Blickpunkt Schule 1/2023

wirklich bescheidenen Anforderungen in Mathematik im Grundschullehramt schrecken potenzielle Interessenten ab. Um sicherzugehen, studiert man lieber zwei Fächer aus dem Nicht MINT-Bereich auf Hauptschul- oder gymnasiales Lehramt. Viele Mathematiker an den Hoch schulen waren und sind entsetzt über diese Entwicklung. »Von allen guten Geistern verlassen«, (17) »Denken darf hier nur der Taschenrechner« (18) oder »Die Erhöhung der Abiturientenquote als Form der alchemistischen Gold herstellung« (19) sind nur einige der Kommentierungen. Zahlreiche Aus wertungen des fachlichen Schwierig keitsgrades ließen große Zweifel an der eingeschlagenen Richtung erken nen (20-23) . Diese Entwicklung der Ab kopplung schulischer Inhalte von de nen der Hochschule zeigt sich nicht nur in der Mathematik. Auch in den Naturwissen schaften wird das Gap zwischen Schule und Hochschule immer größer Auch in den Biowissenschaften wer den schon Erstsemestern knallharte Fakten auch in den chemischen Grundlagen abverlangt. Die Entwick lung des Faches Biologie an der Schu le deutet eher auf das Gegenteil hin. Projektunterricht mit fachübergrei fenden Themen, wie beispielsweise Klimawandel und Artenvielfalt, wer den in Gruppenarbeit oftmals inter netbasiert ohne tiefgreifendes Grund lagenwissen abgehandelt. Man ist durchaus biologisch interessiert, ist aber mehr als verwundert, dass vor allem im grundlegenden Bachelor Studiengang mehr oder weniger aus schließlich knallharte Fakten vermit telt und reproduziert werden müssen, an denen viele scheitern. Als Beispiel zu dem konträren Verlauf zwischen Schule und Hochschule können die kompetenzorientierten Abituraufga ben dienen, zu deren Lösung man zwar ein Textverständnis benötigt, aber so gut wie kein Faktenwissen nachweisen muss. Dies haben die Un tersuchungen des fachlichen Schwie

rigkeitsgrades von Abituraufgaben im Fach Biologie in verschiedenen Bun desländern eindeutig ergeben. (24-27) Nicht zuletzt die Streifenhörnchen gelangten dadurch zu einem fragwür digen Ruf. Sie waren nämlich das The ma einer entsprechenden Leistungs kursaufgabe in Nordrhein-Westfalen 2009, die selbst von Neuntklässlern ohne größere Probleme zu lösen war. (28) Solche Aufgabenstellungen gibt es an den Hochschulen nicht! Die empirische Bildungsforschung, die seit dem Millennium bis heute ausschließlich die politische Bera tungsfunktion inne und in deren ba bylonische Gefangenschaft nicht nur das Bundesministerium für Bildung und Forschung sich freiwillig begeben hat (29) , kann keinesfalls empirisch ab gesicherte Konzepte zur Verbesserung der Situation vorgeben, denn die hat man schlichtweg nicht, man stochert vielmehr im diffusen pädagogischen Nebel herum. Dies ist umso gefährli cher, als es sich bei den Psychometri kern keinesfalls um pädagogisch kompetente Ratgeber oder gar um schulische Praktiker handelt. Weitere Gründe für die Dämmerung in den MINT Fächern Nun ist die Kompetenzorientierung in den Schulen nicht der einzige Grund von zurückgehenden Lernleistungen. Ein weiterer Grund ist die allmähliche Absenkung der Ansprüche, die zwar zur vermeintlichen Mehrvergabe an Zertifikaten führt, die Leistungsan sprüche aber ständig absenkt. Die in flationäre Vergabe von Abitur und Ba chelor mag zwar so manchemVerant wortlichen allein aus sozialpolitischen Gründen gerecht erscheinen, bedeu tet jedoch deren Abwertung und wird selbst im ökonomischen Sinne den Wohlstand kosten, den wir bisher im internationalen Vergleich erreicht ha ben. Nicht unter den Teppich zu keh ren ist auch ein aktuell vielseitig dis kutiertes ’Migrantenproblem’ im Bil dungssektor als Folge einer unkon trollierten Einwanderung aus bil dungsfernen Schichten seit 2015. (30, 31)

Dass deren Kinder oft auch wegen fehlender elterlicher Unterstützung und/oder Unzulänglichkeiten in der deutschen Sprache massiv von dieser negativen Entwicklung betroffen sind, ist mehr als offensichtlich und wird durch die aktuelle Studienlage ein deutig bestätigt. Die vielfach hochge lobte Diversität der Lernleistungen von Schülerinnen und Schülern ist derart eklatant angewachsen, dass ein für alle förderlicher Unterricht kaum noch möglich ist, besonders in Brennpunktschulen mit hohen Mig rantenanteilen. Bildungsinteressierte Eltern, die über genügend Kleingeld verfügen, wechseln den Stadtteil oder geben ihr Kind gleich in die Obhut von boomenden Privatschulen. Das wie derum vergrößert das Problem. Leh rerinnen und Lehrer sind von dieser Problematik besonders betroffen und reagieren auf vielfältige Weise frus triert. »Nie wieder Burn-out! Der Leh rerberuf muss zurück zu seinen Wur zeln: dem Unterrichten … Die misera blen Rahmenbedingungen, die Torpe dierung der Hauptaufgaben der Leh rerprofession frustrieren mich« wird ein Lehrer auf News4Teachers zitiert und er stellt zu Recht einen Forde rungskatalog auf, auf den aber leider niemand hört. (32) Faktenwissen als Grundlage von mündigen Bürgern? Die Abkopplung von grundlegenden Wissensbestandteilen, die erst einen Heranwachsenden zu einemmündigen Menschen machen, ist eine der vor nehmsten Aufgaben von Schule. Be trachtet man heute beispielsweise die Klimaaktivisten von Fridays for Future, Extension Rebellion oder auch die der Letzten Generation ist es erschre ckend, mit welchen grundlegend feh lenden Fachkenntnissen in öffentli chen Talkshows kokettiert wird. Ge schätzte 95 Prozent verfügen über kein fundamentales Grundlagenwis sen zu den chemischen oder biologi schen Sachverhalten des Klimawan dels. Man setzt sich für den Arten schutz ein, obwohl man kaum Arten

MINT – Ideal und Wirklichkeit

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SCHULE

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