Blickpunkt Schule 4/2019

Autor konstatieren muss: »Pädagogik war gestern, heute sind Vermessung und Mo- nitoring angesagt« (Seite 43) . In diesem Zusammenhang zitiert Klein unter ande- rem Christoph Türckes SZ-Artikel vom 7. Juli 2017 mit dem aussagekräftigen (und warnenden) Titel ’Was im Computer ist, ist noch längst nicht im Gehirn’ (Klein nennt das »naiver Glaube«). Die anschließenden drei Kapitel befas- sen sich vor allem mit Dissertationen (vielleicht sollte man lieber gleich sagen ’mit Plagiaten’?) und Ähnlichem. Nach ei- nem Ausflug in die Musik geht es um so- genannte textbasierte Plagiate. Unter den Bedingungen der Massenuniversität und ohne effektive Plagiatssoftware ist es na- türlich fast unmöglich, solche zu entde- cken. Letztere wird in den USA sehr effek- tiv eingesetzt, und: Dort werden sie dras- tisch sanktioniert. Übrigens sind, so Klein, für deutsche Universitäten, Referate, Prä- sentationen, Hausaufgaben, PowerPoint- Vorträge weitaus mehr betroffen als Dis- sertationen (Seite 57) . Schon 2004 sollen die Hausarbeiten an deutschen Universi- täten zur Hälfte hohe Plagiatsanteile ent- halten haben. Auch die Hinweise auf die Maßnahmen konkreter Universitäten sind interessant. Insgesamt steht es übrigens um die Naturwissenschaften besser als die Geisteswissenschaften. Und insgesamt gilt ohnehin, dass sich Studierende, die wissen, dass jemand ihre Arbeit liest, mehr Mühe geben. – Wissenschaftsstand- ort Deutschland? Und welche weit ’effektiveren’ Mög- lichkeiten als Plagiate, zu einer Disserta- tion zu kommen, gibt es noch? Das zeigt das Kapitel ’Der Siegeszug der Ghostwri- ting-Agenturen’. Hier handelt es sich um einen Geschäftsbereich von jährlich Hun- derten von Millionen Euro – mit viel bes- serem Qualitätsmanagement und ent- sprechender individueller Zuwendung (1 : 1 statt 1: etwa 10), als sie die deut- schen Universitäten leisten können. Hin- zukommt, dass solche Arbeiten primär ja nur dem Titelerwerb dienen, nicht künfti- ger Lektüre, und die Formalia zum Ersatz für fehlende Inhalte geworden sind. In die bisher angedeuteten Szenarien passt dann gut ’Die wundersame Vermeh- rung von Dissertationen und Bestnoten’. Auch in diesem Kapitel sind noch einmal Zahlen zu den Abiturientenquoten (und

Eine weitere wundersame Vermeh- rung haben die Studiengänge erfahren. Laut HRK gab es nach 11 265 im Winter- semester 2007/2008, zehn Jahre später 19 011 (je etwa zur Hälfte Bachelor bzw. Master – dabei war der Bachelor-Studi- engang ursprünglich für die Grundlagen und dann der Masterstudiengang für die Spezialisierung gedacht). Klein spricht angesichts der inzwischen perspektivlo- sen Vielfalt von einem sich kontinuier- lich verstärkenden Dickicht. Anschlie- ßend wird das duale Ausbildungssystem ’unter die Lupe genommen’. – Übrigens hat der DIHK-Präsident Eric Schweitzer bereits 2014 einen Akademisierungs- stopp gefordert. Durch die Bologna-Reformen hat sich das Lernen selbst grundlegend gewan- delt. Ein gelungenes Gegenbeispiel lie- fert Klein auch hier mit der Vorgehens- weise in den USA, wo die Lehre in der Regel aus reiner Wissensvermittlung ein- schließlich Angabe eines konkreten Lehr- buchs besteht. Ein heutiger Student in Deutschland geht dagegen nur noch auf Punktejagd, die Inhalte verlieren zuneh- mend an Bedeutung (Seite 129) . Auch die zahllosen PowerPoint-Präsentationen werden kritisiert. Sie haben zwar den Status einer Schlüsselkompetenz erhal- ten, aber 35 bis 75 Folien in 90 Minuten sind nicht sinnstiftend 7 . Zum Nachdenken regt hier der Hinweis an, dass Jeff Bezos, der CEO von Amazon, seiner Belegschaft 2018 ein generelles Verbot von PowerPoint-Präsentationen in Meetings verordnete (s. Seite 136) ! Das besonders lange vorletzte Kapitel ’Für eine Handvoll Euro – die Folgen der drastischen Unterfinanzierung deutscher Universitäten’ beginnt mit der Ökonomi- sierung des Sportes, behandelt die durch- schaubare und sinnvolle Vermögensver- waltung amerikanischer Universitäten, insbesondere der Spitzenuniversitäten; weitgehend autonom, handverlesen, Sti- pendien für herausragende Leistungen sind hier wesentliche Stichworte. Es fin- den sich zahlreiche Beispiele für die USA und für Deutschland. Eigens behandelt wird dann das Ranking. Alumni und Fundraising sind weitere Gesichtspunkte. Die Erörterung von Kapazitätsverordnung (> CNW/Curricularnormwert) kontra Be- treuungssituation (in Deutschland durch-

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denen mit einer Eins vor dem Komma) 5 genannt. Und der Leser bekommt wieder Hinweise auf die Verhältnisse in den USA 6 . Natürlich hat sich nicht nur die Eins vor dem Komma bei den Abiturienten, sondern ebenso die Zahl der summa- cum-laude-Promotionen vermehrt. Kon- krete (nicht langweilige, sondern eher überwältigende) Zahlen dazu gibt es auf Seite 86f . Schließlich, so Klein, fordert der Zeitgeist sehr gute und gute Noten für al- le. Anschließend erfährt der Leser so manches über Zweitgutachter und soge- nannte kumulativ erstellte Dissertationen (Seite 95ff.) , hier werden mehr als sieben Optionen konkret verdeutlicht. ’Fortschrei- tende Ökonomisierung’, ’Drittmittel’-Be- schaffung, Diskreditierung von ’Querden- ker’n, ’rein betriebswirtschaftliche Be- trachtungsweise’, ’hoher Impact-Faktor’ sind die Kernbegriffe der dann folgenden ebenso eindrücklichen Ausführungen. Die anschließend besprochene ’wunder- same Vermehrung von wissenschaftlichen Journalen’ ergibt sich dann eigentlich fol- gerichtig von selbst, und dass, so Klein, »auch in diesem Sektor … die Ökonomi- sierung des Bildungswesens und die da- mit verbundene Orientierung am bloßen Output eine Schneise der Verwüstung in die deutsche Wissenschafts- und For- schungslandschaft schlägt« (so Seite 111) . Hans Peter Klein: Abitur und Bachelor für alle – wie ein Land seine Zukunft verspielt , zu Klampen Verlag | Springe 2019 | 1. Auflage | Hardcover | 220 Seiten | ISBN: 9783866745933 | Preis: 20,– Euro

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