Blickpunkt Schule 4/2023

Leserbrief

Bild: L. Klauser/AdobeStock

… zu Blickpunkt Schule 3/2023 Lob und Kritik

Lieber Herr Kollege Ganss, zuerst mein herzlicher Glückwunsch zur Jubiläumsausgabe von Blickpunkt Schule. Sie erfüllt alle guten Regeln, die eine anspruchsvolle Anrede aus machen: Sie informiert, sie erfreut und überzeugt. Der Rückblick auf 150 Jahre Ver bandsgeschichte zeigt in aller Klar heit, dass für die Lehrerschaft der Beamtenstatus die solide Grundlage ihrer Arbeit ist und dass nicht Streik, sondern behutsame und beharrliche Verhandlung zur Besserung der Ar beitsbedingungen und der Besoldung führt. Gleichwohl erlaube ich mir zu zwei Themen eine kritische Bemerkung: Zunächst zu den aktuellen Män geln, die unser Vorsitzender Kollege Schwab in seinem Vorwort darlegt, und sodann zur Siegesnachricht des hphv im Kampf gegen G8. Beide Themen stehen in einem engen Zusammenhang. Kollege Schwab schreibt: Wir soll ten in den Anfangsjahren des Lesen lernens die Konzentration der Kinder fördern, sinnvoll gesteuerte Erwar tungen und klare Ansprüche an sie herantragen. Das könnte zielgerich teter sein als die ganze Methodenkir mes einer sich als modern verstehen den Didaktik und würde für mehr Ruhe im Unterricht sorgen. Dem ist nichts hinzuzufügen, soll ten tatsächlich solche Zustände an den Grundschulen herrschen. Den didaktischen Firlefanz mit all dem klangvollen Kompetenzgefasel müs sen die Grundschullehrer in ihrem Studium an der Universität und erst recht im Referendariat über sich erge

hen lassen, wo schlichtes Naseputzen zu einem hochwissenschaftlichen Problem hochgegeigt wird. Sobald die Lehrer in der fest beamteten Praxis stehen, unterrichten sie so gut es geht, bisweilen wie sie es selbst als Schüler erlebt haben: bei der Vermitt lung der lebenswichtigen Grund kenntnisse im Lesen, Schreiben, Rechnen und Verstehen und Vertie fung all dessen durch Üben, Üben, Üben. Hier verdienen unserer Kolle ginnen und Kollegen an den Grund schulen höchsten Respekt und Aner kennung, weil sie ihre Basisarbeit un ter den Bedingungen von 2023 und nicht 1963 leisten müssen: Was brin gen denn die Kinder mit an ihrem ers ten Schultag, wenn sie nicht gerade aus einem wohlbehüteten Akademi kerhaushalt kommen? Viele haben noch nie ein Buch in der Hand gehabt und nicht einmal Ansätze des Lesens mit einem Bilderbuch erfahren. Und die Deutschkenntnisse der Kinder aus Einwandererfamilien sind zumeist trümmerhaft. Mit Methodenkirmes ist dem nicht beizukommen. Dazu soll auch Freude am Lernen vermittelt werden, was durchaus gelingt, weil Kinder naturgäß lern- und wissbe gierlich sind. An diesem Zustand lässt sich in Deutschland bisher nichts ändern, weil es keine verpflichtende Prüfung der Bildungsreife im Vorschulalter gibt. Wenn zum Beispiel eine solche Prüfung im vierten Lebensjahr statt findet, gibt es noch Zeit, die Lücken zu schließen. Genau hier ergibt sich auch der Zu sammenhang mit G8: Wenn zum Bei spiel in den Niederlanden die Kinder

ihre zwölfjährige Schulzeit mit einem Abitur abschließen, das sie zum Stu dium berechtigt, dann haben sie de facto vierzehn Schuljahre absolviert, denn ihrer Grundschule sind zwei Jah re Vorschule vorgeschaltet, in der spe ziell ausgebildeten Lehrer unterrich ten, die durchaus auch Hausbesuche machen, um die Eltern in den Bil dungsprozess einzubeziehen. Die Vor schule ist kostenlos, was die Eltern gern für ihre Kinder wahrnehmen, denn Kindertagesstätten lassen sich gut bezahlen. Gewiss: Pflichtuntersuchungen und eine Vorschule mit gut ausgebildeter Lehrerschaft kämen unserem Staat teuer zu stehen, doch das aktuelle Laissez-faire dürfte langfristig noch teurer werden. Es wäre verdienstlich, wenn der Deutsche Lehrerverband seine Chan cen der Einwirkung auf die Politik wahrnähme und sich nicht nur für eine amtliche Schulreifeprüfung ein setzte, sondern ganz besonders für die Einrichtung einer Vorschule, die die Kinder mit dem Rüstzeug zum Start in die Grundschule ausstattet. Denn unsere Kindergärten und Kin dertagesstätten sind hier überfordert. Dr. phil. Baldur Gabriel, OStR

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