Bildung aktuell 5/2024

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Forum & Diskurs

Grundlegende Gebiete der Mathe matik wie Algebra, Zahlentheorie bzw. Geometrie finden sich in den Beispielaufgaben nicht wieder. Ins besondere kommt das Herzstück der Mathematik, nämlich das Beweisen, in den Aufgaben nicht vor. Lösungs wege werden fast nicht verlangt. Es geht um das Anklicken der richtigen Lösung, gegebenenfalls mit einer kurzen verbalen Begründung bei Ja Nein-Aufgaben. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass Schülerinnen und Schüler, die mit solchen Aufga benformaten vertraut sind, besser abschneiden. Doch komplexe Lö sungswege können nicht per Ankli cken überprüft werden, sondern er fordern vor allem eigenes Denkver mögen und Kreativität. Festzuhalten bleibt: Da Politik wie Lehrpersonen schwerlich sämtliche Expertisen überprüfen können, gilt es die Uneinigkeit in der Wissen schaft hinzunehmen, ja als entschei denden Faktor miteinzubeziehen. Das Problem liegt nicht in der Unei nigkeit, sondern in der Propagierung einer Einigkeit und Unumstößlich keit, die es nicht gibt. Dies führt zur zweiten Beobachtung: Ein echter Diskurs findet nicht statt. Hier lässt sich ein Ungleichgewicht feststellen. Auf der einen Seite steht eine große Vielzahl von Publikatio nen aus unterschiedlichsten Fach richtungen, die eine ‘Digitalisierung von Schule’ kritisch sehen, sich da bei mit den Positionen der Gegen seite argumentativ auseinanderset

zen. Eine Vernetzung lässt sich nur ansatzweise beobachten. Auf der anderen Seite steht ein mächtiges, medial präsentes und finanzstarkes Bündnis aus Digitalwirtschaft, Poli tik, Wissenschaftlern u.a., das ein Eingehen auf abweichende Positio nen wohl für überflüssig, gar für schädlich hält. Wenn Skeptiker überhaupt zur Kenntnis genommen werden, dann um sie als unseriöse ‘Bedenkenträger‘ abzukanzeln. Gut beobachten lässt sich dies am Um gang mit der kritischen Position Manfred Spitzers: Allenfalls in An sätzen geht man auf seine Argu mente ein, beschränkt sich haupt sächlich auf Angriffe auf seine wis senschaftliche Reputation. ‘Totale Digitalisierung’ ist das Problem, denn … Es wird nunmehr deutlich: Der Gra ben verläuft zwischen der monolithi schen Position einer ‘totalen Digitali sierung von Schule’ und heteroge nen kritischen Stimmen, die meist nicht jeglichen Einsatz digitaler Medien ablehnen. Wer den Begriff ‘totale Digitalisierung’ in eine Such maschine eingibt, wird schnell fün dig, sei es positiv als Titel eines Lese Förderprojektes, sei es meist negativ unter dem Vorzeichen der Kritik – und so auch gerne mal als ‘ideolo gisch’ abgestempelt. Wenn wir hier den Begriff der ‘totalen Digitalisie rung’ aufgreifen, wollen wir damit ebenso wenig etwaige Verschwö rungstheorien bedienen wie Vorstel-

lungen einer Rückkehr zur Schule des Kaiserreiches. Ohne nun verschiedene Nuancen und Bezugsweisen des Begriffs der ‘Totalität‘ zu diskutieren, postulieren wir: Einige Merkmale des ‘Totalen’ lassen sich im Kontext der ‘Digitali sierung von Schule’ klar erkennen. Eines haben wir bereits angezeigt, eine Praxis von Nichtbeachtung oder Abwertung anderer Sichtwei sen, verbunden mit dem Anspruch auf den Besitz einer wissenschaftlich untermauerten Wahrheit. So will man die Digitalisierung von Schule um jeden Preis durchdrücken – wi der alle Erfahrung anderer Länder ‘Total’ bedeutet hier grundsätzlich, dass Lernen nicht mehr mit Unter stützung durch, sondern ausschließ lich über ‘digitale Medien’ zu erfol gen hat. Dies impliziert, durchstöbert man zum Beispiel die ‘Zeitreisen’ vie ler Visionäre, eine grundlegende ‘Transformation’ von Bildung, Schule und Lernen, die man als ‘total’ beti teln kann. Und was wir kritisch sehen, gilt mancherorts als großartige Aus sicht. Wir sprechen also über dassel be, kommen aber zu unterschiedli chen Wertungen. … ‘totale Digitalisierung’ widerspricht dem Postulat der Individualisierung, wie beispielsweise Schweden, Finnland oder Neuseeland.

Ein großes Versprechen der ‘totalen Digitalisierung’ von Unterricht ist >

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