Bildung aktuell 5/2024

Forum & Diskurs

… ein Merkmal des ‘Totalen’ sind Einforderung und Propagierung veränderter Werte und Haltungen, Unverhohlen wird sie eingefordert: eine Änderung der Werte und Hal tungen der Lehrkräfte, aber auch von Eltern. Um welche ‘Werte’ es jenseits eines unbedingt positiven ‘Mindsets’ in Sachen Digitalisierung noch gehen mag, bleibt bislang of fen. Beispiel ist die Einflussnahme der Telekom Stiftung auf den Mathe matikunterricht in Deutschland. So kritisiert der Mathematikdidaktiker Wolfram Meyerhöfer, dass die Stif tung Kritiker aus dem Diskurs aus schließt und gewisse Denkrichtun gen vorgibt, während andere Mei nungen nicht gehört werden. Ins besondere sieht er die Gefahr der Monopolisierung von Fortbildungs angeboten für Mathematiklehrer, die maßgeblich von Akteuren des Deutschen Zentrums für Lehrerbil dung Mathematik (DZLM) als Inte ressenträger der Telekom-Stiftung forciert wird. Darüber hinaus scheint das Miss trauen gegenüber der Arbeit der Mathematiklehrer bei der KMK sehr groß zu sein. Im Dezember 2021 wurde das Programm QuaMath vom DZLM ins Leben gerufen, da beim IQB-Bildungstrend 2018 55,2 Pro zent der Neuntklässler die Regel standards in Mathematik nicht er

die Individualisierung des Lernens: KI erkennt Kompetenzen, Bedürf nisse, Stimmungen, den Rhythmus jedes einzelnen Schülers und wählt passgenaue Aufgaben aus. Bei nä herer Betrachtung erweist sich die ses Versprechen als leer: Was statt zufinden hat, ist eine Standardisie rung der Schülerschaft. Zunächst werden sämtliche andere Lerntypen und -weisen von vornherein ausge klammert, etwa das Lernen über an dere Medien, über andere Zugänge und mit anderen Methoden. Zudem geht es hier stärker als bisher um Anpassung an zentral gesteuerte Vorgaben. Individuell sind lediglich das Tempo und der berechnete Zu schnitt. Zugegeben, Schule bedeu tete schon immer auch Anpassung; bislang war diese jedoch selten all umfassend, sondern oft variabel, et wa an die Anforderungen oder ‘Ste ckenpferde’ einzelner Lehrperso nen. Doch auch Lehrpersonen mit Ecken und Kanten soll es offenbar nicht mehr geben: Mit ‘Lernbegleitern’ heißt es Standardlehrkräfte zu kre ieren, deren Aufgabe in erster Linie in der Schaffung von ‘Lernsettings’ und der Bereitstellung geeigneter Apps besteht. Fachliches Wissen heißt es bereits im Studium zurück zufahren zugunsten von Medien- und Digitalkompetenz; an die Stelle von fundiert-kritischem Denken tritt eine uneingeschränkt positive Haltung zu ‘digitalen Medien’ als Studienziel.

reichten und die Durchschnittsno ten im Fach Mathematik im Abitur deutlich schlechter als in anderen Fächern sind. Daher sei eine Quali tätssteigerung von Mathematikun terricht essentiell. Dass auch andere Gründe für das Nichterreichen von Mindeststandards eine Rolle spielen könnten, wird ausgeblendet. Hinter Einforderung und Propagierung veränderter ‘Mindsets’ steckt ein manipulatives Menschenbild, das sich kaum mit unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung verträgt. … ein Merkmal des ‘Totalen’ ist die Durchleuchtung der Persönlichkeit, Dass Digitalisierung mit Datafizie rung einhergeht, ist evident. Tatsäch lich wecken die Möglichkeiten, auf Stimmungen, Kompetenzen und Le benswandel von Schülern wie auch von Lehrern zugreifen zu können, Begehrlichkeiten nicht nur in der Di gitalwirtschaft. So fordert der Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten 2022 in einem Positionspapier den »Aufbau eines Bildungsverlaufsregisters: Da tenschutzkonform und forschungs freundlich«. Es geht um die Samm lung sämtlicher ‘Schülerindividualda tensätze’ im Längsschnitt, also über das ganze Leben, verknüpfbar mit Daten aus anderen Quellen, nur für ‘die Wissenschaft’ zugänglich und pseudonymisiert. Glaubt wirklich je mand bei den heutigen Möglichkei-

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