Profil 3/2023
Die Profil Ausgabe 1-2/2023 mit dem Leitthema "Informatikunterricht - wie viel Informatik braucht der Mensch? " ist veröffentlicht. Jetzt lesen!
3 / 2023
Schwerpunktthema: Biologieunterricht
Passende Formate für die Verbands- arbeit der Zukunft – Vernetzungs- seminar in Fulda
Buchvorstellung und Verlosung: Bilder von Bildung
Pädagogik & Hochschul Verlag . Graf-Adolf-Straße 84 . 40210 Düsseldorf · Foto: AdobeStock
PROFIL > auf ein wort
Was macht ChatGPT mit uns in der Schule?
Foto: Marlene Gawrisch
Liebe Kollegen und Kolleginnen,
wortliche und Dienstherrn gefragt. A und O ist und wird der Schutz der personen bezogenen Daten sein, und zwar sowohl der Schüler- wie der Lehrkräftedaten, nicht nur in KI-Anwendungen. Hierzu bedarf es grundlegender Veränderungen. Denn bisher ist die Schulleitung der Da tenschutzverantwortliche im Sinne von Art. 4 Nr. 7 der DS-GVO, die Schulleitung, die die Schule nach außen vertritt. Diese kann aber in der Regel kein umfassendes (Datenschutz-)Wissen unter anderem für sämtliche KI-Tools haben. Es gibt bisher nur wenige Bundesländer, hier beispielsweise Berlin, in denen die Verantwortung für den Datenschutz, schulische IT-Verfahren und deren ver fahrensabhängige IT-Infrastruktur bei der obersten Dienstbehörde, nämlich dem Kultusministerium bzw. bei der ent sprechenden Senatsverwaltung, liegt (hier SchulG Berlin § 7, Abs. 2a und § 64, Abs. 11). In den meisten Bundesländern wird diese Verantwortung an die Schulen bzw. die Schulleitungen delegiert. Die ak tuelle Debatte zeigt, wie dynamisch sich gerade der IT-Bereich entwickelt. Daher ist diese Flucht der Kultusministerien aus der Verantwortung ein nicht hinnehmbarer Zustand und muss im Interesse der Schü lerinnen und Schüler, ihrer Lehrkräfte und der Schulleitungen dringend verändert werden (vgl. https://www.meinungs- barometer.info/beitrag/Schutz-der- personenbezogenen-Daten-als-A-und-O bei-KI-Einsatz-in-der-Schule_4547.html). Und insofern erneuert die aktuelle De batte um ChatGPT nur unsere grundsätz liche Forderung an unsere Dienstherren, ihrer IT-Verantwortung besser als bisher nachzukommen!
ChatGPT ist in aller Munde. Vor allem auch unter dem Gesichtspunkt, dass die se KI den Schülerinnen und Schüler ein ‘leichteres’ Schulleben beschere, mit weniger Hausaufgaben und weniger ei gener Anstrengung. Das glaube ich nicht. Geradezu im Gegenteil wird für die Schü lerinnen und Schüler die Herausforde rung darin bestehen, die oft gut und überzeugend klingenden Texte, zum Bei spiel von ChatGPT, auf ihren fachlichen Gehalt hin prüfen zu können. Lernende brauchen also nicht weniger fachliche Kompetenzen, vielmehr verlangt eine kundige Nutzung der Möglichkeiten von KI nach einer breiteren und tieferen Ver ankerung im Fach. Voraussichtlich wird das Produzieren von Texten und Ausarbeitungen gegenüber deren Diskussion und tatsächlichen Be wertung etwas in den Hintergrund tre ten. Im besten Falle wird es allerdings dann so sein, dass tatsächlich die Bildung und der Bildungsprozess des einzelnen Schülers, der einzelnen Schülerin in den Mittelpunkt gestellt werden kann und muss. Denn Bildung ist ja die subjektive Verarbeitung von Wissen, die zu kumu liertem, veränderten Wissen, zu verän derten Einstellungen und Haltungen führt. Dies dann im Klassenraum, mit und vor den anderen in der Klasse oder im Kurs zu artikulieren, darzustellen, zu begründen, infragezustellen, weiterzu entwickeln, das wird eine anspruchsvolle Aufgabe im Unterricht sein – und dafür bedarf es der dahinterstehenden Üb- und Auseinandersetzungsprozesse, beispielsweise in den Hausaufgaben. Diese werden also gar nicht überflüssig, sondern die individuelle Vertiefung von Wissen bleibt notwendig. Selbstverständlich muss jedoch im Rah men einer schulbezogenen Nutzung der Schutz der personenbezogenen Daten von Lehrkräften und ihren Schülerinnen und Schülern gewährleistet werden. Hier sind die Kultusministerien als Verant
Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing, Bundesvorsitzende des Deutschen Philologenverbandes
Ich verbleibe mit kollegialen Grüßen an Sie!
Ihre Susanne Lin-Klitzing
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> PROFIL | März 2023
PROFIL > inhalt
dphv-standpunkte >
DPhV fordert echte Anstrengungen, qualifizierte Lehrkräfte im Dienst zu halten DPhV lehnt Erhöhung der Regelstundenzahl für Lehrkräfte strikt ab DPhV fordert höhere Vergleichbarkeit und Bildungsgerechtigkeit beim Abitur Schulen brauchen mehr Unterstützung für ukrainische Schülerinnen und Schüler DPhV fordert Politik zu nachhaltigem Handeln gegen den Lehrkräftemangel auf Schwerpunkt Biologieunterricht – VomMikrokosmos zumMakrokosmos Interview mit Lehrerin Monika Bernzott: »Die Begeisterung für die Biologie mit den Heranwachsenden teilen« Arbeitskreis Schulbiologie: Mit dem Schulfach Biologie komplexe Herausforderungen und Zukunftsfragen besser verstehen Interview mit Professor Jorge Groß: Multiperspektivität als Grundlage für erfolgreiche Vermittlungsprozesse Passende Formate für die Verbandsarbeit der Zukunft – Vernetzungsseminar in Fulda 22 dbb-Leitantrag Bildung 24 Fachtag Oldenburg 28 titel > > aktuell 5 7 8 9 10 12 13 14 16
Schwerpunkt Biologieunterricht – Vom Mikrokosmos zum Makrokosmos Seite 12
Vernetzungs- seminar in Fulda Seite 22
gymnasialtag
>
Leitbegriffe für einen anspruchsvollen Diskurs – ein Workshop zur Frage des Bildungskanons Workshop Begabungsförderung – ganz konkret
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> aus den ländern
Philologen-Gespräch bei Hamburgs Bildungs- senator – Müssen sich Lehrkräfte um ihre Teilzeit sorgen, Ties Rabe? 33
dbb-Leitantrag Bildung Seite 24
NRW-Philologen fordern KI-Gipfel: ChatGPT in Schule und Unterricht
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Nordländer fordern schnelle Maßnahmen gegen Lehrkräftemangel
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> aus der wissenschaft
Dorothée Bauni – Deutsche Schulen im Ausland: Auftrag, Bedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten
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> buchtipp & verlosung
Buchvorstellung ‘Bilder von Bildung’ von Jochen Krautz – Bildung ist das, was uns innerlich hält
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> impressum
Deutsche Schulen im Ausland
einkommensrunde 2023
Seite 36
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dbb magazin
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Mogelpackung verschärft Arbeitskampf
personalpolitik
>
dbb magazin
Lehrkräfteausbildung: Bildungspolitik muss neue Realitäten anerkennen Lehrkräftemangel: Kreative Ideen für den ländlichen Raum
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> PROFIL | März 2023
PROFIL > dphv-standpunkte
Zu den Empfehlungen der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) zum Umgang mit dem aktuellen Lehrkräftemangel DPhV fordert ECHTE Anstrengungen, qualifizierte Lehrkräfte im Dienst zu halten
Berlin – Die Ständige Wissen schaftliche Kommission (SWK) der Kultusministerkon ferenz (KMK) hat eine Stel lungnahme zum Umgang mit dem akuten Lehrkräfteman gel vorgelegt. Und so sehr ei ne wissenschaftliche Be trachtung der Problemlage begrüßenswert ist, so sehr kritisiert der DPhV die Einsei tigkeit der Empfehlungen im Einzelnen. Diese ließen die Realität des Arbeitsplatzes Schule außer Acht und näh men keinerlei Kritik am her kömmlichen Aufgabenspek trum vor. »Dass die erste Empfehlung ausgerechnet die Erhöhung des Drucks auf die im Dienst befindlichen Lehrkräfte ist, ignoriert nicht nur die bestehende Überlast, sondern wird umgekehrt zu mehr statt weniger Unter richtsausfall führen, weil im mer mehr Kolleginnen und Kollegen einfach nicht mehr können«, so die Bundesvor sitzende des Deutschen Phi lologenverbandes, Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing. »Dass dann gleichzeitig den Lehr kräften eMental-Health-An gebote als Maßnahmen zur Gesundheitsförderung emp fohlen werden, ist schon fast ein Hohn«, so Lin-Klitzing weiter. Eine grundsätzliche Aufga benkritik mit Blick auf die vielen Herausforderungen des Lehrkräfteberufs fehle komplett. Dies sei jedoch nö tig. »Die SWK empfiehlt Lehr kräften individuelle Achtsam keitstrainings, aber es erfolgt kein Vorschlag, professionelle Supervision strukturell im System zu verankern. Das ist
Schulen unterrichten, nicht im Dienst gehalten werden kön nen, wird das Problem Lehr kräftemangel nahezu unlös bar! Der DPhV fordert des halb, die Bestandslehrkräfte in den Schulen endlich spür bar zu entlasten, um sie im Dienst zu halten. Ein Problem ist: Lehrkräften werden Versprechen gemacht, die nicht eingelöst werden können. Zu den nicht geeigne ten Maßnahmen einer sog. ‘Beschäftigungsreserve’ zählt Lin-Klitzing das Instrument der sogenannten ‘Vorgriffs stunde’. Lehrkräfte unterrich ten im ‘Vorgriff’ mehr und be kommen das Versprechen, diese Stunden würden ihnen später zurückgegeben. Dieses Versprechen ist aber ange sichts des deutlich mehr als über ein Jahrzehnt andauern den Lehrkräftemangels nicht mehr solide einlösbar. Eine Er höhung der Regelstundenzahl wird angesichts der seit >
deckung mit einer kontinuier lichen und planvollen Lehr kräfte-Einstellungspolitik kommen. Der Verband rechnet damit, dass der politisch verursachte Lehrkräftemangel voraussicht lich zwei Jahrzehnte andauern wird. Außerdem wird wegen geburtenschwacher Jahrgän ge ein Jahrzehnt mit konkre tem Nachwuchsmangel für den Lehrerberuf zu überbrü cken sein. Lin-Klitzing: »Deutschland hat jetzt so hohe Schülerzahlen wie lange nicht mehr. Die ‘Babyboomer Generation’ geht jedoch in den nächsten Jahren in den Ruhestand. Davon sind die östlichen Bundesländer in besonderem Maße betroffen.« Bestandslehrkräfte an den Schulen halten Klar muss sein: Wenn die Lehrkräfte, die bereits an den >
individuelle Verhaltensprä vention, aber keine struktu relle Verhältnisprävention. Beides ist jedoch nötig«, er klärt Lin-Klitzing. Es könne nicht sein, dass Lehrkräfte weiterhin ihre Zeit in die Organisation von Klas senfahrten und deren Ab rechnung stecken, statt sich qualifiziert auf Unterricht vorzubereiten. Es müsse eher geprüft werden, ob die bishe rige Aufgaben- und Arbeits verteilung in den Schulen noch zeitgemäß und von den Lehrkräften leistbar sei, wenn man sich das gesamte Aus maß des Lehrkräftemangels vor Augen führe, so die DPhV Vorsitzende. Eine Konzentra tion auf das Kerngeschäft Unterricht sei für die Lehr kräfte mehr als an der Zeit! Lin-Klitzing weiter: »Die Kul tusministerinnen und -minis ter der Länder werden für das herkömmliche Aufgaben spektrum nicht genügend Lehrkräfte finden und Eltern und Kindern sagen müssen, dass sie immer wieder über einen längeren Zeitraum mit temporärem Unterrichtsfall rechnen müssen, der je nach Region und Schulart unter schiedlich stark sein wird«, erklärt die DPhV-Bundesvor sitzende Lin-Klitzing. Dass dies imWesentlichen auf ei ne kurzsichtige Ausbildungs- und verfehlte Einstellungspo litik der vergangenen Jahre zurückzuführen sei, dürfe da bei nicht verschwiegen wer den. Aus diesen Fehlern der Vergangenheit müsse die Po litik lernen und endlich zu ei ner höheren Unterrichtsab
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> PROFIL | März 2023
PROFIL > dphv-standpunkte
Jahren bestehenden Überbe lastung der Lehrkräfte nicht erfolgreich sein können. Mehr als die gesetzlich vor geschriebene wöchentliche Arbeitszeit werden die Lehr kräfte nicht mehr arbeiten können. Pensionierte Lehrkräfte an den Schulen halten Wichtig sei es aus Sicht des DPhV, bereits pensionierte und verrentete Lehrkräfte, die gerne noch etliche Stun den unterrichten wollen, an den Schulen zu halten. Dies wird attraktiver, wenn der Zuverdienst künftig nicht mehr auf das Altersruhegeld angerechnet werde. »Zu die sem einfachen Schritt konn te sich die Politik bislang nicht grundsätzlich durchrin gen. Das ist ein Fehler. In der Privatwirtschaft gibt es diese Zuverdienstgrenze nicht, wohl aber für die Lehrkräfte im öffentlichen Dienst«, so Lin-Klitzing. Bedeutsam kön ne es auch sein, zu überprü fen, wie viele Lehrkräfte an die Schulministerien für Ver waltungstätigkeiten abge ordnet wurden, die aber in den Schulen nötiger ge braucht werden. Ein weiterer von vielen Lö sungsansätzen sei es, Lehr kräfte, die nach vierzig Jah ren Dienst ‘vorzeitig’ in den Ruhestand gehen wollen, endlich mit ausstehenden Beförderungen wertzuschät zen und damit ihren Verbleib an den Schulen zu sichern. Insbesondere die Lehrkräfte in den östlichen Bundeslän- >
Seiteneinsteigern in das Lehramt vorzulegen, damit in den betroffenen Ländern für die Schülerinnen und Schüler mehr qualifizierter Unter richt gewährleistet werden kann. Dazu gehört eine adä quate wissenschaftliche, uni versitäre sowie eine pädago gische Nachqualifikation für das jeweilige Lehramt. Lehr kräfte für das Gymnasium sind akademisch durch einen Master bzw. ein Staatsexa men und pädagogisch durch ein Studienseminar zu quali fizieren, bevor sie das Abitur abnehmen dürfen. Staatlich geprüften Angebo ten zur freiwilligen Weiter qualifikation von Lehrkräf ten, die Schülerinnen und Schülern qualifizierten Un terricht und ihnen selbst Auf stiegschancen ermöglichen, beispielsweise in Mangelfä chern wie für das Unter richtsfach Informatik, steht der Deutsche Philologenver band sehr offen gegenüber, sofern dies – wie auch bei der Nachqualifikation – aka demisch durch die Universi täten und pädagogisch durch die Studienseminare beglei tet geschieht. Wer Quer- und Seiteneinsteiger ins Lehramt aufnimmt, der muss auch da für sorgen, dass diese so aus gebildet sind, dass sie nicht nach wenigen Jahren wieder aussteigen.
dern bräuchten zudem Beför derungsgerechtigkeit, um im System gehalten zu werden. Hier ist der Lehrkräftemangel am größten und die Vergabe von Beförderungsstellen am geringsten. Keine größeren Klassen und Kurse Zu möglichen Maßnahmen gegen den Lehrkräftemangel, die die Bestandslehrkräfte allerdings mehr belasten als entlasten, kann das politi sche Instrument gehören, die Klassen und Kurse mit noch mehr Schülerinnen und Schülern zu füllen. »Diese Maßnahme lehnen wir ab. Die Gymnasien liegen in je der Statistik am oberen Rand mit ihren Klassenzahlen (durchschnittlich 26 Schüle rinnen und Schüler). Jeder Schüler mehr in einer Klasse bedeutet für die Lehrkraft mehr Korrekturen, weniger Zeit für alle Schüler im Un terrichtsgespräch und weni ger Zeit für jeden einzelnen Schüler im Dialog. Eine sol che Maßnahme hilft den Schülern nicht und belastet die Lehrkräfte in so hohem Maße, dass der Unterrichts ausfall auf Grund von stress bedingten Fehlzeiten den >
möglichen positiven Effekt leicht aufzehren kann«, so Lin-Klitzing. Konzentration auf den Fachunterricht Lehrkräfte brauchen ihre Ar beitszeit für guten Fachun terricht. Für Verwaltungsauf gaben, IT-Instandhaltung u.ä. sind aus Sicht des Deutschen Philologenverbandes profes sionelle Unterstützer zu en gagieren. »Sollen Lehrkräfte weiter die chemische Samm lung aufräumen, statt Che mie zu unterrichten? Wo bleibt der Laborassistent? Unser Kerngeschäft ist der Unterricht. Deswegen treten wir auch gegen eine Senkung der Stundentafel, aber für mehr Entlastungen für Lehr kräfte zugunsten des Fach unterrichts ein«, erklärt die DPhV-Vorsitzende. >
FAZIT
Die Stellungnahme der Ständigen Wissenschaftli chen Kommission der KMK zum Problem des akuten Lehrkräftemangels ist von Wissenschaftlern gemacht. Das ist gut so! Sie hat aber imWesentlichen Lösungen für ein kurzfristiges ‘Weiter so’ im Blick und enthält kei nerlei schulpolitische Auf gabenkritik. Das ist viel zu wenig.
Quer- und Seiten- einsteiger richtig nachqualifizieren
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INFO
Die Empfeh lungen der Ständigen Wissenschaft
Der Deutsche Philologenver band erneuert seine Forde rung an die Kultusminister konferenz, endlich die über fälligen Qualitäts-Standards für die anspruchsvolle Nach qualifikation von Quer- und
lichen Kommission der KMK finden Sie über den neben stehenden QR-Code.
Pressemitteilung vom 27. Januar 2023
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> PROFIL | März 2023
PROFIL > dphv-standpunnkte
Nach Vorstoß in Sachsen-Anhalt DPhV lehnt Erhöhung der Regelstundenzahl für Lehrkräfte strikt ab
Berlin – Der Deutsche Philolo genverband (DPhV) spricht sich deutlich gegen eine Erhöhung der Regelstundenzahl für Lehr kräfte nach dem Vorbild Sachsen Anhalts aus. »Die Erhöhung des Arbeitspen sums ist keine Lösung für den gravierenden Lehrkräftemangel, sondern ein weiteres Hindernis auf dem Lösungsweg«, kritisiert die Bundesvorsitzende des Deut schen Philologenverbandes, Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing. Eine wei tere Erhöhung der Arbeitsbelas tung würde nicht dazu führen, dass sich mehr Menschen für den Beruf des Lehrers oder der Lehre rin begeistern. Des Weiteren ar beiten Lehrkräfte meist sowieso über ihr Pensum hinaus, ohne da für einen Ausgleich zu erhalten. Lin-Klitzing weiter: »In Sachsen Anhalt wird jetzt politisches Ver sagen auf dem Rücken der Lehr kräfte sowie der Schülerinnen und Schüler ausgetragen. Wir tra gen eine weitere Erhöhung der Regelstundenanzahl für Lehrkräf te nicht mit. Das Maß ist über voll!«
Der Hintergrund: Sachsen-An halts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) hat nach den Winterferien verpflichtende Mehrarbeit für alle Lehrkräfte in seinem Bundesland angeord net. Alle Lehrkräfte in Sachsen Anhalt sollen nun noch eine Un terrichtsstunde mehr unterrich ten. Der Deutsche Philologenverband ruft alle Kolleginnen und Kolle gen deshalb dazu auf, nur noch genau so viel zu arbeiten wie gesetzlich vorgeschrieben! Lin-Klitzing: »Vierzig Stunden als Vollzeitlehrkraft an fünf Tagen die Woche. Als Teilzeit- lehrkraft entsprechend weniger. Die Zeit der pädagogischen Hingabe ist vorbei, wenn das Land Sachsen-Anhalt die Lehr kräfte nun noch weiter belasten will.« Der Verband fordert alle Kultus ministerinnen und -minister dringend dazu auf, sich an den Maßnahmen aus Magdeburg kein Beispiel zu nehmen. ■
Der Philologenverband Sachsen-Anhalt (PhVSA) lehnt jede verpflichtende Erhöhung der Arbeitszeit für Lehrkräfte entschieden ab. Die von Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) angeordnete Mehrarbeit für Lehrkräfte ist für den Verband und seine Mitglieder nicht tragbar. Thomas Gau be, Vorsitzender des Philologenverbandes Sachsen-Anhalt: »Mit der Anweisung von verpflichtender Mehrarbeit für al le Lehrkräfte in unserem Bundesland haben die Landesre gierung und das Bildungsministerium den Arbeitsfrieden in unseren Schulen verletzt. Die seit Jahren stetigen Mehr belastungen ohne Ausgleich ausgesetzte Lehrerschaft soll nun für Jahrzehnte personalpolitischen Versagens der Lan desregierung und Landesbildungspolitik in die Pflicht ge nommen werden. Das nehmen wir nicht hin.« Der Philolo genverband Sachsen-Anhalt rief deswegen zu gemeinsa men Demonstrationen mit anderen Verbänden Mitte Fe bruar in Halle und Magdeburg auf. Im Bild: Mitglieder des Philologenverbands Sachsen-Anhalt auf der Demonstrati on: Landesvorsitzender Thomas Gaube, stellv. Landesvor sitzende Ines Gurschke und Peter Dammann. >
Pressemitteilung vom 23. Januar 2023
PROFIL > dphv-standpunkte
Große Unterschiede bei der Einbringung von Noten aus der Gymnasialen Oberstufe
DPhV fordert höhere Vergleichbarkeit und Bildungsgerechtigkeit beim Abitur
Berlin – Der Deutsche Philo logenverband (DPhV) spricht sich für deutlich mehr Ver gleichbarkeit auf höherem Niveau in der Gymnasialen Oberstufe und bei den Abi turprüfungen der Bundes länder aus. Das Bundesver fassungsgericht hat Ende 2017 die Kultusministerkon ferenz beauftragt, hier für mehr Vergleichbarkeit zu sorgen, damit insbesondere die Studienzulassung über den Numerus clausus für das Studienfach Medizin gerech ter wird. »Wir unterstützen dieses Ziel ganz klar«, erklärt die Bundesvorsitzende des Deutschen Philologenver bandes, Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing, »und fordern dafür aber nicht nur mehr Vergleichbarkeit auf höhe rem Niveau bei den Abitur
prüfungen selbst, sondern gerade auch bei den Einbrin gungsverpflichtungen aus zwei Jahren Gymnasialer Oberstufe, die die Abitur- note zu zwei Drittel bestim men.« Lin-Klitzing: »Wir treten ein für mehr Bildungsgerechtig keit beim Abitur, so wie das Bundesverfassungsgericht es fordert. Dazu gehört mehr einheitliche Vergleichbarkeit auf höherem Niveau bei den Rahmenbedingungen für die in die Abiturwertung einzu bringenden Leistungen. Wir treten deshalb gegen Bestre bungen ein, die Schulzeit in der Gymnasialen Oberstufe individuell weiter auszudeh nen, außerschulisch erbrach te Leistungen anzuerkennen
oder die Abiturprüfungen in dividuell ‘additiv‘ zu gestal ten. Gerade außerschulisch erbrachte Leistungsnachwei se benachteiligen vor allem Schüler aus sogenannten ,bildungsfernen‘ Elternhäu sern. Es muss hingegen gerade um die Sicherung des Rechtsanspruchs auf den schulischen Fachunterricht für alle Schülerinnen und Schüler gehen!« Der Verband wendet sich mit seinen Vorschlägen an die Amtschefkonferenz der KMK, die die diesbezüglichen Ent scheidungen für die Kultus ministerkonferenz in diesem Jahr vorbereitet. DAS muss sich in der Gymnasialen Oberstufe ändern: Statt aktuell bis zu fünf ‘Leistungskursen’ sollte die Anzahl der ‘Leistungskur se’ auf zwei bis drei in je dem Bundesland be schränkt werden. Sie soll ten jeweils vier bis fünf Stunden umfassen. Es soll ten zwei Klausuren pro Halbjahr geschrieben wer den, eine Ausnahme ist für das letzte Halbjahr in der Gymnasialen Oberstufe denkbar. Die ‘Grundkurse’ sollen in der Regel drei stündig sein. Bisher können die Schüler in dem einen Land 32 Kursbewertungen und in dem anderen Land 40 Kursbewertungen aus der gesamten Gymnasialen Oberstufe für die Berech nung ihrer Abiturnote ein bringen. Diese Kursbewer
tungen machen zwei Drit tel der Abiturnote aus. Der Deutsche Philologen verband fordert die KMK dazu auf, diese Ungleich heit zu reduzieren, näm lich auf eine Einbringungs verpflichtung von mindes tens 36 bis maximal 40 Kursbewertungen. Alle ‘Grundkurse’ Deutsch und Mathematik sollen zukünftig in der Oberstufe über die vier Halbjahre mit mindestens ‘Ausreichend’ abgeschlossen werden. Das ist bisher nicht der Fall. Die KMK erlaubt bis her, dass alle ‘Grundkurse’ in Deutsch oder in Mathe matik in allen vier Halb jahren mit einer Bewer tung unterhalb von Ausrei chend, also zum Beispiel auch mit nur einem Punkt (= Note 5 minus), abge schlossen werden dürfen. Das sichert weder Studier- noch Ausbildungsfähig keit! DAS muss sich bei den Abiturprüfungen ändern: Es soll künftig vereinheitlicht vier bis fünf Abiturprüfungs fächer geben. Aus dem bun deszentralen Abiturprü fungspool sollen alle Länder verpflichtend mindestens fünfzig Prozent, aber keine einhundert Prozent der Auf gaben entnehmen müssen. Eine Festlegung der Gesamt Prüfungszeit in schriftlichen Fächern soll erfolgen, als Mindest- und als Maximal prüfungszeit.
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Pressemitteilung vom 6. Februar 2023
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> PROFIL | März 2023
ANZE I GE
PROFIL > dphv-standpunkte
DPhV-Umfrage unter Schulleitungen
Schulen brauchen mehr Unterstützung für ukrainische Schülerinnen und Schüler
Berlin – Knapp neunzig Prozent der Gymnasien ha ben Schülerinnen und Schü ler aus der Ukraine aufge nommen. In den meisten Fällen (knapp achtzig Pro zent) erhielten die Lehrkräf te aber, die in diesem Zu sammenhang zusätzliche Aufgaben übernommen hat ten, keine Entlastungen. Das geht aus einer Umfrage des Deutschen Philologenver bandes in Zusammenarbeit mit der Bundesdirektoren konferenz unter mehr als 350 Schulleiterinnen und -leitern deutschlandweit hervor. 35 Prozent der befragten Schulleiterinnen und -leiter gaben an, dass bis zu zwan zig Schülerinnen und Schü ler aus der Ukraine jeweils an ihren Schulen unterrich tet werden. Knapp sechzig Prozent der Schulleitungen erklärten aber, dass es an ihrer Schule keine Vorberei tungsklassen für Kinder und Jugendliche ohne Deutsch kenntnisse gibt. Über sech zig Prozent der Schulleitun gen erklärten außerdem, dass die Schülerinnen und Schüler nicht ihren Fähigkei
ten entsprechend den Schul arten zugeordnet wurden. In fünfzig Prozent der Fälle wurden keine zusätzlichen Kräfte an den Schulen für den Unterricht eingestellt. Mehr als achtzig Prozent der Schulleitungen gaben an, dass an ihren Häusern kein zusätzliches Personal zur Be treuung eingestellt worden sei. Knapp zwanzig Prozent der befragten Schulleitun gen gaben an, dass bei ih nen Teilzeitlehrkräfte ihr Stundendeputat erhöht ha ben, um ukrainische Schüle rinnen und Schüler zu be schulen. Dreißig Prozent er klärten, dass an ihren Schu len ukrainische Lehrkräfte eingestellt wurden, um ukrainische Geflüchtete zu beschulen. Prof. Dr. Susanne Lin-Klit zing, Vorsitzende des Deut schen Philologenverbandes: »Konkret brauchen wir hier gerade auch für die ukraini schen Lehrkräfte mehr zu sätzliche Deutschkurse, da mit sie uns in den Schulen besser unterstützen können. Sie müssen anschließend an Standards orientiert zumin dest stundenweise unbüro
kratischer in unseren Schu len beschäftigt werden kön nen.« Arnd Niedermöller, Vorsit zender der Bundesdirekto renkonferenz Gymnasien: »Die Schulen haben Heraus ragendes geleistet. In einem so komplizierten Schulsys tem haben wir es geschafft, dass sehr unkompliziert Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine aufgenom men werden konnten. Was wir aber dringend brauchen, ist eine schnellere Ressour cenbereitstellung. Wir kön nen nicht anderthalb Jahre warten, bis die neuen Schü lerzahlen in der Statistik auftauchen und wir mehr Lehrkräfte einstellen kön nen.« Die Umfrage wurde im No vember/Dezember 2022 un ter insgesamt 356 Schullei tungen in Baden-Württem berg, Bayern, Berlin, Bran denburg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Mecklen burg-Vorpommern und im Saarland online durchge führt.
Mit der Klassenfahrt das ‘Wir-Gefühl’ stärken Gemeinschaft erle ben und soziale Kom petenzen trainieren ist für Schülerinnen und Schüler nach der Corona-Pandemie wichtiger denn je. E ine pädagogisch be treute Klassenfahrt der Jugendherbergen im Rheinland ist dafür ideal geeignet. Denn Program me mit den Schwerpunk ten Teambildung, Erleb nispädagogik oder Natur erlebnisse fördern soziale Kompetenzen und stärken ‘FahrtFinder 2023’ (1. bis 6. Schuljahr) und ‘Klasse Aktiv 2023’ (ab 7. Schul jahr) enthalten rund 150 pädagogisch hochwertige Programme zur Stärkung der Klassengemeinschaft. Unter www.jh-klassen fahrt.de sind alle Klassen fahrten online abrufbar und die Kataloge als Download verfügbar. Die DJH-Klassenfahrten expertinnen beraten unter Tel. 0211 3026 3026 gerne persönlich und kompetent. Oder Sie schreiben eine Mail an service@djh-rheinland.de das ‘Wir-Gefühl’. Die Schulreisekataloge
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Pressemitteilung vom 2. Januar 2023
Sind an Ihrer Schule Vorbe reitungsklassen eingerichtet worden für Schülerinnen und Schüler ohne jegliche Deutschkenntnisse?
Gibt es Entlastungsmaßnah men für Kolleginnen und Kollegen, die diesbezüglich zusätzliche Aufgaben lei sten?
Wurden an Ihrer Schule zusätzliche Kräfte für den Unterricht eingestellt?
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> PROFIL | März 2023
ANZE I GE
PROFIL > dphv-standpunkte
Deutsches Schulbarometer der Robert Bosch Stiftung
DPhV fordert Politik zu nachhaltigem Handeln gegen den Lehrkräftemangel auf
Neues Ausflugsziel für Klassenfahrten: Europa im Herzen Berlins ERLEBNIS EUROPA – die kostenlose Multi media-Ausstellung zum Mitmachen und Mit- reden im Europäischen Haus am Brandenburger Tor ist täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet. B esonderes Highlight der Ausstellung ist das 360°-Kino. Es werden zwei Filme von je zehn Minuten gezeigt. Die Schülerinnen und Schüler haben das Gefühl, im Plenarsaal in Straßburg zu sit zen, und erleben eine Plenarta gung des Europäischen Parla ments inmitten der Europaabge ordneten. In der Zeit von 8:30 Uhr bis 10:00 Uhr besteht zudem die Möglichkeit, an einem Rollen spiel teilzunehmen. Die Schüle rinnen und Schüler schlüpfen in die Rolle von Europaabgeordne ten und diskutieren über einen fiktiven Gesetzesvorschlag. Teilnehmerzahl: 20 bis 38 Schülerinnen und Schüler ab 14 Jahren. Vorherige Anmeldung auf https://berlin.booking. europarl.europa.eu erforderlich.
Berlin – Der Deutsche Philo logenverband (DPhV) kann die Ergebnisse des Schulba rometers, das am 18. Okto ber 2023 veröffentlich wur de, aus eigenen Umfragen bestätigen: Lehrkräfteman gel, Digitalisierung, zu viel Bürokratie und vor allem ei ne zu hohe Arbeitsbelastung stellen derzeit tatsächlich die größten Probleme für Schulleitungen und Lehr kräfte dar. Die Kultusminis terinnen und -minister for dert der Verband deshalb dazu auf, verschiedene Maß nahmen zu ergreifen, die auch tatsächlich umsetzbar sind: 1. Der Arbeitsplatz Schule nicht vorzeitig aus dem Beruf ausscheiden, müs sen deren ausstehende Beförderungen endlich umgesetzt werden. Wer mit derselben Besoldungs gruppe in den Lehrerberuf einsteigt, mit der er nach 35 Jahre wieder aussteigt, wird demotiviert und der Beruf wird für den Nach wuchs unattraktiv gemacht. 2. An Qualität dürfen wir nicht sparen! Wir brau chen eine erstklassige aka demische und pädagogi sche Nachqualifikation für Seiteneinsteiger ins Lehr amt, damit diese gut aus gerüstet in den neuen Beruf einsteigen und vor allem dann auch darin bleiben. Die KMK muss dringend die versproche nen Standards für die muss wieder attraktiv werden! Um bewährte Lehrkräfte im Schulbetrieb zu halten, damit diese an gesichts der Belastungen
Quer- und Seiteneinsteiger ins Lehramt nun endlich formulieren, damit diese in allen Ländern vergleich bar gut nachqualifiziert werden. 3. Lehrkräfte müssen wieder Lehrkräfte werden und keine Verwaltungsange stellten! Die Schulen brau chen Entbürokratisierung und die Lehrkräfte müssen von außerunterrichtlichen Aufgaben entlastet wer den: »Wir brauchen Ent lastung in den nicht-päda gogischen Aufgabenfel dern, weniger Verwaltung und weniger IT-Aufgaben, damit wir uns stattdessen den Schülerinnen und Schülern und dem Unter richt widmen können«, erklärt die Vorsitzende des Verbandes, Prof. Dr. Susan ne Lin-Klitzing. Dazu brau chen die Schulleitungen nicht-pädagogisches Ver waltungspersonal und die
Schulen professionelle IT-Unterstützung. 4. Besser unterstützte Inte gration! »Wir brauchen sowohl mehr Deutschför derung für die Schülerin nen und Schüler aus der Ukraine als auch zusätzli che Deutsch-Angebote für die Lehrkräfte aus der Ukraine, die uns in unse ren Schulen unterstützen wollen«, so Lin-Klitzing. »Blicken Sie mit uns lösungs orientiert nach vorn, setzen Sie qualitätsorientierte, machbare Maßnahmen nachhaltig um, damit die Schule wieder zu einem gu ten Arbeitsort für Schullei tungen und Lehrkräfte im Interesse der Schülerinnen und Schüler wird«, fordert Lin-Klitzing die verantwortli chen Minister auf. ■
Pressemitteilung vom 18. Januar 2023
Kontakt Erlebnis Europa - Am Brandenburger Tor Unter den Linden 78 10117 Berlin Tel. +49 (0) 30 / 2280 2900 E-Mail: frage@erlebnis-europa.eu Web: www.erlebnis-europa.eu
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> PROFIL | März 2023
PROFIL > titel
Biologie-Unterricht kann das Interesse an Pflanzen und Tieren wecken und den Blick schärfen für die Natur in der Umgebung, auch in Großstädten: Hier eine Blauschwarze Holzbiene auf einer Platterbsen-Blüte in Berlin. >
Schwerpunkt Biologieunterricht VomMikrokosmos
zumMakrokosmos
Die Fragen, mit denen sich die Biologie beschäftigt und die in Biologie als Schulfach be handelt werden, begleiten uns vom Beginn unseres Den kens. Oft können Kleinkinder die eine Tierart von einer an deren unterscheiden (und in
teressieren sich dafür, welche Laute sie machen), noch bevor sie vollständige Sätze spre chen. Noch vor dem Erlernen der Schrift erfahren Kinder, was ein Gänseblümchen oder ein Löwenzahn ist – und rup fen sie auch gerne mal ausei
nander, um zu schauen, wie es innen aussieht. Zwar ist die Unterscheidung von belebt und unbelebt in den frühen Jahren vielleicht noch nicht ganz so ausgeprägt (Stichwort Kuscheltiere), aber die Biolo gie kann bei Kindern und Ju
gendlichen auf ein Grundinte resse an Forscherdrang und Forscherinnnenfragen zurück greifen, wie wir und die leben dige Welt um uns herum funktionieren und miteinan der interagieren: Was ist das – und warum ist das anders als
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> PROFIL | März 2023
PROFIL > titel
Interview mit der Biologie-Lehrerin Monika Bernzott vom Friedrich-Magnus Schwerd-Gymnasium in Speyer »Die Begeisterung für die Biologie mit den Heranwachsenden teilen«
ihres Alltags als selbstverant wortliche Erwachsene. Kinder lernen zunächst als Teil des Sachunterrichts und später im Biologieunterricht vieles über die Funktionsweise ihres Kör pers, von Ernährungsgrundla gen bis zum Sexualkundeun terricht. Sie untersuchen mit Lupen und Mikroskopen, wie viel Leben in einigen Tropfen Tümpelwasser oder in einer Boden- oder Laubprobe zu fin den ist, erforschen Ökosyste me und verstehen die Verbin dungen zwischen Pflanzen und Tieren, sie lernen, wie Krankheiten und Ansteckun gen funktionieren und wie wichtig daher Hygiene ist. Über ihren Alltag als Biologie Lehrerin am Friedrich-Magnus Schwerd-Gymnasium in Speyer berichtet Monika Bernzott im Interview – die Verknüpfungen mit dem heutigen und künfti gen Alltag ihrer Schülerinnen und Schüler sind ihr wichtig. Neben den berufspolitischen Verbänden bieten die Fachver bände fachspezifischen Aus tausch – der Arbeitskreis Schul biologie imVerband VBio (Ver band Biologie, Biowissenschaf ten & Biomedizin in Deutsch land) stellt sich in einem Gast beitrag vor. Mit Professor Jorge Groß, Professor für Didaktik an der Universität Marburg, ha ben wir im Interview über He rausforderungen der Lehr- und Lernforschung für das Fach Bio logie gesprochen, über die im mer wichtiger werdende Bil dung für Nachhaltige Entwick lung (BNE) sowie über die von ihm entwickelte App, die Schü lerinnen und Schülern bei der Bestimmung von Pflanzen und Tieren hilft – nicht durch einen Online-Abgleich von Fotos, wie viele andere Bestimmungsapps dies handhaben, sondern durch die gezielte Abfrage be stimmter Eigenschaften zum Beispiel der zu bestimmenden Pflanze. Diese App ID-Logics stellen wir mit einigen anderen Apps vor.
PROFIL: Frau Bernzott, was war für Sie der Grund, sich für Biologie als Fach zu ent scheiden, gab es da be stimmte Bereiche, die Sie schon immer, vielleicht auch schon als Schülerin, beson ders interessiert haben? MONIKA BERNZOTT: Ich hat te in der Schule Biologie Leis tungskurs. Ab der 10. Klasse habe ich für mich erkannt, dass Biologie deutlich mehr ist als Skelette zu beschrif ten und die Funktion ver schiedener Kuhmagen auf zusagen. Schritt für Schritt haben sich für mich in der Oberstufe biologische Zu sammenhänge nachvollzieh
bar erschlossen. Die Ent scheidung, Lehrerin zu wer den, war bereits getroffen und somit lag es nahe, mei ne Begeisterung für die Bio logie zukünftig mit Heran wachsenden zu teilen. Grundsätzlich schätze ich die vielfältig vernetzten Fach disziplinen in der Biologie. Wenn ich ein thematisches Steckenpferd ausmachen müsste, wäre es die Genetik. PROFIL: Gibt es bestimmte Themen im Bio-Unterricht, die Sie besonders gern un terrichten – entweder auf grund der Thematik oder aufgrund der Unterrichtsmit tel, die dabei zum Tragen kommen? Was macht Ihnen am Bio-Unterricht besonders Freude? BERNZOTT: Das Fach Biologie erklärt, wie es sich aus dem Wortursprung (bíos ‘Leben’ und λόγος lógos ‘Lehre‘) herleiten lässt, das Leben. Dieser Anspruch lässt sich im Unterricht bei der Beantwor tung vieler Alltagsfragen schülernah umsetzen. Hier ein paar Beispiele: Was be deutet es laktose-intolerant zu sein? Warum trägt meine Oma eine Lesebrille? Wie funktioniert ein Zuckertest? Was passiert beim Impfen? Was ist bei der Gabe von Bluttransfusionen zu beach ten? Diese alltagsnahen Fragestellungen lassen sich schülernah und problemori entiert erarbeiten. Vermut lich ist es deshalb in Biologie etwas leichter als beispiels weise im Fremdsprachenun terricht die Lerngruppen >
Foto: privat
das daneben oder das dahin ten? Und welche Ähnlichkei ten gibt es bei allen Verschie denheiten? Der Biologie-Unterricht deckt dabei ein weites Feld von der mikroskopischen Zellebene bis zum Makrokosmos der Öko systeme ab, von der Evolution der Arten und den geneti schen Prinzipien der Verer bung bis zum Problem des heutigen Artensterbens. Auch bei den Jugendlichen, für die Biologie bei der späteren Berufswahl keine Rolle spielt, hilft die Grundbildung in Bio logie ganz praktisch in ent scheidenden Lebensbereichen
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Monika Bernzott unter richtet Biologie am Fried rich-Magnus-Schwerd Gymnasium in Speyer.
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> PROFIL | März 2023
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PROFIL: Gibt es etwas, das Sie am Bio-Unterricht gerne ändern würden, zum Bei spiel organisatorisch oder zeitlich? BERNZOTT: Genau an dieser Stelle ist mein Wunsch ver mutlich fachübergreifend. Kleinere Lerngruppen wür den den Unterricht insge samt und v.a. auch das prak tische Arbeiten deutlich er leichtern. Im Hinblick auf die Ausstattung der Fachräume und die medialen Rahmen bedingungen für naturwis senschaftlichen Unterricht ist meine Schule glücklicher weise gut aufgestellt. PROFIL: In den letzten Jahren spielte im Rahmen der Fri days-for-Future-Bewegung der Umweltschutz, Nachhal tigkeit und Artenvielfalt bei Jugendlichen eine zuneh mende Rolle – macht sich das auch im Bio-Unterricht durch Fragen und Anliegen der Schülerinnen und Schü ler bemerkbar? BERNZOTT: Die genannten Themen finden sich fächer übergreifend in den Lehrplä nen wieder und werden un terrichtlich auch behandelt. Ein besonderes Interesse, das sich vielleicht auch im per sönlichen Engagement für bestimmte Projekte zeigt, kann ich zumindest in der Breite der Schülerschaft nicht erkennen. Der individu elle Verzicht für das große Ganze fällt in der Praxis vermutlich dann doch sehr schwer. PROFIL: Herzlichen Dank für das Gespräch!
für die Sachverhalte zu inte ressieren. Und falls das kon krete Thema keine Begeiste rungsstürme auslöst, kann man durch experimentelles Arbeiten den einen oder an deren Schüler doch noch für den Unterricht motivieren. PROFIL: Gibt es Themen, die besonders herausfordernd sind im Unterricht? BERNZOTT: Als herausfor dernd empfinde ich alle The men, die einem schnellen Forschungsfortschritt unter liegen. Der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn im Rah men der Coronapandemie und den in diesem Zusam menhang entwickelten Impf stoffen war beispielsweise sehr schnell. Da muss man als Lehrkraft fachlich immer am Puls der Zeit sein, um ei nen fundierten Wissensvor sprung vor der eigenen Lern gruppe zu haben und um auch vertiefende Fragen be antworten zu können. Darü ber hinaus ist beispielsweise das Thema Krebs aus biologi scher Sicht vielschichtig und spannend. Leider gibt es in vielen Familien persönliche Berührungspunkte mit die ser Krankheit, so dass eine rein biologische Betrachtung oft nicht ausreicht. Diese Aussage gilt übrigens auch für alle bioethischen Fragen, die immer einen zweiten nicht nur biologisch-wissen schaftlichen Blick auf die Thematik notwendig ma chen. Spannende aber auf unterschiedlichen Ebenen fordernde Themen bietet die Biologie somit immer.
Gastbeitrag Arbeitskreis Schulbiologie des Vbio e.V.
Mit dem Schulfach Herausforderungen
Schulische Bildung soll Ler nende auf die Auseinander setzung mit komplexen ge sellschaftspolitischen Zu kunftsfragen und Herausfor derungen vorbereiten. In der Schule stellt die Biologie ein Kernfach dar, auf das dafür nicht verzichtet werden kann. Nicht zuletzt in der Corona Pandemie wurde mit dem Aufkommen von mRNA- und Vektorimpfstoffen deutlich, dass kompetente Entschei dungen, die die eigene Ge sundheit betreffen, eng ver bunden sind mit einem fun dierten Verständnis biologi scher Kernideen. Dabei bildet biologisch-naturwissenschaft liches Denken die Basis für rationale und wissensbasierte Entscheidungen. So wird die Partizipation an Diskursen von Fragen der Nachhaltigkeit über Klimaschutz bis hin zu gesellschaftspolitischen De batten um Gender und Diver sity ermöglicht. Insgesamt wird dem Schulfach Biologie eine herausragende Bildungs verantwortung zuteil. Ein moderner Biologieunter richt befähigt dazu, die beleb te Natur, die Lebensgrundla gen, den eigenen Körper und seine Gesundheit zu verste hen. Das Schulfach Biologie fördert Kompetenzen von Ler nenden zu grundlegenden Konzepten unterschiedlicher Themenfelder wie Evolution,
Genetik und Immunbiologie. Zu den Aufgaben des Schul fachs gehört es daher auch, sich aktuellen ökologischen, sozialen und ethischen Aspek ten im Schnittfeld von Natur wissenschaft und Gesellschaft zu stellen. Dabei werden die rasanten Entwicklungen und Potentiale der Biowissenschaf ten adäquat berücksichtigt, beispielsweise zu biotechnolo gischen Errungenschaften wie CRISPR/Cas. Die Auseinander setzung mit diesen Themen feldern kann zur Förderung des Interesses am Fach Biolo gie sowie zur Vorbereitung auf die berufliche Auseinanderset zung mit biologischen Frage stellungen im Studium und in MINT-Berufen beitragen. Ein übergeordnetes Ziel des Schulfachs Biologie ist die För derung von Kompetenzen ei ner biologisch-naturwissen schaftlichen Grundbildung (Scientific Literacy). Sicherlich sind dabei in den letzten Jah ren zahlreiche weitere Aufga ben hinzugekommen, etwa die Förderung eines adäquaten Wissenschaftsverständnisses sowie der Erwerb von Kompe tenzen, mit denen Fake News zu naturwissenschaftlichen Themen reflektiert begegnet werden kann. Darüber hinaus transformieren die sich rasant entwickelnden Möglichkeiten digitaler Technologien das Schulfach Biologie. So ermögli-
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‘Biologie’ komplexe und Zukunftsfragen besser verstehen
chen digitale Werkzeuge gänz lich neue Einblicke und Zugän ge zu fachgemäßen Denk- und Arbeitsweisen, wie zum Bei spiel der digital gestützten Messwerterfassung beim Ex perimentieren. Die vielfältigen Potentiale digitaler Technolo gien sind Herausforderung und Chance für Lehrkräfte und Lernende zugleich. Vor diesem Hintergrund wird auch das Themenfeld künstliche Intelli genz nicht nur die Biowissen schaften, sondern auch das Schulfach Biologie beschäfti gen. Exemplarisch sind die vie lerorts bereits implementier ten KI-basierten Smartphone Apps zur Bestimmung von Tier- und Pflanzenarten zu erwäh nen. Der Arbeitskreis Schulbiologie im Verband für Biologie, Bio wissenschaften und Biomedi zin in Deutschland (VBio e.V.) setzt sich vor diesem Hinter grund für exzellenten Biolo gieunterricht in allen Schulfor men und Jahrgangsstufen ein, einschließlich des Gymnasi ums. Dies ist nur dadurch möglich, dass alle Phasen der Lehrkräftebildung sowohl bio wissenschaftliche, biologiedi daktische, als auch pädagogi sche Aspekte zum Gegenstand haben. Eine zentrale bildungspoliti sche Herausforderung ist der gravierende Lehrkräftemangel in den MINT-Fächern, der auch
das Fach Biologie vor neue Herausforderungen stellt. Aus unserer Sicht sind die politisch befürworteten Programme für Seiten- und Quereinstieg so zu gestalten, dass hohe Quali tätsstandards fachinhaltlicher und (fach-)didaktischer Bil dung sichergestellt werden. Personen, die über derartige Programme im Schuldienst aktiv werden, sollen durch ver bindlich zu belegende, quali tätssichernde Programme der Weiter- oder Nachqualifizie rung begleitet werden. Dies ist auch als bildungspolitische Forderung zu verstehen. Quali fizierungsmaßnahmen kön nen nur erfolgreich sein, wenn sowohl zeitliche als auch fi nanzielle Ressourcen zur Ver fügung gestellt werden. Eine schleichende De-Akademisie rung und De-Professionalisie rung des Lehramts ist unbe dingt zu vermeiden. Ein bis lang eher selten beachteter Gelingensfaktor in der Lehr kräftequalifizierung sind ab geordnete Lehrpersonen. Sie sind an der Schnittstelle zwi schen Schule und Universität tätig. Die bildungspolitisch Verantwortlichen sollten an dieser Praxis nichts ändern, sondern diese im Sinne des voneinander Lernens stärken. Die Biowissenschaften sind durch einen ständigen Wis senszuwachs gekennzeichnet, der sich schnell in gesell schaftlicher Relevanz nieder
schlägt. Die Bildungsadminis tration ist dafür verantwort lich, diesen Erkenntniszu wachs in den Curricula der Se kundarstufe I und II adäquat abzubilden. An dieser Stelle verweisen wir auf unsere ak tuellen Positionspapiere zur Schulbiologie und Lehrkräfte bildung, die über https://www.vbio.de/schule/ schule/schulbiologie zugäng lich sind. Dem AK Schulbiologie im VBio gehören Biologie-Lehrkräfte, Fach- und Seminarleitungen, Mitarbeitende der Bildungs administration, Biologiedidak tikerinnen und Biologiedidak tiker, an außerschulischen Lernorten Aktive sowie an bio
logischer Schulbildung inte ressierte Personen an. Die Arbeit im AK Schulbiologie zeichnet sich durch den geleb ten Transfer zwischen den Mitgliedern aller Phasen der Lehrkräftebildung aus. Dieser Austausch ist gelebte Vernet zung von Biologiedidaktik, Fachwissenschaft und Unter richtspraxis auf Augenhöhe. Das eigene Handeln, sei es in der Unterrichtspraxis oder der biologiedidaktischen For schung, kann daher mehrper spektivisch reflektiert werden. Die täglichen Aufgaben als Lehrkraft sind geprägt von Impulsen und Ideen, die aus dem AK Schulbiologie sowohl in den eigenen Unterricht als auch in die Unterrichtsent wicklung einfließen.
INFO
Foto: Andreas Völker
Foto: privat
Professor Benedikt Heuckmann (l.), Didak tik der Biologie, Westfälische Wilhelms Universität Münster, und Dr. Christian Rosar, StD, Fachbereichsleiter III, Augusti nerschule Friedberg (Hessen) – die Websei te des AK Schulbiologie des VBio erreichen Sie über den QR-Code.
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Interview mit Professor Jorge Groß, Didaktik der Naturwissenschaften, Schwerpunkt Biologiedidaktik, Philipps-Universität Marburg
Multiperspektivität als Grundlage für erfolgreiche Vermittlungsprozesse
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> PROFIL | März 2023
Foto: Pixelio
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nächst Diplom-Biologie in Hannover studiert, dann Lehramt für die Fächer Biolo gie und Chemie. Meine fachdidaktische Aus bildung an der Uni war da von geprägt, dass wir einer seits Schulflüchter als Dozie rende hatten, die uns erzählt haben, wie furchtbar es in der Schule ist. Auf der ande ren Seite gab es in der Fach didaktik einige gescheiterte Fachwissenschaftler, die gar keine fachdidaktische Exper tise im engeren Sinne hat ten. Ich war inzwischen über eine Abordnung im Schul dienst und habe mich dann noch für ein Studium der Kommunikationswissen schaften entschieden. Dabei habe ich mit Kommunikati ons-, Beratungs- und Werbe profis zusammengearbeitet – und habe darüber noch mal eine ganz andere, faszi nierende Seite der Vermitt lung kennen gelernt. Dabei bin ich zur festen Überzeugung gekommen, dass wir nur zu einer Weiter entwicklung der Lehrerkräf tebildung kommen, wenn wir die Fachdidaktik als for schenden, empirisch arbei tenden Wissenschaftszweig entwickeln. Als empirische Fachdidakti ker gehen wir in Lehr-Lern Prozesse hinein und analy sieren sie. Das gemeinsame Ziel von Lehrern und Fachdi daktikern sind ja richtig gut ausgebildete Schülerinnen und Schüler. Wir haben aller dings in der Uni nur relativ wenig direkten oder sichtba ren Kontakt mit den Schü lern, sondern wir bilden die Lehrkräfte als Multiplikato ren aus. Jede Lehrkraft, der wir die entsprechenden fach didaktischen Werkzeuge an die Hand geben – oder eben nicht – unterrichtet hinter her im Lauf ihres Lebens je nach Berufsjahren rund
10.000 Schüler. Dafür benö tigen Lehrkräfte eine fachlich fundierte, aber eben auch fachdidaktische Ausbildung auf der Basis empirisch er forschter Lehr-Lern-Prozesse. Nur so können wir den Lehr kräften die richtigen Werk zeuge mitgeben und Diagno sekompetenz ermöglichen, so dass sie erleben, was eine erfolgreiche Vermittlung be deutet – und dass das nicht ein Bauchgefühl ist, sondern etwas, das man messen kann. PROFIL: Können Sie mir ein Beispiel für diese Lehr-Lern Prof. Groß: Gute Fachdidak tik hat den gesamten Lehr Lern-Prozess im Blick, und dieser Prozess ist leider oft komplex. Wir können den Schülern ja nicht direkt in den Kopf gucken. Aber wir können Daten über diese Lernprozesse erfassen, in dem wir Schüler mit Hilfe von Interviews oder durch Fragebögen befragen. Wir videografieren Unterricht und werten den Zusammen hang zwischen den Lernan geboten, der Wirkung der Lehrkraft und den Lernerfol gen bei den Schülern aus. Aus diesen Daten können wir Kausalitäten erstellen. Und damit können wir Lehrkräf ten zeigen, was lernförder lich ist oder an welchen Stellschrauben man drehen kann, um Verständnisprozes se zu fördern – und nicht nur zu pauken. Mein Fokus ist die Forschung über Schülervorstellungen. Es ist wichtig, diese Vorstel lungen abzufragen, wenn man in ein neues Thema ein steigt um Verstecktes sicht bar und damit diskutierbar zu machen. Vielen Lehrkräf ten fällt es schwer, eventuell fachlich falsche Vorstellun gen – oder auch Alltagsvor Prozesse geben, die Sie erforschen und wie Sie sie erforschen?
Dass Pflanzen mit Hilfe von Sonnenlicht unsicht bares CO 2 aus der Luft zu Glukose umwandeln, ist für Schülerinnen und Schüler ein abstraktes Konzept.
PROFIL: Professor Groß, Sie sind Professor für Didaktik der Naturwissenschaften, Schwerpunkt Biologiedidak tik, an der Philipps-Universi tät Marburg. Wie sind Sie zum Fach Biologie gekom men, wie wurde Ihr Interesse am Fach Biologie und dann später für die Fachdidaktik geweckt? Prof. Groß: Ich bin ganz klassisch über meine eigene Schulzeit zur Biologie ge
kommen. Ich hatte eine fan tastische Biologielehrerin, die mir nach der Schule emp fohlen hat, meinen Zivil dienst in der Zentralen Vo gelpflege- und Auswilde rungsstation zu machen. Dort bin ich dann das erste Mal mit der rein fachlichen Seite der Biologie in Kontakt gekommen. Darüber und über Naturschutzverbände, das war, glaube ich, meine ‘Einstiegsdroge’. Ich habe zu
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Die App ID-Logics fragt bestimmte Formen ab, führt so durch den Be stimmungsprozess und hilft dabei, Arten- und Formenkenntnis zu er werben. Die Erweiterung der App um den Bereich Pilze befindet sich aktuell in der Entwicklung.
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stellungen, wie wir das nen nen – in den Unterricht zu integrieren. Diese Alltagsvor stellungen haben für Schüle rinnen und Schüler eine ho he Relevanz und sind extrem widerstandsfähig gegenüber Lernangeboten. Beispiels weise die Vorstellung, dass eine Pflanze alle Nährstoffe über ihre Wurzeln aufnimmt – diese Vorstellung liegt den Schülern viel näher als die abstrakte Vorstellung, dass Pflanzen mit Hilfe von Son nenlicht unsichtbares CO 2 aus der Luft zu Glukose um wandeln. Daher müssen wir den Schülern erst mal ver deutlichen, dass sie über die se Alltagsvorstellungen ver fügen, um dann im Unter richtsgeschehen einen Kon flikt zu erzeugen, über den die Schüler umlernen kön nen. Ich behaupte, Lernen bedeutet Umlernen, das heißt, mit den bestehenden Vorstellungen in eine neue Vorstellungswelt gebracht werden – dabei hilft uns die Kenntnis dieser Schülervor stellungen und ihre Integra tion in den Unterricht. Bei der Untersuchung dieser Prozesse können wir zeigen, dass alleine das fachlich rich tig Nennen eben noch lange nicht Verständnis zeigt. Es bringt also wenig, die Foto synthese-Formel lediglich auswendig lernen zu lassen. Viele gute Lehrkräfte haben das schon immer so ge macht: Man holt die Schüler dort ab, wo sie sind. Wir kön nen aber unsere Lehrkräfte noch besser ausbilden, in dem wir ihnen zeigen, an welchen Stellen und mit welchen Methoden diese vielleicht fachlich falschen Vorstellungen, diese Alltags vorstellungen, besser in den Unterricht integriert werden können. Ganz aktuell helfen wir mit digitalen Medien Lehrkräften, Heterogenität von verschiedenen Alltags
Foto: Jens Anders
schieden – mit welchen Gründen? Prof. Groß: Ich werde oft zu meiner App gefragt, ob ich deshalb jetzt der Spre cher der Digitalisierung des Unterrichts sei – nein. In meinen Unterrichtsentwür fen fange ich immer damit an, dass ich die Schüler mit Stift und Papier auf die Pflanzen ansetze und erle ben lasse, was eigentlich die fachliche Idee hinter einer Bestimmung ist. Entschei dend ist die Frage anhand welcher Merkmale, die erst beim genauen Hinschauen auffallen, eine Art identifi ziert werden kann. Das geht ja im Grundsatz auf Linné und seine Klassifizierungsar beit im 18. Jahrhundert zu rück – und gleichzeitig eröff net die Digitalität heute ganz neue Möglichkeiten und neue Herausforderun
vorstellungen in den Klassen zu erfassen und zu nutzen: indem sich Schüler in einem Prozess von Think – Pair – Share, also Einzelarbeit, Part nerarbeit und Gruppenar beit, mit ihren jeweils unter schiedlichen Vorstellungen auseinandersetzen. Dadurch ist nicht immer nur die Lehr kraft die treibende Person im Lernprozess, sondern es wer den Prozesse in den Köpfen der Schüler gezielter initiiert. PROFIL: Sie haben die Pflan zen- und Tier-Bestimmungs app ID-Logics entwickelt. Viele andere solcher Apps setzen darauf, Fotos oder Tonaufnahmen der Nutzer mit vorhandenem Material im Internet zu vergleichen und anhand dessen Bestim mungsvorschläge zu ma chen. Sie haben sich für ei nen anderen Ansatz ent
gen. Die Frage, was eigent lich guter Unterricht ist, bleibt; und digital gestützter Unterricht ist nie per se ein besserer Unterricht, sondern nur eine methodische Erwei terung. Auch da kommt es wieder auf gut geschulte Lehrerinnen und Lehrer an, um diese Möglichkeiten zu nutzen. Wenn eine App das Foto ei ner Pflanze an einen Server schickt und dort mit anderen Bildern vergleicht, bekom men Sie eine mehr oder we niger richtige Antwort, die Sie kritisch prüfen müssen. Da der Bestimmungsprozess dabei aber verborgen bleibt, kann man auch nichts über ihn lernen. Bei der aus schließlichen Benutzung sol cher Foto-Apps kann keine entsprechende Kompetenz erworben werden, weil
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