre ja ‘Libera lisierung’ tatsächlich eine sinnvolle Alternative. Bei der Unterhaltung des Autobahn netzes geht der Bund ja schließlich ähnliche Wege. Und abgesehen davon spie len Privatschulen, obwohl überwiegend staatlich finan ziert, seit jeher eine aktive Rolle als Ergänzung und pädagogische Alternative zum staatlichen Schulwesen. Die Schwäche von Ostritschs Argumentation liegt darin, dass er zu früh falsch ab biegt. Es ist nicht einleuch tend, warum ausgerechnet im schulisch-unterrichtli chen Teil der Bildungsan strengungen des Staates die Eltern ein überzeugendes Al ternativangebot leisten kön nen sollten. Viel eher wäre doch wohl darüber nachzu denken, ob der Staat sich in der Bildung nicht in anderen Bereichen mit den selbst ge wählten Aufgaben überfor dert. Tatsächlich resultieren manche Probleme, die der Autor als Indizien für ein ‘Scheitern’ des Staates in der Bildung ansieht, so zum Bei spiel ‘katastrophale soziale Zustände’, nicht in erster

Ist die Privatisierung der Bildung eine Lösung der Bildungskrise?

abdruckt. Vier der fünf Grün de, die Ostritsch für seine Position anführt, sind aus diskutiert – in Deutschland herrscht Schulpflicht, basta. Der fünfte Grund aber hat es in sich: Da der Staat an der Aufgabe scheitert, ein quali tativ überzeugendes Bil dungssystem zu unterhal ten, so das Argument, muss diese Aufgabe ‘liberalisiert’ werden können. Die Stärke dieses Gedankens liegt darin, die Probleme in der Bildung nicht als Summe

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Eine Erwiderung von DR. MARCUS HAHN B ereits seit geraumer Zeit orchestriert die nationa le Presse eine ‘Bildungs krise’ in Deutschland, die zu meist an andere Krisen – Flüchtlinge, Corona, Digitali sierung, Ukraine etc. – ange dockt wird. Dr. Sebastian Ostritsch hat dazu schon in der ‘Welt’ vom 16. Februar ei nen originellen Beitrag gelie fert, den Profil in einer kürze ren Fassung in dieser Ausgabe

Dr. Marcus Hahn ist Mit glied im Vorstand des DPhV und Landesvorsitzender des Saarländischen Philologen verbands

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Linie aus dem Unterricht, son dern aus der Vielzahl von ge sellschaftlichen und thera peutischen Aufgaben, die die Bildungspolitik den Schulen auferlegt hat. Hier die private Verantwortung zu stärken, ei ne sachgerechtere Arbeitstei lung mit Familien und nicht staatlichen Akteuren zu for dern, wäre ein durchaus be denkenswerter Vorschlag. Allerdings kann man sich fra gen, ob wir die von Ostritsch geforderte ‘Liberalisierung’ zumindest im Bereich der in dividuellen, defizitorientier ten Förderung nicht längst bereits haben. De facto ist ein Teil der Unterrichtsleistung in Privatregie organisiert – zum Beispiel vor allem durch kom merzielle Nachhilfe-Dienst leister, die Lerndefizite gegen Bezahlung zu beheben ver sprechen. Diese Lerndefizite sind zwar stets individuell, aber eben keine Einzelfälle, sondern Legion. So betrachtet ist die von Ostritsch geforderte ‘Liberali sierung’ schon Realität, nur eben in Form von Privatisie rung. Und vielleicht ist das gar kein so schlechter Weg. Jüngst bekannte beispielsweise die Kultusministerkonferenz frei mütig, dass mit den soge nannten Aufhol-Programmen

nach Corona zwar Milliarden in die Bildungsapparate der Län der gepumpt wurden, dass aber über deren Wirksamkeit keine Erkenntnisse vorliegen. Was Wunder, erwiesen sich die Programme doch laut Feststel lung des Bildungspolitischen Ausschusses des DPhV landauf landab mehr oder weniger als Rohrkrepierer. Was also wäre geschehen, wenn man flächen deckend – so wie das vereinzelt geschehen ist – bei der Aufar beitung der Corona-Folgen die Expertise und die Manpower von kommerziellen Bildungs anbietern aktiviert hätte? Kurz: Ostritschs Gedanke, die aktuellen und auf absehbare Zeit noch weiter bestehenden Probleme als Scheitern des Staates anzusehen, könnte einer zur Selbstkritik fähigen Bildungspolitik durchaus hel fen. Bund, Länder und kom munale Sachkostenträger könnten sich selbstkritisch fra gen, für welche der von ihnen pauschal den Schulen zugemessenen Aufgaben sie denn die notwendigen Voraus setzungen zu schaffen in der Lage sind. Für den Rest starke Partner zu suchen, die qualitativ überzeugende An gebote liefern, wäre sicherlich eine bessere Herangehenswei se als der Versuch, die Schulen

zu einer ‘eierlegenden Woll milchsau’ zu entwickeln. Eine Chance könnte eine zur Selbstkritik fähige Bildungs politik auch für ihre Aufsichts funktion sehen. Sie könnte die Realität anerkennen, die heute bereits in einem Ne beneinander von staatlichen und kommerziellen Bildungs anbietern sowie privat-fami liären Initiativen besteht. Sie könnte Qualitätsstandards für die verschiedenen Bereiche und Aufgabenfelder entwi ckeln, die mehr beinhalten und verlässlicher sind als das übliche Kompetenz-Blabla. Begleitet von validen, objekti ven und damit vergleichbaren Prüfungen unter staatlicher Aufsicht – und zwar auf ins gesamt höherem Niveau – könnte man daraus sogar ein Qualitätsmerkmal (wieder- )gewinnen und dem unseli gen Trend zur Simonie der Ar beits- und Lebenschancen in betrieblichen und sonstigen Auswahlverfahren entgegen treten. Nun zeigt allerdings das oben gewählte Beispiel, dass mit einer Privatisierung (zum Bei spiel des Autobahnbetriebs) nicht alles von selbst gut wird. Das gilt schon gar nicht aus gewerkschaftlicher Per spektive. In der Regel nützt es den Bediensteten wenig, wenn sie aus einer Behörde in einen Monopolbetrieb outge sourct werden. Andererseits ist im Bildungsbereich unter

den oben beschriebenen Vo raussetzungen genau damit nicht zu rechnen. Ein Mehr an privater Initiative könnte auch zu einer größeren Vielfalt an Anbietern führen, die sich auch einen Wettbewerb um die besten Köpfe bei den Be schäftigten liefern. Womög lich könnten die Länder es sich als Ex-Bildungsmonopo listen dann nicht mehr ohne weiteres erlauben, die Ar beitsbedingungen ihrer Be diensteten so zu vernachlässi gen, wie das gegenwärtig der Fall ist. Und womöglich liegt genau da auch der Grund da für, warum Gedankenspiele wie die von Ostritsch beflis sentlich ignoriert werden. ■

INFO

Zur Ergänzung des The mas empfehlen wir den Text »Bildungsoffensive statt ‘Homeschooling’« von der DPhV-Vorsitzen den Prof. Dr. Susanne Lin Klitzing und dem Vorsit zenden der Gesellschaft für Erziehungswissen schaft Prof. Dr. Harm Ku per – erschienen als Gast beitrag auf dem Blog des Bildungsjournalisten Jan Martin Wiarda anlässlich des Distanzunterrichts im ersten Lockdown 2020, zu finden unter

dem ne benste henden QR-Code.

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