Blickpunkt Schule 4/2023
Die Pension – Fluch oder Segen? Ein persönlicher Erfahrungsbericht
V iele Kolleginnen und Kollegen leben zum Teil erwartungsvoll der Pensionierung entgegen. Ich hatte sogar einen Kollegen, der die Tage bis zur Pensionierung an einem Maß band täglich abschnitt. Sicher ein Gag, der aber doch zeigt, dass in die Pensio nierung viele Hoffnungen gesetzt wer den. Die folgenden Jahre sollen der Er füllung dessen dienen, was lange auf geschoben wurde. Endlich will man selbstbestimmt leben, will nicht mehr in ein starres Zeitraster eingebunden wer den, kann sich Wochenenden ohne Kor rekturen als wunderschöne Freizeit aus malen und wird nie mehr gezwungen sein, zu den Ferienzeiten in Urlaub zu fahren. Mit spätestens 67 Jahren fängt also das Leben erst richtig an!? Dies halte ich für einen Irrtum. Einen Großteil des eigenen Lebens hat jeder Mensch mit 67 Jahren hinter sich. Für die Zukunft bleiben in aller Regel, wenn al les gut geht, vielleicht 20, 25 oder 30 Jahre. Wie viele Jahre wir davon auch noch bei guter Gesundheit und relativer Fitness verbringen können, ist nicht defi niert. Insofern kann es fatal sein, wenn wir zu viele positive Vorhaben in diese doch insgesamt ungewisse Zukunft pro jizieren. Hinderlich für ein zufriedenes Altern ist sicherlich, wenn wir die Zeit unserer Berufstätigkeit als Fron beschreiben. Si cher, viele Dinge wurden fremdbe stimmt, nicht alles gelingt uns, nicht im mer haben wir das erreicht, was wir er reichen wollten, aber zumindest konnten wir in unserem Beruf in den allermeisten Fällen ein abgesichertes, sorgenfreies Leben führen, das uns neben den An sprüchen des Berufes doch noch genü gend Freiheit gewährte, dieses Leben oft zu genießen. Dabei verkenne ich keines wegs, dass manche auch viel Leid ertra gen mussten und ernsthafte gesund heitliche oder familiäre Probleme zu be wältigen hatten. Ein reines Zuckerschle cken ist sicher kein typischer Lebensweg. Jetzt aber zu mir und meinem Erleben der ersten beiden Jahre in der Pension.
Ich hatte es kaum ernsthaft geglaubt, dass eines Tages der Tag der Pensionie rung tatsächlich real werden würde. Na türlich hatte ich immer wieder zu allen passenden und unpassenden Gelegen heiten damit kokettiert, dass ich ja nur noch kurze Zeit im Dienst sein würde, aber erst im letzten halben Jahr vor der Pensionierung wurde diese Tatsache kon kreter. Vorher hatte ich vieles erlebt und vieles erreicht. Ich war gerne Lehrer, engagierte mich im Schulpersonalrat und im Gesamtpersonalrat. Nach vielen Dienstjahren wurde ich zum Oberstudi enrat befördert, woran kaum einer aus meiner Generation noch geglaubt hatte. Schließlich wurde ich Fachbereichsleiter im ersten Aufgabenfeld. Die letzten elf Jahre war ich dann Schulleiter an einem Darmstädter Gymnasium. In all diesen Jahren gab es Höhen und Tiefen, aber al les lief auch seinen Gang. Morgens in die Schule, Besprechung mit dem Stellver treter, später der Stellvertreterin, Small talk mit den Sekretärinnen, den Haus meistern, Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen, Problemlösungen, Gremienar beit, (wenig) Unterricht, viel Schreibar beit, Elterngespräche und so weiter und so fort. Die Aufgaben waren vielfältig, im mer wieder neu, selten langweilig und immer wieder fordernd. Kurz: Mit meinem Berufsleben war ich sehr zufrieden. Und dann das: Absturz in die Bedeu tungslosigkeit. Am Montag noch Chef, ab Dienstag dann allenfalls Gast in meiner Dienststelle. Eine dienstliche Aufgabe hatte ich nicht mehr. Selbst Prozesse, die nur angestoßen waren, konnten von mir nicht weiterbetreut werden, auch wenn sie mich gedanklich noch weiter beglei teten. Gut, die Verabschiedungsfeier stand noch an; einiges musste noch or ganisiert werden. Ich war also wenigstens beschäftigt und mir war auch nicht ban ge, dass mir die Beschäftigung ausgehen würde. Vieles war doch über die Jahre lie gen geblieben und musste aufgearbeitet werden. Außerdem war ich ja immer noch verantwortlicher Redakteur für ‘Blick punkt Schule’, eine Aufgabe, der ich nun
mehr Zeit widmen konnte. Also alles gut? Nein, es blieb ein gewisses Unbehagen, wie ich denn meine Zeit nun sinnvoll aus füllen könnte, welchen Herausforderun gen ich mich nun stellen sollte. Ich will es kurz machen, echte (geistige) Heraus forderungen gab es fortan nicht mehr und gleichzeitig fielen ja die ganzen Rou tinen des Berufes weg, über die ich zwar oft lamentiert hatte, die nun aber doch seltsamerweise fehlten. Mir fehlten die Menschen, mit denen ich täglich zu tun gehabt hatte, mir fehlten die Aufreger über nicht nachvollziehbare Verordnun gen. Mir fehlten die täglichen Auseinan dersetzungen, das tägliche Ringen um Vorhaben. Bei genauerer Betrachtung fehlten mir nicht so sehr die Inhalte, mit denen ich mich vorher täglich beschäf tigt hatte, mir fehlte das soziale Umfeld, in dem ich mich vorher bewegt hatte. Nicht zu vernachlässigen sind auch die finanziellen Änderungen, die mit der Pensionierung einhergehen. Nahezu dreißig Prozent des vorherigen Gehaltes fallen ja von einem Tag auf den anderen weg. Damit ich nicht falsch verstanden werde: Als Beamter habe ich eine sehr gute Altersversorgung, die in jedem Fall ein sorgenfreies Leben ermöglichen soll te, aber dreißig Prozent sind dreißig Pro zent. Daran muss man sich auf jeden Fall erst einmal gewöhnen. Zumindest müs sen manche Ausgaben, die vorher ohne großes Nachdenken getätigt wurden, wenigstens überlegt und vielleicht auch zeitlich geplant werden. Aber das ist wirklich ein Jammern auf hohem Niveau. Letztlich ging es nach der Pensionie rung um die Gestaltung eines neuen Le bensabschnittes, nun ohne Beruf. Alles andere blieb ja. Die Familie, der Freun deskreis, kurz das private Leben. Trotz dem ist der Wegfall der beruflichen Tä tigkeit einschneidend, denn er nimmt ja etwa ein Drittel der Lebenszeit in An spruch. Da ich meinen Beruf gerne aus geübt habe, war dieser Wegfall für mich durchaus ein Verlust und nicht in erster Linie eine Befreiung von einer unange nehmen Last. Es hat eine ganze Weile
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